Heidelberger Vorlesung II (2). Der poetische Raum ist immer phantastisch.

[FORTSETZUNG VON >>>> HIER.]

>>>> Dann als meine Finger schon über den Tasten schwebten, hörte ich ein Geräusch – ein lei­ses Knirschen, wie es von einem Schuh oder einem Kleidungsstück verursacht wird – beunruhigend nahe bei mir. Ich wirbelte auf meinem Hocker herum. Erst da bemerkte ich, daß die ganze obere Hälfte der Tür fehlte, obwohl die Tür selbst immer noch geschlossen war, so daß das ganze mehr oder weniger nach einer Stalltür aussah. Es ist ein Pianist, der das erzählt; Ishiguros Rede geht von einer Klavierprobe. Ob die obere Hälfte mutwillig her­ausgerissen worden war oder ob eine Art Renovierung vorgenommen wurde, verrmochte ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Wie dem auch sei, jedenfalls konnte ich, wenn ich den Hals ein wenig reckte, von meinem Hocker aus die weißen Kacheln und die Waschbecken drau­ßen deutlich sehen. Der weltberühmte Mr. Ryder wird zum Vorführpferd und akzeptiert das wie Gregor Samsa sein Dasein als Käfer: Die fast stumme Akzeptanz ist das Phantastische daran; in Ishiguros Roman >>>> leitet ein Raum sie ein. Die Situation erschien mir untragbar, und ich wollte gerade wutentbrannt die Kabine verlassen, als mein Blick auf einen Lumpen fiel, der dicht beim oberen Scharnier an einem Nagel im Türpfosten hing. – (…) Der Lumpen er­wies sich als ein altes Badetuch. Als ich es auseinanderfaltete und an den beiden Nägeln be­festigte, stellte sich heraus, daß es einen ausgezeichneten Vorhang über der fehlenden Hälfte der Tür abgab. – Als ich mich wieder setzte, fühlte ich mich bedeutend besser (…). Einen anderen, weniger psychologischen sondern geradezu physiologischen Ton schlägt >>>> Hans Henny Jahnns blutendes Holzschiff an: In die Löcher konnte man Schlüssel oder Stäbe einsetzen und so mittels eines Hebels eine Drehbewegung einleiten, die, wenn seine Voraus­sicht nicht trog, die Platte herausschrauben mußte. In wenigen Augenblicken hatten die Männer das Werkzeug bereitet. Unerwartet leicht gehorchte der Deckel dem Angriff. An den Rändern sah man dunkles Öl hervorquellen. Drei Sätze später traten die scharfen blanken Kanten aus dem Fußboden hervor. Dann ein holpernder Ruck, der das Herausspringen der Schraube aus dem Gewinde an­zeigte. Man muß gar nicht mehr von Knochen und Gelenk-p­fanne sprechen, um zu spüren, wie organisch das Schiff hier gefaßt wird. „Organisch“ heißt „lebendig“, – das wiederum heißt „fremd“, nämlich dem menschlichen, abstrahierenden Willen nicht unterworfen und ihm möglicherweise feindlich gesonnen. Es ist ja gerade ein wenn eben auch verzweifelt-falscher menschlicher Akt, Geschöpfe zu Dingen zu machen, um sie sich, als selbst Entfremdetem, anzuverwandeln, bzw. über sie – oft aus gefühlter Not­wehr – zu bestimmen. Phantastische Literatur unternimmt gerade das Gegenteil hiervon. Sie ist insofern ein Korrektiv: Die D i n g e werden belebt. Damit nimmt phantastische Literatur sozusagen die Aufklärung zurück; rationalistisch gesehen, sind ihre Räume magisch. >>>> Immer­hin schienen, jedoch wie unmerklich, sich die Sinne zu schärfen. Ein Schuster flog schwir­rend gegen die Tischlampe, draußen heulte ein Hund. Beischlaffetzen. Mäusegetapp in der Wand­verschalung. Anderes mehr. Den beiden war übel. Fast hätte sich Deters durchs Fen­ster übergeben. Aber er kam nicht schnell genug aus dem Stuhl. Zäh nur stellte der Seroto­nin-Effekt sich ein, unge­fährte die Wände, als durchbebte sie Pumpen, Gepoch. “Gott!” ent­fuhr es Dr. Wei­gan, ohne daß sie aber tatsächlich sprechen mußte. Der Lauscher hörte den Ausruf. “Das Haus lebt ja!” – In der Tat. Mitunter eine sülzige Blase, die tapetenabwärts seimte und eine schimmernde Kriechspur hinterließ. Dann sah es so aus, als wäre das Knie des Abflußrohres nicht Metall­form, sondern der Ganglionknoten eines auf­geblähten, an den Flanken kontraktierenden Rin­gelwurms, der, wie beide hörten, Exkremente ins Becken spuckte. Selbst der Fußboden wallte und zuckte, als zöge man ihn wie Bespannung glatt. Wäre es nicht unnötig gewesen, die Türklinke anzufassen, um aus dem Zimmer zu kommen, Hans Deters hätte das um kei­nen Preis getan, denn der geknickte, billige Metallbolzen stülp­te unversehens seinen hinteren Schwung wie suckelnde Lippen vor, von denen nun ab und an Speicheltropfen fielen.
Intensive, freilich restlos düstere Manifestation solch einer Beseelung war auch >>>> Ridley Scot­ts und H.R.Gigers fremdes gestrandetes Raumschiff, das schon selber lebendig wirkte. Vom Fremden übernommen – nämlich „penetriert“ -, hat sich die Maschine zum organischen Ge­schöpf gewandelt, das eine ungeheure Gebärmutter im Bauch trägt. Die dies bebildernden Architekturen sind rundweg anatomisch, fast menschlich, wenn auch im sezierenden Sinn der Pathologie. Jemandem „unter die Haut“ zu sehen, hatte schon immer einen morbiden un­heimlichen Kitzel; von Hagens „Körperwelten“ sind dafür ein schlagendes Beispiel1). Unter anderem Scott/Giger, aber früher schon Lovecraft mit seinen >>>> chtullhischen Räumen und – kaum morbide allerdings – >>>> Max Ernst haben dieses uns ganz-Nahe – unser Unterhäutiges, möcht’ ich sagen – zu Prinzipien ihrer Raumgestaltung gemacht. Das Moment der Verschiebung ist hier eines in die Über­dimensionalität. Die wie bei Kafka tatsächlich-materiell übergroß werden kann (denken Sie an Welles’ Bildaufbau, als Anthony Perkins auf den Zehenspitzen zur Klinke des Gerichtsgebäudes hinaufgreift) oder aber sich insgesamt in den unendlich ausgedehnten NullRaum des Computerspiels projeziert wie >>>> in Cronenberg’s „eXistenZe“, in die Imagination also. Ein Vorläufer hierfür sind wiederum der französische Surrealismus und seine späten Reflexe bei Bunuel, etwa >>>> in Cet obscure objet du désir gewesen, worin je­mand träumt, ein Fahrradfahrer radle ins Schlafzimmer und werfe ihm einen Brief auf die Decke; und als er erwacht, hält er den Brief in der Hand. Aber bereits Jean Paul hat an sol­chen Räumen, bei ihm durchweg romantisch beseelt, gearbeitet, noch einmal, wohlgemerkt, parallel zur Konstruktion des Unbewußten, vor allem durch Wagner: „unbewußt/höchste Lust“ in Tristan & Isolde (1859).
Wenn vor uns flüssigen schwachen Gestalten, die gleich Polypen und Blumen das Licht ei­nes höhern Elementes nur fühlen und suchen, aber nicht sehen, in der Totalfinsternis unsers Lebens ein Blitz durch den erdichten Klumpen schlägt, der vor unsere höhere Sonne gehan­gen ist: so zerschneidet der Strahl den Sehnerven, der nur Gestalten, nicht Licht verträgt; – kein heißes Erschrecken beflügelt das Herz und das Blut, sondern ein kaltes Erstarren vor unsern Gedanken und vor einer neuen unfaßlichen Welt sperrt den warmen Strom, und das Leben wird Eis. Dies alles auf einer Art lebenspraller >>>> böcklin’scher Isola Morta – Isola Bel­la -, wo der zu meiner spöttischen Freude Albano geheißene Held seinen an zuweiliger Starr­sucht leidenden Vater trifft: Eine merimée’sche Statue dann, die ihrer Erlösung durch den Sohn harrt – das ausgesprochen witzige Ödipus-Spiel ist von Jean Paul wohl nicht beab­sichtigt. Aus einem vertrockneten hagern Angesicht erhob sich zwischen Augen, die halb un­ter den Augenknochen fortbrannten, eine verachtende Nase mit stolzem Wurf – ein Cherub mit dem Keime des Abfalls, ein verschmähender gebietender Geist stand da, der nichts lie­ben konnte, nicht sein eignes Herz, kaum ein höheres, einer von jenen Fürchterlichen, die sich über die Menschen, über das Unglück, über die Erde und über das – Gewissen erheben, und denen es gleich gilt, welches Menschenblut sie hingießen, ob frem­des oder ihres. – Es war Don Gaspard. – Die Funken-werfende Ordenskette aus Stahl und Edelsteinen verriet ihn. Die Starrsucht, seine alte Krank­heit, hatt’ ihn ergriffen. »O Vater!« sagte Albano er­schrocken und umfaßte die un­bewegliche Gestalt, aber er drückte gleichsam den kalten Tod ans Herz. Er schmeckte die Bitterkeit einer Hölle – er küßte die starre Lippe und rief lauter – endlich trat er vor ihm mit fallenden Armen zurück, und die aufgedeckte Wunde blu­tete un­gefühlt nieder – und er blickte, zähneknirschend vor wilder junger Liebe und vor Schmerz, und mit großen Eistropfen in den Augen, den Stummen an und riß ihm die Hand vom Her­zen. – – Hier schlug erwachend Gaspard die Augen auf und sagte: »Willkommen, mein lieber Sohn!«
Bei Jean Paul bleibt der Identitätsfund „Vater“ an den Naturraum gebunden, der dadurch ein zugleich märchenhafter wie phantastischer ist; die Borromäischen Inseln sind ja belebte Spiegel verspielter heidnischer Götter, und Paul wählt ganz bewußt das helle, luzide Ticino. Hier nun wird gegraben, hier Dunkles zu Tage befördert; die großen Romantiker waren fast alle Minerologen. Ihr Begriff von Tiefe ist fundamental für die Seelenkunde geworden, und zwar nicht nur als ein Reflex auf die seelische Verdinglichung durch Industrialisierung, son­dern seinerseits als perverser, libidinös aus dem Unheil Lust wringender Akt, der nur schein­bar anti-aufklärerisch das Dunkel feiert und mit Novalis Nachthymnen singt. Tatsächlich wird die Verdinglichung zum Faszinosum und doch die feste Kontur der Dinge aufgelöst. Eine Minute lang taumelte Alban, und ihm kam es vor, als sei der Garten und der Himmel und alles eine weichende aufgelösete Nebelbank, als geb’ es nichts, als hab’ er nicht gelebt. Diesen arsenikalischen Qualm blies auf einmal von der erstickenden Brust der Atem des Bi­bliothekars Schoppe – eines Aufklärers also -, der lustig zum Schlaffenster herauspfiff; jetzt wurde sein Leben wieder warm, die Erde kam zurück, und das Dasein war.
Mit Beginn der 20. Jahrhunderts wird die phantastische Naturseelen-Mythik (bei Wagner noch durch das Meer symbolisiert und hier bei Jean Paul durch die Luft) auf neue Lebens­räume übertragen und am fruchtbarsten dort, wo es sich eben nicht um Verfallenes handelt. Noch Rodenbachs Brügge – zwar ebenfalls ein romantischer phantastischer Raum – entspricht der Vorliebe des späten Barocks und der frühen Klassik für künstliche Ruinenbauten; solche Orte sind – gerade als Stadt oder Burg – Zerrspiegel von Natur: Morganen, die einem überm Kanal die Gegenwart von Wüsten imaginieren, über welche Löwen fliegen. Hingegen sind in Louis Aragons für die Moderne richtungweisender Pariser Mythologie in einem Geschäft an­gebotene Spazierstöcke ein Seegras, das sich in der Strömung wiegt. Nicht mehr stehen sie für Seegras, sie symbolisieren nicht mehr. Sondern sie haben Natur ersetzt. >>>> Und wie leicht gerät man hier, in diesem beneidenswerten Frieden ins Träumen. Hier kommt der Surrealis­mus zu seinem vollen Recht. Man bringt dir ein gläserenes Tintenfaß, das mit einem Cham­pagnerkorken verstöpselt ist, und schon bist du in vollem Zuge. Bilder, rieselt herab wie Konfetti. Bilder, Bilder, überall Bilder. An der Decke. Im Korbgeflecht der Sessel. In den Strohhalmen der Getränke. (…) Schneit den Leuten auf Haar und Hände.
Das Café in der Passage wird zum inneren Kinoraum, von dem >>>> Bernard Brunius meinte, seine Verdunklung vor Filmbeginn sei dem Schließen der Lider gleichzusetzen, bevor einer einschläft. >>>> Camille Paglia nennt denn Träumen auch heidnisches Kino. Die Städte werden zur Zweiten Natur; sie sollen jetzt sein, wogegen sie einst standen: – ihr Pragmatismus wird phantastisch unterlaufen und umgemorpht. >>>> Die Stadt weitet sich in den Panoramen zur Landschaft aus, wie sie es auf subtilere Art später für den Flanierenden tut, der wiederum dem Surrealismus den Schritt vorgab. Der Flaneur besetzte die Traumstruktur allen städti­schen Lebens zuerst und besang sie. Gemessen am Naturzusammenhang ist städtische Kul­tur ja ohnedies phantastisch, weil sie Unbelebtes bis ins strukturelle Detail belebt und schließlich so sehr über das natürlich Organische stellt, daß dieses – zum Beispiel ein Ange­stellter – fast auf die Stufe von Gegenständen herabsinkt. Genau diese Bewegung, daß sich die seelischen Verhältnisse umkehren, muß eine neue zeitgenössisch-angemessene Konzepti­on dessen wiederbeachten, was realistisch sei. Es beklagend zu konstatieren oder gar verän­dern zu wollen, läuft an der wirkenden Realität vorbei. Eine U-Bahn wartet nicht auf zu Be­fördernde, sondern diese müssen sich beeilen, weil die Maschine sonst ohne sie abfährt. >>>> J’aime la grace de cette rue industrielle! ruft bereits Apollinaire und ist schon ein Spiegel der Mode, die nach Benjamin das Ritual vorschreibe, >>>> nach dem der Fetisch Ware verehrt sein will. Darin verhält sich die Mode wie ein Stück Phantastischer Kunst. >>>> Grandville dehnt ihren Anspruch auf die Gegenstände des täglichen Gebrauchs so gut wie auf den Kosmos aus. Indem er sie in ihren Extremen verfolgt, deckt er ihre Natur auf. Sie steht im Widerstreit mit dem Organischen. Nämlich indem sie sich selber organisch macht und die Organität des Natürlichen bestreitet, es jedenfalls dem Natürlichen wegnehmen und transzendieren will. Schon sind wir bei Ballards Roman Crash von 1973, worin sich der erotische Reiz nur noch über Autos, im weitesten Sinn Metall, herstellen läßt, die vermittels Prothesen mit den Körpern verschmelzen, wenn Benjamin ihr attestiert: Sie verkuppelt den lebendigen Leib der anorganischen Welt. An dem Lebenden nimmt sie die Rechte der Leiche wahr. Noch bei Poe war so etwas romantisch, nun schaut die Moderne hervor: Wollust durch Entfremdung.
>>>> Ballard pervertiert weiter2): Ich hielt immer noch den Samen in der Hand. Schließlich griff ich durch zerschellte Windschutz- und Seitenscheiben und markierte ölige Armaturenbretter mit diesem Samen, wobei ich die Verletzungsteile an ihren deformiertesten Punkten berühr­te. Vor meinem Wagen, dessen Inneres mit Vaughans Blut und Körpersekreten getränkt war, blieben wir stehen. Das Armaturenbrett war mit einer Art dunklen Schliere bedeckt, als wäre das Blut mit einer Spraydose aufgesprüht worden. (…) Ich spritzte meinen Samen über den Fahrersitz (…).
Die Umdeutung und Umwandlung, das heißt: bewußte Imagination eines Kunst-Sicher­rungsraumes wie der Stadt oder im vorigen Beispiel des Autos in Zweite Natur ist an sich bereits ein phantastischer Akt und künstlerisch sowieso: Der künstlerische Raum ist immer phantastisch. Ist er das nicht, handelt es sich nicht um Kunst. Phantastische Kunst spürt be­drohliche, doch unabänderliche Veränderungen, spürt sie auf – und destilliert aus ihnen Lust. Sie revitalisiert den perversen Akt, ja ist er in nuce. Die Phantasieschöpfung bereitet sich vor, abermals Benjamin, als Werbegraphik praktisch zu werden. Die Dichtung unterwirft sich im Feuilleton der Montage. Alle diese Produkte sind im Begriff, sich als Ware auf den Markt zu begeben. Aber sie zögern noch auf der Schwelle. Dieser Epoche – Benjamin meint die Gründerzeit – entstammen die Passagen und Interieurs, die Ausstellungshallen und Panoramen. Sie sind Rückstände einer Traumwelt. Die Verwertung der Traumelemente beim Erwachen ist der Schulfall des dialektischen Denkens.
Genau das unternahmen die surrealistischen Traumversuche. Jetzt erst, mit der Herstellung eines phantastischen, auch inneren „Stadt“Raumes, der aus dem Material und nicht mehr dem Geschöpf lebt, beginnt S t a d t. Sie ist – das indizieren Begriffe wie global village und mehr noch, zutreffender, net citizen – die anthropologische Voraussetzung für eine Ästhetik kybernetischer Räume. Aus diesem Grund ist die Abwehrbewegung sogenannt realistischer Literaturen, die meist von der Fähigkeit zur Selbstbestimmung politischer Sub­jekte überzeugt, also aufklärerisch („vernünftig“) strukturiert sind, in aller Regel eine aus der Stadt hinaus und in den – geografischen – Provinzialismus hinein3). Das läßt sich gerade an der deutschsprachigen Literatur dort beispielhaft belegen, wo sie mit Furore akzeptiert und bepreist worden ist. Insofern kann der den phantastischen Literaturen vorgeworfene Eskapis­mus4) auf das simpelste zurückgespiegelt werden. Wenn sich bislang überhaupt eine Kunst­form dem gestellt hat, was ich >>>> eine anthropologische Kehre ggenannt habe, dann die phantastische, und zwar nicht, weil sie besonders klug und deshalb anderen überlegen wäre, sondern weil es ihr Movens ist: Fast zwanghaft fokussiert sie unbewußte Prozesse und Be­drohungen, die sie in ihren eigenartigen Raum umformt.
Am populärsten vollzieht sich dies gegenwärtig in Splatterfilmen und sonstigem Trash. Schon bei Warhol war >>>> die Sublimierung von Sexualfantasien in einen fetischisierten Vam­pirmythos etwas ganz anderes als Stokers biedermeierlicher Dracula-Roman, nämlich ent­grenzte phantastische Blutschlacht und ihm wie Buñuel das Kino die Kirche: Ein phantasti­scher Raum, dessen Hyper-Realität in Licht-Spielen schwimmt. Das Internet hat diese Bewe­gung beerbt und führt sie radikal und mit einem beachtlichen, wenn auch meist unbewußten Transzendenzwillen fort: Es ist der nächste Schritt der Umwertung nicht aller Werte, sondern aller dinglichen Sicherheiten. Eine Poetik der auf die Postmoderne folgenden nächsten Mo­derne kann das nicht nicht sehen wollen.

Als ich um 1995/96 die Anderswelt-Trilogie konzipierte, verlinkte ich in einem Notat das Kino mit dem phantastischen Stadt-Raum. Durch Berlin flanierend und allmählich die Bra­chen und Baustellen mit meinen imaginären Architekturen füllend, die ich von anderen Städ­ten hernahm und neu montierte, kamen mir die Lichtspielhäuser wie Schnittstellen in andere Welten vor oder wie die mehrdimensionalen Röhren, die, vermeintlich durch Schwarze Lö­cher führend, unseren Kosmos von fremden Universen trennen, sich ihrer Fähigkeit zu kom­munizieren jedoch erst bewußt werden müssen. Ich ließ dieses Gefühl noch eskalieren, in dem ich mehrmals am Tag ins Kino ging, und es war schließlich ganz egal, welcherart Film ich dabei konsumierte: Imgrunde kam es mir auf die Empfindungen an, die sich beim V e r l a s s e n des Kinos herstellten. Ich wollte, indem ich künstliche Räume verließ, wieder füh­len, in welch eigentlichen künstlichen Raum ich zurücktrat. >>>> Die Stadt ist nur scheinbar gleichförmig. Sogar ihr Name nimmt verschiedenen Klang in den verschiedenen Teilen an. Nirgends, es sei denn in Träumen, ist noch ursprünglicher das Phänomen der Grenze zu er­fahren als in Städten:
Imgrunde nimmt, wenn auch verspielter und auf sprachlich zweifel­haftem Niveau, William Gibson das wieder auf, indem er die Neue Natur Stadt mit einer noch neueren verkuppelt, die nun allerdings bereits schon im Begriff ein phantastischer Raum ist: >>>> Cyberspace. An die Stelle der Naturvergleiche tritt nunmehr der Technikvergleich; wir haben es nur noch mit einem phantastischen Raum zu tun, und zwar gleich im ersten Satz, den ich hier jetzt >>>> wiederhole: Der Himmel über dem Hafen hatte die Farbe eines Fern­sehers, der auf einen toten Kanal eingestellt ist. Selbst die „Rechte der Leiche“ werden von allem Anfang an beschworen. Längst sind den Protagonisten Metalle – nämlich >>>> Chips – implantiert. Ballards düster-erotische Prophetie wird mit Benjamins Mode liiert und zum allgemeinen Lebensgefühl. Der Phantastische Raum spiegelt sich in seinen Figuren, sie sind zu seinen Funktionen geworden. Genau das formulierte ich bereits anfangs dieser klei­nen Überlegungen aus meiner poetologischen Erfahrung.
Ganz in marxistischem Verstand sind wir zu Reflektoren unserer Zivilisation geworden, sie ist unser Unterbau, nicht länger mehr – oder zunehmend weniger – sind es erst-natürliche Programme. Wo sie zur Arterhaltung noch durchschlagen, etwa im Sexuellen, werden sie auf genau die Dinge, nämlich Dinge, projeziert, die für die Gattung eigentlich feindlich, der sie jedenfalls egal sind… daß ich „feindlich gesonnen sind“ tippen wollte, zeigt bereits, >>>> als wie humanisiert ich selber Apparaturen erlebe. Aber in der japanischen Nacht brachen die Träume über ihn herein wie Woduzauber über einen stromführenden Draht, und dann wein­te er darum, weinte im Schlaf, wenn er allein im Dunkel seiner Kapsel in einem Sargho­tel lag, sich ans Bett klammerte und im Temperschaum wühlte, um die Console zu erreichen, die nicht da war.
Auch im Cyberraum werden innere und äußere Fantasie eines. Das ist, eben, nicht neu, hat sich aber unterdessen in die alltägliche Lebenswelt hineingeschrieben und wirkt als eigen­ständiges Programm, ja wie ein kybernetischer mutierender Virus, der Gänge durch die vertraute Rea­lität gräbt und sie – um es vorsichtig auszudrücken – lockert. Tatsächlich ist die Differenz von Realität und Imagination in unserer Wahrnehmung schon aufgehoben; man muß sich das nur einmal an der Vorstellung eines globalen Stromausfalles klarmachen. >>>> Donna Harraway n>>>>ennt uns mit Recht schon Cyborgs: wir haben wesentliche Überlebensfunktionen unserer Art irreversibel an die Maschinen delegiert. Unterdessen ist den Leuten sogar verlorengegangen, was es heißt, einen Krieg zu führen; an sich nicht schlimm, ja sogar verheißungsvoll, führ­ten sie ihn denn nicht. Aber sie tun es. Gleichzeitig werden wir von abgeschnittenen Köpfen und ge­folterten Gefangenen aus der moralischen Bahn geworfen. Menschliche DNS, wie Ölfilm vom tiefen Gravitationsschacht ausströmend. (…) Ein Segment rückt als roter Körper ins Bild, als massives Rechteck, das deinen ganzen Monitor einnimmt. Der Phantas­tische Raum wird als realer vorgestellt und dann in den Screen zurückgenommen, ohne daß dies seiner Präsenz irgend einen Abbruch täte.
In meinem >>>> zweiten Andersweltbuch sind imaginäre, poetische, kybernetische und sozusagen Hardware-Räume deshalb untrennbar ineinandergeflochten, je nach Blickwinkel sind Häuser Häuser, oder sie sind Chips auf Platinen; deren gelötete Leitlinien sind Straßen und doch zu­gleich ein „reines“ Fantasma: Wie schreibe ich, dachte er, auf ein Lichtplakat ein Gedicht? Ich muß es auf den Projektor schreiben, es muß fein sein, nicht sichtbar fast, doch der Schat­ten wird sich zur Inschrift des Himmels machen. Er kraxelte das gefährliche Metallkonstrukt wieder runter und drüben, einen halben Kilometer, der über Nichts ging, entfernt, der über weite Segmente einfach nur leer war – der Gleiterstrom schwirrte hoch über dem lasierten Metall dieses Bodens, aus welchem schließlich, je mehr Vektorenquadrate des unsichtbar darunter verzweigten Kreuzschienennetzes Borkenbrod zur Glasfront gegenüber durch­schritt, vereinzelte Häuser als vergessene Kondensatoren ragten -, kraxelte jene drüben mit der Geschwindigkeit eines Tiers wieder hoch, halb Insekt und halb Affe. Von Wand zu Wand und Boden zu Decke war so enormer Raum, daß man die Gleiter nicht voneinander unter­scheiden konnte: Sie waren zwei ununterbrochene Ströme, deren einer glühte rot, der ande­re floß abgedimmt weiß. Und Borkenbrod, der in körperhohen Lettern schrieb, hatte nicht genug Farbe, seinen Vers, ja nur das Wort zu Ende zu bringen… aber wollte wieder­kommen, Nacht um Nacht, bis er dastünde, der Text: mindestens so leuchtend wie das Pla­kat.

Es ist nun überhaupt nicht schwer, sich einen solchen Raum zu – im Wortsinn: – realisieren; man mußte nur nachts von etwas erhöhtem Ort aus über die Berliner Großbaustelle Lehrter Stadtbahnhof schauen, die heute vom neuen Hauptbahnhof wieder geschlossen worden ist. Der Phantastische Raum ist längst. Wer ihn bemerkt, nimmt lediglich eine Perspektive ein, die die gesellschaftliche Übereinkunft ignoriert. Man kann sich darauf einlassen, die sinnli­che Manifestation von in einer ganz bestimmten Frequenz strahlenden Energie blau zu nen­nen (oder grün oder gelb), ob man sie auch blau oder grün oder gelb sieht, ist letzten Endes nicht heraus; das spielt für die Verständigung auch keine Rolle. Anders wird das in dem Mo­ment, in dem der Farbe zugleich ein Ton beigeordnet und vom, sagen wir, >>>> S-Dur der italieni­schen Waldrebe oder ganz besonders davon erzählt wird, ein Haus klinge nach gestopftem e-moll. Unabängig von der möglichen Wahrheit solcher Wahrnehmungen sind sie dennoch nicht. Jedenfalls nicht praktikabel kommunzierbar. Damit fallen sie aus der Übereinkunft heraus und sind entweder Skandal, oder aber man wendet die neue Übereinkunft eines Schutzraumes, eines Phantastischen Raumes, auf sie an, in der der Fantasie ein wenig zu ra­sen erlaubt ist. Etwa nennt man ihn dann Science Fiction, in jedem Fall Literatur. Oder um­fassender: Kunst. Unterdessen ist das Augenwischerei. Denn die Grundlagen des Phantasti­schen haben längst den auch entfremdeten Alltag ergriffen und reflektieren, bzw. sogar be­stimmen eben nicht „nur“ mehr die Dynamiken der Seele. Kein grundlegender Unterschied besteht >>>> zwischen einem Geisterseher und denen, die gestikulierend in die Freisprechanlagen ihrer Handies reden.
Nun wäre die moderne, technisch-architektonische Wirklichkeitsverwandlung in einem Wald oder am Meer kaum wahrzunehmen. Dennoch ist sie, wie auch die romantische schon, gerade da ein Flirt mit dem Tod – wie übrigens Phantastisches nahezu immer; bloß spüren wir das nicht mehr so ausgeprägt, wie Benjamin das noch konnte. Wir sind der Dingwelt, die die Rechte der Leiche vertritt, schon zu tief integriert. >>>> Vaughan verströmte nur im Innern seines Autos einen latent homosexuellen Impuls, wenn er die Schnellstraßen befuhr. Seine Attraktivität lag weniger in einem Komplex familiärer anatomischer Besonderheiten begründet – das ist in seiner stilistisch ungelenken Verstellung ein höchst verräterischer Satz – (…), sondern in der Stilisierung einer Pose zwischen Vaughan und dem Autmobil. Getrennt vom Automobil (…) verlor Vaughan jegliches Interesse. Den phantastischen Räumen genügt unterdessen die Kollision von organischen und anorganischen Körpern und deren Synthese nicht mehr: Im selben Maß, in dem der anorganische Körper den organischen besetzt, verflüssigt dieser das Materielle; das, was ihn an ihm lockt, das Feste und Sichere, wird nun selbst geradezu men­talisiert. >>>> Die Engel haben mir mitgeteilt, daß Melanchthon, als er verschied, in der anderen Welt ein Haus zugeteilt bekam, welches dem, das er auf Erden innegehabt, täuschend ähn­lich war. (Nahezu allen, die erst jüngst in der Ewigkeit eingetroffen sind, widerfährt das gleiche, und darum glauben sie, sie seien nicht gestorben.) So kommt es zu völlig offenen Phantastischen Räumen, die den Traum vom Fliegen permanent mit der Furcht vor dem Ab­sturz kombinieren. Auch das stigmatisiert das Lebensgefühl Hunderttausender, und zwar mittlerweile nicht nur mehr im hochindustriellen Westen, sondern auch in der Zweiten und sogar Dritten Welt. Der von der Schwerkraft befreite Körper ist – weil fast nur noch disponi­bles Ding – zugleich derjenige, den sie als erstes packt und zerschmettert. >>>> Als Kübelreiter, die Hand oben am Griff, dem einfachsten Zaumzeug, drehe ich mich beschwerlich die Trep­pe hinab; unten aber steigt mein Kübel auf, prächtig, prächtig; Kamele, niedrig am Boden hingelagert, steigen, sich schüttelnd unter dem Stock des Führers, nicht schöner auf. Durch die festgefrorene Gasse geht es in ebenmäßigem Trab; oft werde ich bis zur Höhe der ersten Stockwerke gehoben. Und Kafka endet: Alle Vorzüge eines guten Reittiers hat mein Kübel; Widerstandskraft hat er nicht; zu leicht ist er; eine Frauenschürze jagt ihm die Beine vom Boden. Die Ambivalenz, aufgrund derer der hilflose Erzähler schließlich in die >>>> Regionen der Eisgebirge steigt und sich auf Nimmerwiedersehen verliert – denn auch hier sind in ihrer Weiße die Grenzen normativer Übereinkünfte aufgehoben -, tapeziert nahezu alle Phantasti­schen Räume:
>>>> „Es ist nicht wirklich!“ schrie sie gegen das Brüllen des brodelnden Wassers und das Schnaufen des herannahenden Ungetüms an, aber der Buschmann war seinem Ent­setzen ohnmächtig ausgeliefert und hörte sie nicht. Der ungeheure Rachen klappte haushoch auf und kam durch den prasselnden Regen angeschossen. (…) An den Wänden der großen Höhle stürzten überall Katarakte nach oben, aber an Dutzenden von Stellen brach dunkelro­tes Licht durch die Wassermassen, als ob dahinter offene Räume wären. Es sind nämlich offene Räume dahinter; sie sind nur verstöpselt, und die Phantastische Kunst, bzw. die ihr zugehörige Cyber-Technologie, öffnet sie. Auch deshalb ihre Nähe zu esoterischen und/oder religiösen Weltkonstruktionen. Die Sprache des Unbewußten ist allegorischer, nicht bezeichnender Natur. Also beherrscht die Räume >>> eine ungefähre Geometrie: Es gibt keinerlei Verlaß. Jeder Schritt, den man noch so vor­sichtig setzt, kann unmittelbar in die Rutsche geraten, wie wenn Sie auf­grund von Spiegelillusionen vor Wän­den zurückschrec­ken, die es nicht gibt, gegen andere aber, die Sie nicht sehen, prallen Sie. Plötzlich steigt man auf einer unsichtbaren Rampe diagonal in die Hö­he, was ebenso unerwartet ab­bricht, so daß Sie stür­zen. Und das Licht, Herr Baumann! Ver­mögen Sie sich unter schwar­zem Leuchten etwas vorzustel­len? Alles ist wie umge­stülpt: Die Gegen­stände beleuchten das Licht in all sei­ner Schwärze. Man durch­schreitet Materielles und ver­fängt sich wie in Altweibersommer in Photonenströ­men. Die >>>> psychische Grammatik ist eine aus dem Innern abgezogene Architektur, ist Seelenraum. Der aber ist in der Moderne schon der eines Dings, ist objektiv, und furchtbar kommunikabel. >>>> Wahrnehmung und Wahn sind beklemmend miteinander vernetzt. >>>> In diesem Augenblick spürte ich ringsum und in meinem dunklen Körper ein unsichtbares, ungreifbares Gewimmel. Nicht das Gewimmel der auseinanderstrebenden, gleichgerichteten und schließlich miteinander verschmelzenden Heere, sondern eine unzugänglichere, tiefer sitzende Erregung, die sie irgendwie vorausdeutend gestalteten. Diese oft etwas fieberige Erregung bleibt interessanterweise nicht nur im Schwarzen Humor – etwa des über seine Texte unentwegt kichernden Kafkas -, sondern auch in der Ironie erhalten, die doch eigentlich Schwester der Aufklärung war. Unversehens wird sie skeptisch: >>>> Er hatte eben wieder angefangen zu steigen, als denn also, wie zu erwarten gestanden, Schneefall und Sturm losgingen, daß es eine Art hatte, – der Schneesturm, mit einem Worte, war da, der lange gedroht hatte, wenn man von „Drohung“ sprechen kann in Hinsicht auf blinde und unwissende Elemente, die es nicht darauf abgesehen haben, uns zu vernichten, was vergleichsweise anheimelnd wäre, sondern denen es auf die ungeheuerste Weise gleichgültig ist, wenn das nebenbei mit unterläuft. „Hallo!“ dachte Hans Castorp und blieb stehen, als der erste Windstoß in das dichte Gestöber fuhr und ihn traf. „Das ist eine Sorte von Anhauch. Die geht ins Mark.“ Hugo Ball, sehr bündig, >>>> dazu: In dem Maße, in dem sich das Grauen verstärkt, verstärkt sich das Lachen. Die Gegensätze treten grell hervor. Nicht minder stark >>>> bei Ishiguro, Jahrzehnte später: Ich ging auf die Bäume zu und betrat die Telefonzelle. Während ich meine Taschen nach Münzen durchsuchte, sah ich durch die Glaswand die Gestalt des Chirurgen langsam auf den am Boden ausgesteckten Brodsky zugehen, die Säge hielt er taktvoll hinter dem Rücken. Geoffrey Saunders und die anderen gingen nervös im Kreis und schauten auf ihre Kaffeetassen oder auf ihre Füße. Dann drehte sich der Chirurg um und sagte etwas zu ihnen (…). Einen Moment lang standen die drei da und schauten verbissen auf Brodsky hinunter – dem, indes der Erzähler mit seiner Mutter telefoniert und sich über allerprivateste Dinge ereifert, ein Bein abgesägt wird. Die bei Thomas Mann sich selbst gegenüber eingenommene Distanz wird in der vorgerückten Moderne zur >>>> Gemütlosigkeit, und Schwarze Romantik wird Gothic und Trash. Entsprechend sind die Phantastischen Räume ihres Salons entkleidet: Die erdige, von ungeheurem Leben durchwurmte Poe’sche Gruft mutiert zum ebenen, entvitalisierten Würfel Natalis, dem nichts von der Versöhnlichkeit mehr anhaftet, mit dem noch Thomas Mann die so proportioniert den Tod bringenden Schneeflocken >>>> beschrieb: …es waren Myriaden im Erstarren zu ebenmäßiger Vielheit kristallisch zusammengeschossener Wasserteilchen, – Teilchen eben der anorganischen Substanz, die auch das Lebensplasma, den Pflanzen-, den Menschenleib quellen machte, – und unter Myriaden von Zaubersternchen in ihrer untersichtigen, dem Menschenauge nicht zugedachten, heimlichen Kleinpracht war nicht eines dem anderen gleich; eine endlose Erfindungslust in der Abwandlung und allerfeinsten Ausgestaltung eines und immer desselben Grundschemas, des gleichseitig-gleichwinkligen Sechsecks, herrschte da; aber in sich selbst war jedes der kalten Erzeugnisse von unbedingtem Ebenmaß und eisiger Regelmäßigkeit, ja, dies war das Unheimliche, Widerorganische und Feindliche daran; sie waren zu regelmäßig, die zum Leben geordnete Substanz war es niemals in diesem Grade, dem Leben schauderte vor der genauen Richtigkeit, es empfand sie als tödlich, als das Geheimnis des Todes selbst (…). Eine zeitgenössische Poetik, die sich dem Menschen zuwenden will, wird nach der Postmo­derne zugleich den Blick zurück vom Trash aufs Humanitäte richten müssen, also pathetisch sein müssen, derweil sie doch keinen Augenblick lang mehr aus der Technik heraustreten kann und nicht aus den seelischen Zurichtungen, die wir erfahren haben. Der meinem Anspruch inneliegende Moral läßt es sich alleine dann genügen, wenn von einer moralischen Hinsicht-von-vornherein abgesehen und statt dessen der Gedanke einer Befreiung durch Perversion zugelassen wird. Das bedeutet einerseits eine Renaissance antiker Modelle, namentlich der Tragik, und steht andererseits strikt gegen die tragenden Ideologeme >>>> der allgemeinverbind­lich-demokratischen Anständigkeit. Eine Poetik nach der Moderne und Postmoderne kann deshalb keine Poetik der Übereinkunft mehr sein. Übereinkünfte sind aber die Grundlage jedes Handels mit Waren und damit, in der Warengesellschaft, die Grundlage von Kommensurabilität überhaupt. In diesem unauflösbaren Widerspruch wird fortan zu arbeiten sein: i n d
er Verdinglichung g e g e n sie.

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Berlin, November/Dezember 2007.
ANH.


1) Allerdings nicht fürs Unheimliche. In der karthatischen Perspektive des Fantastischen enttäuscht die Ausstellung völlig: Die Angst vor dem Tod, mit der hier gespielt wird, findet überhaupt keinen Reflex, denn die Exponate sind derart aseptisch, daß man sie nicht einmal „leer“ nennen kann. Sie übermitteln nichts als eine informelle, mathematische Information. Was wissenschaftlich gesehen an sich durchaus von Bedeutung ist; doch kann das unterdessen jede Computersimulation besser leisten. – Nirgendwo erzeugte die Austellung einen fantastischen Raum, darin einem Beinhaus oder gar Mu­miengrüften völlig unvergleichbar.
2) Gestatten Sie mir das zur Seite gesprochene Bedauern, daß es nach dem Zweiten Weltkrieg nur we­nige Autoren gegeben hat und gibt, die sich darantrauen, solche Dynamiken radikal zu poetisieren; sie werden meist von drittrangigen Stilisten bearbeitet. Ich mag das hier aber nicht korrigieren. Doch Dichter wie Lima, Borges, Cortázar, Pynchon, Lem sind entschieden in der Minderheit.
3) Hier herrscht, könnte man sagen, eine Art Übersichtlichkeit weiter, die Trennungen von Motiven erlaubt und Vernetzungen – seien sie psychisch, seien sie ökonomisch-material – guten Gewissens ignorieren lassen. Tatsächlich ist dieser Provinzialismus ein Regreß und funktioniert wohl restlos un­bewußt
4) Gemeint ist seinerseits ein Regreß.

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