Ein Flügel, zwei Stühle mittig, rechts Tisch und Stuhl mit Leselampe vor schwarzem Vorhang. Kollektive Konzentration der auftretenden Künstler erfasst das Publikum im nüchtern-modernen Raum des Atriums in Vilshofen – übergangslos – der Anfang eines ungewöhnlich dramatischen Abends. Die Schauspielerin Angela Winkler nimmt ihren Platz ein, schwarz gewandet, öffnet behutsam das Buch mit ausgewählten Texten von Alma Mahler, die ihre Liebe zu Zemlinsky und Gustav Mahler skizzieren, um ihre Schwierigkeiten kreisen zu trennen zwischen intellektuellen, künstlerischen, erotischen, sexuellen Impulsen, sie zu zähmen – oder ihnen eben bewusst oder unbewusst nachzugehen. Es gab damals im Fin de Siecle eine Ausnahmesituation. Sie lebte in einer Zeit, in der sie auf Konventionen pfeifen konnte, dazu das entsprechende Umfeld hatte. Männermordend? Sie war wohl selbst langfristig Opfer ihrer Sinnlichkeit. Femme fatale ist die Bezeichnung, die hier oft verwendet wird – eine Frau, der keiner widerstehen kann, bei der die Männer immer den Kürzeren ziehen. War sie deswegen schwach, moralisch leichtfertig oder oberflächlich? Und waren die Männer wirklich immer Verlierer? Das wäre sicherlich zu kurz gegriffen. Sie hat sich einfach nur erlaubt, ihre Gefühle zu leben, – das zu machen, was die bürgerlichen Frauen nicht wagten, eventuell davon träumten – mit aller Lust und Schmerz. Schmerz Almasvor allem in den Armen ihres späteren Ehemannes Gustav Mahler, der da versagt, wo ein Mann meint, nie versagen zu dürfen – ein hartnäckiges Tabu-Thema, das wohl immer eines bleiben wird. Alma hat ihre Erfahrungen und Erlebnisse poetisch, dezent, aber überdeutlich und ehrlich in Worte gekleidet – und Angela Winkler hat die so intensiv und bühnenpräsent vermittelt, dass man sich sogartig zurückversetzt fühlte. Mit mädchenhafter Stimme, zwingend klarer Diktion liest sie ihre Passagen der ersten Verliebtheit der Saloniere, die ihre Beziehung zu Zemlinsky nachzeichnet, – crescendiert, an Nüchternheit und Härte zulegt, als Mahler in Almas Leben tritt und die das Thema Ehe reflektiert, das sie zu sehr anstrengt. Treu kann sie nicht sein – ihm ebenso wenig wie ihren späteren Ehemännern Walter Gropius und Franz Werfel. Alma schreibt so intim, dass man es manchmal kaum noch wissen will. Winkler gestaltet so intensiv, dass die Luft bebt. Und als sie zum Flügel geht und Almas Vertonung von Gustav Falkes “Laue Sommernacht” selbst intoniert, ist die Illusion perfekt: Alma steht vor uns. Gleichsam lebendig wird sie durch die Interpretation ihres Liedes “In meines Vaters Garten”, das die Sopranistin Chen Reiss in all seiner fast volksliedhaften Einfachheit gefühlvoll singt, mit weichem Timbre und schnörkellos ergreifender Leichtigkeit, begabt mit der Unmittelbarkeit und Wachheit, die direkt ins Herz trifft. “Ich genieße es, dieses Lied zu singen,” sagt die Sängerin im Interview. “Es ist noch sehr romantisch geschrieben und sehr lyrisch, bequem für die Stimme, fast italienisch, auch wenn es auf Deutsch ist – der Bogen ist quasi ganz italienisch. Das soll nicht heißen, dass moderne Komponisten nicht gut für die Stimme komponieren. Es ist nur manchmal eine echte Herausforderung, etwa ein Richard Strauss-Lied wie ‘Amor’ zu singen.” Beileibe keine unüberwindliche Hürde für Chen Reiss. Auch das interpretierte sie technisch brillant, führte ihre flexible Sopranstimme stets souverän durch alle Klippen, sicher in den Spitzentönen, glasklar intonierend, kraftvoll im Forte, temperamentvoll, mitreißend, hier einen Kontrapunkt setzend mit “männlicher” Komponierweise (gern: höher, schneller, weiter) zu Almas einfachen, weiblich sensitiven Stücken, von denen insgesamt nur siebzehn erhalten sein sollen – vier an diesem Abend zu Gehört gebracht wurden. Mit Paul Armin Edelmann zauberte sie fast Operettenatmosphäre mit Gustav Mahlers “Starke Einbildungskraft”, “Trost im Unglück” oder “Wie komm ich denn zur Tür herein” von Brahms. Mit wendiger, männlich-sonorer, ungemein klangschöner Baritonstimme, bestechend makellos in Diktion, Musikalität und Stimmführung, beglückend gefühlvoll lieferte er seinen Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung. Sein erster, fast jenseitig klingender schöner Gesangston bereitete den Weg für den Sog des Abends – und just er beschloss ihn mit Gustav Mahlers “Nicht Wiedersehen”. Einige Zuschauer konnten die Tränen der Rührung kaum verbergen. Es fehlte aber die Zeit, ihr nachzuhängen. Abrupt nach dem Verhallen des letzten Tons erlosch das Licht, ein knappes Zeichen: Schluss, aus. Und das könnte als Aufruf nach Fortsetzung verstanden werden. Denn Alma führte ein langes Leben, in dem Gustav nicht der letzte Mann war, dem sie nahe stand. Der Abend kristallisierte den Aspekt der Menschlichkeit einer ganz normalen Frau heraus, entbehrte durch die hochklassige Präsentation und Textauswahl jeglicher Sensationslüsternheit und Affekthascherei – einzigartig punktgenau. Einer, der nicht unerwähnt bleiben darf, ist der Pianist Stephan Matthias Lademann, der das musikalische Gesamtgeschehen im Hintergrund begleitete – tragend und unersetzlich wie der Bassist eines Jazz-Quartetts. Der Applaus des Publikums fiel großzügig, die Gesamtleistung erkennend und angemessen würdigend, aber vergleichsweise verhalten aus. Alles wirkte eher nach innen, Betroffenheit. Zugaben und Dacapo-Rufe verboten sich da natürlich.
Chen Reiss und Paul Armin Edelmann werden am Samstag, den 13. November 2010, 20 Uhr, in der Kölner Philharmonie gemeinsam in der “Fledermaus” (konzertant) auf der Bühne stehen. Es spielt das Rundfunkorchester Köln, Leitung F. Haider. Ab September stehen weitere Auftritte der Sängerin u.a. in Düsseldorf an. Genaue Termine demnächst auf ihrer Homepage.
Gerade erschien die Pantheon-Ausgabe von Oliver Hilmes, “Witwe im Wahn – das Leben der Alma Mahler-Werfel” (Original-Verlag Siedler), ISBN 978-3-570-55112-7. Wer darin Erhellendes über ihre Kompositionen erfahren möchte, wird enttäuscht sein. Nur ein kleiner Absatz geht darauf ein. Das Buch legt dagegen in aller Breite ihren hoch neurotischen Charakter dar – leider oft voyeuristisch.
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