Es saßen drei Engel beisammen.

Der eine war voll Blut,
der zweite ungeboren,
der dritte gut:

Der mischte die Karten.
Lange, leidgeschoren
ließ er die anderen warten

und reichte endlich dem ersten den Stoß.
Der griff in die Kinder, die harrten,
zog einen Jungen, ließ ihn ausholend los.

So knallte das Kind auf den Tisch.
Der zweite nun zog aus dem Schoß
behutsam ein Mädchen; malerisch

legt’ er’s zu ihm. Zwar war der tot,
doch als sich berührten die Glieder,
stieg von den beiden das Morgenrot

und schien auf die Engel nieder.

35 thoughts on “Es saßen drei Engel beisammen.

    1. …………ja!!! (es rührt so tief innen an,dass es einem im moment den atem verschlägt und mir die worte für dieses gefühl fehlen)

    1. Echo Barfuß aus Mondsand hervorschreitend
      Bevölkerst du, Aurora, freudige Liebe
      Mit einem Echo das umherirrende All
      Und hinterläßt im Fleisch der Tage
      Als fortwährenden Streifen eine umflorte Wunde.

      Giuseppe UNGARETTI

    2. ja, ja!! Auch wunderbar… selbstverständlich. Danke für Ungaretti.
      Am Ende seines Stücks ELEKTRA (Jean Giraudoux) sagt der Bettler, um das Stück zu beenden: (Die Frage war: „warum werden die Städte in Brand gesteckt und die Unschuldigen ermordet, und warum bleibt trozdem etwas, ich weiss den Namen nicht mehr….“) und der Bettler erwidert:
      „Es trägt einen sehr schönen Namen, Frau Narsès. Es heisst Morgenrot.“

  1. Ein Versuch (auch gereimt !!!) Trois anges étaient assis ensemble

    L’un était plein de sang
    le deuxième non-né,
    le troisième vivant:

    lui seul battait les cartes.
    Longtemps, intouché,
    il tint les autres à l’écart

    puis il tendit le paquet au premier,
    qui, se ruant sur les enfants épars,
    prit un garçon pour le précipiter.

    Et l’enfant s’écrasa sur la table.
    Le deuxième en un geste soigné
    fit paraître une fillette; admirable

    il la coucha contre l’enfant. Quoique mort,
    à l’instant où leurs membres se touchèrent
    l’aurore s’éleva de leurs deux corps

    et sur les anges descendit la lumière.

    1. noch besser es wäre noch besser so zu schliessen:

      „et sur les anges répandit sa lumière“

      ja, ja ich weiss, hier liegt ein Fehler… der Vers ist elfsilbig… aber die Zeile bleibt so… nicht so wichtig…es hört sich trotzdem korrekt an. .’für diejenigen die sich für Zahlen interessieren – zentrales Problem der Dichter – muss ich sagen, dass die ersten zwei Strophen sechsilbige Verse sind und dass ich dann zu zehnsilbigen hinübergehen musste (eine Rarität in unserer Sprache.. aber Valery hat ihn für seinen „Cimetière marin“ gebraucht, nachdem er oft im Mittelalter verwendet worden war), sonst wäre zuviel verloren gewesen, und dies entspricht auch dem deutschen Text. Die Reime habe ich auch imitiert in der Verteilung… sehr gewagt…

  2. @parallalie „und das Leben“
    und
    wann kommt der Abend?
    Abendrot, ein anderes Morgenrot?
    oder nur Erinnerung
    an die Schönheit der Wiedergeburt
    die jeden Morgen…
    nein, der Körper sagt das Gegenteil,
    warum bist du müde,
    da Morgenrot existiert?
    Nimm dir Zeit
    Morgenrot ist ein anderes
    Wort für Weisheit
    Hoffnung, Erwartung,
    Stille.

    1. darüber habe ich – glaub‘ ich – dann bei mir nachgedacht:
      http://parallalie.twoday.net/stories/2650326/

      dennoch ist das morgenrot oft auch nur ein frisches brötchen, von dem man am abend träumt : leider
      aber warum: leider? es ist die erste zigarette, der erste schluck kaffee… in der gewißheit: nun fange ich an! und wenn sich der horizont in aller frühe in farbtönen färbt, die von gelb über orange über violett bis zu dunkelblau reichen, dann ist plötzlich die welt still und hält den atem an, bevor der ganze zirkus wieder von vorn beginnt… stille, das ist das wesen der morgenröte.

  3. Böse Engel Die Bezeichnung „unheimliches Gedicht“ trifft es. Interessant. Da ich Null Ahnung von Gedichten, deren Deutung und Interpretation habe, mir Gedichte ähnlich unzugänglich sind wie vergleichsweise Musical-Filme, in denen urplötzlich und scheinbar grundlos Menschen auf der Straße anfangen zu singen und zu tanzen, war ich verblüfft, welche bildhaften Assoziationsketten meinen Kortex durchfluteten, als ich diese knappen Zeilen auf mich wirken ließ.
    Zunächst dachte ich an das geniale Computerspiel „American McGee’s: Alice“, eine bitterböse (FSK 16, bitte keine Kinder spielen lassen!) Version des Kinderbuchs „Alice in Wonderland“ von Lewis Carroll. Darin tauchen ab und zu böse, mit Lanzen bewaffnete Spielkarten auf, die der geistig verwirrten Alice an den Kragen wollen. Dann tauchten Bilder aus dem Film „Prophecy“ (http://www.ofdb.de/view.php?page=film&fid=179) von Gregory Widen auf. In diesem sehr unterschätzten Film kommen die Engel auf die Erde um die Weltherrschaft zu übernehmen. Böse und blutig.
    Ja, ja, als Gedichteinterpreter bin ich Autist. Ich wüsste auch nicht, ob es zu verbessern ist, das Engelsgedicht. Als Vorspann zu einem spannenden Film könnte ich es mir gut vorstellen. Noch mehr davon und Wim Wenders anhauen, der mit „Der Himmel über Berlin“ ja schon einen Engelsfilm hergestellt hat, damit der eine vielleicht dunklere, mystischere Variante seines Streifens davon dreht und statt Handke-Gedichte nun Herbst-Gedichte darin verwendet. Das hätte was.

    Ach, darf man erfahren, welches Reimlexikon Sie verwenden?

  4. ein fortschritt im vergleich zum juni??

    Blut – gut
    ungeboren – leidgeschoren(!)
    Karten – warten – harrten(!)
    Stoß – los
    Tisch – malerisch
    tot – Morgenrot
    Glieder – nieder

    1. Aufgegebene Liebeserklärung an Sophien, nach vorgeschriebenen Endreimen, am 21. Nov. 1784.

      Im Herzen, wie am Geist, längst dumpf, und stumpf, wie – Blei,
      Wähnt‘ ich – ein schlechtes Ziel! – vor Amors Pfeil mich – frei.
      Bekannt mit meinem Wert, an Leib und Seele – Fratze,
      Frißt, dacht‘ ich, wie ich bin, mich weder Hund noch – Katze.
      Ich würgt‘ an Vers und Reim, als steckt‘ im Hals ein – Pflock,
      Und langsam schlich mein Witz, wie Aarons Sünden – Bock.
      Da, Fiekchen, tratst du auf, an Kraft ein Lebens – ,
      Bewegtest zum Bimbam der Zunge trägen – Schwengel.
      Nun, däucht mir, komm‘ ich faßt von neuem in den – Schuß.
      Ganz fraß vielleicht der Wurm mich nicht zur tauben – Nuß.
      Ha! tränktest du mich nun mit deiner Liebe – Sprudel,
      So lernt‘ ich dein Apport noch wie der jüngste – Pudel.
      Dir spräng‘ ich übern Stock und tanzt‘ im bunten – Frack,
      Als Äffchen oder Bär, zum polnschen Dudel – Sack.

      Gottfried August BÜRGER

      Blei – frei (!)
      Fratze – Katze
      Pflock – Bock (!!)
      Lebens – Schwengel (???)
      Schuß – Nuß (!?!)
      Sprudel – Pudel (!?)
      Frack – Sack (holla!)

      Genauso könnte man den Endbuchstaben Farben geben: Was das für ein Gekleckse wär‘, mag ich mir nicht vorstellen…

    2. was meint trisam damit?? ist das jetzt eine kritik an dem gedicht??…wenn trisam es besser kann soll er es doch hier rein schreiben und nich suelzen!!…danke!!

    3. Gut gefragt! @rostschleifer.
      Weiteres können Sie unter: „trisam antwortete am 21. Jun, 19:56“ nachlesen!
      Ein Auszug: „Wozu brauchen Sie denn den klassizistischen Überwurf? Warum lassen Sie sich von diesen achso tollen deutschen Reimwörtern … blenden?“

      @parallalie.
      Hat doch Witz, diese „Liebeserklärung an Sophien“:
      „Ich würgt‘ an Vers und Reim, als steckt‘ im Hals ein – Pflock“!
      Er sagts!
      (Der Idee, den Endbuchstaben Farben zuzuordnen, wollte ich gar nicht nähertreten.
      Doch – holla! -, kurz bedacht: 26 Buchstaben, 26 Farben – welch Auswahl? -: was wär denn das für eine umwerfende Text-Bild-Erzeugungs-Automatisation?!)

      @an dante.
      Wer wird denn auf Deutsch einen Reim schreiben
      und dabei auch noch rein bleiben?

  5. wie toll sind diese modernen Geister (Trisam und Stromberg) Wie erfreulich !

    Trisam:
    eins müssen Sie wissen: die zu reichen Reime sind eine Katastrophe für die Dichtung. Die einsilbigen Reime genügen, sie gehen unbewusst durchs Gedächtnis, sind wohl eine Erinnerung an die Wiegenlieder, die wir ehemals… die Reime zu kritisieren ist sinnlos, zeugt von einem tiefen Unkenntnis der Dichtung überhaupt und ihrer Geschichte. Nehmen wir einen fast unbekannten Dichter, genannt Goethe: „Willkommen und Abschied“. Abscheuliche Reime! „Eiche/ Gesträuche“…“Freude/Seite“…“Blick / Glück“… ja, ja, ich weiss, ich habe keinen grossen Dichter gewählt und bitte um Entschuldigung, meine Kultur ist ja sehr begrenzt.

    Stromberg:
    Sie spielen den Persaner (Montesquieu). Ironie ist nicht immer am Platze. Was die Engel betrifft, waren sie schon im Mittelalter erfunden worden und Wim Wenders, wie Rilke, hat sie sehr gut gebraucht….
    Sobald bewundert wird, sobald tragisch und ernst gesungen wird, kommt sofort einer, um diesen Ernst durch Ironie zu denunzieren. Bitte schön, lesen Sie keine Gedichte! Bleiben Sie in ihrem Supermarkt von vorgefassten Meinungen, wo alles ironisch und lustig sein MUSS. „Krepieren Sie zufrieden!“ (Georges Bernanos) Konsumieren Sie! Die Produktion verlangt es von Ihnen und Sie müssen gehorchen, kleines kicherndes Kind !
    Hören Sie doch auf zu lesen, es ist viel zu schwer, viel zu gefährlich… Fressen Sie ironievoll und lassen Sie uns schreiben und singen wie WIR wollen.

    1. Was soll denn das? @prunier: Häh??? Bitte, HIER scheint ja wohl ein Irrtum vorzuliegen! Dieses Gedicht von ANH ist hervorragend – ganz ohne Ironie gemeint! Da ich eigentlich mit Gedichten nicht sehr viel anfangen kann, wollte ich hier lediglich bekunden, das DIESES Gedicht bei mir eine Wirkung hatte. Das SIE mich hier als Denunziant darstellen ist ja wohl der KNALLER schlechthin, was soll denn das? Nur weil ich vielleicht meine Eindrücke in einer anderen Art und Weise kund tue als Sie es gewohnt sind, mir so einen Müll an den Kopf zu werfen, meine Güte! Was meinten Sie eigentlich mit „Persaner (Montesquieu)“?

      @ANH: hat sich in der Zeit meiner Abwesenheit so viel verändert, dass ich diesen LitBlog überhaupt nicht verstehe? Bisher habe ich eigentlich sehr gerne hier gelesen, gelegentlich kommentiert, da ich das hohe Niveau hier schätze, auch wenn ab und an mal kontrovers aber SACHLICH diskutiert wurde. Echt schade!

    2. Lieber Stromberg. Prunier schrieb mir eben privat, daß er vielleicht überreagiert, weil -abermals vielleicht – etwas in den falschen Hals bekommen habe. Ich möge löschen, wenn ich es für richtig hielte. – Das möchte ich in dem Fall aber nicht, weil er sehr genau zeigt, wie unversehens man im Netz in Situationen gerät, die inhaltlich absurd sind, aber formal verschiedene Sprachen sprechen. Und plötzlich sitzt man im Kladderadatsch. Und es gibt erstmal keine Möglichkeit zu klären – weil wir hier ja alle Avatare sind, die keine sinnliche, reale Geste – etwa ein Lächeln – entschuldigt. Ich möchte um des lieben Friedens willen nichts glätten, sondern auch das aushalten lassen. Der Anspruch ist groß, ich weiß. Prunier müßte Ihre vorherigen Einlassungen lesen, Sie müßten die seinen lesen. Die Dschungel b i r s t aber vor Texten und Kommentaren: wie also finden, was gefunden werden müßte? Wir kommen um den Anspruch nicht herum, aber wir alle können ihm nicht genügen. – Verstehen Sie? Ich arbeite an einem angemessenen Realitätsbegriff, und etwas wie Ihrer beider Dispens zeigt, wie fast unmöglich das ist: Realität zu erfassen. Dabei würden Sie beide sich, glaube ich, bei einem Glas Wein vorzüglich verstehen.

      [„Eigentlich müßte ich ein weiteres Teil der Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens hieraus formulieren, aber bin jetzt zu müde.“ Schrieb ich eben einem Freund.]

    3. Typisch Internet @ANH: Nun gut, offensichtlich scheint es wieder einer dieser absurden Internetverständigungsschwierigkeitsgewurschtel zu sein.

      @Prunier: möglicherweise werden meine Einlassungen für einige hier schwierig bleiben, da ich es gewohnt bin, sehr selten das, was ich ausdrücken möchte, zu filtern. Das betrifft meinen sehr schwer zu verstehenden Humor, der sich oft am Rande des Zynismus (Kynismus? – Sloterdijk) bewegt ebenso, wie die manchmal unhaltbaren Thesen, die hier gerne mal zerfetzt werden. SO verstehe ich aber meine Gedankenfreiheit im Netz. Wenn ich in meinem Beitrag Vergleiche mit Computerspielen und Filmen bringe, so meine ich das tatsächlich so, auch wenn Ihnen das völlig absurd vorkommen mag. Hat was mit freiem assoziieren zu tun, ähnlich dem automatischen Schreiben der Surrealisten – dafür müssten Sie als Franzose Verständnis haben. Oder nicht? Es tut mir Leid, dass ich manchmal fragmentiert, ja zusammenhanglos schreibe. Ich arbeite daran, etwas erklärter, genauer zu schreiben, wozu dieser LitBlog ja auch einlädt.

      Ja, ich habe von Gedichten nahezu keine Ahnung. Zu den Elegien schweige ich ja deshalb, da ich nicht weiß, wie man Gedichte liest. Ich habe dies NIE gelernt! Ist halt so. Ist eine Bildungslücke. Deshalb versuche ich diese Lücken zu schließen, frage nach Reimlexika, habe bei Amazon ein Buch über Gedichtinterpretation bestellt. Abgesehen davon, verstehe ich nicht einmal die Fachterminologie, die literaturwissenschaftliche, Gedichte betreffend. Ja, Noten lesen kann ich auch nicht. Schade. Und in Mathe bin ich beschissen! Ich hoffe dies disqualifiziert mich nicht total aus dieser Runde? Vielleicht habe ich ja Fähigkeiten, die sich als Kommentar in diesen LitBlog auch einbringen lassen, ohne gleich beschimpft zu werden? Ich bin in keiner Weise daran interessiert mich mit irgendjemandem zu messen (worin auch, wozu?) – ich will nur einige mich brennend interessierende Fragen (vielleicht) beantwortet haben. DAS wäre schon riesig! Ich will Wissen aufsaugen, verschiedene Meinungen lesen – und füttert mich mit Buchtipps! Aber ANH hat schon recht, es ist ein Unterschied im Internet zu diskutieren, oder bei einem Glas Rotwein und einem leckeren Salamibaguette an einem Eichentisch zu sitzen und zu reden.

  6. (Zu Trisam.) Keiner muß wollen. Ich weiß,was sich schrieb.

    [Man lasse sich nicht täuschen: Es geht auch hier um das ‚Pathos“. Und um das Ungreifbare (mir selbst übrigens auch Ungreifbare) des Gedichts. Das, was einen daran so verstört. Das soll nicht sein. Und nicht, daß etwas nicht ‚zuhanden‘ sei. Oder, um es mit Iris Radisch auszudrücken, Klagenfurt 1997, glaub ich, gemünzt auf das für Klagenfurt modifizierte INTERMEZZO aus dem damaligen noch-Typoskropit von >>>> THETIS. ANDERSWELT: „Ich finde hier ja überhaupt keinen Hebel, den ich an den Text ansetzen kann.“ – Trisams Reimkritik ist nix als ein Vorwand, der aber ganz zu recht spürt, daß die Wahl des konservativen Mittels nicht nur das Mittel impliziert. Trisam ließe sich kommentierend gar nicht e i n, spürte er nicht sehr genau eine Gefahr. Ich spüre sie ganz genau so wie er, aber folge der Spur dennoch weiter und schotte sie nicht etwa weg. Dennoch – oder gerade deshalb – ist Trisams Einwand eine Ehre. Weil sie einen ernstnimmt.]

    1. Nachgereicht noch einige Erzeugungs-Prinzipien
      1. Anschaulichkeit;
      2. Schnelligkeit;
      3. Leichtigkeit;
      4. Genauigkeit;
      5. Vielschichtigkeit;
      6. Konsistenz.
      Fraglich, ob das auch für (deutsche) Lyrik gelten soll.
      Ansonsten: Dank für die „Ehre“!

    2. @ Trisam. Es muß für k e i n e gelten. Da keiner, letztlich, normatives Recht hat. Dennoch möchte ich gern auf Ihre Einwände noch eingehen, aber es ist mir jetzt zu spät, es war zu viel Alkohol obendrein. Aber ich habe bereits einiges skizziert, und ich finde die von Ihnen angestoßene Diskussion wichtig.
      Nur dieses eben noch, wobei Sie mch nicht mißverstehen mögen: Ich bin k e i n Rezeptions-Relativist. NUR: Es gibt etwas wie den von mir einmal so genannten „metaphysischen Schauer“. Bei dem hier in Diskussion stehenden Text kam er mir selbst, was besagt: das Gedicht ist mir selbst sehr fremd… als hätte ich selbst es nicht geschrieben. Zugleich fühle ich, daß es ausgesprochen gut ist, und vielleicht fühle ich das genau deshalb. ABER: Nicht jeder hat einen Zugang. Was wiederum nichts über Wertigkeit sagt. Es wird vieles geben, was S i e erschauern, mich aber völlig unberührt läßt. Unabhängig davon gibt es allerdings ästhetische Wahrheit. Nur wissen wir nie genau, wo sie und wann sie ist. Und wir irren uns dabei in unserm Urteil. Sie kennen das sicher selbst: Vor zehn oder zwanzig Jahren nahmen wir ein Buch zur Hand, daß uns entsetzlich langweilte. Wir kamen nicht dahinter, sagten: Das ist ja nur öde. Dann, zwei Jahrzehnte später, bekommen wir es abermals zur Hand, und es ist, Pardon, göttlich. Der Text ist dabei ganz derselbe geblieben, aber es hat sich etwas verändert, hat auch i h n verändert. – Wenn Sie mit Kunst zu tun haben, tätig zu tun haben, gehört dieses Kalkül zu Ihrem täglichen Handwerk, und zwar auch dann, wenn ein eigenes Werk Sie anzuöden beginnt. Was eine in der künstlerischen Arbeit nahezu tägliche Erfahrung ist.
      Mehr mag und kann ich jetzt nicht dazu sagen. Aber auf den „klassizistischen Überwurf“ will ich unbedingt eingehen. Doch erst morgen, übermorgen, bitte.

  7. ja, es zieht einem den Magen zusammen! Mir scheint, Dreizeiler bieten ein ungeheures Potential für inhaltliche Präzision und aus der Wortwahl entstehende atmosphärische Dichte, faszinierend. Aber abgesehen davon, es sind Sie, ANH, der K U N S T daraus macht – und in der Tat: Schönheit!

  8. @Herrn Stromberg Ich bitte um Entschuldigung.
    Hoffentlich werden Sie eines Tages meinen taktlosen Eintrag entschuldigen.
    Ich danke Ihnen im voraus: Ihre Meinung und ANH’s Erklärungen finde ich sehr interessant… für mich !

    1. @Prunier Wie sagt man hierzulande: „Schwamm drüber…“

      Vielleicht gewöhne ich mir an, in Zukunft ähnlich wie die Benediktiner dies im Kloster seit Generationen praktizieren, dem „Murren“ dadurch zu entkommen, indem ich einfach hinterfrage, ob ich die gestellte Aussage, die von anderen Kommentatoren gestellt wurde, richtig verstanden habe. Nach Auskunft von Mönchen, die ich vor vielen Jahren daraufhin fragte, wird das „Murren“ (O-Ton Mönch, Kloster Meschede, 1990) dadurch eingestellt, indem man einfach noch mal nachfragt: „…habe ich dieses und jenes richtig verstanden? Meintest Du dieses und jenes?“ Wird die Aussage dann bestätigt, hat der Empfänger der Nachricht wohl richtig verstanden. In Meschede scheint diese Methode zu funktionieren – keiner murrt.

      Ist natürlich für das Kloster Internet Utopie und liest sich wahrscheinlich dann im Dialog recht bescheuert. Könnte aber gegen Spontanattacken helfen.

      Oder wie ein Admin in einem von mir zu früheren Zeiten häufig frequentierten Filmforum gerne zu sagen pflegte: „…einfach mal zurücklehnen und tief Luft holen!“

      Das schreibe ich jetzt auch auf meine Fahne! 🙂

      P.S.: die Einträge lassen wir aber so stehen, ja?

  9. @Herr Stromberg; Schwamm drüber: „passons l’éponge !“ Herr Stromberg, danke!
    „…einfach mal zurücklehnen und tief Luft holen“. Ich musste diesen Satz kopieren. Es tut gut.
    Die Einträge lassen wir stehen, aus „moralischen“ Gründen ist es für mich sehr wichtig.
    Die nicht murrenden Mönche gefallen mir sehr. Ihr Wohlwollen ebnefalls !

  10. Formkritik – ist das Angst vor Thema & Inhalt ? Legt mich zu Aurelie,
    gen Sonnenaufgang
    zu Stonehenge
    (Ezra Pound:Canto XCVIII)

    Es saßen 3 Engel

    Bei diesen Versen hielt nicht nur ich den Atem an, vermute ich.
    „Le vent dans la plaine/Suspend son haleine (Favart). Die hier stattfindende Diskussion ist der Beweis. Um es vorweg zu sagen, eine Interpretation werde ich hier nicht leisten. Manchmal verlangt Erschütterung Diskretion. Die Kritik am Reim in ANH’s Gedicht ist nicht anderes für mich, als eine Furcht vor der surrealen Bilderwelt und dem allegorischen, barocken Pathos dieser Verse. In der Literaturgeschichte war Formkritik immer Ausdruck des Unbehagens am Inhalt. Dass jeder Inhalt sich seine Form sucht, war diesen Kritikerinnen und Kritikern nie wirklich zugänglich. Und Manierismus empfinden sie heute noch oft als lyrische Todsünde. Es ist gleich, ob ein Gedicht sich reimt oder frei rhythmisch und visuell gestaltet daher kommt. Die vom Text Betroffenen haben zwei Möglichkeiten ihm zu begegnen. Eine davon ist karthatische Berührung. Die andre ist ist die Flucht, vor eigenem Sentiment, in die formale Kritik.

    Mich hat das Gedicht sehr berührt.

  11. Ja – den Atem hielt ich auch an…

    Diese Erschütterung verlangt Diskretion, weil sie ehrlich ist, weil sie trifft, weil sie entblößt und nackt macht, weil sie schön ist, und weil sie stimmt. Manche Menschen lesen wegsehender Weise hin, und reden es dann hinweg – weil diese Art Berührung unerträglich ist. Inhalt sucht sich seine Form und der Mensch sich seine Kritik. Beides geschieht nicht ursachenunabhängig, die Begegnung in Form des gewollten und einlassenden Berührens auch nicht.

    Ja… es hat berührt…. und berührt noch…

    >>>> 19:10 Uhr… immer noch….

    1. Die drei Engel: das Gedicht ist dicht, überraschend in seinen Bildern, erschütternd in seiner Bedeutung: Es ist das Schicksalhafte, von Liebe und Kunst überstrahlt und aufgehoben.
      Ich hatte bisher große Zweifel (an mir), weil ich dies ganze Loben nicht nachvollziehen konnte, diese Erschütterung und Atemberaubtheit, die aber nicht sagen konnte, warum sie entstanden ist. Ich weiß jetzt auch warum: Ich weiß, was Alban meint (es ist dasselbe wie in den Elegien und wie im „verbotenen Buch“), aber ich finde nicht den gleichen Nährboden in mir, solches in mir aufgehen zu lassen, wenn nicht in einem Mit-Fühlen aus einer immer vorhandenen Distanz. Das Gefühl, dies nicht wirklich fühlen zu können, es ist ein nachvollziehendes Mit-Schwingen. Hinzu kommt für meine Ästhetik, daß die Prämissen bei mir anders gesetzt sind: Nicht die Kunst (die Liebe?) überstrahlt den willkürlichen Lauf des Lebens für mich, die Kunst will einverleiben und vergegenwärtigen, was Leben ist, und es dadurch betrachtbar machen.
      Den letzten Satz betrachte ich allerdings mit hochgezogenen Augenbrauen. Weil ich keine wirkliche Poetik habe, sondern dem Bild zuliebe lebe (zulebe liebe?). Also nicht für voll nehmen. Wort gibt Wort. Wenn ich schreib‘.
      Auch wer Worte gebraucht, mischt indirekt seine Karten.
      Drum hinein diese Karte!

  12. @Montgelas und svarupa Bin tief gerührt, dass sie es so sehen wie ich.
    Genau so wie ich. Diese Übereinstimmung ist ja nicht sehr produltiv, aber…
    welche Reaktion kann man haben, wenn man vor einem solchen Meisterwerk steht?
    Ich glaubte die Meisterwerke sieht man im Museum.
    Und deren Autoren sind alle tot.
    Die liest man in Büchern
    aber sind alle tot.
    Die hört man am Radio
    aber sind alle tot.
    Und hier plötzlich haben wir mit einem Werk zu tun
    Von einem LEBENDIGEN
    von einem Menschen, der fast dieselbe Luft atmet wie ich.

    Ach wie sie Recht haben zu sagen, dass alles nichts mit Form und Inhalt zu tun hat.
    Alles ist hier unsere Realität, heute, heute im September 2006… das entspricht genau unserer Welt, ich weiss nicht warum, und auch nicht wie, aber was ich hier lese, ist WIR.

  13. Man unterscheidet Gedichte daran, ob sie gut sind oder schlecht. Und unterscheidet im Gut und Schlecht vielleicht noch, wenn man es besser nicht kann, ob sie gefallen oder nicht. Dieser zweiten, schlechten Entscheidung kann ich mich nicht enthalten: Es gefällt mir. Bei de ersten, der wertigen, kann ich nichts sagen als: Das ist gut.

    Besonders gut ist diese Strophe:
    „und reichte endlich dem ersten den Stoß.
    Der griff in die Kinder, die harrten,
    zog einen Jungen, ließ ihn ausholend los.“

    Denn, dass da kein Und ist in der letzten Zeile kippt auf wunderbare Weise den Fluss, ohne ihn zu zerstören.

    Und da es wenig gute Lyrik gibt (ich weiß das deshalb, weil ich Hörer von Deutschland Radio bin und also gebeutelt), bedanke ich mich: Danke.

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