Mittwoch, der 30. November 2005.

6.34 Uhr:
Über unruhigen Frauenlüsten, die sich sehr wohl in meinen Traum hineinprojezierten und nachts zuvor, im Internet, ausagiert waren, verschlafen. Meine Arbeitsstruktur ist mal wieder völlig dahin. Es ist kaum beschreibar, in welchem Ausmaß einen die ökonomische Not, die ausgehalten werden muß, psychisch depraviert: also verwahrlosen läßt. Das reicht bis in die Unlust, sich zu duschen oder einzukaufen oder überhaupt hinauszugehen. Verschärft wird das, wenn das strukturierende Moment des täglichen Sports hinwegfällt wie in meinem Fall: wegen der – allerdings endlich ausklingenden – grippalen Verstimmung. (Der kitzelkratzende Husten ist allerdings noch da.)

So. Muß mal gesagt werden, narzißtischerweise.

latte macchiato.
ARGO.

[Ein DTs wird heute n i c h t formuliert, bzw. in sehr modifizierter Form, um wenigstens den Romanfortschritt festzuhalten. (Zur Erinnerung: ‚DTs’ steht für ‚Den Tag strukturieren’. Die meisten Menschen kommen ohne so etwas aus.)]

12.24 Uhr:
Eine ganze Menge ARGO III überarbeitet; bei der Bank gewesen;; es ist jetzt die Zeit des zwischen-zwei-Konten-hinundher-Switchens… um den Heiligen Abend zu sichern. Eine Leserin hat 50 Euro geschickt; ich würde mich gerne bedanken, komme aber an die Adresse nicht, weil mein web-de-Account noch gesperrt ist. Deshalb, falls sie es liest, hier mein ganz herzliches Dankeschön. [Mir fallen die vielen kniefälligen Dankesbriefe Johann Sebastian Bachs ein, aus denen Maurizio Kagel seine St.-Bach-Passion geschrieben hat, mir fallen die untertänigen Scardanelli-Briefe Hölderlins ein und die untertänigen Briefe Robert Walsers: alle die dankten für Zuwendung; ich will mich insofern nicht eine Minute schämen, es ihnen gleich zu tun, mir aber die Untertänigkeit (er)sparen.]

Weiterhin schäumt die NarzissmusDebatte, weiterhin an meiner P e r s o n aufgehängt und das Werk draußen gelassen. Offenbar hat Mosebach einen Roman geschrieben, dessen Antiheld mir, ‚bis zur Kenntlichkeit entstellt’ (Andrea Köhler), ähnlich sieht. Wenn dem so ist, kann ich das nicht schlimm finden, da sich zur Karikatur nur eignet, was eigene Züge, also einen Character hat, der sich spöttisch verfremden läßt. Im übrigen ist Mosebach als Schriftsteller ausgezeichnet; er wird seiner eigenen Figur, um eine Sottise auszuhämen, kaum die Entwickungsmöglichkeiten nehmen. Und falls doch, dann möglicherweise wie Klaus Mann im MEPHISTO. Auch damit kann einer leben. (Es waren bezeichnenderweise Gründgens’ E r b e n, die prozessierten: Kleingeister also.)

[Aber ich kann mir die Reaktionen auf d i e s e s Posting schon vorstellen: „Der findet das auch noch gut, daß er in einem Roman vorkommt; so eitel ist er, daß es ihm ganz egal ist, wie er dabei wegkommt.“ – Schriee ich aber protestierend auf, das Urteil lautete s o: „Schaut einmal, er selbst karikiert andere in seinen Werken dauernd. Ist e r aber einmal betroffen, dann hält er’s nicht aus.“

In der Tat muß man sich fragen, wer hinter Aldi Meola steckt, daß ihm – ihr – seine – ihre – Anonymität derart wichtig ist.]

16.54 Uhr:
Nach Einkaufen und Essen zwei (!!!) Stunden tief geschlafen (Depressionsschlaf?). Vorher mit der Frau telefoniert, mit der ich 17 Jahre lang zusammen war und die mich als solche, aber auch als die Psychoanalytikerin kennt, die sie ist. Sie hat überdies enorme viel klinische Erfahrung. Sie rief sofort nach einer SMS von mir an.

„Bin ich krank? Ist mein Narzissmus krankhaft?“

Ich gestehe das ungern ein, aber das zu tun, gehört in die Wahrhaftigkeit des DschungelProjektes: Die Vorwürfe setzen mir sehr zu. Vieles >>>> in dem PSYCHOLOGIE HEUTE – Artikel stimmt mit mir überein (Leistungsbesessenheit, auf keinen Fall zu Gruppen gehören wollen, IchSchwäche), vieles andere aber nicht (‚vampirisches’ Beziehungsverhalten, Neid). Was fang ich damit also an?

17.32 Uhr:
Abermals einen latte macchiato bereitet. Die Ratten herausgelassen, die nun am, auf und unter dem Sofa herumtrappeln (gestern hat Jonathan meine CD-Boards aus- und umgeräumt). Heideggers Technik-Kehre-Aufsatz bei http://amazon.de bestellt. ARGO ÜA ff.

Was mich an diesem NarzissmusScheiß so fertig macht, ist die Pespektive, die die Leute darauf haben. Wenn tatsächlich ein Persönlichkeitsdefekt vorliegt – was bei mir der Fall zu sein scheint; ‚gesunde’ Leute würden sich nicht dauernd fiktiv spalten -, dann kann doch nicht d a s Ziel von Angriffen oder auch nur Abwehr der anderen Position sein, sondern es ist doch g e r a d e dann nach der Verarbeitungsform des Konfliktes zu schauen: also was kommt dabei heraus, was wird dadurch geschaffen. Es gibt Hunderttausende Narzißten, da bleibt gar nichts zurück außer hohler Großspurigkeit. Es gibt aber eben auch die, von denen dann mehr als nur Spuren da sind. Nicht selten sind es Kunstwerke. Das Kunstwerk ist eine Spur des Verarbeitungskonfliktes, aber es ist – indem es in den Dialog mit dem Rezipienten tritt – eben zugleich soviel mehr. Es wird selbständig. – Wäre denn nicht hierhin zu schauen: Ob etwas Eigenständiges aus dem Narzissmus entsteht?
Stattdessen wird alles auf ein persönliches (characterliches) Manko zurückgebrochen. Merken diese Leute denn nicht, wie masochistisch gegen sich selbst und wie sadistisch gegenüber dem ‚Fall’ ein solches Vorgehen ist?

22.37 Uhr:
Ich komme mir etwas wie Glenn Gould vor, der in seinen letzten Jahren nur noch telefonierte und nicht mehr persönlich sprach: Ich habe eine Tendenz, nur noch zu schreiben. Selbst wenn ich mich mit Freunden unterhalten will, beginne ich zu scheuen und zu schweigen. Oder werde müde. Oder es ist, wie beim Billard, ein unverbindliches Geplauder, worin die Problematik eingewickelt wird. Jedenfalls spüre ich deutlich die Tendenz, auch mein Privatleben zu verschriftlichen und kann nahe Gespräche fast nur noch textlich führen, jedenfalls außerhalb des erotischen Bereiches, der der einzige ist, der mich – er aber mit großer Gewalt – noch e r d e t.