Arbeitsjournal. Dienstag, der 16. Oktober 2007.

5.18 Uhr:
[Arbeitswohnung. Cimarosa, Il matrimonio segreto, live-DAT-Mitschnitt von 2003 aus dem Teatro Massimo Palermo; folgende Bemerkung auf dem Schatullchen: „Mit Bandstörungen und einer Regen-Aufnahme, versehentlich, mittendrin.“ Worüber ich mich damals geärgert habe, meine Sorglosigkeit im Umgang mit den DAT-Bändern, macht mich heute neugierig.]
Wirklich gute Bilder hängen >>>> da, zwei darunter sind hinreißend. Wir blieben, der Profi und ich, der er die Szene gut kennt, indes ich mehr abgestellt herumstand, als daß ich mich unterhalten hätte… wir blieben bis halb neun, dann zogen wir in >>>> die Bar, wo wir doch einiges tranken… und er ein hübsches Projekt aus seinem Kopf buddelte, nachdem wir lange >>>> darüber und >>>> hierüber gesprochen hatten. Er vertritt durchaus mehr die Position der Kläger, aber meine Haltung war ihm einsichtig. „Sie entspricht natürlich deiner Haltung, das Leben als Kampf aufzufassen, und ist restlos konsequent künstlerisch; mit Rechtsprechung ist das tatsächlich nicht unter einen Hut zu bringen. Auch nicht mit einem bürgerlichen, gesicherten Leben.“ „Der Künstler steht n i c h t außerhalb des Gesetzes“, sagte ich, „aber er wird immer mal wieder in Situationen gelangen, in denen das Gesetz gebrochen werden muß. Dafür hat er keinen Freifahrtschein, sicher nicht, doch er muß sich dann entscheiden, ob er das Kunstwerk schaffen oder sich ans Gesetz halten will. Schafft er, mit Recht, sein Kunstwerk, muß er mit ebensolchem Recht gewärtigen, dafür bestraft zu werden, und zwar auch dann, wenn dieses Kunstwerk möglicherweise eine Säule ebender Kultur werden wird, die ihn bestraft. Nur wenn das so ist, bleibt eine Garantie, daß er es mit Existenz zu tun hat. In eine demokratische Grundordnung kann das selbstverständlich nicht eingehen. Denn es ist nicht normativ faßbar.“ „Es wäre furchtbar, wäre das normativ faßbar.“ „Es wäre dann keine Rechtsordnung mehr, die mit den Menschenrechten in Übereinstimmung zu bringen ist. Ja.“
Das ging so bis nach 23 Uhr, da hatte ich dann außer dem obligaten Cocktail, einem heftigen Mai Tai, noch zwei Bier intus, was meinen radelnden Heimweg ein wenig problematisch machte. Immerhin kam ich gut an.

Viel gearbeitet gestern. Als ich die AEOLIA noch einmal las, war ich erstaunt, wie wenig daran zu ändern ist. Allerdings hatte ich angesichts der vostellschen Bilder abends kurz das Gefühl, da müsse mehr Schmutz hinein, irgend eine verschlierte Zigarettenspur, ein umgekippter Mülleimer, sowas; nur daß es das auf Stromboli nicht gegeben hatte; jedenfalls hab ich sowas da nicht gesehen. Klar wurde, daß der Text auf Querformat gesetzt werden muß; das will ich heute früh tun und dann n o c h einmal schauen, wo ich welchen Eingriff vornehme. Schmutz kann ja auch bedeuten, daß man das Versmaß verschmutzt, also nicht einhält, daß man es ganz bewußt stört. Mal sehen. Dann will ich mir heute die erste Heidelberger Vorlesung einmal selbst laut vorlesen, schon, um herauszubekommen, wie lang das Ding tatsächlich ist, wenn man es spricht. Einen Ansatz für vernünftige Striche fand ich gestern jedenfalls nicht. Dieses Selbst-Vorlesen starte ich wohl am Nachmittag; um acht muß ich heute unterbrechen, weil mein Junge während dieser Herbstferienwoche zwei Judo-Trainingstage hat, von denen heute einer ist; und er muß da hingebracht werden. Er habe gestern abend, erzählte die Liebste am Telefon, eine Stunde lang mit seiner Freundin in der Badewann gesessen. Sie ist in dieser Woche bei uns zu Gast; mir gefällt diese so ganz junge, auch körperlich offenbar intensive Liebe außerordentlich; von vorgestern auf gestern haben die beiden in einem Bett geschlafen, das obere der beiden Doppelbettbetten blieb unberührt. Wunderschön. Hätte ich selbst mit sieben, bzw. neun (sie ist anderthalb Jahre älter als er) ein solch unverkrampftes, natürliches Verhältnis zu meinem Körper gehabt, es wäre wahrscheinlich einiges in meinem Leben anders verlaufen.
So, Leser, an die Arbeit.

6.05 Uhr:
Ach, vielleicht noch d a s:
Mein DAT-Mitschnitt von 2003 gehört zu den Mitschnitten, die mein Verhältnis zur Wirklichkeit gut beschreiben können, diese Neigung zur Vermischung. Ich hatte seinerzeit – in Palermo, nachdem ich die Aufnahmen für >>>> das Catania-Hörstück getätigt und noch Zeit übrig hatte, die ich dafür nutzte, für alle Fälle auch von Palermo O-Töne zu nehmen (sie sind bis heute ungenutzt geblieben; fast drei Stunden akustisches Material) – eine Aufführung in dem gerade wiedereröffneten Teatro Massimo mitgeschnitten, aber weil es nachts irre regnete, auch den Regen aufnehmen wollen; war dann mit meinen DAT-Bändern durcheinandergekommen, jedenfalls hatte ich den Mischnitt nicht gesichert, so daß sich heute auf dem Band fast eine halbe Stunde Regengeräusche finden, die die Oper einfach unterbrechen. Wenn man das anhört, hat das etwas sehr Eigenes, sehr Intensives; es ist wie ein Einbruch der Welt in die Kunstwelt. Ähnlich mein Mitschnitt der Missa Solemnis aus der New Yorker Cathedral St.John-the-devine: Da habe ich alle Publikumsgeräusche mit aufgenommen, auch den ganzen Applaus, und dann geh ich hinaus aus der Kirche, und man hört auf den Beethoven den Stadtlärm folgen, den Verkehrslärm, vorbeiflatternde Stimmen, Lachen… über anderthalb Stunden geht das so, weil ich meinen gesamten Heimweg zur 30th/8th mitgeschnitten habe. Auch das Material ist bis heute ungenutzt. Aber ich höre es immer wieder gerne an.
Eines Tages will ich sämtliche Stadt-Aufnahmen zusammenfügen und ein großes Hörstück daraus machen, das nur ganz wenigen Text hat, statt dessen diese O-Töne als musikalisches Material behandelt, um eine zweidreistündige Radio-Oper daraus zu komponieren. Wenn mich der Hörfunk denn läßt.

16.02 Uhr:
[Rihm, Die Eroberung von Mexico (Uraufführung von 1992 unter Metzmacher).]
Die AEOLIA etwa zur Hälfte in neuer Gestaltung fertig. Eventuell schaff ich sie heute noch ganz und kann sie dann ausdrucken und in diesem neuen, auf Querformat gesetzten Bild gleich noch einmal lesen. Das täte ich gerne in der frühen Nacht, wenn ich von der Familie zurück an den Arbeitsplatz komme.
Schreibe gerade Gläubigerbriefe um Gläubigerbriefe, unter anderem an drohende Rechtsanwälte und an das Hauptzollamt Berlin, das wegen rückständiger Beiträge zur Pflegeversicherung mein nicht mehr existentes Konto bei der Deutschen Bank zu pfänden versucht hat. Das lenkt alles unangenehm von meiner Arbeit ab. Dafür hör ich mit Erstaunen diese großartige Wolfgang-Rihm-Oper wieder. Das ist immer wieder das Erstaunlichste: daß selbst Werke von ungeheurem, schlimmem Inhalt derart mit Genuß entschädigen.
Trinke Fencheltee um Fenscheltee, aber zum Ausgleich rauch ich leckre Cigarillos.

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