Morrigain. (3). [Versuch, den Traum von heute nacht zu halten*.]

Ihr inneres Land war durch ihre Pupillen zu betreten. Eine Gegend voller stürzender Linien tat sich auf. Man sah einen Kopf aus Stein an den Rand des Daches montiert, daneben stand in der Luft – befestigt, doch man sah nicht, woran – ein quaderförmiger Kasten, ganz schwarz und nicht groß; vielleicht schaute aus der dem Blick abgewandten Seite eine Überwachungskamera heraus. Dann fiel der Blick zehn, vielleicht zwanzig Meter hinab, ohne daß er das Haus erfaßte: rein durch Leere. Auf einer Straße traf er auf. Sie verlief schräg durch das Bild, bisweilen gab es etwas daran, das vielleicht andere Häuser waren, vielleicht war es Gras. Wir haben keine Begriffe dafür und können uns nicht orientieren.
So sahen bereits die Zeichnungen aus, die Melissa in der Schule angefertigt hatte, so auch ihre Bilder später, von denen einem schlecht wurde, wenn man sie in den Galerien, später auch einigen Museen sah. Wenn wir annehmen, daß sie der Ausdruck ihrer wirklichen inneren Geometrie waren, könnte ganz umgekehrt geschlossen werden, ihr selber, Melissa, sei permanent schlecht, da sie in u n s e r e Geometrie sah, konkret, nicht auf Bildern, sondern in unsere Städte und Häuser. Im selben Maß deshalb, in dem ihr Gesicht uns schön vorkam, mag sie unsere Gesichter als häßlich empfunden haben. Sie fand sich in unserer Welt so wenig zurecht, wie ich mich in ihrer; aber anders als wir, hatte sie eine Haltung dazu gefunden, eine Überlebenshaltung. Daher ihre Macht über uns.
Man trat durch ihre Pupillen ein, wenn sie einen anschauten. Melissa fixierte Menschen und Gegenstände ihres Interesses. Ihre Pupillen wurden davon sehr weit, egal, ob es hell war. Wer den Blick hielt, trat ein. Man hörte in dem Land bisweilen einen fernen Menschenschrei, ansonsten war es fast immer still. Man ging endlos endlose Wege, flüchtig formten sich bisweilen Gegenstände Geschöpfe, aber erst, wenn man sie passierte. Richtete man aber den Blick darauf, vergingen sie wie Halluzinationen, die ein Nebelkünstler schuf. Nirgendwo anders ist mir jemals so viel Einsamkeit begegnet.

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[*): [Imgrunde gehört nämlich dieser Text in die >>>> Traumprotokolle. Aber das Bild war derart einnehmend, daß ich es sofort nach dem Aufstehen bearbeiten und fortsetzen mußte. Es war zu beschreiben, um es zu bannen.]

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