21.04
Ich fand (in alten Kladden wieder mal) ein Zitat aus Proust: „[die] Mehrung des eigenen Ich, die wir als Glück bezeichnen.“ Ich habe die Stelle jetzt aufgeschlagen, sie findet sich auf Seite 1045 (= Band 3) der 10bändigen gebundenen Suhrkamp-Ausgabe. Seit ich sie gelesen habe vor mehr als 20 Jahren, habe ich nie wieder darin geblättert. Ich mag jetzt nicht den ganzen Passus wiedergeben, aber zu sage wäre doch, daß mir während der damaligen Proust-Lektüre zum ersten Mal das Wort „Eigenliebe“ aufstieß: es tauchte zu oft auf, als daß ich’s hätte übersehen können, und es kontrastierte zu sehr mit meinem Verhältnis zu mir, als daß ich hätte vermeiden können, mich fragend im Spiegel anzuschauen. Sicher eines der Werke, die ich ein zweites Mal lesen sollte.
Der Tag: Früh auf, um zwei weitere Abgaben abgabereif zu gestalten. Dann schon bald zurechtmachen für den Nachmittag in Rom: Verabredung mit der Steuerberaterin: die ganzen Unterlagen für die Umsatzsteuererklärung. Glücklicherweise raubte mir das Zusammenklauben der Papiere nicht so viel Zeit, denn ich hatte vor zwei Monaten bereits vorgesorgt, so daß dieses Mal alles komplett war. Regenschauer und absolut milde Temperaturen: mein Mantel wurde mir fast zuviel. Da ich in Montesacro zu früh angekommen war, machte ich noch einen kurzen Spaziergang bis zur Piazza Conca d’Oro, die ich kaum wiedererkannte (immerhin wohnte ich lange Jahr in der Nähe): Bauzäune für die neue U-Bahnlinie. Ansonsten immer noch das triste Häusermeer, die tristen Straßenschluchten. Freudlose Halbperipherie, die Tristezza der Hunde, die im Regen ausgeführt werden zum Gassi gehen, der Portier, der den Prospektausträger fortschickt: „Hier nicht“! Des Austrägers zweimal wiederholtes „Stronzo!“. Keine Gesichter, die mehr als nur Resignation ausstrahlten. Nur die eine Stimme im Bus zurück zum Bahnhof. Lächelte. Aber es war kein Italienisch. Aber romanisch genug, daß Interjektionen wie „mio Dio“ sich zwanglos in die Worte fügten.