7.18 Uhr:
[Bielefeld im Wald, Am Hang.]
Wunderschönes Gelände, mit eigenem Waldstück, wie ein Tortenstück aus dem Forst herausgeschnitten; die kleine Rasenanlage davor wie ein Kunstpärkchen, in dem Kinder spielen, überall liegen Gegenstände, stehen Skulpturen und Skulptürchen, das Haus selbst voller schwarzafrikanischer Kunst – hier, dachte ich bei meinem Frühspaziergang, während die Gastgeber noch schlafen, geht einer nicht mehr weg, der mal da ist… und für die beiden Kinder ist es ein Traum.
9.55 Uhr:
[ICE Bielefeld-Berlin.]
… und dann waren plötzlich alle auf, und ich kam nicht mehr dazu, das Arbeitsjournal weiterzuführen. Immerhin fand ich vorher Kaffee und rauchte, durch den Garten spazierend, die Morgenzigarette – angerührt von den Spuren, die jemand im Land hinterläßt – Erinnerung an meinen Vater, Erinnerung auch – wobei das Wort hier heikel ist; schließlich lebt er noch – an >>>> Eigner… Spuren, wie es Findlinge sind, bearbeitete, herbeigeschleppte aus fernen Ländern, die hier, an einem besonderen Ort, an die besondere Stelle gelegt werden, neue Heimat, kultivierte, vom Ich kultivierte – zu begreifen, was der Begriff „Scholle“ für jemanden ist, der sie gestaltet hat und hat gerodet und urbar gemacht, hat verändert, verschönt, überall Moos, das man aus den Mauern bewußt wachsen läßt, dort eine Amphore, hier sogar eine Säule in ein gemauertes Kinderhaus errichtet, dort hat der aufgestellte Torso eines Bäumchens ein weibliches Geschlecht angenommen, und aus dem Geschlecht ist ein Schirmpilz gewachsen, wie als übernähme Natur plötzlich selbst das Symbol… Mir fiel eine Gedichtzeile ein: „Das, Vater, ist mir verschlossen…“ Vater ruft aber nicht einen himmlischen, sondern den leiblichen an, der doch mindestens so fern ist wie jener… Der Geruch morgens des Hundes, der im engen Flur auf der Matte vor meiner Zimmertür schlief, süßlicher Geruch, er f ü l l t e den Flur… Drei Teichchen hinter dem Haus, eine schmale Steintreppe, seitlich bemauert, die ins Kulturnichts, die einfach in ein Gestrüpp aus Brombeeren und wildem Unterbodenbewuchs des sich den Hang hinaufziehenden, recht dichten Waldes führt… – Was wir Städter nicht wissen, „wissen“ im emphatischen Sinn, wir doch losen, unverwachsenen, die wie Dünenpflanzen sind, und wehen mit der Düne im Wind mit, der die Zeit für uns ist; nicht daß uns, wie hier, der Sand umweht und weht weg, wir aber bleiben… Überall kleine Plateaus, von eigener Hand in den Hang terrassiert, „mein erster Grill“, erzählt J. und zeigt auf den hohlen Corpus einer Waschmaschine, die oben offenklafft, und ein Metallgatter ist als Rost draufgelegt… liebevoll das Gesicht einer Antike, versteckt an einer Wand, dazu die Handmischmaschine für Zement, zwei offene Feuerstellen, steinumlegt, ein eigenhändig in die Wand gemauertes Pizzaöfchen im Freien, und die Zucchini tragen…
Die Entscheidung für Land… Den Vater ruf ich an, weil auch er, zumindest in seinen letzten Jahren der Eremitage, das hatte.
Zur AEOLIA-Lesung. Ich telefonierte spätabends noch mit der Geliebten darüber. „Zu lange“ hieß es, unter anderem, „gelesen“… Ich: „Es waren 50 Minuten…“ Auch Irritationen, deutlich spürbar, wegen der Reime, die ich wieder verwende, wegen der klassischen Rhythmik, auch wegen der Bilder… „Mag es daran liegen“, fragte ich die Geliebte, „daß der Reim für die meisten mit Harmonie verbunden ist? einer laxen, unverbindlichen, der Liedermacher etwa? daß er bei mir, jedenfalls in der AEOLIA, aber immer irgendwie mit dem Tod konnotiert ist, den die meisten grad n i c h t als etwas Harmonisches auffassen?“ Wir sprachen ein wenig darüber. Es geht mir bis jetzt noch nach. Selbstverständlich gab es auch Hörer, die hörten. Doch es gab zu wenig Sitzplätze; letztlich hat niemand damit gerechnet, daß ich die g a n z e AEOLIA lesen würde.
Im Nachgeschmack bleibt eine leichte Unbefriedigtheit, die eher Unbehagen, auch Traurigkeit ist, weil nämlich J. das Stromboli-Buch immer noch nicht nur mit den Bildern von Gratz und meinem Text füllen will, sondern will noch Fotografien hinzutun, einen dokumentarischen Text über die Insel und anderes mehr hineintun. Ich empfinde das als einen Fehler, weil es die Kraft schwächt, die das Stromboli-Buch andernfalls haben könnte, weil es auch unentschieden ist und ein, scheint mir, diversifiziertes Interesse abdecken möchte.
Doch kam ich nicht dazu, darüber mit J. zu sprechen; es hätte auch eigenartig ankommen können, wie als wollte ich andere Beiträger verdrängen. Darum geht’s aber nicht, sondern um ein für sich lebensfähiges kleines Kunstwerk. Ich bin gern bereit, für dieses Buch J. die Rechte an der AEOLIA exklusiv zu geben, aber nur unter der Bedingung, daß sie auch exklusiv behandelt wird; andernfalls müßte ich die Anthologie als eine unter vielen ansehen und würde die Dichtung parallel anderweitig, u n d eben exklusiv, herauszubringen versuchen. Darüber ist also zu reden; wahrscheinlich schreibe ich J. darüber einen Brief; einer seiner engen Freunde, gestern abend, sah es ähnlich, der eigentlich selbst als Beiträger für das Stromboli-Buch gedacht ist; mich blendet da also nicht meine Eitelkeit. „Das kann er nicht machen“, sagte er, „er macht sich sonst sein Buch kaputt.“
Darüber, daß ich einmal mehr ohne Honorar gelesen habe, will ich gar nicht im Besonderen reden; immerhin wurden zwei Sizilienbücher verkauft. Und ich kehre mit einer Flasche sehr guten sardischen Weißweins, einer Wildschein-Salsiccia und einem Glas selbstgekochter, sowohl intensiv süßer wie intensiv saurer Brombeermarmelade heim, die man nur herrlich nennen kann. Außerdem bekam ich die Fahrtkosten ersetzt, was für die Ostseereise ein wenig Spielraum gibt.
Ein zweites Gedicht fiel mir noch ein, Pound im Käfig, und er streckt der guten Fee der Allierten, die ihn verspeisen möchte, statt des Fingers nicht ein Knöchelchen heraus, sondern Poeme… – Beides werd ich gleich skizzieren, vielleicht auch schon auszufüllen versuchen, bevor ich mit der elften Bamberger Elegie weitermache.
12.02 Uhr:
[Im ICE noch, kurz hinter Spandau.]
Ich hab’s tatsächlich >>>> hingekriegt – und habe selber viele Fragen an das letzte Bild. Es stimmt, aber ich habe keine Ahnung, weshalb.
Komme gleich an, obwohl ich gerne gleich an das zweite Gedicht ginge. Werde erstmal in die Arbeitswohnung ziehen, um Nichtverkauftes (Bücher, CDs, Volltexte) abzustellen. Danach geht’s, mit dem Fahrrad, zur Familie hinüber.
23.29 Uhr:
[Am Terrarrium.]
Gleich z w e i weitere Gedichte fielen mir zu; eines davon könnte wieder ein Zyklus werden, nicht ganz so lang wie die AEOLIA, aber doch womöglich wie eine der BAMBERGER ELEGIEN: „Ich las im Buch von Yeşim“. Das setze ich wahrscheinlich auf Usedom fort; morgens, sofern ich nicht in die Elegien hineinfinde.
Bei meinen Pound-Recherchen auf >>>> d a s gestoßen, was wirklich ein Ding ist. So viel Unkenntnis heikler Zusammenhänge bei maßgeblichen Gestaltern (womit ich nicht etwa den Autor des Artikels, sondern Kollhoff meine)… Man müßte den Begriff der Maßstäblichkeit einmal abklopfen wie auf der anderen Seite freilegen, was Kapitalismuskritisches denn a u c h zum Faschismus geführt hat und daß d i e s e r Aspekt nicht unbedingt m i t aufs Schafott gehört, und zwar auch dan n nicht, wenn er sich nicht auf der anderen Seite sozialistischen Ideen, ja nicht einmal, wenn er sich nicht demokratischen Ideen verschreibt, sondern schlichtweg ein konservatives Ideen-und Idealfeld ist. Daß man dabei über sehr viel brüchiges Eis geht, ist mir bewußt – aber das aus Furcht vor Mißverständnissen meiden? Hieße das nicht ebenso, sich einer Totalität zu beugen? Aufmerken läßt dabei, daß Kapitalismus-Feindlichkeit Sozialisten verziehen wird, Konservativen aber nicht. Was bedeutet das, wenn nicht, daß Sozialisten (bzw. Kommunisten) in System längst eingebunden sind? (System meint die Verfügung und Logistik einer politischen Macht-Apparatur.)
Im übrigen laufen die Vorbereitungen für die kleine Ostseereise. Morgen sehr früh radle ich noch einmal in die Arbeitswohnung, um etwas zu tun, aber eben auch, um mein Zeug zusammenzustellen. Sollten wir mittags dann losfahren können, wäre es prima gelaufen; der Quattro jedenfalls steht schon vor der Tür… na ja, einen Straßenzug weiter, weil das ziemlich große Auto direkt vorm Haus in keine Parklücke paßte… Umstände, mit denen ich als eingefleischter Radfahrer schon seit Jahren nicht mehr rechne.
Ich tu jetzt auch nichts mehr, sondern geh schlafen; sonst komm ich morgen früh nicht rechtzeitig raus.
Ich weiß um das Heikle von Zitaten. Trotzdem:
„Du erinnerst Dich, wie ich Platon geschätzt habe. Heute weiß ich, daß er gelogen hat. Denn in den irdischen Dingen spiegelt sich kein Ideal, in ihnen steckt vielmehr schwere, blutige Arbeit von Menschen. Wir haben die Pyramiden erbaut, wir haben den Marmor für die Tempel und die Steine für die Straßen des Imperiums gebrochen, wir haben die Galeeren gerudert und die Pflüge gezogen, während sie Dialoge und Dramen schrieben, ihre Intrigen mit dem jeweiligen Vaterland rechtfertigten und Kriege um Grenzen und Demokratien führten. Wir waren dreckig und starben wirklich. Sie waren Ästheten und diskutierten zum Schein.
Es gibt keine Schönheit, wenn darin das dem Menschen zugefügte Leid steckt. Es gibt keine Wahrheit, wenn sie über dieses Leid hinweggeht. Es gibt nichts Gutes, das dieses Leid zuläßt.
Was weiß die Antike von uns? Sie kennt den gerissenen Sklaven von Terenz und Plautus, sie kennt die Gracchen als Volkstribunen und den Namen eines einzigen Sklaven: Spartakus.
Sie machten Geschichte, und wir wissen alles über einen Verbrecher wie Scipio oder einen Advokaten wie Cicero oder Demosthenes. Wir sind hingerissen von der Vernichtung der Ertrusker, der Ausrottung Karthagos, von Verrat, List Plünderei. Römisches Recht! Es ist noch heute Recht!
[…] von uns wird niemand wissen. Dichter, Advokaten, Philosophen, Priester werden uns niederschreien. Sie werden Schönes, Gutes und Wahres schaffen.“ – Tadeusz Borowski –
Hinzuzufügen wäre noch der Monolog des Kleinen Mönchen aus Leben des Galilei von Brecht. (Am Ende der siebten Szene. Fassung 1938/1939)
@didymus. Ich unterschreibe das ohne jeden Vorbehalt. Und sage dennoch: Trotzdem. Es wäre eine verarmte Welt ohne die Pyramiden. Bereits Benjamin sah auch das; das Heikle von Zitaten, ja. Und ABER: „Es ist keine Leistung der Kultur, an deren Anfang nicht eine Barbarei gestanden hätte.“ (zit. nach dem Gedächtnis; also bitte: ungefährer Wortlaut).
Über die kleinbürgerlichen Barbareien Brechts bis hin zur schleimenden stalinistischen Niederwerfung etwa 195
63 sind wir uns ja wohl a u c h im klaren.Es geht nicht um die Pyramiden, die sind. Es geht auch nicht um Brecht, es geht um das, was der kleine Mönch sagt.
Aber das verstehe ich nicht: „bis hin zur schleimenden stalinistischen Niederwerfung etwa 1956 sind wir uns ja wohl a u c h im klaren.“ Das wir daran stört, weil ich nicht zu ihrem wir gehöre. Ich habe vielleicht eine andere Klarheit als Sie.
Mit Ihrer Meinung über Schriftsteller bin ich vorsichtiger geworden, da Sie hier neulich schrieben, dass Sie E. Jünger bisher verdammt, oder zumindest nicht zur Kenntnis genommen haben. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, jeder kann denken umd meinen was er kann. Aber jemanden über Bausch und Bogen ungelesen ablehnen? Zumal eine solch wichtige Figur wie Jünger.
Pound war scharfer Gegner des Kapitalismus und hat einige ökonomische Überlegungen gegen dieses System in die Öffentlichkeit getragen. Den damals heraufkommenden Nationalsozialismus hat er als Chance gesehen dieses System zu überwinden. Aber leider war das System der Nazis nur die Perversion des Kapitalisums. Vielleicht kann man das anders sehen: Pound war Gegner des Kapitalismus. Damit war er den Amis suspekt. Vielleicht haben sie ihn deshalb in den Käfig gesteckt, bevor sie ihn in der Irrenanstalt ihrer Hauptstadt aussetzten.
@ didymus. Der Hieb sitzt.
Ich möchte dennoch reagieren, und bitte um Entschuldigung, daß dies so spät geschieht; das hat Urlaubsgründe aber auch den Grund, daß ich erst einmal nachdenken wollte.
S o viele Verdammungen anderer Schriftsteller hab ich mir nicht zuschulden kommen lassen, und wo ich Meinungen äußere, sie meist sehr genau begründet; siehe dazu etwa die >>>> Hörstücke sowie die >>>> theoretischen Arbeiten und >>>> Kritiken. Das liegt ja alles vor und läßt sich nachlesen. Mir sind nicht sehr viele Kollegen bekannt, die ästhetisch so dezidiert argumentieren, wenn es um vor allem noch lebende, und zwar als Kollegen lebende Autoren geht. Wobei noch dahingehend unterschieden werden muß, was eine Argumentation der ästhetischen Position ist (etwa meine sehr kritische Haltung gegenüber dem sog. Realismus) und was eine Argumentation des Handwerks. Es gab Autoren, etwa Max von der Grün, deren Position ich nun überhaupt nicht teilte und teile; deren ästhetische und strategische Erfüllung ihrer eigenen Position ich aber hoch achte. Im Fall von der Grüns schrie alles auf, als er einen Heftchenroman erscheinen ließ; ich hingegen fand das hochangemessen in Hinsicht auf den Leserkreis, den er erreichen wollte. Allerdings habe ich diese, sagen wir, Weite des Herzens nie gehabt, sowie ein Autoren in tatsächlicher oder scheinbarer NS-Nähe stand. Das änderte sich imgrunde erst durch das „Erlebnis Benn“; das hat mir die moralische Zementierung aufgeweicht. Und meine Erfahrungen mit Musik haben es getan. Nur war das ein P r o z e ß; mit Jünger ist er, ich möchte sagen, „geplatzt“.
Dennoch haben Sie im Falle Jüngers recht; allerdings gehöre ich zu denjenigen Autoren, die Irrtümer öffentlich eingestehen; auch das ist nicht sehr üblich. Meist wird hartnäckig auch wider besseres Wissen an einem Irrtum machtstrategisch festgehalten und der Irrtum schließlich zur „Tatsache“ gemacht, qua Schulterschluß & flüsternder Meinung. Es ist ja auch nicht ungefährlich, einen Irrtum zuzugeben. Sie sehen an Ihrer eigenen Reaktion, wohin das führen kann: Gibt jemand einen Irrtum zu, glaubt man ihm auch gleich die anderen Urteile nicht mehr. Hätte er n i c h t zugegeben, bliebe die Einschätzung seines Urteilsvermögens ganz ungetrübt…
Dennoch, Jünger. Ja. Meine Ablehnung ist ganz sicher aus den politischen Verhältnissen und Ansichten der 70er und 80er Jahre, sowie besonders aus meiner familiären Herkunftsgeschichte zu verstehen. Ein Ribbentrop, der sich pro Jünger ausspricht, gerät in eine gänzlich andere Positionierung, als ein, sagen wir, Pralle. Als der Frankfurtmainer Goethepreis an Jünger verliehen werden sollte, war ich mit Tausenden anderen protestierend auf der Straße; ich war gerade als junger Mann völlig tabubesetzt – das Tabu reichte bis in meine physiologischen Abwehrmechanismen und wurde schon von Reizwörtern, politischen, anthropologischen, insgesamt also moralbegründeten, ausgelöst – wie tief das ging und teils immer noch geht, darüber, unter anderem, berichtet >>>> MEERE.
Im übrigen war mein Vorurteil derart fest, daß mich nicht einmal mein Förderer und väterlicher Freund DB aufmerken ließ, der, gegen j e d e n Widerstand, Jünger für den Büchnerpreis in die Diskussion bringen wollte, als er noch, jahrelang mit beratender Stimme, mit in der Darmstädter Jury saß. Sein Vorstoß hat bei aber auch so gut wie allen, die davon Kenntnis erhielten, entweder Kopfschütteln oder verärgerte Mißstimmung ausgelöst.
Ein Wort zu Arnold Zweig Als Zwerg würde ich nun gerade nicht bezeichnen – und sein Werk ist durchaus nicht klein und auch nicht unbedeutend. Aber darum geht es hier nicht. Interessant ist, welche Entwicklung der jüdische Dichter A. Zweig vollzogen hat: In den 20er Jahren feierte er bei Erscheinen von Stehrs „Heiligenhof“ das Werk fast als eine Wiedergeburt des deutschen Romans (in der „Weltbühne“). Und wie schnell ist Stehr heute (sehr zu Unrecht) als bloßer BluBo-Schreiber abgetan!
Aber man sehe sich an, wie Zweig sich in der DDR alle anstößigen Stellen aus seinem Werk redigieren ließ – damit waren seine vielen Repräsentations- und Ehrenämter gesichert, und auch seine (sehr umfängliche) Werkausgabe konnte unbeschadet erscheinen – der alte, fast blinde Mann hat sich total vereinnahmen lassen.
Dargestellt hat das ausführlich Hans-Albert Walter 1985 in seinem Begleitbuch zum „Beil von Wandsbek“ „Im Anfang war die Tat“, in dem er dezidiert herausarbeitet, warum der Faust-Roman „Das Beil…“ eines der bedeutendsten Werke der Exilliteratur ist (und in der von Walter damals bei Gutenbergs herausgegebenen Reihe steht das Buch neben Döblins „Land ohne Tod“, Seghers „Transit“ und Roths „Hiob“.
Da ich ziemlich interessiert bin an Brecht möchte ich gern wissen, was da genau war 1956. Sie schreiben: „Über die kleinbürgerlichen Barbareien Brechts bis hin zur schleimenden stalinistischen Niederwerfung etwa 1956“ Was verstehen Sie unter stalinistischer Niederwerfung… Ist mir da was entgangen? Danke für die Aufklärung…
@didymus. Pardon, das muß selbstverständlich „1953“ heißen, und gemeint war der 17. Juni. Brecht hat anläßlich der gewaltsamen Niederschlagung des Volksaufstands eine ausgesprochen deutliche Solidaritätsnote an das ZK der SED, namentlich den „Genossen“ Walter Ulbricht, geschrieben, worin er sich voll und ganz auf die Seite der kommunistischen – m e i n e Meinung: – Diktatur und ihrer angewendeten Gewalt-Mittel stellte.
Vorsicht mit Wertungen, das ist vermintes Gelände ! Brecht hat zum 17. Juni ein Gedicht verfasst, das eindeutig Stellung zu Gunsten der Streikenden nimmt ! Aus dem Netz und mir auch so bekannt:
Erst viele Jahre nach seinem Tod erfuhr man, wie es wirklich gewesen war. Brecht hatte einen langen Brief an Ulbricht geschrieben und ihn und die falsche Politik der Regierung für den Aufstand verantwortlich gemacht. Er erhob scharfe Forderungen nach Reformen. Zum Schluß schrieb er die übliche Höflichkeitsfloskel, und vom ganzen langen Brief wurde nur diese veröffentlicht. Ein Telegramm, das er, erbittert, an Ulbricht schickte, blieb ohne Reaktion.
Brecht stand eben nicht auf der Seite der Regierung, sondern tatsächlich auf der Seite der aufständischen Arbeiter. In der „Welt“ fand ich am 8.9.59 den folgenden Bericht eines DDR-Flüchtlings:
„Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni hatte die Regierung viel Mühe, eine offizielle plausible Erklärung der kompromittierenden Ereignisse zu finden. Sie ließ sich sogleich beraten. Auf einer der historischen Sitzungen mit der Akademie der Künste und dem Kulturbund bekam sie den originellen Einfall, den Aufstand als einen faschistischen Putschversuch zu bezeichnen, auf den das Volk wie eine dumme Hammelherde hereingefallen sei.
Da erhob sich Bertolt Brecht und sagte …: ‚Ich habe eine Resolution vorzuschlagen. Da sich herausgestellt hat, daß unser Volk eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Regierung, sich ein anderes Volk zu wählen.“ Aus diesem ‚Vorschlag‘ entstand später ein Gedicht, das sich in Brechts Nachlaß gefunden hat, es wurde zum erstenmal, an unbedeutender Stelle in der „Welt“ vom 9.12.59, veröffentlicht:
Nach dem Aufstand des 17. Juni
ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
in der Stalinallee Flugblätter verteilen,
auf denen zu lesen war, daß das Volk
das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
und es nur durch verdoppelte Arbeit
zurückerobern könne. Wäre es da
nicht einfacher, die Regierung
löste das Volk auf
und wählte ein anderes?
Bertolt Brecht
Auch das, falls sie daraus irgendetwas gegen Brecht ableiten muss korrigiert werden:
Nach dem Aufstand des 17. Juni 1953 erschien im Neuen Deutschland folgendes Telegramm:
„An Walter Ulbricht. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken. Bertolt Brecht.“
Erst viele Jahre nach seinem Tod erfuhr man, wie es wirklich gewesen war. Brecht hatte einen langen Brief an Ulbricht geschrieben und ihn und die falsche Politik der Regierung für den Aufstand verantwortlich gemacht. Er erhob scharfe Forderungen nach Reformen. Zum Schluß schrieb er die übliche Höflichkeitsfloskel, und vom Brief wurde nur diese veröffentlicht. Ein Telegramm, das er, erbittert, an Ulbricht schickte, blieb ohne Reaktion.
Brecht stand eben nicht auf der Seite der Regierung, sondern tatsächlich auf der Seite der aufständischen Arbeiter. In der „Welt“ fand ich am 8.9.59 den folgenden Bericht eines DDR-Flüchtlings:
„Nach dem Arbeiteraufstand am 17. Juni hatte die Regierung viel Mühe, eine offizielle plausible Erklärung der kompromittierenden Ereignisse zu finden. Sie ließ sich sogleich beraten. Auf einer der historischen Sitzungen mit der Akademie der Künste und dem Kulturbund bekam sie den originellen Einfall, den Aufstand als einen faschistischen Putschversuch zu bezeichnen, auf den das Volk wie eine dumme Hammelherde hereingefallen sei.
Da erhob sich Bertolt Brecht und sagte …: ‚Ich habe eine Resolution vorzuschlagen. Da sich herausgestellt hat, daß unser Volk eine dumme Hammelherde ist, empfehlen wir der Regierung, sich ein anderes Volk zu wählen.“
Aus diesem ‚Vorschlag‘ entstand später ein Gedicht, das sich in Brechts Nachlaß gefunden hat, es wurde zum erstenmal, an unbedeutender Stelle in der „Welt“ vom 9.12.59. Es heißt Die Lösung.
Aber es ist bezeichnend, dass dies noch heute unterschlagen wird. Das ghört eben zum System. Brecht war weder Kommunist, noch Stalinist. Brecht ist einer der größten Dramatiker und, ja, auch Lyriker des 20. Jahrhuderts. Aber er ist gefährlich und sowas kehrt man unter den Teppich.
Auf der anderen Seite erstaunt es mich sehr, dass Sie einer Veröffentlichung in einem Zentralorgan einer Spießerpartei, wie es die SED nunmal war, Glauben schenken und nicht stutzig werden gegenüber soviel Schwachsinn. (Zeitung und Misstrauen gehörten für Brecht Zeit seines Lebens zusammen. Immer wenn er in einem seiner Werke das Wort Zeitung verwendet, kann man das als Metapher verstehen. Das erste Mal wendete er diesen Schlüssel in seinem frühen Gedicht Vom armen B.B. an. Die zweite Strophe lautet:
In der Asphaltstadt bin ich daheim. Von allem Anfang
Versehen mit jedem Sterbsakrament:
Mit Zeitungen. Und Tabak. Und Branntwein.
Misstrauisch und faul und zufrieden am Ende.
)
Bleibt die Frage warum B.B. es vorzug in den Osten zu gehen, nach Ostberlin. Brecht wäre gerne in eine andere damalige Zone gegangen. Aber dort hätte er niemals eine Arbeitsmöglichkteit gehabt. Nur die Russen wollten ihn ein Theater geben. Nicht ganz ohne Zögern nahm er an. Es war das einzige Angebot. Seine Erfolge feierte er aber dennoch in den letzten 10 Jahren im westlichen Ausland. (Paris, London). Er starb übrigens nicht als Deutscher und schon garnicht als DDR-Bürger. (Achso, das Preisgeld für den Friedenspreis, einer der höchsten Auszeichnungen der damaligen Sowjetunion, das er freilich nicht ausschlug, legte er restlos in der Schweiz an.)
Na so ein Zufall:
Sorry wegen der Doppelung aber scheinbar zitieren wir hier aus den selben Quellen: http://www.burkhard-leuschner.de/lit/brecht.htm
Was anderes habe ich auf der Schnelle auch nicht gefunden. Aber es gibt Hieb und Stichfeste Belege. Man kann das im Brechtarchiv in Berlin unweit seines Grabes (gegenüber liegt Hegel) nachlesen.
Scheinbar haben wir hier fast zeitgleich den selben Gedanken gehabt.
@didymus & montgelas. Brecht ff. Meine email an Montgelas, bevor er >>>> seine warnende Korrektur hier einstellte, die er mir erst einmal privat geschickt hatte, lautet so:
Nun ja, manchmal t r i t t man halt auf Minen. Können Sie mir Ihre Replik unter den entsprechenden Kommentar stellen? Besonders wichtig ist d a s : „Zum Schluß schrieb er die übliche Höflichkeitsfloskel, und vom ganzen langen Brief wurde nur diese veröffentlicht. “ Dann kann ich entsprechend reagieren. Wenn Die Dschungel dazu dienen, solche Sachverhalte klarzustellen, mag ich mich gerne auch einmal irren. Es zeigt nur, welche K r a f t Öffentlichkeit hat und daß man öffentlich austrägt, was öffentlich auszutragen i s t. Irren – aufgrund welcher sachlichen Vorgaben auch immer – tun wir alle; das ist nicht schlimm; schlimm ist, auf dem Irrtum zu beharren.
Meine Information stammt von Ostermeiers >>>> Augsburger Brecht-Festival abc, wo in einer Nachmittagsveranstaltung aus Brechts Briefen vorgetragen worden ist, u.a. zu „Brecht und die Obrigkeit“. Dort wurde dann eben auch – offenbar – besagter Brief in der nun als arg verstümmelt monierten Gestalt dem Publikum zur Kenntnis gebracht, in dem auch ich saß und – erschrak, es war ein durchaus angewiderter Schrecken. Insofern bin ich nicht unfroh, derart massiv korrigiert zu werden.
Und hierzu noch, Danke für diese Klarstellungen:
Nur die Russen wollten ihm ein Theater geben. Nicht ganz ohne Zögern nahm er an. Es war das einzige Angebot.
Ich hab da eine innere Gründgens-Assoziation, aber Verständnis; sehr wahrscheinlich hätte ich ähnlich reagiert.
Er starb übrigens nicht als Deutscher und schon garnicht als DDR-Bürger.
Wäre es nicht sinnvoll, einer von Ihnen beiden korrigierte den somit offenbar unrichtigen, bzw. fehlerhaft auslassenden (manipiulativen) >>>> Wikipedia-Eintrag? Besonders das:
Es geht vor allem um Untertöne, wie sie etwa der Hinweis auf das „relativ gut situierte Leben“ (als wär das was Schlimmes) verströmt. Und: Welche Staatsbürgerschaft h a t t e er denn, als er – immerhin in Berlin – starb? Da ferner doch wohl zu unterstellen ist, daß Brecht von Stalins Säuberungsaktionen wußte, ist außerdem zumindest die Frage zu stellen, inwieweit es den Mann gefährdet hätte, hätte er den „Friedens“preis abgelehnt. Dies alles ganz unabhängig von der Frage, wie man selbst reagiert hätte… also eben n i c h t wertend.
Am 19. Oktober reist Brecht und Weigel von Salzburg kommend über Prag, da er kein Visum für die amerikanische Zone erhält, in den russischen Teil Berlins. Im April 1948 bittet Brecht Gottfried von Einem im Zusammenhang mit Arbeiten für die Salzburger Festspiele um die Erlangung der Staatsbürgerschaft Österreichs. Er beruft sich darauf, dass seine Frau Helene Weigel Wienerin ist. Im Sommer 1951 wird bekannt, dass Brecht die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wurde. Gottfried von Einem ist zu diesem Zeitpunkt aus dem Direktorium der Salzburger Festspiele ausgeschieden. Brecht schreibt ihm unter anderem in einem Brief: … Ich verstehe nicht, wie man Ihnen als Künstler übelnehmen kann, daß Sie einem anderen Künstler geholfen haben. Den Pass Österreichs behält Brecht bis zu seinem Tod. Er stirbt am 14. August 1958 in Berlin, unweit „seines“ Theaters.
Muß heißen: 14. August 1956.
Danke. Das denken geht eben schneller als das schreiben. Gedacht und schreiben wollte ich, er starb 58 jährig am 14. August 1956 in Berlin.