Arbeitsjournal (1). Dienstag, der 19. Juni 2007.

5.14 Uhr:
[Arbeitswohnung.]Erledigungstag, die laufende Arbeit ist eh unterbrochen. Post, auch miese, ist zu öffnen und zu reagieren. Der Schreibtisch ist aufzuräumen und zu säubern, nachdem der erste lange Arbeitsgang wegen der >>>> Stromboli-Dichtung mit der >>>> Fertigstellung des Rohlings abgeschlossen, im Zug nach >>>> Hausach auch bereits die Überarbeitung der >>>> BAMBERGER ELEGIEN wieder aufgenommen ist. Bevor ich mich da hineinwühle, sollte ansonsten, soweit möglich, klarschiff sein. Von einer mir lieben Leserin, die bereits das Typoskript durchgeschaut hat, kam der Einwand, daß das „Eidechsen-Bild“, das das Ende der AEOLIA-Gesänge beherrscht, zu spät sei; ich selbst hatte schon den Verdacht, daß die kleine Anspielung durch einen >>>> „Chor der Eidechsen“ in etwa Mitte des Textes nicht reiche. So werde ich noch ein klassisches Sonett einschieben ins Finale, genau auf die Spiegelachse des hexametrisierten doppelten Spiegelsonetts, aus dem das Finale besteht und werde einerseits auf Gottfried Keller anspielen (>>>> „Dies war der einzige und schönste Schmuck/Den ich in meinem Leben je getragen!“ (Strophe 12)), andererseits auf ein anderes „Lebendig begraben“, nämlich >>>> Dorothea Dieckmanns „Guantánamo“, worin ich gemeint hatte, sie habe Gottfried Kellers Bild ganz bewußt aufgegriffen. Hier muß klarwerden, daß der „Held“ der AEOLIA-GESÄNGE eben n i c h t springt, nicht e r, sondern daß er eben nur der „Chronist“ ist und das in dieser Nacht auch begreift.
Vorher aber möchte ich, der latte macchiato steht neben mir, ein wenig von Hausach erzählen und ein paar wenige Bilder dazu einstellen, die etwas von der Stimmung dieses Literaturfestivals vermitteln. Außerdem muß ich für meinen Jungen die Entschuldigung dafür schreiben, daß ich ihn zwei Tage aus der Schule genommen habe; ich werd ihn dann auch selbst zur Schule bringen, damit er da nicht in eine unangenehme Situation gerät.
Näheres und Weiteres also im Laufe des Tages. Guten Morgen, Leser. Und nun ran an die ersten anderthalb Stunden dieses Tages.

8.14 Uhr:
[Händel, Flavio.]
Von der Schule des Jungen zurück (völlig problemlos, das mit der Entschuldigung), zweiter latte macchiato, erste dicker Cigarillo, und bei Händel unterm Schreibtisch die Füße im Pflegebad – fällt mir ein, daß mit „Erledigungstag“ heute durchaus nichts ist, weil ich bis zum Abend einen Text über den „neuen“ Alexanderplatz geschrieben und auch schon abgegeben haben muß, der vor Ort, aufgrund dortiger Beobachtungen, entstehen soll – so daß ich radikal ein Experiment versuchen will. Sowie ich mit dem Hausach-Text fertigsein werde, radle ich zum Alex rüber, setze mich da irgendwo hin, beobachte und schreibe simultan, was ich sehe… wobei ich ein – aus Zeitgründen allerdings „freies“ – Versmaß verwenden will. So etwas liegt bei meinen gegenwärtigen Arbeitsinteressen nahe. Morgen, spätestens übermorgen werd ich den Text dann im ARD-Hauptstadtstudio aufsprechen; schön find ich das, weil ich lange nicht mehr dagewesen bin. Und daß mir bis zum Alex unter René JacobsHändel „erlaubt“ ist…

[…ruft eben Do für den Feedback wegen AEOLIA an; und was, mit
anderen Worten und anderem äußeren Inhalt, die Leserin schon ausdrückte:
irgendwas stimmt noch nicht gänzlich mit dem Abschluß; die Idee, ein
“Eidechsensonett” auf die Kippstelle des gespiegelten Doppelsonetts einzufügen,
führte zur sofortigen Zustimmung; „jajaja, das genau könnte es sein!
Aber l a ß das Ende ansonsten so…, nimm nicht die stilistische Irritation wieder
weg…“ – jedenfalls das unbedingte Gefühl, den richtigen Weg gegangen zu
sein… das bestätigt sich – was immer der Betrieb dann auch sagen mag… er
möge mich götzen; in der Manier von Berlichingens, und zwar ausgebig.]


… ist geradezu wundervoll. So sing ich also vor mich hin m i t und schreibe eben das Hausach-Textchen zuende. Danach geht’s dann zum Alex. Nur möge mir der Funk diese zwei Opernstunden l a s s e n.

10.12 Uhr:
[Noch Händel.]
>>>> Fertig. Zweidrei Mails noch, dann geht es zum Alex.

16.42 Uhr:
Nein, das hat so nicht geklappt, wie ich mir das vorgestellt habe; das war geradezu greenhornig, was ich da dachte. U n t e r dem Platz findet man gar keinen Ort, an dem es sich bleiben ließe, es sei denn, man setzte sich irgendwo auf eine der Treppen von und zur U-Bahn. Und oben sitzen die Touristen, oder die Sonne scheint so sehr auf den Screen, daß man gar nichts erkennt. Also flanierte ich und fotografierte hier, fotografierte dort, landete schließlich in der Speiseabteilung der KAUFHAUS-GALERIA und bestand in der Käse-Abteilung die scharfen Attacken auf mein kleines Honorar nicht.
Dann heim, dann geschlafen eine tiefe Stunde; jetzt überspiele ich die Fotos, werte sie aus und beginne nach Rasur und Dusche zu schreiben. Man gab mir noch etwas Zeit d a z u, bis morgen um elf Uhr vormittags. Das sollte reichen.

22.54 Uhr:
[Stuart MacRae, Violinkonzert.]
Nachdem ich dann noch per Mail dringend daran erinnert wurde, es seien bis morgen auch noch die Titel und abstracts meiner Heidelberger Poetik-Vorlesungen abzugeben, war klar, daß ich heute Spätschicht einschieben müsse… also sagte ich dem Profi das Bartreffen ab und radelte, nachdem dem Jungen zur Nacht vorgelesen war, in die Arbeitswohnung zurück, wo ich nun schon seit n o c h einer Stunde >>>> die Alex-Bild-Collage hergestellt habe, die mir gleich und morgen in aller Frühe für den kleinen Rundfunk-Text als Orientierung dienen soll. An sich bin ich müde, aber es hilft nichts. Vielleicht laß ich aber das mit dem Versmaß fallen und schreib eine Prosa; andererseits r e i z t mich das Versmaß… Mal sehen, es wird eine Frage, wie in der Mathematik, des Ansatzes sein. Und wie meditiv einen Neue, also nicht-tonale Musik dabei stimmt, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Manchmal denke ich, mein Dissenz mit dem Literaturbetrieb hängt einzig damit zusammen, daß diese Leute derart an den Süßigkeiten der Tonalität hängen und eben dran backenbleiben; sie kriegen einfach nicht mehr den Arsch vom Stuhlsitz ab, auf dem zudem noch marshmallows liegen. Es gab da mal eine Karikatur von, ich glaube, Bernstein: „Unterwegs im Weichkäse“ hieß die. Daß solches Unterwegssein meist auch noch impliziert, daß Tonalität mißverstanden wird, nämlich als gemütliches Wohnzimmer, steht auf den weiteren Blättern der Rezeptionsgeschichte, ziemlich verwehten, ziemlich schnell immer wieder weggepusteten, wenn es sie d o c h mal irgendwo niedertrudeln läßt.

3 thoughts on “Arbeitsjournal (1). Dienstag, der 19. Juni 2007.

  1. irgendwie … sie Sie total lustig.
    trotz ständiger selbstquälerei
    fehlt’s Ihnen nicht an humor.

    den alex hab ich als westkind
    schon gehasst. groß, heiß
    und platt.

    😛

    1. als ich kind war … pfiff da in erster linie der
      wind übern kahlen platz.
      dann kam erstmal
      lange zeit nix.

      selbstquälerei ist
      mein eindruck, ob
      das faktisch so ist,
      weiß ich nicht.

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