5.08 Uhr::
[Birkenkötter (Solo für Cello solo, 1986) und latte macchiato.]
Heute früh, tatsächlich gleich beim Aufwachen (hatte ich davon geträumt?), dachte ich und dachte es bis hier auf dem Fahrrad weiter: wäre nicht der Pop, >>>> mein Verhältnis zur Demokratie wäre ein ausgesprochen entspanntes.. Zwar setzt sie in der Tat den selbstbestimmten („autonomen“), zudem gebildeten, also so kunsttheoretisch wie naturwissenschaftlich und kulturell ausgebildeten Menschen voraus – nach welchen Kriterien soll er denn Entscheidungen treffen? woher bildet sich denn der Geschmack?… also einen idealen, freien Menschen, an dessen so-Verfaßtheit ich zunehmend nicht mehr glauben kann; im Gegenteil, je älter ich werde und vor allem auch, seit ich Vater bin, merke ich Prägungen, sowohl genetischer wie ganz spürbar sozialer Art… Prägungen des Schmeckenkönnens etwa – nach vier Jahren Hort bevorzugte mein Junge mit Nachdruck Tütensuppen und stand feinerer, liebevoller Küche eher skeptisch gegenüber… – Demokratie, die rechtens funktionieren soll, bedarf eben k e i n e r Manipulation durch Marktinteressen und Massen, bzw. Gruppen… insofern ist sie ein i d e a l e s Gebilde, nicht etwa eines, das bereits das Anrecht auf reale Existenz erworben hätte – gleichwohl, wäre der Pop nicht, ich wäre ganz sicher Demokrat… schon weil die Demokratie mehr Chancen für die vielen Einzelnen birgt als irgend eine andere der bislang bekannten Regierungsformen. Das scheint mir trotz gelegentlicher Ausfälle (präventive Todesschuß-Erlaubnis, Nicken zur Todesstrafe und zu Guantánamo-Lagern) auf der Hand zu liegen – weshalb ich ebenfalls seit längerem dazu übergegangen bin, (Alltags-) Politik und Kunst strikt zu trennen; was für diese nötig ist, wäre, auf jene angewendet, katastrophal. Katastrophal ist, daß halt, umgekehrt, das, was auf jene angewendet werden muß, auch für diese katastrophal ist, und diese ist neben meinem Sohn mein tiefster Lebensinhalt.
Seltsam nur, wie mich >>>> das so zu beschäftigen scheint, daß es selbst in die Träume ging. Auslöser war aber auch noch etwas anderes, nämlich das Denokratische, wenn man so sagen kann, bei Beethoven, seine Begeisterung über die Französische Revolution und ihre Ideale… wovon ich gestern las. Und als ich das auf dem Fahrrad bedachte, fiel mir auf, daß bereits das Wort über den Idealismus, wenngleich indirekt, eine Wahrheit ausspricht. Wenn nämlich sich Materialismus, sein Opponent, von mater, „Mutter“, herleitet und somit dem Matriarchat verwandt ist, womit dann e r? Mit den „Vätern“… Diese Spur führt in die BAMBERGER ELEGIEN, zumindest in >>>> die zwölfte, die Vater-Elegie… doch bis meine Überarbeitung bei d e r angelangt ist, ist noch auf sechsen davor weiterzuschwimmen.
In die steig ich jetzt wieder hinein.
6.23 Uhr:
[Wagner, Tristan (Böhm).]
Im Verfolg meiner musikalischen Sammelleidenschaft kommt es vor, daß ich hier auch unvollständige Stücke archiviert hab, die ich z.B. aus Containern zog oder von Bekannten bekam, in deren Umkreis Haushalte aufgelöst wurden – so hör ich denn jetzt eine Tristan-Aufnahme, die vierzig Jahre alt sein mag (damals preßte man noch so seltsam: auf mechanische Plattenwechsler abgestimmt) und aus den LP-Seiten 1 – 3 – 5 und entsprechend 4 – 8 – 10 besteht; die übrigen Seiten fehlen, also auch der Schluß. Wenn man so etwas anhört, hört man immer Vergangenheit, hört etwas, das wie diese für die Erkenntnis/ für das Erfassen unvollständig bleibt; der Reiz besteht aber gerade in der Auslassung, die sich freilich aufgrund eigener Kenntnis imaginär leicht auffüllen läßt. Einige Aufnahmen hab ich davon; sie kultivieren mir ein Bedürfnis nach Fragment, dem das Bedürfnis nach Perfektion (der die Vollständigkeit entspricht) entgegensteht; beides bildet eine Spannung aus, die einen hohen Genuß erzeugt. Allerdings kommt der autoritäre Pragmatiker Böhm nicht von ungefähr an die glutvolle Beseeltheit des autoritären Exzentrikers Kleiber heran… man hört’s schon beim Vorspiel. Und gegen Margaret Price bei Kleiber klingt die Stahlstimme Birgit Nilssons bei Böhm nach Pappe – das mag allerdings an der historischen Aufnahme liegen.
14.54 Uhr:
[S-Bahn Halensee-Schönhauser Allee.]Bin nach Halensee gefahren, um den Ersatzakku für den Laptop zu besorgen; der Akku meines alten Acers lief nach dreieinhalb Jahren immer noch dreieinhalb Stunden; ich hatte ihn sehr gepflegt. Der Akku des neuen läuft derzeit nur anderthalb; immerhin hab ich ihn schon wieder von nur einer Stunde dahin hinaufgebracht; zu wenig ist das aber immer noch, wenn man reist. Und das tu ich ja morgen. Ebay war da dankbar, 39 Euro für einen Neu-Akku, der bei HP 150,– gekostet hätte. Die Geliebte gab mir das Geld. Nun kann ich beruhigt unterwegs sein.
Und ich hexametrisiere die Elegien auch noch in der S-Bahn, hier, weiter. Auch ein Vorteil von Laptops.
16.20 Uhr:
[Arbeitswohnung. Henze, Erstes Violinkonzert.]Kaum komm ich, wirklich glücklich über den neuen Akku, heim, geht gleich das Chaos wieder los. Zum einen finde ich einen Brief der Telekom, die mir den Anschluß kündigt, weil ich angeblich „letzte Rechnungen“ nicht bezahlt und auch auf Mahnungen nicht reagiert hätte – was schon deshalb nicht sein kann, weil eine Leserin die Telekom-Grundgebühr überweist – allenfalls steht noch ein Betrag vom Mai aus, für den Anschluß selber, also die Anschlußgebühr, für die ich in der Tat kein Geld hatte, – aber darüber kam nie eine Mahnung. Ich also versucht, bei der Telekom anzurufen – ein hoffnungsloses Unternehmen: Man hängt Ewigkeiten in der Warteschlange, bekommt endlich eine Verbindung, dann beendet der Verbundene deutlich hörbar und ohne auch nur Guten Tag zu sagen, die Verbindung – und man starrt irritiert ins Telefon. Das Ganze, klar, weil ja der FestnetzAnschluß gesperrt ist, übers Handy… – Und dann kontrollier ich mal meine Rechnungen bei Strato für DSL und finde jeden Monat z w e i Rechnungen, eine, die mir klar ist, und eine nochmal über den halben Betrag dazu, von der ich keine Ahnung habe, was sie soll… Immerhin geht der Netzanschluß noch… also ans ServiceCenter eine Mail geschrieben, und nun muß ich abwarten. Ärgerlich, weil all sowas den Arbeitsprozeß an den Elegien hemmt. Und sowieso. Aber Hans Werner Henze, immerhin, mildert…