Reisejournal, Dritter Tag. Konzerthausorchester Berlin. Nach Zaragoza. Sonntag, der 10. Februar 2008.

6.10 Uhr:
[Vallalodid, Novotel.]
Seit einer knappen dreiviertel Stunde bin ich bemüht, meine über USB gesteuerte (externe) Edirol-Soundcard vom Computer erkennen zu lassen; das heißt, er erkennt sie s c h o n und trägt sie auch brav ins System und in die laufenden Programme ein, nimmt aber keinen Ton an; lege ich die Ohrhörer direkt an, ist der Ton indessen zu hören; nur die Übertragung auf den Laptop klappt also nicht. Hm. Ich hab ein bißchen bange, zu sehr ins System einzugreifen und einen Systemabsturz zu riskieren, der dann den Computer insgesamt lahmlegen könnte. Besser Vorsicht walten lassen und halt wie früher erstmal alles auf den DAT-Bändern archivieren, um mit der Bastelei dann in Berlin weiterzumachen. Es ist wahrscheinlich nur irgend eine kleine Nebeneinstellung, die korrigiert werden muß. Jedenfalls werden Sie nun auf Tonbeispiele verzichten müssen, wobei mir sowieso noch nicht klargewesen ist, wie ich sie in Die Dschungel hineinbette. Allerdings habe ich schon vor Wochen vom >>>> Turmsegler eine entsprechende Anweisung geschickt bekommen; freilich schien sie mir so kompliziert zu sein, daß ich sie liegenließ; und über Youtube und Ähnliches mochte ich nicht gehen, weil man dann immer diese häßlichen Bildchen auf der Site hat.
Was ich sagen kann, ist: Die Aufnahme ist für die bescheidenen Umstände meines möglichen Equipments mal wieder sehr schön geworden (am DAT-Rekorder läßt sie sich ja auch direkt abhören); die Baßlastigkeit des riesigen Saals ist aufgehoben, was wahrscheinlich einfach daran liegt, daß der Baßfrequenzgang der kleinen >>>> OKM-Kopfmikros begrenzt ist.

Erstaunlich, übrigens, das Publikum gestern abend, gerade gemessen an der Repräsentanz-Architektur des Konzertgebäudes: Schlicht gekleidet, noch Tüten vom Einkauf dabei, so, wie mir das von Covent Garden erzählt worden ist, in Jeans oft, die für den Abend nötigen dicken Alltagsjacken locker über der Schulter. Keine Spur von Repräsentationswille und Selbstinszenierung, schien es, von wenigen älteren Damen abgesehen, die ihr Täschchen spazierentrugen, eher auf Hör-Arbeit eingestimmt gewesen zu sein. Genauso hörten die Leute auch zu: konzentriert und um die Tücken dieser Stücke wissend… ich möcht fast sagen: disziplin-kollegial. Man war nicht gekommen, um (sich) zu feiern, man war nicht gekommen, um sich das große Brucknergefühl zu gestatten, das man ansonsten geldpragmatisch hintanstellt; man war gekommen, um diese M u s i k zu hören – und um sie mitzudenken. Ich mußte an Schneiders Bemerkung vom Nachmittag denken: „Die wirkliche Musik hören Sie d o c h nicht; die steht alleine in der Partitur.“ Ob er Brahms bewußt zitiert hat, weiß ich nicht, aber nehme es an. Und hatte unvermittelt die freche Happening-Idee eines Musikanten-Schlingensiefs: „Kündigen Sie ein Konzert an, sagen wir: Tschaikowski, dann wird der Saal auch voll in Berlin. Und dann legen Sie auf jeden Platz eine Partitur. Mehr nicht. Es erscheint kein Musiker, auf der hergerichteten Bühne bleiben die Stühle der Musiker rein-nackt stehen.“ „Aber die Leute können doch gar keine Noten mehr l e s e n!“ „Also können Sie auch nicht wirklich die Musik hören. Sagten Sie das nicht? Dann ist es doch egal, ob da noch Musiker sind. Man müßte sich nur noch eine Kleinigkeit fürs Außenrum überlegen, eine Lichtregie etwa, paar Dias vielleicht… seien Sie sicher, daß sowas Wellen schlägt. Zumindest ist Ihr Haus dann wieder in kontroversester Diskussion.“ Klar, daß sich hieraus, nähme man statt Tschaikowski Bruckner, auch politische Funken schlagen ließen. Überhaupt müßte man das Konzerthaus mit geschickten Konzepten – das sind gesellschaftspolitische w i e kunstästhetische – wieder mit ins Zentrum der künstlerischen Berliner Gegenwart bringen, und die Umsetzung dieser Konzepte dürfte nicht viel kosten. Man hat dem Haus ungebührlich die Gelder gestrichen – was e i n Grund für die Vorbehalte gegenüber Barenboim ist, bei dem sie, grobgesprochen, landeten, was wiederum damit zu tun hat, daß er perfekt zu repräsentieren versteht. Es hätte wenig Sinn, da mithalten zu wollen, zumal ja „auch noch“ Rattle mit den Philharmonikern da ist. Sondern man müßte – wie Zagrosek das mit >>>> dem Gluck-Projekt ja begonnen hat – paradox intervenieren, paradox gegen den auch bürgerlichen Mainstream: k e i n e Ausstattung, k e i n Brimbamborium, sondern zentrale Arbeit bei insgesamt wenig Gehalt; das als A u f g a b e sehen, die mehr mit einem im Innersten selbst als mit dem Gehaltszettel zu tun hat. Einfach sagen: Gut, das Geld ist nicht da; lassen wir deshalb das Haus den Beliebigkeits-Deister hinuntergehen? Oder besinnen wir uns auf das, was etwa Off-Künstler vom Range der >>>> Ariane Mnouchkine und überhaupt einige Filmer, aber eben auch Schlingensief geformt hat? Berlin ist voll mit solchen Leuten, und wir kommen um Wagnisse nicht herum, ja w o l l e n sie. Laßt die anderen nur ihre großen Namen spielen… ich bin mir sehr sicher, man wird gerade dann einige große Namen d o c h herbeiziehen können, wenn man eben keinen Wert auf sie legt, und zwar alleine deshalb, weil und wenn die entsprechenden Leute a u c h im Konzerthaus mitpräsent sein dürfen wollen. Dann stellen sie ihre Riesengagen ganz von allein zurück. Denn „es geht ja um was“. Und alle im Haus, wirklich alle, müßten an einem Strang ziehen.
Ich weiß, ich weiß. Billig, zumal von Spanien aus gedacht.

Aufbruch nach Zaragoza heute morgen um zehn. Bin auf die Stimmung beim Frühstück gespannt und bin auch gespannt, ob sich jemand meinen DAT-Mitschnitt anhören will, bevor wir den Bruckner am Donnerstag noch einmal spielen, in Lleida. „Sie haben mitgeschnitten?“ fragte Schneider gestern nach dem Konzert, währenddem ich neben ihm gesessen hatte. „Das melde ich.“ Und grinste.

Wunderbar gedieh der Schubert (Dritte); was an schnellen Tempi, die Zagrosek gefordert hatte, noch in den letzten beiden Proben schleppte, war geradezu leichtfüßig da; das ganze Stück bekam etwas zwischen hochtemperamentvoll und verspielt, mit kleinen Schluchzern (Naschmarkt) darin. Völlig durchsichtig musiziert, ohne Hänger; eine Freude, das zu hören. Als ich das nach der Vorstellung zwei Musikern sagte, lächelten sie: „Na ja, das ist die Aufführung halt…“

9.45 Uhr:
Aufbruch. Bilder von eben kommen später; es ist keine Zeit mehr. Um schätzungsweise 15 Uhr werden wir in Zaragoza sein. Also, Leser, bis dann.18.53 Uhr:
[Zaragoza, Hotel Goya.]
Nach sechs Stunden Fahrt sind wir angekommen, und auch ein erster Spaziergang durch die Stadt ist bereits getan. Eine lustige Fahrt war’s; diesmal war ich im „Bus der Jungen“, und da, Leser, kam man kaum einmal zum Schlafen, auch wenn´s schoen aussah, wenn´s gelang. Während das eher öde Land allmählich in einen zunehmend dichteren Nebel hineinlief, der dann eine sehr kalte Waschküche wurde, flog schon ein Fußball durch die Reihen, während etwas weiter vorne (ich saß ganz hinten) auf einem Instrumentenkoffer Skat gespielt wurde. Schon überlegte man Gruppenspiele, ballose, selbstverständlich in alter deutscher Rechtschreibung, sag uns eine Stadt mit M; wer als erster keine weiß, fliegt raus. Undsoweiter. Dann wurde Klein Zaches dem armen Friedemann, der drauf schlief, unterm Kopf weggezogen, Flötistin Silvia verliebte sich darein und warf den Kopf in leidender Sardinnenmiene zurück, woraufhin sogleich allwaltend Italienisch gesprochen wurde, durchflirrt von englischen Vokabeln und dem spontanen Ansinnen, endlich wieder zu musizieren.Wozu ebenfalls Klein Zaches herhalten mußte – wobei wir jede Anspielung darauf, daß Zagrosek „Zack“ genannt wird, unbedingt vermeiden müssen, und zwar auch dann, wenn sie – „Scht!“ – ausgesprochen naheliegt. Nein, es ist dem n i c h t so. Doch gab Hoffmanns Zaches von der Geige übers Cello bis zur Posaune beste Übungsmöglichkeiten, wovon Sie sich hier überzeugen mögen:

. Das Spiel geht im übrigen so: Einer hält Klein Zaches als Instrument, man sieht sofort, ob Flöte, ob Bratsche, gar keine Frage, und streicht darauf oder spielt übern linken Zachesarm den Fingersatz, und die anderen müssen erraten, um welches Musikstück es sich handelt. Ein bißchen fassungslos war meinerseits zu konstatieren, daß sich kaum eines geheimmimen ließ. Da warn dann bereits vier Stunden um, eine Pause inbegriffen, zu der sich – die Waschküche war Andeutungen, Hauchen geradezu, von Sonne gewichen – noch eine zweite gesellte, während der die orchestrige Jugend Bälle über Autodächer passierte.Und ab erneut in den Bus. Die Gespräche nahmen, jedenfalls hinten bei uns, den Charakter von Tierlauten an, bis ein n e u e s Spiel anfing, das „Dirigentenraten“ heißt: Jemand mimt die Schlagtechnik, und die anderen tippen drauf, wer gemeint ist. Auch das kam immer gleich hin, und zwar in der ersten Minute – nur beim späten Karajan, der seine Schläge erwürgt haben muß, blieb der Mime Sieger. Heinrich Schiff stöhne bei jedem Schlag, Gielen sei immer grad auf der eins: „Wie das kennen´s nicht? Gehn’ S Ihna hin und kaufen´S Ihna die CD!“ Das im Wiener Zungenschlag; nur noch das Knebelbärtchen muß man sich denken. Schön auch Mehta. „Wenn jemand was mit seinem Haar macht, ist das i m m e r Mehta.“
Woraufhin eine der jungen Instrumentalistinnen seufzte: „Ich liebe Mehta.“ Zudem durfte ich lernen, daß er Parse sei. Inbal wiederum, den ich aus meiner Frankfurter Zeit noch als schlanken Mann in Erinnerung habe, öffne vor jedem Dirigat den Gürtel überm Embompointerl. Sehn Sie, sowas erfahrn Sie jetzt alles von mir, das bliebe Ihnen sonst ganz verschlossen. Und was Zagrosek angeht, sag ich nur „Scht!“Es gibt eine gewiß denkwürdig werdende Tonaufnahme von unsrer Fahrt, jeder imitiert eine Tierstimme, und einer, plötzlich, fährt da hinein: „Scht!“ Das geht dann so: „Miaauuuuuuuuuu!“ (Silvia) – „Kikerikiiiiiii!“ (Enrico) – „Wauwauwau!“ (Friedemann) – „Hhhhhhmphhhhhh!“ (Nirina, mit geschüttelten Nüstern) – „Grrrrrrugrrrrrrrggrrrrrruuuu…“ (Helge) – „Gackgackgackgackgack!“ (con fuoco: Alicia) – u n d: SCHSCHSCHTTTTTT!“ – da ist die musikalische Konzentration habachtend wieder hergestellt. Auch Fotos wurden gezeigt von erigierten Raketen, die zu Kinderspielzeug aus Überraschungseiern mutierten, sich anzüglich plötzlich an Schlafenden fanden und fotografiert an ihnen wurden; ich mag aber die Zensurbehörde des Konzerthauses nicht provozieren; sowieso sind die Bilder deftig genug, um auch unveröffentlicht Ihre, der Leser, Fantasie zu erregen. So daß ganz unvermutet ein Autobahnschild auftaucht, auf dem tatsächlich ZARAGOZA steht. Übern Fluß noch, schon in die Inpendencía. Da die zweite Straße rechts: Hotel Goya. Wir wurden geteilt. In Valladolid lautete die Losung: Goya nach rechts, Romareda nach links; das sind Hotelnamen, und die Seiten beziehen sich auf das Gepäck.
Eine tiefe Liebe bei den Jungen zu Mahler; Inbal hat geprägt; man spielte gern mal die Dritte. Schon steht Helge von Niswandt da und posaunt mimisch das Thema. Wir gedenken des irdischen himmlischen Lebens. Lebendigkeit, das war der heutige Tag. Auch wurden die Beatles gesungen, nachdem Silvia hochtalentiert eines der untalentierteren Spice Girls spielte.

Wir checkten ein, luden das Gepäck in die Zimmer und zogen, weil es wieder Sonne gab, und noch, erst einmal los, weshalb Sie diesen Bericht auch so spät erst bekommen. Und sowieso, ich habe hier keinen Internetzugang und muß nachher in den nächsten Internet Point, deren es aber einige gibt. Stellen Sie sich für unsere Zaragozer Zeit deshalb auf zwischen 11 und 23 Uhr ein; so die entsprechenden Öffnungszeiten.
Ein kleiner Spaziergang nur, auf dem Erinnerungsfotos aufgenommen wurden, die erstmal nicht mehr auf meiner Knipse sind, weil sie – versagte. Die Technik und ich, langjährige Dschungelleser wissen das, leben eine Liebe, die von dauernden Mißverständnissen geprägt ist, und von Versäumnissen; Liebe bleibt’s aber doch, und zwar offensiv. So griff ich dann zu meinem neuen Mobilchen… was für ein Weblog geht; für die Frankfurter Sonntagszeitung später dann nicht mehr. Jetzt muß ich mir für zweierlei etwas einfallen lassen: für die Edirol-Soundcard und für das Fotoapparatchen. Egal. Die Kathedrale. Man opfert hier Kerzen von Armeslänge. Beeindruckend. Für die Geizhälse gibt es die üblichen Totenlichter, nur daß die Dochte elektrisch betrieben sind: wirft man sein Münzchen ein, beginnen sie – rot! – zu glimmen. Derweil hält alleweil ein Priester ums Eck seine Predigt. Wobei ich erfahre, daß eine der Damen der Grund für die Exkommunizierung ihres Vaters ist, eines katholischen Würdeträgers in deshalb emeritus. Außerdem muß ich gleich in wikipedia nach der Madonna del Pilar schauen; man bleibt so ungern Antworten schuldig.
Der Abschluß des Rundgangs wurde in einer Bottega begangen, bei Churritos und Schokolade, sowie Cafe solo und Tee.

Jetzt haben sich alle auf ihre Zimmer zurückgezogen und üben: Das Hotel schwirrt von Instrumentenlauten; man hört Helges Posaune, man hört zweidrei Violinen und eine Oboe. Musik ist in der Stadt. Weshalb es nicht vor neun sein wird, daß wir aufbrechen werden, wohl in selber Besetzung, um das für mich erste warme Essen dieser Reise einzunehmen. Und bitte, Messieurs/-dames, den nächsten Bericht bekommen Sie frühestens morgen um elf (ach, dürft’ ich doch das roaming nutzen, Sie wären allerweil, und live, dabei).

Hab ich schon gesagt, daß dies ein ernster Blog ist?

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2 thoughts on “Reisejournal, Dritter Tag. Konzerthausorchester Berlin. Nach Zaragoza. Sonntag, der 10. Februar 2008.

  1. Audio-Einbettung

    … freilich schien sie mir so kompliziert zu sein, daß ich sie liegenließ …

    Ich bin Ihnen bei der Realisierung gern behilflich, denn es ist wirklich nicht kompliziert. Melden Sie sich doch einfach, wenn Sie zurückgekehrt sind. Es wäre doch gelacht, wenn wir diesem Dschungel hier nicht noch das Pfeifen beibrächten…

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