Das Ungeheuer Muse. Křeneks „Orpheus und Eurydike” in Karsten Wiegands szenischer Deutung am Konzerthaus Berlin. Das Ungeheuer Muse (19).

[Geschrieben für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung.
Leicht gekürzt erschienen am 7. Februar 2010.
(Vorgegeben waren 2350 Zeichen, die ich um rund
ein Drittel überzog. Daher die Kürzung. Hier in der
Entwurfsfassung. Auf die Sänger ließ es sich je speziell
aus Knappheitsgründen nicht eingehen.)]

[Fotos: Henrik Jordan.]

Von allem Anfang an sah diese Inszenierung den Teufel – oder sagen wir: Hades? Fünf Sänger erkrankten während der laufenden Proben, permanent mußte neubesetzt werden, Psyche schließlich probte am Tag der Generalprobe zum allerersten Mal – per aspera ad astra kann man sagen; vielleicht trug die vollbesetzte Premiere des Konzerthauses Berlin auch deshalb das deutliche Insignum größter Referenz. In jedem Fall war es ein nächster Markstein in >>>>> Lothar Zagroseks Reformierung szenischer Aufführungen. Das Konzerthaus Berlin macht sie nämlich zu einer ganz eigenen Opern-Kunstform.
Dabei ist Křeneks „Orpheus” kein Renner, die Vorstellung des Konzerthauses war die vierte überhaupt seit der Uraufführung 1926. Zudem macht es Oskar Kokoschkas expressionistischer, aufgeladen hysterischer Symbolismus weder Sängern noch Publikum leicht, überhaupt Sinnzusammenhängen zu folgen: teils ist alle Grammatik außer Kraft gesetzt, teils explodiert die Sprache – als künstlerisches Ergebnis der Liebesobsession Oskar Kokoschkas zu Alma Mahler – vor surrealer Bildlichkeit: mehr Ausdruck der Leidenschaft als Malerei. Konsequenterweise thematisiert Wiegand Kokoschkas Obsession vermittels eines Schauspielers, der teils real, teils in projezierten Filmsequenzen mit der körpergroßen Puppe Alma Mahlers agiert und den biografischen Hintergrund der Oper spielt. Im übrigen sind nicht Personen inszeniert, sondern rein die Szene: es geht nicht um psychologische Plausibilität, sondern um ein Schweifen des Unbewußten, das naturgemäß aus den Grundkonditionen des Menschen aufsteigt: Liebe und Krieg, Tod, Verfallenheit, Hoffnung. Dazu werden Filmszenen auf das riesige Gerüst geworfen, das, massive Bedrohung selbst, in dem suggestiven Licht Franck Evins aus der Bühne aufragt und das so surreale wie mythische Geschehen wie ein riesiges Schiff trägt – jenes, auf dem Kokoschkas Orpheus mit Eurydike auf dem Klangmeer des besessen musizierenden, bisweilen in berauschendes Flirren abhebenden Konzerthausorchesters ins Leben zurückreisen will. Alles spricht. Kokoschkas Dichtung ist für diese frühe, expressive Musik Ernst Křeneks wie gemacht und diese modular wie Wiegands Gerüst: Mahler-Anklänge, Berg, Schreker, Strauss und manchmal eine Art atonaler Puccini. Wenn da dann Christian Immlers hohe Intonationskultur wider seine Rollen plötzlich herausklingt, hat das einiges von einer perversen Erlösung. So ist auch diese Oper, Schoecks „Penthesilea” gleich, ist zum Hort zu nehmen.

[Alban Nikolai Herbst hat >>>> die Proben zu dieser Inszenierung mitverfolgt und sie in seinem Literarischen Weblog DIE DSCHUNGEL.ANDERSWELT dokumentiert.]

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