Das Weblog als Dichtung. (2).

Denn die in Weblogs kommentierenden, sich also selbst einbeziehenden Leser treten – ob anonym oder nicht – als Avatare ihrer selbst auf; oft, so schrieb ich an anderer Stelle, tanzen im Netz die IchIdeale; auch sie sind letztlich Literatur. >>>> So daß sich dem bloggenden Romancier nicht selten die Romanfiguren selber zuspielen: gewissermaßen >>>> kybernetisieren sich die Leser und treten als ideale Figuren aus ihrer persönlichen Realität in die Netz-Erzählungsie treten in einen Roman ein: so läßt sich das formulieren. Analytisch gesprochen, machen sie sich ebenso zu einer Projektionsfläche, wie für sie der bloggende Dichter eine ist. Und zwar um so leidenschaftlicher, je stärkere Zustimmung oder stärkeren Widerspruch seine Netz-Repräsentanz in ihnen bewirkt. Denn er selbst macht sich im Netz zu einem Avatar, zu einer Romanfigur – und dies je nachdrücklicher, je intimer er sich in seinem Weblog darstellt. In den vergangenen zwei Jahren, während der ich mein Literarisches Weblog DIE DSCHUNGEL. ANDERSWELT entwickelt und betrieben habe, wurde mir dieser Sachverhalt allmählich klar. Hatte ich mich anfangs noch gegen persönliche Offenbarungen in Form eines Tagebuches gewehrt, so ist das Tagebuch heute eine der tragenden Säulen Der Dschungel geworden. Hierbei ist es – und genau darauf kommt es erkenntnis- und kunsttheoretisch an – restlos unwesentlich, ob die in dem Tagebuch erzählten Inhalte tatsächlich auf realen Entsprechungen beruhen; das genau ist für Leser so wenig nachprüfbar wie der autobiografische Gehalt von Büchern. Deshalb meine heutige Hauptthese, derzufolge sich im Kommunikationsraum des Internets Literatur realisiert.

13 thoughts on “Das Weblog als Dichtung. (2).

  1. Ist es nicht so, dass nicht nur die Leser in einen Roman eintreten, wie Sie schreiben, sondern durch das Internet nun auch die Möglichkeit gegeben ist, dass der Roman in das Leben des Lesers >>>>> eintritt, dass ihm also die Gelegenheit geboten wird, Romanfiguren tatsächlich zu begegnen?
    Sie sehen, die Frage treibt mich um.

  2. Interessante These… …die Sie da aufstellen. So habe ich das noch nicht gesehem! Die Glaubwürdigkeit von Inhalten in Kommentaren steigt, wenn der besprochene Inhalt nachprüfbare Fakten betrifft und sinkt, wenn er eher in persönliche Bereiche übergeht. So kann ich zwar behaupten, es würde heute in Düsseldorf, jetzt in diesem Moment regnen, werde jedoch direkt der Lüge überführt, indem ich mir die auf Fakten beruhende Information aus dem Internet ziehe und feststelle, daß dem nicht so ist. Auf der anderen Seite kann ich behaupten zwei Kinder groß zu ziehen, dank meiner Anonymität wird es niemandem gelingen, mich einer Lüge zu überführen. Falls es denn eine ist.

    Aber hier liegt auch das Dilemma: jeder, der auf Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit hofft, wird früher oder später enttäuscht werden.

  3. Handelt es sich dann dabei (in Fortführung von Hedigers Gedanken) um eine Auflösung der klassischen literarischen Gattungen, wenn etwa Romanfiguren anfangen, ein Eigenleben zu führen, sich hier (oder woanders) äußern, zu Wort kommen, also eine Bewegung vom Roman weg hin zum Drama?
    frage ich mich gerade.

    1. Ich habe den Eindruck (und bin mit meinen literarischen Unternehmungen auch nicht ganz unschuldig daran). Daß sich die Formen m i s c h e n: Die Trennung zwischen Realität und Fiktion (also die Realitätskraft des Fiktionalen – etwa an der Börse, die ja zu ganz konkreten Katastrophen, aber auch zu guten, zuvor kaum möglichen Entwicklungen führen kann) wird sehr ungefähr, sehr behauptet; so auch die Trennung zwischen Figur und tatsächlicher Person, IchIdeal und wahrgenommenem Ich usw. Auch dies findet sich bereits in der frühen literarischen Moderne, etwa bei Broch; in Deutschland wurde die Entwicklung von Hitlerdeutschland zerschmettert und landete dann wieder, wie wir jetzt erleben, bei einem Schein-Realismus, der bereits in den 20ern des letzten Jahrhunderts nur noch hätte lächeln lassen. Dagegen stellen sich nun Netz-Entwicklungen, die geradezu danach schreien, künstlerisch bearbeitet zu werden. Übrigens nicht nur hier, sondern auch im ‘guten alten’ Buch; die diesbezüglichen Fähigkeiten des ‘konservativen’ Romans sind noch längst nicht ausgeschöpft. H i e r aber finden sich die ganzen Finger und die Richtungen, in die sie zeigen.

    2. Vermischen, genau. Der Schwerpunkt an sich wird ja NICHT verlagert, eine Art Osmose. Wenn ich nicht irre, haben Sie in derlei Zusammenhängen ja auch schon von Diffusion gesprochen.
      Eine weitere Frage:
      Verstehen Sie SELBST Ihre Theorie als eher normativ oder eher deskriptiv? Bzw. wie möchten Sie sie verstanden wissen, da es sich dabei ja auch um ihr eigenes programmatisches Konzept handelt (Fragezeichen. Wenn es so ist).

    3. Normativ ganz sicher nicht. Das wäre vermessen und auch ein wenig dumm (schon weil eingrenzend). Deskriptiv also eher. NUR: In dem Moment, in dem ich es öffentlich formuliere, habe ich Anteil daran, es in Bewegung zu setzen oder die Bewegung zu bestätigen, bzw. sie sogar zu beschleunigen. Ich verstehe Theorie (das ist ja eigentlich ‘Gottes-Kunde’, also etwas, das sich mit Schöpfung beschäftigt) insofern durchaus kreativ: Die poetische Spekulation auf einen Sachverhalt könnte ihn – schaffen. Genau diese Prozesse werden ständig in den ANDERSWELT-Büchern erzählt. Die Trennung zwischen Beobachter und Beobachtetem ist, denke ich, letztlich nicht aufrechtzuerhalten. Das betrifft auch das Verhältnis von Autor und Figur: Auch dieses wird in einem Literarischen Weblog, wie ich es verstehe, zum Material und projeziert sich auf Beiträger und Kommentatoren.

      Zum Schwerpunkt (dem, sagen wir, Aussichtsturm der Erzählperspektive) stelle ich später oder morgen noch etwas ein und >>>> verlinke das dann h i e r*. Skizziert ist der Text bereits.

      *) Erledigt, 3.11.

  4. … sofern man es für wahr hält, was man liest, ist es auch wahr. ganz unabhängig davon, um welche realität oder nicht-realität es geht. da muß man nicht erst auf Cervantes verweisen. insofern hat Hediger recht, in einem roman zu wandeln, dessen hauptdarsteller Alban Nikolai Herbst ist. um dann vielleicht wieder am Amazonas zu landen. dasselbe gilt für die beziehungen zwischen den menschen, die sich in der netzwelt herstellen, von der sie leben (die frage ist: meine ich nun die beziehungen oder die menschen? möglicherweise beides). hinter all diesem für-wahr-halten verbergen sich alle blogs, wie auch alles schreiben, ob plauderblogs oder literarische blogs. dies behaupte ich, bin aber dennoch verunsichert. verknüpft sich nicht auch ein gedruckter text mit anderen texten, auf die er direkt oder indirekt verweist? ich fürchte ja. ist text nicht überhaupt netzwerk? daß nun per link, die vernetzungen sozusagen materialisiert werden können, erscheint mir wie die erfindung des taschenrechners. oder quasi. auch weil die links wie die direkten oder indirekten vernetzungen eines textes immer auch des clickens bzw. des vorwissens/wissendurstes bedürfen, um ihrer netz-funktion gerecht werden zu können. ein faden hat zwei enden, ein netz unendliche verknüpfungen zwischen den enden der einzelnen fäden: jeder bestimmt sein eigenes ende (oder auch die technik, wenn die verbindung ins netz schlecht ist – dann geht es einem wie Drehmann, man ist plötzlich weggeschaltet (genau: der netz-nutzer im nießnetz ist ein holomorfer)). auch die fischer haben netze, die fahren aufs meer und müssen navigieren: die fische immer unter wasser, man sieht sie nicht, drum braucht es netze, um sie zu fangen. petri heil

    (so paar gedanken im off)

    1. Es gilt also sozusagen nur noch die Kategorie des kreativen Ich, die beschreibt und gleichzeitig postuliert. Wenn ich falsch liege, bitte ich um Korrektur.

      Ich denke deshalb nicht, dass es sich dabei um die Erfindung des Taschenrechners handelt. Ein Taschenrechner stellt schließlich keine subjektiven Bezüge her. Andererseits: Die Abhängigkeit von einem gewissen technischen Standard finde ich auch bedenklich. Literarisches Webloggen oder Literatur im Netz lässt nichts übrig, was nach dem Armageddon von der Nachwelt zu rekonstruieren oder zu deuten wäre. Es überliefert nicht.
      Stellt kein Kontinuum her.
      Ist es/sie also anti-konservativ?

    2. Nicht “n u r noch”. @ Elsa. Und für die anderen auch. Sondern diese Position ist mit einer Objektivität vermittelt, von der sich allerdings nie sagen läßt, inwieweit sie nicht selbst einen fiktiven Charakter hat, sowie mit einer ganz dinglichen (in Strombergs Sinn: “in Düsseldorf hat es geregnet”), welche nicht hintergehbar ist, aber für die bewegenden Fragen, etwa moralische, kaum taugt. Hingegen ob tatsächlich ein Mann namens Bin Laden den Anschlag auf die WTT hat verüben lassen, das können und müssen wir glauben; einen Beweis dafür hat niemand von uns – ebenso wenig wie dafür, es habe der CIA mit die Hände im Spiel gehabt. Usw. usw. Wir sind insgesamt für unsere politischen Welterklärungen rein auf den Glauben, auf Wahrscheinlichkeitseinschätzungen usw. angewiesen. Und mit dieser von meiner Romantheorie (und -praxis) behandelten Tatsache wird Politik gemacht, objektiv. Deshalb unter anderem fokussiere ich sie so.

      Die Abhängigkeit von einem gewissen technischen Standard gehört zur menschlichen Anthropologie; der Mensch zeichnete sich, seit er als Mensch definiert ist, genau dadurch immer aus: für die Vorvergangenheit hat die Beherrschung des Feuers, die ja Technik i s t, eine wahrscheinlich größere Bedeutung als die Beherrschung der Cyberräume heute; zumal beide Beherrschungsformen scheinbare sind. Ähnliches gilt für das Rad, die Elektrizität usw. Die Frage des Kontinuums ist eine des HInblicks auf Ausdehnung: ab wann i s t etwas ein Kontinuum und ab welchem Zeitraum noch nicht? Gemessen an der künftigen – kosmischen – Erd- und Sternengeschichte ist es ohnedies müßig, von “Weitergabe” zu sprechen; aber eben auch eine wie GOtt zu vernachlässigende Größe,wenn wir irdisch-humane Verhältnissen im Blick haben. Wenn Sie sich klarmachen, daß sich die Lebensläufe von Konrad Adenauer und Johannes Brahms tatsächlich überlappt haben, wird Ihnen schnell klar, wie unangemessen eine Vorstellung von “Weitergabe an die Nachwelt” ist – also wenn man die Dignität eines Gegenstandes, etwa Kunstwerks, an Dauer bindet. Abgesehen hiervon, ist namentlich bei fluxus, aber in vielen Arbeiten Beuys’ immer der Gedanke dagewesen, bewußt etwas Vergänglicheszu schaffen, das seinen Wert, wie ein Kuß, aus dem Moment zog. (Und abermals Walter Benjamin: Wahrheit schieße auf und sei schon fort.)

    3. Unsterblichkeit Scheinbar liegt der Schlüssel in dem Wort WEITERGABE versteckt.
      Ich reihe mal einige Worte auf, die mir dazu einfallen:
      Neben Weitergabe: Erinnerung, Vergänglichkeit, Veränderung, Unsterblichkeit.

      Weblog und Dichtung. Unterschied Buch und Weblog. Was will der Dichter?

      Sollte ich Richard Dawkins glauben („Das egoistische Gen“) so liegt sämtliches Handeln aller Lebewesen nur in der Weitergabe des Erbgutes begründet. Was zu beweisen wäre. Die Vorstellung scheint aber erdrückend plausibel.

      Die Weitergabe von Wissen oder Kunstwerken, deren Erhalt für die Nachwelt – leider nur bis zu nächsten Implosion des Universums – scheint zwanghaft mit dem Begriff der Unsterblichkeit einherzugehen. Wobei dieses Wissen und auch die Kunstwerke einer ständigen Veränderung unterworfen werden. Wissen wird verändert, verworfen, neu geordnet, Kunstwerke werden interpretiert oder inspirieren andere Künstler zu neuen Kunstwerken, etwa der gleichen Stilrichtung.

      Da wir Menschen dem Tier voraus haben uns nicht nur zu erinnern sondern auch in die Zukunft zu planen – wobei beides eng miteinander verknüpft ist – brauchen wir diese Erinnerungsspeicher, Manifestationen unserer Erinnerung, seien es Kunstwerke oder Bücher usw. um uns in die Zukunft zu planen.

      Der Dichter projeziert sich selbst, durch die Planung und Ausführung seines Kunstwerkes, in die Unsterblichkeit. Man wird sich an ihn erinnern, da man seine Bücher noch in vielen Jahren lesen wird (die Skulptur des Künstlers im Museum betrachten wird).

      Der Unterschied zwischen dem LitBlog (WebLog etc.) und einem Buch liegt primär in der Sensorik. Ein Buch kann ich anfassen, es „be-greifen“, kann es immer wieder und wieder im gleichen Aggregatzustand lesen ohne Gefahr eines Datenverlustes, ohne es erst booten zu müssen. Es verändert sich nicht. Beim Sachbuch geschieht diese Veränderung ab und zu durch eine „erweiterete Neuausgabe“, bei der Belletristik duch eine Neuübersetzung oder durch eine Ausgabe, die nicht gekürzt oder zensiert ist. Ein WebLog jedoch verändert sich spontan und ständig. Kommentare werde im Augenblick hinzugefügt, Bemerkungen gestrichen oder gelöscht. Das Ausgabemedium kann „abstürzen“, der Rechner nicht booten, der Provider versagt, die Seiten werden nicht richtig ins Netz gestellt oder einfach falsch gerechnet als Datensalat präsentiert.
      Hier laufen wir Gefahr, daß wir unserer Erinnerung nicht mehr trauen können. „Hatte ich das eben nicht anders gelesen?“, „stand das wirklich so da?“, „hat da jemand was gelöscht?“. Ausserdem werden zuvor getätigte Eintragungen durch dahinter gemachte Kommentare mitunter verzerrt, geraten in eine Schieflage, werden kritisiert, hinterfragt… Somit verhindern viele virtuelle Mit-Eintragende, daß ein Kunstwerk eines E i n z e l n e n entsteht.

      Hier ist es natürlich aus künstlerischer Sicht sicher reizvoll, daß der einzelne Autor, der die Gabe der gesteuerten, polymorphen Schizophrenie beherrschen muß, um v i e l e Romancharaktere interagieren lassen zu können, diese Aufgabe nun an e c h t e, wenn auch virtuelle Charaktere im Netz weitergibt.

      Die Weitergabe (an Informationen, Daten) in einem LitBlog (etc.) unterliegt einer größeren Unsicherheit, als dies bei einem Buch geschehen kann. Neben der reinen Tradition des Buches schein darin das Geheimnis zu liegen, warum das Buch wohl noch sehr lange in seiner jetzigen Form Bestand haben wird.

      Ich bin überzeugt davon, daß LitBlogs – wie Die Dschungel – nur n e b e n den Büchern einen Sinn machen. Schon aus psychologischer Sicht. Das geschriebene Wort in Buchform ist immer glaubwürdiger als das geschriebene Wort in einem Forenbeitrag oder einem Kommentar. Von der Verbreitung einmal abgesehen. In der Tagesschau wird immer noch vom Blatt abgelesen, obwohl es ein leichtes wäre, vom Teleprompter abzulesen.

      Die LitBlogs werden gerade durch ihre Multimedialität, ihrer Möglichkeit zur Vernetzung und ihrer Virtualität an Popularität zunehmen und auch Dinge verändern (im kommerziellen Sinn hat dies z.B. „The Blair Witch Project“ längst geschafft – aus einer Internetaktion wurde einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Filme aller Zeiten).

      Unsterblichkeit durch Virtualität wird man wohl jedoch nicht erlangen.
      Man wird sich sehr schnell verflüchtigen.

    4. “Unsterblichkeit durch Virtualität wird man wohl jedoch nicht erlangen.” Ich bin vorsichtig mit solchen Behauptungen (auch wenn ich ihnen wiederum anhänge; immerhin gibt es ja vieles von mir als hardware; auch der dritte ANDERSWELT-Band ist so geplant; das hat durchaus seinen Grund).

      ABER: Sherlock Holmes ist unsterblich, dabei rein virtuell. Er ist sogar s o unsterblich, daß es eines Buches (und der Leser eines solchen Buches) gar nicht mehr bedarf, damit er bleibt. Es kennen ihn selbst diejenigen, die niemals auch nur eine Zeile Conan Doyle lasen oder eine der Verfilmungen gesehen haben. Ein Gleiches gilt für viele Figuren der Weltliteratur. Sie leben rein im virtuellen Raum der Vorstellung. Ganz wenigen Dichtern ist Ähnliches widerfahren, etwa Vergil oder Homer, selbst Shakespeare: Sie werden Jahrhunderte später selbst zu Figuren. Diesen Prozeß gestaltet ein Literarisches Weblog b e w u ß t.

      In die gleiche virtuelle Kategorie gehört das Buch als Legende: Niemand las es, niemand sah es je, aber es geht seit Jahrtausenden die Rede von ihm. Auch das ‘realisiert’ sich nunmehr im Cyberraum. Im übrigen z e r f a l l e n unsere Bücher und werden auf einer Metaebene dennoch bewahrt, etwa die der Bibliothek von Alexandria. Gegen den Zerfall wird momentan der ‘Bestand’ fast überall auf der industrialisierten Welt digital abgespeichert: also die hardware verflüssigt, um ihren Inhalt zu retten – wobei offenbar gar nicht bewußt ist, daß die surrogierte software sehr viel flüchtiger ist, als jedes Papier zuvor w a r.

      Dennoch gebe ich Ihnen, speziell in m e i n e m Fall allerdings, recht: Die Dschungel stehen in einem direkten Spannungsverhältnis zu meinen Print-Publikationen. Was ich heute hier ausprobiere, wurde bereits 1981 in >>>> DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS angedacht und teils sogar formuliert. Das läßt sich nachlesen. [Es besteht nach wie vor der Plan, diesen Roman von 1981 über Die Dschungel nach und nach wieder zugänglich zu machen.]

    5. Unsterblichkeit II „Unsterblichkeit durch Virtualität wird man wohl jedoch nicht erlangen.
      Man wird sich sehr schnell verflüchtigen.“
      Dies hatte ich nicht axiomatisch gemeint.
      Bei den von Ihnen angeführten Beispielen ist es letzendlich eine Frage der medialen Kanäle (McLuhan: „Understanding Media“). Die Bibel wurde über Jahrhunderte nur mündlich überliefert, ähnlich wie die Märchen und Volkssagen. Heute werden sie jedoch in der Hauptsache als Buch rezipiert und nicht auf dem Bildschirm. Es braucht natürlich keines Buches, um unsterblich zu werden. Gene machen das durch Reproduktion. In der Kunst gibt es unterschiedliche Transportwege – Bilder, Filme, Skulpturen, CDs. Um in einem virtuellen Raum unsterblich zu werden, bedarf es eines sicheren Transports und einer hohen Aufmerksamkeit und Akzeptanz der Betrachter. Wenn dieses Posting aus Versehen gelöscht wird, n a c h d e m es ins Netz gestellt wurde, wird es keine Unsterblichkeit erlangen, selbst wenn ich darin den Sinn des Lebens erklärt hätte, oder erläuterte, wie man aus Blei Gold herstellt. Mit dem Begriff Virtualität im Netz verband ich die ihm inneherrschende FLÜCHTIGKEIT, die ich in meinem vorangegangenen Posting erklärte.
      Wenn Bücher zerfallen, dann wird irgendjemand heutzutage eine Kopie davon besitzen, die man reproduzieren kann. Die Bibliothek von Alexandria ist aus archäologischer Sicht aus Überlieferungen bekannt. Ebenso wie Atlantis. Sie beide sind unsterblich, obwohl nicht hundertprozentig belegt ist, ob es sie beide gab, oder ob sie Überlieferungen einer zu starken Fantasie aus damaliger Zeit sind. Diese Überlieferungen werden weitergegeben und finden dann irgendwann einen stofflich geeigneten Erinnerungsträger – in unserer Zeit ist es für das geschriebene Wort eben das Buch, das immer noch am geeignetsten dazu scheint.

      Warum sollte der Mensch ein so hohes Interesse an zeitlicher Bestimmung haben? „Wir sind Erinnerung“ (Daniel L. Schacter). Nur durch eine verifizierte Erinnerung geht’s in die Zukunft. Ansonsten verbleiben wir im kollektiven Alzheimer brabbelnd in der Zeitgeschichte. In diesem Zusammenhang sehr lustig das Buch von Heribert Illig „Wer hat an der Uhr gedreht?“, welches die archäologische Datierung nach der C14- und Baumringemethode aufs Korn nimmt. Beide Methoden, insbesondere die Baumringemethode, sollen nicht sehr genau sein. Daher nimmt Illig an, daß es 300 Jahre des Mittelalters gar nicht gegeben haben soll (Zeitraum 7.-10. Jahrhundert) und wir eigentlich erst im 18. Jahrhundert leben. Aus dieser Zeit sollen z.B. keine Überlieferungen jüdischer Literatur vorhanden sein (und andere Ungereimtheiten). Das Buch wurde zwar recht kontrovers diskutiert, jedoch gibt es Anlass zum Nachdenken über Zeit und Erinnerung und in unserem Beispiel um Unsterblichkeit.

    6. “Um in einem virtuellen Raum unsterblich zu werden, bedarf es eines sicheren Transports und einer hohen Aufmerksamkeit und Akzeptanz der Betrachter.” Oder eben eines Hinweises in einem anderen Medium – oder – schöner noch – über eine L e g e n d e: “Dort und dort ist etwas verborgen…” – so daß sich Sucher auf die Wege machen und schließlich von einem Monsalvatsche und einer Esclarmonde berichten (und von einem Gral), an die, selbst hätte es sie gegeben, nach dem KatharerKreuzzug niemand mehr glaubte.
      Wir haben es im virtuellen Raum mit einer sehr j u n g e n Technologie zu tun, deren Spechermedien ungefähr so sicher sind wie es seinerzeit Holzschlösser und Riegel waren. Noch sind diese Speicher ortsgebunden, was ein Problem ist, noch reicht im Prinzip ein Magnet, um sie zu vernichten. Was aber, wenn die gespeicherten Informationen quasi-genetisch an Gegenstände weitergegeben werden? Oder eben n i c h t an Gegenstände, sondern an Zustände, ‘events’ im prozeßphilosophischen Sinn, und zwar an mutierende, also sich weiterentwickelnde Zustände, die wie auch wir sämtliche Informationen ihrer Genese mitenthalten? Nur mal als Gedankenspiel. Vielleicht wollen uns das die derzeit so rasend
      mutierenden Viren mitteilen?
      [Unabhängig davon schreibe ich selbstverständlich weiterhin Bücher, und die auf der fiktionalen Website eingestellten Texte lassen sich ausdrucken und liegen bereits an sehr verschiedenen Stellen ausgedruckt v o r. Eine ‘Sicherheit’ ist aber auch das selbstverständlich nicht. – Komisch übrigens, v o r diesem Kommentarwechsel hat mich dergleichen kaum je beschäftigt.]

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