Arbeitsjournal. Sonntag, der 25. November 2007.

5.21 Uhr:
[Arbeitswohnung. Wajahat Khan und Shabaz Hashmi auf Sarod und Tabla.]
Wenn ich mir >>>> das so anschau, kommen mir allerlei Gedanken. Ich hatte die Geschehen gestern spätabends durchaus im Blick, neben einem wundervoll poetischen Film, den wir sahen, mochte mich aber schon seinetwegen und später dann sowieso nicht mehr äußern. Außerdem will ich in dieser neuen Rubrik überhaupt nicht als Diskutant auftreten. Zu >>>> Werkstattbelangen werde ich meine Haltungen immer dann direkt erläutern, wenn das ansteht und mich die Teilnehmer selbst kritisieren.
Nun sind aber die Geschehen im ANTI-HERBST auch kleine Etuden >>>> in Sachen Ungewißheit und gehören eigentlich in die >>>> Kleine Theorie des Literarischen Bloggens:

>>>> Authentizität und Fiktion schließen sich sicherlich nicht gegenseitig aus, sind aber doch die entgegengesetzten Pole auf einer Geraden, auf der sich Texte einordnen lassen. Sehr interessant ist in diesem Kontext das Buch von Annette C. Anton: Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert, wo sie darstellt, dass Briefromane eben gerade die ‘Fiktion von Authentizität’ erzeugen. Genau dies meine ich auch bei Blogs feststellen zu können, auch wenn dies manchmal unabsichtlich geschieht (dann nämlich, wenn jemand wirklich fiktional schreibt, aber es als biographisch gelesen wird, woraus auch folgt, dass dem Schreiber eben die Autorposition verweigert wird). Da gewinnt dann das Medium (Briefroman oder Blog) so viel Macht, dass es auch gegen die Intention des Autors arbeiten kann. <<<<
Sprachspielerin.

Gerade, wenn man unregistrierte Kommentatoren zuläßt, ist ja nie zu sagen, ob nicht reine Avatare mitmischen, also Anonyme, die ihr Sprechverhalten variieren, um als verschiedene Personen auftreten zu lassen, was möglicherweise nur eine einzige Autorin/ ein einziger Autor ist. Der Reiz besteht in der Mischung, weil dann gleichberechtigte Dialoge/Gespräche zwischen Fiktionen und Realpersonen geführt werden. Für normale Leser besteht zwischen ihnen kein existentieller Unterschied. Das geht meinem Verfahren analog, Romane mit „wirklich existierenden“ Figuren zu durchsetzen. Das Netz literarisiert Wirklichkeit.

Schnee liegt, der erste, der wirklich liegenbleibt; auf den Autos lasten weiße Wehen. Das war sehr schön, als ich hierherradelte, in einer Plastiktüte am Lenkrad den reparierten Highend-CD-Player, auf den ich nun einige Zeit verzichtet habe und den ich jetzt besser noch nicht anschließe, weil er vielleicht auf der Fahrt Feuchtigkeit abbekommen hat. Die laß ich erst mal verdunsten und verwende bis dahin den CDman. Die Aufnahme indischer Improvisationsmusik, die ich jetzt zur Einstimmung auf die Arbeit höre, entstammt der Langen Nacht der Indischen Musik vom Juni 2001; ich habe damals mitgeschnitten. Der latte macchiato tut gut, mit ein paar Hirnfasern denke ich immer noch über das Vers-Problem nach, das mich seit zweidrei Tagen beschäftigt und mit dem ich immer noch nicht weitergekommen bin. Es wirkt sich als Arbeitshemmung aus, >>>> Titus hat schon recht. Aber Sie kennen mich ja: Bis ich sowas nicht gelöst habe, verbeiße ich mich. Mit Demokratie und demokratischer Moral ist keine Kunst zu machen. Toleranz hat eine enorme politische Bedeutung; in der Kunst hat sie nichts zu suchen: das bedeutet: nichts in Fragen der Form, sehr wohl in Fragen der Botschaft. Genau dieser Widerspruch trägt sich in künstlerischen Existenzen aus. Wenn man beginnt, darüber abzustimmen, ob etwas ein Sonett sei oder nicht mehr, verliert man die Geländer. (Man kann allerdings mit manchem poetischen Recht über etwas schreiben, es sei ein Sonett, das gar keines ist; das kann eine wichtige Funktion haben, funktioniert dann aber auch nur, weil es über eine ganz bestimmte Form und n u r über sie definierte Sonette g i b t).
Bis zehn werd ich arbeiten, dann geht es wieder zur Familie.

(Twoday ist down).

7.50 Uhr:
[Imrat Khan, Ragas.]
Andauernde Schwierigkeit nicht: ins Netz zu kommen, das geht (Thunderbird, Skype usw., tadellos), wohl aber, über den Browser Sites zu erreichen… das vertut viel Zeit, während der ich parallel die Fehlerstellen aus den Elegien 7 & 8 in eine eigene Datei kopiere, so daß ich den Focus allein auf sie legen kann. Es macht sich jetzt enorm bezahlt, daß ich die Elegien zweifach angelegt habe: einmal als Fließtext und zum anderen als Text mit sämtlichen Betonungszeichen.

Ah, guck an, jetzt geht’s.

9.28 Uhr:
Oh, da kam eben >>>> ein ziemlich gutes poetologisches Argument gegen die Einrichtung des >>>> ANTI-HERBSTs. Jetzt wird es drauf ankommen, ihn irgendwie in die Handlung zu integrieren. Da ich selbst im ANTI-HERBST nicht schreiben will, kann ich das kaum selber tun. Andererseits wäre dem Schlammbällchen zu entgegnen, daß gerade der ANTI-HERBST die Funktion übernommen hat, die >>>> WERKSTATT ebenfalls noch mit ans Romangeschehen anzuschließen – mit einstweilen offenem Ausgang, wie ich zugestehen muß. Ich muß aber auch darauf achten, die WERKSTATT – also die in ihr publizierenden Autoren – nicht zu mißbrauchen. Das würde mit dem Auftrag meiner Poetik-Dozentur mies kollidieren, übrigens auch mit meinem – alleine in i h r – literarpädagogischen Selbstverständnis.

16.50 Uhr:
[Am Terrarium.]
Nach Mittagsschlaf und einem sehr langen Spaziergang mit den Babies durch ein völlig verregnetes Berlin (als die Temperaturen in die Höhe gingen, war moch morgens aller Schnee binnen Minuten fort ), lese ich zurückgekehrt wieder >>>> das und bin doch auch ziemlich erschrocken. Im Prinzip teile ich >>>> PRIVATs Einwurf und bin versucht, die Kommentare in dieser Rubrik vorübergehend offline zu stellen – schon damit sich die Gemüter mal wieder beruhigen. Andererseits hat das Ding etwas von einem Feldversuch bekommen, einem Versuch im Cyber-Feld, auf dem sich die negativen Ich-Ideale und versteckten Triebe ausagieren. Die besonneneren und distanziert-abwägenden Kommentatoren – vor allem Sirenomele – gehen dabei unter. Der Versuch zeigt aber etwas, das ich bereits aus den Chats kenne und einige Male schon theoretisch skizziert habe: daß sich offenbar das Netz unter oft völliger Umgehung des Über-Ichs direkt an das Ganglion anschließt und, wenn aggressive Emotionen ausgerufen werden, geradezu direkt mit aggressiven Emotionen antwortet; moderierende Umstände wie mal ein Lächeln, mal eine Handbewegung, Mimik und Gestik sowieso, sind eliminiert: Das hat etwas von einem unzensierbaren Stimulus-Reaktions-Muster. Ich denke, ich werde darüber eine eigene Miszelle der >>>> Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens verfassen.
Was nun die von PRIVAT eingeklagte Privatsphäre anbelangt, so ist immerhin festzustellen, daß auch Avatare – ich beharre auf meiner Terminologie – ganz offenbar als Personen angesehen werden, die Rechte habe. Das ist ein großer moraltheoretischer Schritt. Auch darüber muß nachgedacht werden.

18.37 Uhr:
>>>> Christian Filips schreibt mir gerade, daß mein >>>> Kindergebet für K. von der Komponistin >>>> Katia Tchemberdji vertont worden ist und am Dienstag abend uraufgeführt werden wird. Das finde ich eine wunderschöne Nachricht.

22.03 Uhr:
Ich habe eben Verse gezählt; die siebente und achte Elegie haben zusammen 436 Verse, >>>> das sind dann also 2,16 % fehlerhafte Verse; das ist mir zuviel, um es als Aslaam durchgehen zu lassen, zumal ich möglicherweise Fehler übersehen habe.

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