Kein Lehrstück. Der Rosenkavalier in Nicolas Briegers Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

Eines immerhin gelingt der >>>> Inszenierung Briegers, wie ich es bislang in keiner anderen sah: zu zeigen, wie überheblich-patriarchal die junge Sophie karrierehalber benutzt wird, wie ausgeliefert, wie hilflos-verzweifelt sie ist, wie Männer-Opfer, ohne daß sie das doch schon wüßte –: aber sie ahnt es und nimmt im Dritten Akt eine Entwicklung, die sie momentlang der Marschallin naherückt. Daß dies gelingt, ist der Sängerin Sylvia Schwartz zu verdanken, die trotz der angekündigten Indisposition alle, wirklich alle anderen in den Schatten stellte, und zwar auch dann, wenn deren Stimmen ohrenscheinlich „größere“ sind: voran Angela Denoke, deren Marschallin doch immer äußerlich bleibt, mit glanzvollem Vibrato und immer ganz-Star:: die ausgestellte Primadonna – das ist ihr Problem. Deshalb gelangt sie an die Verwundbarkeit, die Frau v. Werdenberg hat, nie heran; denn d i e, bei aller Haltung – welche nur a u c h eine des gesellschaftlichen Ranges ist, als Fürstin wird sie bei ihrem letzten Auftritt angekündigt, Hofmannsthal meint aber nicht nur den Feudalrang, sondern er meint einen Adel der Menschlichkeit – … – hat sich das Mädchen bewahrt, das aber zusieht – in dieser Reife liegt die Größe – , wie sie zur alten Frau werden wird, und nur im „wie, da liegt der ganze Unterschied“. Vom ersten Ton an spürt man, die Denoke weiß, daß man sie hinterher feiern wird; so läßt sie sich nicht wirklich ein. Und es ist etwas in ihrer Stimme, das die Tiefe der Marschallin überwölbt und sie verschließt; öffnete man’s, die Tiefe wäre rein leer. Selbstverständlich wurde sie hernach gefeiert; man sieht das Publikum an und fragt: Habt ihr denn gar nichts verstanden? Merkt ihr den Tand nicht, der in diese Oper nicht! nicht!! nicht!!! nicht!!!! nicht!!!!! gehört?! Und wozu die Lerchenauer eine nackte Frau auf die Bühne schleppen lassen? Meine Güte, das sind Rüpel, aber keine Sexualstraftäter. Alles ist speckiges Fett süß auf die Zuhörer geschmiert, unnötiger Regiequatsch – Mätzchen, für die die Zuhörer selbstverständlich noch danken: Bloß keine Nähe! Gebt uns Talmi! – Wie kann man denn um alles in der menschlichen Welt bei der feinen Verabschiedungszene Akt I den Octavian einfach auf dem Bett liegen lassen, wie kann man – als Regisseur – ihm die Möglichkeit nehmen, gestisch, verzweifelt-jugendlich, und stumm, zu reagieren? Überhaupt: welch nachlässige Personenführung! Brieger wird nur immer dann gut, wenn er botschaften kann. Doch ist Der Rosenkavalier kein Lehrstück von Brecht, und er ist auch nicht mythologische Oper, nix Wagner, sondern Verismo in >>>> niebelschütz’schem Geiste: Menschen-Aristokratie jenseits von Ständen und Klassen. Und dann der Ochs! Er tritt auf, und man denkt: Ja! hier ist es gewahrt, was Hofmannsthal dachte: der Mann benimmt sich daneben, der Mann ist grob, der Mann ist übergriffig und stillos – aber d o c h, wie die Maraschallin sagt, „ein Mann von Stand“. Aber dann läßt Brieger den Ochs einfach hängen: leer läuft er aus und singt seine schnulzige Begeisterung über das kommende Treffen mit dem „Marianderl“ über die Rampe – auch hier: Peter Rose wartet auf den Applaus. Überhaupt vermittelt Briegers Rosenkavalier unterdessen den Eindruck eines Rampen-Medleys. Aber vielleicht liegt’s auch gar nicht an Brieger, sondern dieser Lindenopernkavalier ist zur Repertoire-Nummer abgesackt, mit der man die Touristen lockt. Aber auch dann hat einem Sänger in der Rolle das Publikum egal zu sein, seine Rolle und n u r seine Rolle hat zu sein, sei er Weltstar, sei er Debütant. Liebe gnädige Frau, liebe Frau Denoke: wären Sie doch nach Prag gereist und hätten sich >>>> Gun-Brit Barkmin als >>>> Marty angehört und -gesehen… und Ihr Starsein einmal vergessen! Sie haben M a s c h a l l i n zu sein, nichts aber sonst.
Jajaja, Stimmenfest an der Staatsoper, >>>> klar. Deshalb geht man ja auch hin im weißen Nerz (sowas kann man da wirklich wieder sehen), aber wie viele Licht- (das sind Kunst!)-jahre entfernt von der Größe >>>> Michaela Kaunes an der Deutschen Oper in der alten Inszenierung des Regiegenies Götz Friedrich: D a lebt da nämlich noch. Wer in die Staatsoper geht, sieht die Sophie; das ist immerhin was (und w a r, als >>>> Laura Aikin sie noch sang, fast ungeheuer), bei Friedrich aber erzählt die Oper von der Frau, und auch die Sophie, die sie war, bleibt in der Fürstin aufgehoben.
Hinreißend freilich, das Vorspiel zum Dritten Akt als Vorspiel auch zu nehmen: da war die Staatskapelle bei sich und dem, was sie kann. Aber trug sie die Sänger, diente sie? Nein, sondern sie tat unter Asher Fisch ganz dasselbe, was die Sänger – mit inniger Ausnahme der Sophie Sylvia Schwartzens – taten: sich selber feiern – guckt her, was wir können! Anstelle „lieb zu haben in der richtigen Weis’“.

9 thoughts on “Kein Lehrstück. Der Rosenkavalier in Nicolas Briegers Inszenierung an der Staatsoper Unter den Linden Berlin.

  1. Ich glaube, man muß „alt“ genug sein, um im Rosenkavalier genau an der Stelle weinen zu können. Häufig lese oder höre ich, daß der Rosenkavalier für eine leichte Kommödie gehalten wird, was ich nicht nachvollziehen kann. In keiner Oper wird über das Geschehen von Ablauf der Zeit des eigenen Lebens auf diese schmerzvoll innig sich selbst sehende Art und Weise nachgedacht, und auch gesprochen. Für mich hat das Innen der Marschallin im Augenblick eine eigene Bedeutung. Es ist dieser Spagat… der zwischen dem eigenjung gefühlten Herzen der Liebe (in der Liebe ist und bleibt das Herz jung) und der mentalen Reife des Alters, zu sehen, zu fühlen, wie der eigene Körper alt wird, die eigene Zeit abläuft, aus diesem Grunde zu verzichten. Es braucht eine Opersängerin, die genau das tragen und auch offenbaren kann, weil sie sich dessen bewußt ist. Deshalb ist es ja so schwierig, diese Rolle wirklich besetzen zu können.

    1. „weinen zu können“ bezieht sich >>>> h i e r a u f, nicht wahr? Das Erstaunliche bei Michaele Kaune ist, daß sie bei aller nicht mehr Jugend, nein, aber Jungheit so genau zu fühlen scheint, worum es geht. An der Deutschen Oper sang jahrelang Karen Armstrong, Friedrichs Gattin, die Partie, aber sie war schon älter, sie w a r in der Situation, von der Sie schreiben, die Sie jetzt erleben; die Marschallin, bei Hofmannsthal, ist das aber eben noch nicht, doch sie sieht es, empfindet es „mit klarem Blick“ voraus; es ist ihre Größe, daß, um sie selbst zu zitieren, „Gott sie zuschaun läßt dabei“; sie verdrängt nicht. D e s h a l b ist diese Oper von solcher Menschlichkeit, und deshalb ist die Marschallin keine Idee, wie etwa Elektra oder auch Isolde, sondern ganz Person. Wenn diese Partie richtig gesungen und gespielt wird, erzählt sie von „der Frau“ nicht, weil sie für alle stünde, sondern weil sie e i n z i g ist, aber als eine solche Einzige erlebt, was andere ebenfalls erleben (müssen), und sie lebt es d u r c h. >>>> Homoki meinte, hier sozialkritisch aufklären zu können, aber genau das geht nicht bei dieser Figur (wohl aber in der Figuration der Oper insgesamt), weil sie eben n i c h t Figur (im Sinn eines Modells) ist: noch bei Sophie, wie Brieger zeigt, kann man es als Figur anlegen – und hat dann den ganzen beschissenen Zusammenhang bürgerlichen Kapitalstrebens und Frauenunterdrückung klargestellt, d a s geht. Auch Octavian als Paradefigur eines jugendlichen Liebhabers mit allem pubertären Bimbramborium geht. Sowie man aber zur Marschallin kommt, versagt der politische/sozialkritische Zugriff. Wer immer die Marschallin inszeniert, muß vor ihr eine Achtung haben, wie er sie vor einem leiblichen Menschen von Größe hätte. Die Rolle entzieht sich dem reinen Material-Zugriff. Sie ist n i c h t symbolisch.

    2. ja, genau darauf.

      …. sich ansehen, und aushalten in diesem prozess. sich in der liebe so jung zu fühlen, gleichzeitig festzustellen, daß die eigene körperlichkeit sich verändert, beginnt, alt zu werden, daß die durchdringende qualität der geschwindigkeit des ablaufes der eigenen zeit eine andere wird. mich selbst beginnt dieses gefühl zu begleiten. langsam aber sicher… menopause, klimakterium, uterus-entfernung, die haut verändert sich, das haar, die eigen gefühlte schönheit des eigenen körpers. es tut weh, im augenblick sehr weh. es gibt abende, da versinke ich in dieser traurigkeit, schaue in den spiegel, frag mich, wie ich wohl in 10 jahren aussehen werde. in 11 jahren bin ich 60, unvorstellbar für mich, d a s. allerdings weiß ich, daß ich mit 60 jahren meinen hintern immer noch auf das motorrad schwingen werde, weil mir das niemand nehmen kann… es sei denn mein dann gesundheitlicher zustand ließe das nicht mehr zu, wovon ich aber nicht ausgehe.
      ich sehe es auch bei einer kollegin, die einen 25 jahre jüngeren geliebten seit 8 jahren hat. sie liebt ihn über alles, weiß aber gleichzeitig um den kommenden abschied dieser liebe: „irgendwann muß i c h das beenden, er wird heiraten und auch kinder wollen, im augenblick weiß er das noch nicht, aber ich weiß das. entweder schaffe ich es, das rechtzeitig zu beenden, oder er wird irgendwann vor mir stehen, und mir sagen, daß er sich verliebt hat. je länger diese liebe dauern wird, desto näher wird der abschied kommen.“, sagte sie. in ihrem und seinem freundes- und bekanntenkreis stößt diese liebe auf völliges unverständnis, auch setzt sie sich ihrem „stand“ zuwider, trennte sich von allen vermeintlichen „freunden“, er auch. auch dann, wenn sie gemeinsam in der öffentlichkeit als paar auftreten, können die menschen mit beiden nicht umgehen, sind verlegen, wissen nicht, was sie davon halten, wie sie reagieren sollen. sie weiß schon jetzt, daß sie irgendwann dem jungen leben zuliebe verzichten wird, er nicht. wenn sie beginnt, darüber reden zu wollen, will er nichts davon hören, machte ihr vor einigen wochen einen heiratsantrag… den sie ablehnte, worauf er wiederum mit noch immer völligem unverständnis völlig verletzt reagierte. „er weiß e s nicht, aber ich“, diesen satz höre ich immer noch.
      der politisch/sozialkritische zugriff versagt deshalb, weil eine solche liebe nicht sein darf, mit diesem altersunterschied einfach nicht „sein“ kann, da werden dann immer andere gründe vermutet. es fällt der gesellschaft schwer, einer frau, die in genau diesem wissen liebt und dann handelt, somit aus der üblichen frauenmaterialrolle fällt, das recht auf sich selbst in dieser/ihrer sehr persönlichen phase zuzugestehen, somit wird ihr eine rolle verpaßt, die für die gesellschaft akzeptabel und ansehbar ist.

      „ist das ihr sohn?“ „nein, mein geliebter.“ sie wissen ANH, wie sehr ein wissen um genau d a s verurteilt wird. und von der eigenen vergänglichkeit will schon niemand etwas hören, da hört man lieber das, was als brumbrorium beigegeben wird. ich wünschte mir einmal einen rosenkavalier, in dem das innen der marschallin in den vordergrund inszeniert ist.

    1. Oh, Terpsichore, lange nicht gesehen…

      ich freu mich Sie hier einmal wieder lesen zu können. Ja, sie haben recht, es ist eher Grund zum Weinen um die Oper, statt in ihr. Jüngst war ich in >>>>>Frankfurt „Cosi fan tutte“, die Aufführung riss mich nicht unbedingt hin, das mag u.a. daran gelegen haben, weil ich vom Büro weg direkt ins Opernhaus fuhr und eine vorbereitende, stimmungsschaffende Zäsur nicht möglich gewesen ist. Der Aufführung, obwohl grundsolide, was die Stimmen betraf, fehlte jede innere Spannung, die selbst bei einem so heiteren Werk nötig ist, um über die Rampe zu kommen. Zuviel Routine, dazu noch eine karge Ausstattung, die ein Regiekonzept, so mein Eindruck, auf dem Altar der Kostenersparnis geopfert hat. Ich brauche es nicht unbedingt opulent, Musik ist mir wichtiger, aber wenn gar zu sehr Schmalhans Küchenmeister ist, macht mich das nicht unbedingt zufrieden….

    2. @Terpsichore. Es lohnte nicht, u m eine Oper zu weinen, i n der man nicht weinen könnte – und jauchzen. „Man“ meint hier alle: die Sängerdarsteller, die Orchestermusiker, den Dirigenten, das Publikum. Und auch die, die drüber denken und schreiben.

  2. Die Oper, mit ihr auch der Rosenkavalier (die gegenständliche Aufführung ist mir fremd, also sag ichs allgemein), hätt viel zu sagen.
    Allein der Kult um „Stars“, mag es Regie oder Gesang zu tun haben, macht Inhaltliches allzuoft sekundär.
    Eine Marschallin hat nichts zu sein als eben diese, Diva entbehrlich weil Selbstdarstellung.
    Das Werk wäre die Quintessenz, so denke ich, und dies hat uns allemal noch genug zu sagen.
    Die Kuriosität, in der die Königin der Nacht ihre Tremolos ergießt, sollten nicht Überhand nehmen, so denke ich, obwohl, die Interpretation somancher Stimme läßt mich läßt mich nicht ungerührt.
    Letztendlich bleibt die Frage, was ist Oper?
    Ist es das Werk oder ist es Darstellungsmöglichkeit für Interpreten?
    Na eh beides, aber wo ist die Gewichtigkeit?

    salut
    Josef

  3. och, eine welt ohne diven, wie langweilig wäre das denn. ich arbeite echt hart daran, nach daniel johnstons sorryentertainertum, die sorrydiva zu kreieren, und wenn ich dann erst mal das singen beginne. ach, es ist so schwierig, blond zu sein. gelle, der serner versteht mich. ich muss dringend wieder in die sonne, sonst dunkel ich aus. habsch voll manschetten vor.

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