Arbeitsjournal. Montag, der 21. August 2006.

5.47 Uhr:
[Berlin Kinderwohnung.]
Sie seien, sagte der Profi gestern nacht noch in einer schummrigen kleinen Kneipe beim Zionsplatz (Kastanienallee), so ausweglos, diese letzten beiden Elegien ( 5 und 6), es müsse wieder Kraft hinein, Aufbegehrendes, sagte er; nein nein, sie seien wunderschön, aber Lebenskraft bräuchten die nächsten wieder. In der Tat habe ich in meiner Dichtung bis dato nie so viel Trauer zugelassen, wie in diesen letzten Texten, unverstellte: die sich einfach nur hinlegt, ohne sich zu wehren, und es über sich läßt. Nur noch im verbotenen Buch, worauf schon ein anderer Leser der Elegien hingewiesen hat: sie hätten denselben Ausdruckshof, nur jetzt ohne Erzählung. Und ohne, denke i c h mir, das treibende voranrasend Sexuelle. Das ist, ich spür es, in den Elegien wie sediert. Aber es entspricht mir momentan auch: wie die Gedichte drücke ich selbst erotische Regungen weitgehend weg, konzentriere mich ganz auf die sagen wir ‚persönliche Aufgabe’, die momentan gestellt ist. Aber vielleicht ist das falsch, vielleicht sollte ich >>>> ‚das bleibende Tier’ wieder von der Leine lassen, da es zwar alles Erdenkliche sonst ist, eines aber nicht: resignativ. Das bleibende Tier ist immer auf Seiten des Lebens. Immer. Egal, was geschah.

Gleich Einschulung zur zweiten Klasse meines Jungen. Da geh ich hin. Danach fahr ich nun doch bereits wieder nach Bamberg. Falls mich nicht ein Gespräch hierhält, das allezeit ganz vorn auf der Zungenspitze steht, das ich aber immer wieder in den Hals zurückschlucke, wo es dann als Kloß in mir herumwürgt, bis ich’s abermals zur Zungenspitze vorräusper, aber es dann neuerlich wegschlucke – ohne daß es wirklich mal die Speiseröhre hinunterrutschte. Was auch seinen Vorteil hat. So liegt’s mir nicht im Magen, der meine Sollbruchstelle ist. „Hat aber was Gutes“, sagt der Profi, mitleidlos aus Freundschaft, „immerhin entstehen so die Elegien.“ Im Zug will ich die siebte beginnen. Heut früh, hier am Küchentisch, schaff ich das nicht mehr, will ich den Bahnanschluß nachher nicht verpassen. (In mir erwisch ich mich neuerdings dabei, das Wort ‚Elegien’ wegzulassen und nur noch von ‚die Siebte’, ‚die Fünfte’ usw. zu denken – als handelte es sich um Sinfonien; was mir jetzt in Erinnerung ruft, daß dringendst >>>> der Pettersson ansteht.)

11.14 Uhr:
Die Schule des Jungen begann erst um zehn; also bin ich noch immer in Berlin und sitze wieder am Küchentisch. Um 12 kann ich jetzt erst weg, dann werd ich um 16.48 Uhr in Bamberg sein. Mit, hoff ich, einem ganzen Anfang der Siebten. Korrigiere jetzt an der Sechsten herum, korrespondiere und formuliere einen Dschungelbeitrag zu vermeintlich Übersinnlichem.

18.08 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Die sechste Elegie, mit dem Tod endend, strömt in die siebte, die mit dem Tod beginnt und sich ins Leben zurückwendet. Das wäre die schönste Bewegung, gelänge sie mir. Der beschriebene Zyklus ist kein individueller – eben k e i n Ich ist oder doch eben nur so, als daß Ich zum Träger der Allegorie wird, in der sie sich verwirklicht.
Seltsam, wie das jetzt mit dem >>>> Chorischen Tagebuch korrspondiert. Und auch das zugleich eine… nein, nicht Vorarbeit sowohl für den Pettersson als auch den epilogischen Teil V von ARGO, sondern etwas Gleichzeitiges, das sich völlig mitberechtigt dazuentwickelt. Dabei Petterssons Sinfonik ausgesprochen gerecht. (Mich trieb solch eine Idee schon einmal, vor Jahren, als ganz junger Schriftsteller; der >>>> Dolfinger-Roman* entstand daraus, der nicht von ungefähr den das Sujet bestimmenden Untertitel „Lamento“ trägt – als einer Zuschreibung aus der – sakralen – Musik.)

[*) Ich seh gerade, http://amazon.de hat nur noch ein Exemplar.
Also Leser, halten Sie sich ran! *So winkt
mit belletristischem Zaunpfahl ANH.]



Süselbeck drängt wegen des Ellis-Briefwechsels, und AW vom WDR rief eben an, ob ich für ihn den neuen Meissner rezensieren würde. Hab zugesagt, obwohl ich doch auch arbeitstechnisch insgesamt nicht weiß, wie mir der Kopf mal geradesteht. Außerdem möchte Leukert vom hr für den Pettersson Titel und Pressetext. Ich müßte die Elegien dringend unterbechen. Und während ich die Links lege, fällt mir ein, daß ich ja völlig auf meine Idee des Falschlinks vergessen habe! Nun leg ich halt einen. Einen verborgenen obendrein.

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