Arbeitsjournal. Freitag, der 2. März 2007.

6.31 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]Mir träumte die Lesung.
(Ich bin mir sicher, es geschah, so wie gestern abend auch die Lesung stattgefunden hat; aber ich finde die Stelle jetzt nicht, um die es ging: Körpersäfte, Geschlechtssäfte, die man ‚zu verinnerlichen‘, also zu schlucken widerstrebt; diese Stelle liegt in vielen der Elegien nah an der Haut; aber ich finde sie heute morgen nicht. Deshalb: „Mir träumte die Lesung.“)
Mir träumte die Lesung.

Ich las nach >>>> Marion Poschmanns ruhigem Text – sie hatte, um ein Formklammer zu schaffen – mit einer schönen, eindrücklichen, ausgesprochen verknappten „Sibirischen Elegie“ begonnen – die >>>> Dritte und die Neunte Bamberger Elegie, so, wie sie jetzt vorliegen, also in der Zweiten Fassung. Es waren viele ältere Leute da, die möglicherweise meine Körperbetonung, die Sexualbetonung, verstörte oder auch störte. Darüber ist wenig sicher zu sagen, weil außer einem älteren Herrn keiner der anwesenden Rotarier und Rotariersgattinnen mich später ansprach, als wir alle bei Wein und Schnittchen in der sala terrena standen. Jedenfalls nach Abschluß der Dritten und bevor ich die Neunte anfing, verließ >>>> Zschorsch den Raum. Er war schon einmal aus einer meiner Lesungen gegangen, mitten aus der >>>> Vergana heraus; ich kenn das also schon, und die Verletzung durch einen sagen wir befreundeten Bekannten hielt sich deshalb in Grenzen. Und irgendwann nun kam ich an die Stelle: „…und mögen es nicht schlucken.“Da sagte eine Hörerin aus der ersten Reihe leise und entschieden: „Das kommt vor.“
Normalerweise wird nun gelacht, normalerweise gibt es eine Reaktionsbildung. Gestern abend nicht. Sondern durch den lauschenden Saal wehte ein Eis. Alle, wirklich alle wußten, was gemeint war, sowohl von mir wie von dieser noch gar nicht älteren Dame; sie mag um die Fünfzig sein. Ich hab sie deutlich vor mir: etwas toupiertes Haar, unauffällig elegant gekleidet, gefaßt und sich ihrer Position, ihrer Kraft, sehr bewußt. Und hatte zum Ausdruck gebracht, was sexuelle Haltung so vieler Frauen ist, die nicht ein Instinkt oder ekelnde Scheu darauf achten läßt, ihre Körpergrenze zu wahren, sondern bewußter Wille. Aber es ging a u c h durch den Raum, wie viel vergebliche Erregung sich daheim abgespielt hat in den Jahren, wie viel Versagung aus dem moralischen Gebundensein, wie viel Unerfülltheit. Es war so enorm d a , daß mir das bis heute morgen nicht aus dem Sinn ging.
Der eine Hörer, der nach der Lesung auf mich zukam und mich ansprach, tat das, ohne sich vorzustellen, mit den Worten: „Sind Sie ein Vulkan?“ Was er an Kritik vorzubringen hatte, sehr freundlicher Kitik, war: „Das m u ß schnell gelesen werden. Aber es ist für uns dennoch manchmal z u schnell gewesen. Jüngere Menschen haben es einfacher, wir nicht mehr. Für uns geht so vieles so schnell dahin. Vielleicht hätten Sie eine S p u r langsamer lesen müssen. Aber nicht langsam, nein, nicht langsam. Das m u ß schnell sein. Das m u ß explodieren.“
Ich hätte gern in ein Gespräch mit ihm gefunden, aber ich bin gerade nach Lesungen, die mich beschäftigen, so sehr n u r im Text, daß ich zum Small Talk nicht tauge; ich tauge ja sowieso nicht dazu. (Mit Poschmann sprach ich dann aber lange, über den Reiz der Form, über Alexandriner, über den Hexameter sowieso.)
So hat mir die Lesung geträumt.

Ebenfalls im Schlafen der Entschluß, d o c h noch einmal alles anzugehen, es d o c h mit dem strengen Hexameter zu versuchen, aber etwa >>>> Spondeen so zu verwenden, wie es mir mein poetisches Gefühl sagt, und nicht, wie es die Regel des Hexameters verlangt. Ebenso werde ich mit dem Trochäus umgehen. Und dann zwischendurch vielleicht (aber nur s e h r vielleicht) die Form ganz auflösen, das aber erst n a c h der Dritten, ab der Vierten vielleicht; kleine lyrische Inseln im Fluß schaffen; so hab ich das gestern abend Marion Poschmann gesagt. Wir waren uns beide einig, daß gegenwärtig >>>> die I r o n i e der eigentliche Gegner ist, einer, der alles ins Uneigentliche profaniert.
Auch >>>> ferromonte geht und geht mir nicht aus dem Kopf. In dem einen bin ich ja prinzipiell anderer Auffassung, daß es nämlich n i c h t darum gehen darf, ein „Wesentliches“ herauszuarbeiten. Weil es nämlich dieses Wesentliche >>>> nicht gibt. Es gibt >>>> das Akzidentielle nicht.

Gegen halb eins breche ich nachher wieder zum ICE nach Berlin auf. Vorher also weitere Vers-Arbeit, an den ersten drei Elegien der Zweiten Fassung. Danach erst, wenn das einigermaßen befriedigend abgelaufen ist, werd ich mich an die Überarbeitung zur ZF der anderen Elegien machen und dann die Verslehre in meinem hierüber dargestellten Sinn g l e i c h mitberücksichtigen.

Guten Morgen. Es war viel viel Wein, hier am Schreibtisch dann nachts noch ein sehr schwerer Barrique, der eine Note von schwarzer Schokolade und Brombeeren hat und den ich klugerweise nicht austrank.

8.31 Uhr:
Ich hab‘s, glaub ich, gefressen mit dem Hexmeter. Und werd Ihnen nachher den Anfang der Ersten mit den Betonungsangaben, also aufgedecktem Rhythmus, einstellen. Will aber erst noch etwas weiterkommen. Ist eine ziemliche Fisselei und auf eine Weise pedantisch, die mir gar nicht liegt. Doch indem ich Kühlmann anrief, rief ich‘s ja selbst, und nun hockt mir der spitzlippige Versteufel links auf der Schulter und mäkelt an allem. Und i c h sag: Dich krieg ich klein!

13.10 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin.]
So, im Zug. Jetzt habe ich meine sämtlichen Bücher, die ich wieder in der Arbeitswohnung an ihren Platz stellen möchte, mitgeschleppt. Und noch ein wenig anderes Zeug. Aber auf dem Bahnsteig den Liter Milch stehenlassen, den ich eigens noch auf dem Weg kaufte. Na, wurscht. Einen halben hab ich noch aus dem Studio mit, das muß langen.
Bis mich die Mittagsmüdigkeit anfallen wird, jetzt erst mal weiter mit den Hexametern. Hab >>>> das da an Kühlmann gemailt, ob er bitte noch mal drüberschauen möchte…

17.58 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
N i c h t geschlafen, sondern stur im Zug mit dem Hexameter weitergemacht. Die Zeit ging vorbei wie nix. Sogar in der S-Bahn hexameterte ich, den Laptop auf den Knien, weiter. Dann kurz in die Arbeitswohnung gezogen, um den schweren Rucksack gleich vor Ort zu haben, aber gar nicht erst dort geblieben, sondern hier in die Väter-WG spaziert, um nach Post zu sehen und das Fahrrad zu holen. In fünf Minuten geht‘s weiter zur Familie. Ob ich abends noch mal ins Netz komme, steht in den Sternen.

P.S.: Von LH kam noch >><> etwas Bedenkenswertes.

23.07 Uhr:
[Berlin, Am Terrarium.]
Hab nichts mehr gearbeitet, und es ist mir jetzt, da alles schläft, zu spät, noch einmal an den Küchentisch hinüberzuradeln. Der Mittagsschlaf ist ja ausgefallen, da geh ich jetzt lieber ebenfalls schlafen und radel dann morgen früh ausgeruht hinüber. Nur noch eben das Dts notiert; eingestellt wird dann alles am Morgen. (Im Kopf aber trochät und spondät es über einem Basso Continuo aus lauter Daktylen.)

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