Arbeitsjournal. Donnerstag, den 1. März 2007.

6.15 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Verschlafen. Kein Wunder, nach dem Gespräch gestern abend, nach den Bieren auch, denen zwei Wein vorhergingen usw. Geträumt hab ich wohl von Daktylen und Trochäen. Ich muß jetzt überlegen, ob ich die für mich strenge Form des Schein-Hexameters zu einer objektiven mache oder die Elegien freier halte, als ich wollte. Mir kommen, anders als >>>> ferromonte, die bisherigen Ergebisse in den Zweiten Fassungen zu schön vor, um das wieder zu gefährden. Aber das mag ein Ergebnis meiner heutigen Träume sein.
Werde jetzt die 8.28er S-Bahn nehmen, um den 9.03er ICE ab Südkreuz zu bekommen. Dann werd ich um 12.47 Uhr in Bamberg sein und die Lesung heute abend vorbereiten (Geschlossene Gesellschaft vor den Rotariern, sonst hätte ich sie Ihnen wie gewohnt angekündigt).

Baff machte mich eben >>>> das. Wie unmittelbar und schön Terpsichores Text wirkt, gerade auch in der Beklemmung, die er als eine Weiterführung/Variation >>>> hiervon auslöst. Wie eine Erzählung, die sich nicht chronologisch, sondern aus ihrer Mitte her entwickelt. Ein Leben, das sich so entwickelt, als stünde nicht zu Anfang Geburt (zu Ende nicht Tod), sondern zu Anfang diese Mitte, die ein Schmerz ist. Das klingt jetzt wie eine Elegien-Zeile, und nicht grundlos. Übrigens mag Kühlmann die Duineser Elegien nicht („Da ist ja überhaupt k e i n Versmaß. Und dann: diese rüschenbesetzten Vers-Deckchen, völlige Bügerlichkeit! Was S i e da machen, ist doch was ganz andres!“ Wenn man selbst die Duineser Elegien liebt, dann muß man bei solch einem Kompliment schlucken.) „Ich hab bei Ihnen mehr an Goethes Römische Elegien gedacht.“ Und es hat ihm (deshalb?) in den meinen ein deutlicherer Bamberg-Bezug gefehlt. Ich wiederum habe >>>> Goethes Elegien nie gelesen. Ich such sie jetzt gleich bei Gutenberg raus und lese sie im Zug. Es kommt mir sowieso zunehmend wichtig vor, von Goethe zu lernen. Er hat wirklich a l l e s ausprobiert und sich j e d e Form zuhanden gemacht.
Auf der Lesung am 16. 3. in Heidelberg soll ich nun nur Lyrik lesen; ich las Kühlmann auch aus >>>> den Gedichten vor. Manches, etwa das >>>> Mariengedicht, hat ihn fast beglückt so daß wir dann nachts

auch der Profi war noch hinzugekommen ins
An einem schönen Sonntag im August… kam rein und sagte als erstes:
„Meinen Sie beide wirklich, daß Ihr altersmäßig hier hingehört?“…

noch über Katholizismus ./. Protestantismus diskutierten und ich irgendwann sagte: „Wissen Sie, manchmal kommt mir der Gedanke, daß ich eines Tages konvertieren werde.“ Und er: „Wenn man Ratzinger liest… man muß gar nicht glauben, aber das ist theologisch wirklich ein intellektueller Genuß. Dagegen die Protestanten mit ihrer politischen Korrektheit, die alles, was wehtut, leugnet und umschreibt. Haben Sie sich mal die neue Bibelübersetzung angesehen? Grauenhaft!“ Der Profi, als Rheinländer sowieso Katholik – nichtgläubig, klar, pragmatisch und wahrlich keiner Inquisition zugeneigt –, grinste nur.

7.19 Uhr:
Ach so, n o c h was sagte Kühlmann, das mir unmittelbar einleuchtete: „So iritierend Ihr Weg in die Lyrik jetzt auch allgemein vorkommen mag… aber wie wollen Sie denn ästetisch noch über ARGO hinaus? Es gibt für den Roman vielleicht gar kein formales Darüber-hinaus mehr, sofern er noch, wie Ihre Bücher wollen, erzählen will. Und da suchen Sie jetzt einen anderen Weg.“ Und das, nachdem er mich wegen meiner zu unreinen Hexameter derart auseinandergenommen hat.
Und noch was: „In Ihren Büchern ist Sexualität immer mit Schmerz verbunden.“ Ich: „Nein, es ist nicht der Schmerz. Es ist die Gewalt.“ ‚Gewalt‘ meint mehreres: sowohl die Gewaltigkeit wie Gewalttätigkeit, die allein schon im Penetrieren, also der Verletzung einer (dem autonomen Ich verdinglichten) Körpergrenze liegt. Man dringt ja in den fremden Körper ein, bzw. läßt eindringen. Hierzu die Fünfte Elegie (in der Erstfassung):

„Jeder neue lover, wenn er das erste Mal eindringt,
infiziert uns“, so U., die Freundin. „Fast immer Mykosen,
Ureteritis sehr oft, kaum je bleibt es nur eine Reizung.
Manchmal sind’s Trychomonaden. Nicht so sehr schlimm, aber lästig.
Deshalb fragen wir immer: Ist es das wert?“

9.08 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]
So, im Zug. War so in Gedanken, daß ich erst einmal in die falsche S-Bahn eingestiegen bin. Aber da genügend Zeit war… sowieso komm ich nahezu immer zu früh wo an und tigere dann wie im Zwinger dicht an den Gitterstäben der Wartezeit permanent auf und ab. Nur, wenn ich am Schreibtisch denke und schreibe – auch eine Form intensiver Bewegung -, ist, von den Fingern abgesehen, meine physische Motorik ruhiggestellt. Es wäre auch so, verstünde ich, ein Instrument zu spielen; da bestünde aber dann die Gefahr einer glenn-gouldschen Autistik. Die mir s o gänzlich abgeht. Musik könnte mich auch ‚ent-testeronen‘, vergeistigen in einem durchaus religiösen Sinn. Literatur, auch Dichtung, kann das nicht. Eher im Gegenteil.
Werd jetzt aus sämtlichen auf dem Laptop noch geöffneten Browser-Fenstern Goethes Elegien in eine eigene Datei herauskopieren, abspeichern, dann lesen und durcharbeiten; d.h. über jede Verszeile den Rhythmus hinzuschreiben. Bis ich‘s gefressen haben werde. Lehr-, nein Lernzeit ist wieder angesagt.

9.38 Uhr:
Bei >>>> dem hier mußte ich eben ziemlich lachen.

Alexander und Cäsar und Heinrich und Friedrich, die Großen,
Gäben die Hälfte mir gern ihres erworbenen Ruhms,
Könnt ich auf eine Nacht dies Lager jedem vergönnen;
Aber die Armen, sie hält strenge des Orkus Gewalt.
Freue dich also, Lebendger, der lieberwärmeten Stätte,
Ehe den fliehenden Fuß schauerlich Lethe dir netzt.
Römische Elegien, 10.

13.14 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Ich hab jetzt viel herumprobiert, auch Goethes Elegie gelesen und je das Versmaß gut nachvollziehen können (auch e r, übrigens, schummelt bisweilen; zudem gefallen mir diese Elegien nicht, sie haben oft einen travestierenden und ironischen Beiton, den ich ja gerade nicht will; vor allem sind sie nicht sinnlich, sondern heben alles, was wirklich Fleisch und Sekret ist, in einer versöhnlichen Geste des klassischen Lächelns eines Granseigneurs auf, der sich simple liebe Mädel leisten kann und halt leistet) — bon — oder vielmehr: schlecht. Denn während ich an meinen eigenen Versen ausprobiere, bekommen auch s i e diesen Ton oder sogar noch einen zopfigen dazu – so daß ich auf dem Fußweg vom Bahnhof hierher wieder meinte, meine alte Idee aufzunehmen, die den Hexameter nur anspielt, so daß er als Klangfolie oder Geruch merklich ist, die/der unter der Dichtung liegt, sie aber de facto nicht ist. – Darüber werde ich in einer halben Stunde meinen Mittagsschlaf machen.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, den 1. März 2007.

  1. die den Hexameter nur anspielt, so daß er als Klangfolie oder Geruch merklich ist, die/der unter der Dichtung liegt, sie aber de facto nicht ist.

    Ja.

    1. @montgelas. Es gäbe mehr poetische Freiheit. Wäre aber andererseits auch so etwas wie ein Versagen vor der eigenen Vornahme. Was mich imme verdrießt. Wahrscheinlich überarbeite ich jetzt erst einmal – wie I, II, III und IX bisher – auch die anderen Elegien auf ihre Zweite Fassung hin und schaue d a n n. Damit ich mich hier nicht restlos verknurpsel.

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