Arbeitsjournal. Dienstag, der 14. August 2007. Auf Usedom.

4.58 Uhr:
[Hotel Waldschloß. Aufenthaltszimmer.]
Ein alter, liebevoller Kasten, dem die Spuren der DDR deutlich noch anzumerken sind; eher auch Groß-Pension als Hotel; um neun schließt die für den Abend geöffnete Küche, um zehn die Kneipe, die ihre Restauration sonst, und auch nur abends, ist; im Keller gelegen, wenige Tische, eine Bar mit Zapfhahn; im übrigen sagt ein wackliger Standaschenbecher, der vor dem Eingang zur Rezeption aufgestellt ist, es sei zu rauchen im ganzen Hotel nicht erwünscht – so daß ich nun für die Morgenarbeit hinunter in einen Aufenthaltsraum gestiegen bin, ausgestattet mit der kleinen Bibliothek, die nach alter Leihbuchhandlung riecht und ein paar DDR-Ausgaben sowie wenige West-Taschenbücher enthält, von denen man gewiß meinen darf, es hätten sie Gäste hier zurückgelassen; ausgestattet mit zwei gelb bedeckten quadratischen Tischchen, je vier Clubsesselchen darum, sowie einer Couch-Ecke, der schmeichelt, wer ihr Geburtsjahr auf 1960 schätzt; sie lächelt dann, die alte Dame in Cord… ein längerer, niedriger Tisch mit einem Angebindchen aus Plastikblumen darauf… doch der Raum geht auf einen mit Geranien bepflanzten Balkon hinauf, von dem vier weitere Glastüren abgehen und in Gastzimmer führen – bewohnte, denn zwei stehen auf, und aus jeder dringt leises Schnarchen heraus. Man sieht unter einem Loggia-Bogen auf das Dache des, wahrscheinlich, Speiseraums hinab und hinüber auf den Pensions-Parkplatz und durch Rasenanlage und Bäumchen zum Achterwasser. Auf dem Balkon rauche ich heimlich, muß man wohl sagen, drücke die Kippen in den Blumenkästen aus und werfe sie dann drinnen in einen von einem inversen Präservativ geschützten Papierborb.
So die Arbeitssituation für die nun folgende Woche. Bis etwa acht/halb neun will ich was tun, bis mein Junge oben erwacht sein und heruntergekommen sein wird, um mich zum Frühstück zu rufen.
Ins Netz geh ich per Handy.

Bamberger Elegie Nr. 11, ff. Krähenschreie von draußen, der vielleicht nur Versuch einer Katzenpaarung, eine Eisenbahn in Ferne. Und das stille, nervöse Flattern zweier Fledermäuse direkt am Balkon.

5.51 Uhr:
Nicht so recht konzentriert. Es kostet einige Kraft, sich von hier an den Bamberger Schreibtisch weg- und in den Bamberger Blick zurückzudenken; vom Schreibtisch der Berliner Arbeitswohnung aus fällt das leichter. Der Kaffee fehlt obendrein, und dann habe ich ein leichtes Problem damit, daß die Haustür unten verschlossen ist und ich nicht hinauskann; es ist ein prinzipielles Problem damit, sich eingesperrt zu fühlen. Allerdings kann es sein, daß am Schlüssel, den die Geliebte für das Zimmer bekommen hat, auch ein Haustürschlüssel anhängt; da muß ich später nachsehen; gestern abend kam ich auf so etwas einfach nicht. Ich könnte aber eh nicht mit dem Laptop hinaus, da es spätabends zu regnen anfing und alles ziemlich naß draußen ist.
UF schreibt, ich müsse Arnold Zweig Abbitte leisten, sein „Beil von Wandsbek“ sei großartig. Na gut, das will ich tun. Wenn das nun aber so weitergeht; bei Jünger mußte ich es ja nun auch schon…

8.02 Uhr:
Endlich Kaffee; der Frühstücksraum wird erst um 8 geöffnet. Hab mir ein Kännchen in den Aufenthaltsraum hochgeholt. Wirklich weitgergekommen bin ich mit der Morgenarbeit aber nicht, dämmerte immer wieder im Sitzen ein, fand den Anschluß in diese Elfte nicht, bzw. bekam die Rhythmisierung nicht hin. Einmal legte ich mich sogar auf die Cordcouch und schlief eine halbe Stunde hinweg.
Im Zimmer der Lieben schläft noch alles. Ich mag aber nicht allein frühstücken und arbeite – oder versuch es – erst einmal weiter, bis sich mein Junge meldet. Der wird nach dem Aufstehen sicher sofort nach mir sehen wollen. Das Wetter wird offenbar wieder sonnig. Ein älteres Paar kam schon das Strräßchen vorm Hotel entlang in Bademänteln, vom Morgenbad in der Ostsee herauf, die von hier fünf Minuten durch den Wald entfernt liegt. Der Mann ließ seine Schlappen schlurfen, das hatte etwas Schartiges, wie Fieber, das ein Gehör befällt, wenn es zu zwei Dritteln noch schläft. Die Frau hingegen ging in den ihren zivilisiert

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 14. August 2007. Auf Usedom.

  1. Tischchen, Clubsesselchen, Angebindchen, Bäumchen, Kännchen, Sträßchen… Woher kommt diese ungezügelte Vorliebe für den Diminutivsuffix in allen Ihren Texten und Textchen? Es sind ja nicht nur die Blog-Einträge. In Ihren Büchern halten die Diminutive ebenso fröhliche Urständ. Die Wirkung ist teils fatal (also bei mir natürlich), schließlich läßt sich die Verkleinerungsform aus wohl jedem Substantiv bilden und erzeugt beim Lesen den Eindruck, dem Dichter sei kein anderes Wort eingefallen. Oder sind Ihnen wirklich alle Dinge so ans Herz gewachsen, dass sie sprachlich verkleinert werden müssen? Sicher ist es eine Frage des bevorzugten Stils. Nur wüßte ich gerne einen Grund für diesen Umstand, also die augenfällig inflationäre Verwendung dieser Suffixe, falls es einen dafür gibt.

    P.S. einen sehr schönen, angenehmen und erholsamen Aufenthalt in Usedom wünsche ich Ihnen! Ich hoffe, meine Frage kommt nicht zu ketzerisch herüber. Aber als Ihr Leser muss ich so etwas geklärt haben, um ein besseres Verständnis für Ihre Texte zu bekommen.

    1. Lösungsvorschläge Als fröhlicher Anhänger von Verschwörungstheorien, der ich einer bin, könnte ich aus dem Diminutivsuffix “-chen”
      folgendes ableiten:

      1. Die chinesische Verschwörung. Begründung: nimmt man die ersten und die letzten beiden Buchstaben des Wortes “Chinesen” und führt sie zusammen, ergibt sich der Suffix “-chen”. Somit sind immer dort, wo ein Tisch-chen, Stühl-chen, Hünd-chen in Ihren Texten auftaucht, ebenso Chinesen anwesend. Hinweisend vielleicht auf die große Umweltverschmutzung, die der werdende Kapitalismus in China uns beschert.

      2. Sie halten irgendwo eine Freundin versteckt, die Ines heißt. Begründung: streicht man aus dem Wort “Chinesen” den wie oben zusammengestöpselten Suffix
      “-chen” weg, bleibt eine “Ines” zurück. Tja, da habe ich Sie erwischt! Die Literaturwissenschaft ist nun gefordert, sämtliche anderen Anagramme in Ihren Werken zu entschlüsseln. Na dann Proust!

    2. @ Stromberg et al. “chen”. Nein, da ist meine Ines, wohl aber sind da Tischchen… ich kann’s ja nicht ändern, daß einem kleine Dinge allüberall begegnen. Nun bleibt die Wahl “kleiner Tisch” zu schreiben oder “Tischchen”. Im “chen” liegt eine Hinwendung eher, oder ein ironisches Abtun. Da mir Ironie bekanntermaßen nicht so liegt, ja ich ihr gegenerisch gegenüberstehe, darf mir vielleicht die mit jedem “chen” verbundene Naivetät zugestanden werden, die solch ein “chen” gerade erlaubt – Naivetät in Hinsicht auf wie einer hinsieht. In der Tat gibt es bei mir eine Neigung zum Märchen und zu Sagen und Legenden, aus dem WOLPERTINGER ja hinreichend bekannt. Im “chen” schwingt auch etwas Beseelendes, Seele Gebendes mit, das sich weigert, etwas als ein herumrückbares Ding und n u r als solches zu betrachten. Im übrigen erfüllen die “chen”s in anderen Zusammenhänge verinnerlichende Aufgaben, etwa wenn es in der AEOLIA heißt “Schättchen nur von Schatten”.
      Insgesamt meine ich aber nicht, daß Sie den Akzent meiner Arbeiten auf den Diminutiv legen können; es gibt Leute, die das Gegenteil behaupten und meinen, ich müsse alles immer in den Superlativ setzen… Für mich ist es so, daß ich eine Vorliebe für alle Wortbildungen habe und deshalb keine ausschließe, sondern, glaube ich, je nach Gegebenheit eine jede verwende… auch dann, wenn es unmodern geworden oder “unchic” ist. Ich halte es übrigens auch mit umgangssprachlichen Wendungen so. Das Gegenteil müßte mir bewiesen werden, also durch tatsächliches Auszählen. Auchg Substantivierungen, also Verdinglichungen, finden sich bei mir häufig und sind an sehr bestimmte Stellen gesetzt. Daß mir kein anderes Wort “eingefallen sei” – also ginge es bei der Wortfindung um Inspiration und nicht um Konstruktion, finde ich einen absurden Gedanken, wenn man sich mal Satzbau, Rhythmisierung usw. anschaut. Weshalb sollte dann etwas anderes sozusagen absichtslos geschehen?

    1. Morph Das ist – die Morphologie von Eigennamen betreffend – sehr interessant. Danke für diesen Hinweis! Daher assoziiert ja wohl bald ein jeder, wenn aus dem scheinbar martialischen Friedrich, der ja dank des “Fried” es gar nicht sein soll, ein Fritz und schließlich mit angehängtem Chinesen “Chen” ein Fritzchen wird, eher einen Witz oder ein Märchen.
      Für mich sind solche Betrachtungen nicht unbedeutend, da sie ja darauf hinweisen, wie einzelne Worte und deren Verwendung im Text, gewisse Erwartungen anregen. Sehr interessant.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .