Arbeitsjournal. Mittwoch, der 6. Dezember 2006. Berlin. Bamberg.

5.57 Uhr:
[Berlin. Küchentisch.]
Von „gearbeitet haben“ ist, abgesehen von der Zeit im Tonstudio, nicht zu sprechen: Ein solcher Testosteron-, ja, -anfall war das, fast möchte ich ihn ‚Durchbruch’ nennen, daß ich den ganzen gestrigen frühen Morgen und dann die Zeit nach dem Tonstudio nur noch damit verbringen konnte, auf Jagd durch die einschlägigen Chats zu jagen. Dabei ist dann die Umstelltaste der Laptoptastatur endgültig kaputtgegangen. Ich hab aber einen Fingertrick entwickelt, sie trotzdem noch anzuschlagen, werde davon allerdings ziemlich schnell auf dem, womit ich an der Linken hauptsächlich tippe, Mittelfinger Hornhaut bekommen…
Der Studiotermin, letztlich, war frustrierend. Leukert hatte die Vorstellung, das im Jahr 2000 aufgenommene Stück noch modifizieren zu können, das von Caspar Johannes Walter mit zwar sehr schönen Klängen versehen wurde, aber doch inhaltlich unkenntlich gemacht worden ist (mein Erzählkonzept geht völlig unter). Wir hörten und hörten das Klangmaterial durch und hätten wohl auch einiges noch drehen können, hätte sich nicht Walter insgesamt zurückgezogen: er wolle damit nichts mehr zu tun haben, hatte er Leukert gesagt. Abgesehen von dem riesigen Aufwand, den eine Bearbeitung nun bedeuten würde (das Stück war für eine CD-Produktion vorgesehen), stellte sich gestern vor allem eine urheberrechtliche Frage. Nämlich wäre eine Bearbeitung ohne tiefe Einschnitte in die Musik gar nicht möglich; man müßte partiell umkomponieren. Dafür aber fehlt die urheberrechtliche Grundlage. Ich habe das sofort, als ich ins Studio kam, angesprochen, und wir schauten nach Möglichkeiten, o h n e Eingriffe in die Musik das Stück zu revidieren. Aber da war keinerlei Aussicht. Und so beschlossen wir, der Toningenieur, Leukert und ich, den „Weltwechsel“ zu begraben. Einigermaßen bedrückt gingen wir auseinander. Immerhin haben Leukert und ich nun die Idee der Produktion eines ganz anderen, neuen Stückes; wir werden nach seiner Pensionierung Anfang nächsten Jahres ein Konzept entwickeln. Es wird wohl meine erste völlig freie Produktion werden.
Was war sonst noch? In Sachen Arbeit wenig. Da ich nachher nun d o c h bereits nach Bamberg fahren werde, werd ich immerhin, im Zug, wieder an die BUENEOS-AIRES-Lektüre kommen. Vielleicht krieg ich das Buch heute durch und kann dann gleich mit ARGO weitermachen. Während der Studiozeit notierte ich allerdings zweidrei Paralipomena, aber halt nur die Ansätze, bzw. Grundgedanken; um sie auszuformulieren, ließ mir dieser Testosteronschub nicht genug Ruhe.
Ach ja, Leukert hat noch einmal wegen des fehlüberwiesenen PETTERSSON-Honorars zu vermitteln versucht; als ich heimkam, fand ich von seiner Sekretärin eine Email, derzufolge sich da offenbar tatsächlich nichts machen lasse. Nun muß ich entweder – mit höchst ungewissem Ergebnis – meinen Anwalt einschalten und ziemlich viel juristische Unbill auf mich nehmen oder aber das Geld verlorengeben. Auch das hat meine Stimmung nicht gerade gehoben, bzw. reagierte mein Gehirn paradox und richtete im Testosteronschub meine Dominanz ganz steil auf. Heut früh allerdings bin ich – hoffentlich bleibt’s erst mal so – parasympathikoton abgeklärt.

Es hat, fällt mir gerade auf, ein gehöriges Maß spöttischster Ironie, daß dieser Sexualdrang ausgerechnet dann in mir wüst herumzutanzen beginnt, wenn ich parallel mit Fragen der Moral beschäftigt bin. Mein Körper scheint wenn nicht zu warnen, so doch deutlich Einspruch zu erheben – als wollte er sagen: „Begeh nicht selber den Verrat, den du seit Jahren anklagst.“

8.02 Uhr:
Eben bei der Geliebten und unserem Jungen gewesen. Solch ein Maß an Mutterliebe! Das Treppenhaus hinauf schon die Nikolausspuren: Sternenstaub, dazwischen Hunderte feiner goldener Monde bis vor die Eingangstür: das war vom Mantel des Geheimnisvollen gefallen, als er nachts in die Wohnung geschlichen war, um die kleinen Geschenke in den Stiefel zu tun… (Wieder einmal wird mir deutlich, weshalb a u c h ich diese Frau so liebe: sie ist unserem Sohn genau die Mutter, die meiner eigenen Kindheit versagt war; es ist die vollkommene Mutter. Und zugleich, Traum jedes jungen Mannes – und als ein solcher sieht meine Innenperspektive das an -, von unendlicher weiblicher Schönheit; das hat etwas Übermenschliches, als hätte auf ihr ganz bewußt, doch ohne daß sie es merkte, die Hand der dunklen Aphrodite gelegen.)
Auf dem Schulweg im Vorübergehen >>>> etwas aufgeschnappt, etwas leise Tragisches; das formuliere ich eben aus. Um 10.52 Uhr geht mein ICE ab Hauptbahnhof nach Bamberg.

13.30 Uhr:
[ICE Berlin-Bamberg.]
BUENOS-AIRES-Lektüre abgeschlossen; Aufnahme der ARGO-Lektüre (Typoskript) mit zugleich erster handschriftlicher Revision von EF zu ZF.15.20 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Soeben in meinem Studio angekommen; verhaltener, tiefer Rimmel und Baulärm von irgendwo gegenüber. Aber ausgesprochen gut durchgearbeitet im Zug. Die erste Überarbeitung von ARGO hat begonnen.

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