18.04
…daß nur ein blindes Schicksal den Menschen gerecht trifft.
Krauss, Graciáns Lebenslehre 35
Ich bin heute über diesen Halbsatz gestolpert. Und setze ihn mitnichten blind hierher, sondern mit einer Piratenbinde. Ich versuche schon die ganze Zeit, die Implikationen auszuloten, so daß heute ausnahmsweise mein Schreiben die übliche Reihenfolge auf die Kopf stellte und erst italienische, dann deutsche Verse schrieb – und nun, zuallerletzt das Tagebuch. Auch weil ich vermeiden wollte, den üblichen Alltag zu beschreiben (davon nur ein ganz kleiner Einblick im italienischen Blog, wo ich heute noch nicht den vierten Teil der Alma-Picchiola-Übersetzung eingestellt habe, den ich zwar angefertigt habe, der aber noch einmal durchzulesen ist). Aber zurück zu den Implikationen des Zitats. Sehr spontan schien es auf mich anwendbar. Auch weil auf den Seiten zuvor ein weiterer Halbsatz mich nachdenken ließ: Nicht der direkte Weg sei der kürzeste. Was mich auf Erlebnisse aus der Schulzeit zurückwarf. Ich ging auf dem Weg zum Bahnhof oft andere Wege als die Klassenkameraden aus meinem Dorf. Und dachte ähnliches. Wenn ich also durch den Wallgraben ging und sie drum herum, dann dachte ich: mein Weg sei zwar schwieriger, aber direkter. Scheinbarer Widerspruch. Dennoch dachte ich es so, weil ich es reflektierte. Mutatis mutandis: Der schwierigere Weg ist der kürzere. Eine gewisse Verwandtschaft in der Wegeauffassung und im Negieren der Vortrefflichkeit dessen, was leicht aussieht. Wenn aber das Schicksal blind ist, und es ist blind, dann ist es für jeden Menschen gerecht. Ich dachte erst, es könne positiv für mich so paraphrasiert werden: Das Leben ist gerecht, wie auch immer das Schicksal über einen hereinbricht. Was meiner alten Tendenz entgegenkommt, das Ich des Augenblicks immer als das Ergebnis einer Kumulation zu betrachten. Jetzt bin ich eher negativ eingestellt, weil mir der Halbsatz seinen Katholizismus offenbart: Das Schicksal ist blind, und sei es nun gut oder böse, es ist gerecht. Denn in der Alternative dachte ich noch an ein selbst geschmiedetes Schicksal, daß dann nicht gerecht wäre, weil nicht blind. Aber das geht in die Sphäre eines freien Willens, den es aber nur insofern gibt, als er sich in seinen Ergebnissen äußern kann, nicht aber in seinen Absichten, und da kommt’s immer auf das blinde Schicksal an und auf die Gaben des Einzelnen und diejenigen des anderen Einzelnen. Stolpern ist jedenfalls eine bessere Gabe, als eine gut gebratene Gans.