Arbeitsjournal. Mittwoch, der 16. September 2009. Mit Daniela Danz, Helmut Krausser und einer schönen Riesenschlange.

7.47 Uhr:
„Ich kenne keinen anderen deutschen Schriftsteller, der so viel Widerstand und Abwehr auslöst wie ANH. Einfach nur, wenn er irgendwo auftaucht, er muß tatsächlich nur dastehen, das reicht völlig. Ich kenne auch keinen zweiten Schriftsteller, dessen Arbeit so vehement abgelehnt wird wie seine, ohne daß überhaupt einer seiner Romane gelesen worden ist. Das ist schon ein Phänomen.“ Zu mir gewandt: „Aber… na ja, da ist dann auch dein… soll ich das mal Größenwahn nennen..?“ Als Erklärung zu seiner Begleiterin: „Den Wolpertinger-Roman hat er in zwei Monaten an 30…“ zu mir: „30?“… Ich: „33.“… Zu seiner Begleiterin: „…Orten vorgelesen… und Thetis dann innerhalb eines Monats jeden Abend im Silberstein. Mal waren nur drei Leute da, dann wieder 20 oder 25, sowas zieht er unerbittlich durch.“ Zu mir: „Das macht die Leute ärgerlich, wofür hält der sich?!“
>>>> ilb, Autorenzelt.
Vorher Lesung mit der feinsinnigen, klugen, ihre Verse wundervoll bauenden >>>> Daniela Danz. Ich schnitt für das Hörstück mit und hatte dann auch plötzlich die Idee seines Grundbaus. Auch wir, Danz, der Grundbau und ich saßen dann eine Weile im Zelt zusammen, nachdem ich mir noch Kraussers ziemlich gehypte Lesung aus seinem neuen Roman angehört hatte. Es war mutig, den Großen Saal des Festspielhauses zu nehmen, es erinnerte von ferne an Kinskis Lesungsvorhaben; s o voll war es dann nicht, aber gut gefüllt doch. Großmundig kündigte der schüchterne, vielleicht von Kraussers Großmäuligkeit eingeschüchterte Moderator von ZITTY den Schriftsteller an, der professionellst auf die Bühne kam und seinen Ruhm einstrich. Ich schätze Krausser sehr, ich habe das in Der Dschungel und auch anderswo oft geschrieben, es gibt grandiose Bücher von ihm, ich mag auch seine Haltung, das Ruppige, selbstbezogene Halbstarkentestosteron, das er quasi unentwegt zur Show stellt, denn es steht nicht nur etwas, sondern viel dahinter. Doch >>>> was er gestern abend las, ich war verblüfft, lachte, klar, über die Witze mit, die Situationskomiken, die Krausser völlig gelenkig gestaltet, aber letztlich – ich weiß nicht, ob das ein Grund für Enttäuschung ist oder dafür, sich zu ärgern – ist dieses Buch, jedenfalls das, was ich draus hörte, nix als mainstreamigstes Füttern eines Publikums, das sich gern mal politisch unkorrekt auf die Schenkel klatscht. Die Personen sind grob typisiert, nicht Personen, die Handlungen leben rein vom Slapstick, formal gibt es da überhaupt keine Arbeit, jedenfalls sah ich sie nicht durch all die Lachtränen hindurch, die ich vergoß. „War ja nett“, sagte mein Gesprächspartner später, „aber was davon habe ich morgen nicht vergessen?“ Leicht vorwurfsvoll: „Eigentlich bin ich da nur deinetwegen hingegangen, weil du immer so von Krausser schwärmst.“ Werd ich auch weitertun, doch dieses Buch als nicht geschrieben ansehn; ich denk mal, Krausser brauchte was zum Geldverdienen – und gab den Leseraffen Futter, die sich nun begeistert lausen.
Im Zelt sprach mich dann noch eine ziemlich beeindruckende junge Dame an, beeindruckend, weil sie die Energie eines Feldjägerpanzers, Typus Leopard, verströmte, vor dem man klugerweise Deckung sucht, wenn er irgendwo auftaucht. Raubtiergebiß, eine Nase, die quasi direkt aus der Stirn wächst, in einer weitergedachten Ebene der Stirn, etwas Schlangenhaftes, durchaus, dabei insgesamt eine Schönheit, aber so die aggressive Form von Schönheit, hochgewachsen, paar Zentimeter größer als ich, Dunkelhaar, Temperament… also i c h sprach sie an: „Wir haben uns jetzt die ganze Zeit immer wieder angelächelt, da sollt ich mich mal vorstellen“, woraufhin sie unmittelbar in die Aktion ging: „Du bist unzufrieden mit deinen Verlagen, heißt es. Stimmt das? Ich muß dich unbedingt dem Verleger XYZ vorstellen, der hätte gern Kontakt zu dir.“ Kam dann nicht zum Kontakt, zwar saßen wir, die Frau zwischen uns, nebeneinander, aber ich sagte nix, er sagte nix, dann kam der nette Fotograf, der auch mich bereits auf die Hinterbühne gezogen hatte, um Fotos zu machen; Ulrich Schreiber saß unterdessen auch bei uns, ebenfalls Sartorius („Als Alban und ich uns zuletzt trafen, stritten wir über Wagner“… ich dachte nur: der hat ja keine Ahnung, wie das ist, wenn ich streite)… der nette Fotograf kam, und die Bagage zog nun ebenfalls hinterbühnenab, um, wie ich noch in meinem Abschiedswinken hörte, pikante Bilder zu machen, vielleicht haben sie auch „perverse Bilder“ gesagt; das hat mir dann meine starke innere Moral zensiert. So radelte ich lichtlos – und gab drauf acht, keine Schlangenlinien zu fahren – zurück auf den Prenzlauer Berg. Vielleicht laß ich mich heute zu späterer Stunde im Literaturzelt noch mal sehen, schon wegen des Verlegers: ich brauche einfach Geld, aber will dafür nicht Witzbücher schreiben. Noch immer nicht. Vorher freilich mag ich zu >>>> José F.A. Olivers Lesung ins Hungaricum pilgern. Im Festspielhaus spielt heute Wolf Biermann auf, das interessiert mich keine Bohne: von Selbstbestätigungsapp-Läusen hab ich die Nase voll. Eigentlich sollte man den Ort heute insgesamt meiden.

15.05 Uhr:
Das war jetzt völlig unerwartet: Nun weiß ich, wie mit den >>>> Bamberger Elegien umzugehen ist, wie sie fertigzuformen sind. Es kam über eine Bitte: für jemanden, der das nicht wissen soll, so daß ich hier auch nichts Näheres schreibe, einen unveröffentlichen Beitrag in einem Buch beizusteuern; da der Abgabetermin sehr früh ist, kommt, etwas Neues zu schreiben, nicht infrage. Ich nahm also die Elegien wieder vor und schaute sie noch durch, als Αναδυομένη klingelte – etwas ganz anderes im Begehr, als ich gerade bieten konnte. Dennoch, ich las ihr vor, sie hörte konzentriert zu, gab Hinweise, Tips, sagte deutlich, wo ich gefälligst n i c h t s mehr zu ändern hätte… und plötzlich fiel mir, wie ich dann einer Löwin schrieb, der Schnee in Flocken von den Augen. Ich sag jetzt aber noch nichts, probiere es erst aus, bevor ich eine der Neufassungen einstelle. Wenn das aber so stimmt, wie ich’s im Gefühl habe, dann braucht es keine fünfsechs Wochen mehr, und der ganze Band wird fertig sein. Αναδυομένη: Danke!

(Eine Stunde Mittagsschlaf, während Du Hausaufgaben machtest, dann mit Dir Cello geübt, jetzt malst Du noch ein wenig, bevor Du gleich zum Schlagzeugunterricht und in den danach freien Nachmittag abziehen wirst.)

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