Arbeitsjournal. Mittwoch, der 25. April 2007. Auch zu VERFÜHRUNG EINER FREMDEN.

5.42 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Bin erstmal ans Netz gefahren, will aber nicht lange bleiben, sondern nach dem Kaffee gleich in die Arbeitswohnung hinüberradeln, wo eigentlich ab heute der Netz-Zugang „stehen“ sollte. Die freien Netze, die mir der >>>> Intel Wireless PROset seit neuestem anzeigt, schwimmen sehr und ich komme nur immer kurzfristig hinein. Zu Wlan kills wahrscheinlich >>>> h i e r mehr.

Will heut morgen weiter an >>>> die Stromboli-Dichtung, wobei ich seit gestern abend ein Problem mit dem Titel habe; aber wahrscheinlich ergibt sich ein besserer mit und nach der Arbeit. Titelprobleme sind mir eigentlich fremd.

Gestern nacht, da sich meine Arbeitszeit-Disziplin grad wieder herstellt und ich wieder mit wenig Schlaf auskomme, noch in >>>> „Verführung einer Fremden gegangen, Spätvorstellung im >>>> Colosseum Berlin; es war Kinotag, also verhältnismäßig preiswert, und ich mochte mir Bruce Willis‘ Rolle nicht entgehen lassen, schon, weil er seit >>>> THETIS eine in >>>> ARGO spielt, weil ich diese sehr spezielle Form heterosexueller Männlichkeit sehr mag und ich ihn spätestens seit >>>> „The Sixth Sense“ einen ausgezeichneten Schauspieler finde; irgendwie hat er für mich dadurch – vitale Maskulinität, die sich mit sensibler Mimik und Einfühlungskraft verbindet, ohne dabei je kitschig zu werden – eine Art Vorbildfunktion meines Ich-Ideals bekommen; ich beobachte das an mir selbst ausgesprochen irritiert, aber gebe dem nach. Was a u c h für seine Kraft spricht. Aber d a s Ding? Schon der deutsche Titel, der Perfect Stranger ‚übersetzen‘ soll, ist uninspiriert. Dann kracht die gesamte Story, die gerade für mich ab etwa dem Mittelteil an sich spannend wäre (da es um speziell aufs Sexuelle angelegte >>>> online-Affären geht), gegen Ende völlig zusammen: und zwar einfach wegen des Motivs des schließlich verübten, dann sogar zweifachen Mordes.Was gedeckt werden soll, ist allenfalls ein Totschlag, wenn nicht sogar Notwehr; die eigentliche Täterin, die Mutter der Journalistin, befindet sich längst in beinah-debilem Zustand im Altersheim; es besteht also gar kein Grund mehr für die Erpressung, auf die mit dem ersten Mord reagiert wird. Dann sind die Szenen, in denen die Täterin für sich allein ist, so gebaut, daß sie zwar zu Recht den Zuschauer über sie täuschen sollen, das kann man kapieren, aber dabei wird ihre Psychologie restlos weggespielt – als spielte sie sich selbst vor, nicht die Täterin zu sein. Was ein t a t s ä c h l i c h großes Thema wäre, aber dann eben eine psychologische Studie, nicht der Thriller, den „Verführung einer Fremden“für die Kinokassen offenbar werden sollte. Schließlich ist „Star“ Halle Belly imgrunde unerträglich in ihre tiefelosen Glätte, sie hat, jedenfalls in diesem Film, kaum eine andere Qualität als einen schönen Körper – um den vorzuführen, reichte es völlig, Playmate zu werden – und das Thema Kindesmißbrauch, mit dem der Film pc-dienernde Speckseiten nach dem Publikum wirft, ist nichts als ein Vorwand für schlechtes Erzählen – was den Streifen auch noch unangenehm macht. Willis selbst wiederum fährt eigentlich nur einmal zu Hochform auf – als ihm ‚wirkliche‘ Entrüstung hochsteigt. Jedenfalls hätte ich mir d a s Erlebnis sparen können. Ich stelle diese Aufzeichnung deshalb nicht in >>>> die Rubrik FILME. Was übrigens Halle Belly n i c h t hat, nämlich Ausstrahlung, verkörpert die völlig stumme und sehr kleine Nebenrolle, die >>>> Paula Miranda als Willis‘ Filmehefrau spielt, geradezu perfekt: Geheimnis, Lockung, Kraft. Allein ihre Blicke wären es wert, ihr eine Rolle auf die Seele zu schreiben. Und man fragt sich tatsächlich, weshalb Willis (immer im Film) Affären ausgerechnet mit hübschen, aber sonst reizlosen Affenweiblein wie Halle Belly unterhält. Die böse Antwort darauf gibt, wiederum im Film, ein sonstiges Naivchen: „Zeige mir eine schöne Frau, und ich zeige dir mindestens einen Mann, der nicht mehr mit ihr schlafen will.“ Dieses einzige Mal blitzte G e i s t in dem Film auf, also formulierte Erfahrung.

7.51 Uhr:
Jetzt h a b ich‘s… über der Arbeit gefunden, wie immer, wenn ich erst stocke: >>>> A M N I O N wird >>>> das Langgedicht heißen. Ein umgekehrtes Sonett eingefügt (Erwachen am Morgen nach dem Sturm), aus dem dann wieder der freie Rhythmus entsteht, aber anfangs noch über den Reim gebunden bleibt, der sich dann ebenfalls wieder auflöst… als bliese abermals Wind hinein. So stelle ich mir das vor. Und >>>> parallelisieren: Geburt – Vulkanausbruch. Dabei muß ich etwas finden, das das Unorganische mit dem Organischen sprachlich kontrapunktet… vielleicht funktioniert das über Verdinglichung, d.h. über Nominalisierungen, Substantivierungen… mal sehen.

10.16 Uhr:
[Arbeitswohnung. Dallapiccola, Ulisse.]
Noch immer kein anliegendes DSL. Die emotionsklärende Kraft der Musik. Es tut mir ein bißchen weh, wie >>>> das mit Terpsichore und >>>> mit Ferromonte nun wieder gelaufen ist, aber ich kann es nicht ändern. Auf jegliches soziale Vorhalten reagiere ich allergisch. Ich hab manchmal den Eindruck, einige mir eigentlich sehr Wohlgesonnene hätten die Idee, mich in den Schoß der Gemeinschaft zurückzuholen, von dem ich mich ganz bewußt spätestens brüsk entfernt habe, nachdem ich über Jahre von Kindheit und Jugend erfuhr, zu welcher Erstickung soziale „Einheiten“ fähig sind, zu welcher Brutalität vor allem – egal, ob Familie, Mitschüler oder Lehrer -, und nachdem ich zum ersten Mal und dann sehr erfolgreich zurückschlug; ich meine das durchaus körperlich. Damit war für mich – aus Erfahrung – jede weitere Brücke gesprengt. Nun scheinen manche Menschen anzunehmen, solche Erfahrungen relativierten sich mit zunehmender Reife. Es ist aber das Gegenteil der Fall: sie v e r t i e f e n sich über weitere Erfahrungen, sie bestätigen sich, und es wäre ein Akt sentimentaler Dummheit, „Schwamm darüber“ zu sagen. Es wäre Selbsttäuschung um einer Hoffnung auf Nest willen. Es g i b t aber kein Nest – kein anderes jedenfalls, als eines, das man rein für sich selber und seine Allernächsten baut. Alles andere ist Regulation, d.h.ein Zwangssystem, das sogar noch vorschreiben will, was man öffentlichen machen dürfe und was nicht: permanentes soziales Bondage. Darauf lassen sich nur >>>> Todesfürchtige ein, also Leute, denen Sicherheit wichtiger ist als Entwicklung. Denn der Entzug der Sicherheiten, genau das ist es, womit gedroht wird. Wobei ich normalerweise Gruppen wie Einzelnen gegenüber sehr konziliant bin, das ändert sich aber vipernartig, wenn man meine Arbeit angreift, denn allein über s i e und nicht über Zugehörigkeiten ist mein insgesamt brüchiges Ich definiert. Dabei darf man mich gerne, auch öffentlich, ein Arschloch nennen; da würde ich mich gar nicht wehren; ich mag ja sogar eines sein; das ist mir imgrunde ganz egal. Nur die Arbeit ist es nicht, und zwar genau so wenig, wie es mein Sohn oder meine Frau wären (oder die Freunde). Griffe man s ie an, reagierte ich ganz ebenso aggressiv. Insofern läßt es sich, auf mich bezogen, eigentlich nicht von „egoman“ sprechen, sondern „operaman“ bezeichnete den Sachverhalt. Ich selbst bin mir- also meine persönliche Wohfahrt ist mir – in Vergleich zu der meiner Arbeit ganz ebenso egal. Unter diesem Vorzeichen ist >>>> d a s zu verstehen. Dieses nachzuvollziehen, bereitet ganz offenbar auch mir nahen Menschen große Probleme. Deutlicher läßt sich die Fremdheit zwischen mir und den anderen überhaupt nicht darstellen: es ist geradezu wie p h y l o g e n e t i s c h e Verschiedenheit. Und die hat mich nun schon wieder vom Weiterarbeiten abgehalten.

13.46 Uhr:
Mittagsschlaf. War kurz mit den Zwillingen unterwegs; vorher Internet-Verhandlungen über DSL Am Terrarium. Hält alles von der Arbeit ab, ist aber alles wichtig. Ich hoffe, noch etwas mit der Stromboli-Dichtung weiterzukommen. In der Arbeitswohnung w a r t e ich noch wegen DSL; auch da erneute Telefonate….

23.24 Uhr
[Küchentisch, Am Netz.]
Nochmal h i e rher gefahren, um etwaige DSCHUNGEL-Angelegenheiten durchzusehen und ggbf. zu reagieren, was ich >>>> soeben tat. >>>> Dielmann möchte wegen der >>>> Liebesgedichte Volker Hages (Der Spiegel) Kontaktadresse wissen; ich habe verhalten reagiert, weil ich keine privaten Telefonnummern herausgebe, schon gar nicht von Leuten, mit denen ich nicht gerade befreundet bin. Da ist eine ganz besondere Sorgfaltspflicht zu achten – aus, sagen wir, Krieger-Ehre. Die Bändchen selbst sind heute leider noch immer nicht angekommen.
Nachmittags längeres Gespräch mit >>>> Carthaga Titania, die mich für ein mitteldeutsches Anthologieprojekt gewonnen hat, dadurch aber in Gefahr geriet, >>>> Jan Röhnert, den ich auch literarisch sehr schätze, als Beiträger zu verlieren, weil er, wie er gesagt haben soll, nicht für mich als Staffage herhalten will. Es ist für mich einigermaßen unklar, wie er allein auf einen solchen Gedanken, in Wahrheit: in eine solche Emotion verfallen kann. Ich hab mich um diesen Auftrag wirklich nicht gerissen, es war rein Titanias Idee. Egal, ich schreib ihm morgen und guck jetzt noch einen Film.
Meine Hölderlin-Ausgabe ist weg, wahrscheinlich an jemanden verliehen, von dem ich nicht weiß, wer das gewesen sein mag. Ärgerlich, weil ich nun ans Netz m u ß, wenn ich mich auf seinen Empedokles beziehe – und also, solange DSL dort nicht steht, die Arbeitswohnung nicht für die Stromboli-Dichtung nutzen kann. Broch hab ich noch beigezogen, den Tod des Vergil. Mehr aus Gründen der dortigen Versversuche als aus einer inhaltlichen Erwägung – wenn man einmal vomTodesthema absieht, das für mich aufs engste mit Geburt verschränkt ist.

Ah ja, und nach einer Protestbeiwohnung wegen der Streichung von Bildungsgeldern im Bezirk Prenzlauer Berg, die besonders auch die Musikschule meines Jungen betrifft, bin ich aufgrund der sehr klaren Bildungs- und Kunst-Positionierung der CDU-Vertreterin im hiesigen Bezirksrat zum ersten Mal in meinem Leben in Versuchung geraten, der CDU beizutreten. Das ist nicht einmal eine Abwägungsfrage. Sondern: Mein Sohn braucht all seiner Vorbildung nach eine geförderte und weiterfördernde Ausbildung, die der Vorstellung von Egalität widerspricht. Für ihn ist der Elite-Aspekt wichtig. Den wiederum vertrat heute allein die CDU. Ich will nicht s e i n e Ausbildung aufgrund allgemein-menschlicher, letztlich ideologischer Erwägungen, und seien sie n o c h so begründeter Natur, auf ein politisches Spiel setzen. Sondern ich habe ein I n t e r e s s e, nämlich das seine. Wenn das mit den Interessen anderer kollidiert, stehe ich auf s e i n e r Seite – und wenn es sein muß, n u r auf seiner.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Mittwoch, der 25. April 2007. Auch zu VERFÜHRUNG EINER FREMDEN.

  1. Humor am Morgen – ANH & CDU. ..bin ich aufgrund der sehr klaren Bildungs- und Kunst-Positionierung der CDU-Vertreterin im hiesigen Bezirksrat zum ersten Mal in meinem Leben in Versuchung geraten, der CDU beizutreten.

    Man muss doch nicht gleich einer Partei beitreten, nur weil man mit ihren Irrtümern übereinstimmt.!

    Verstehen sie mich bitte nicht falsch. Das vereinfachende linksromantische Gesäusel von der Gleichheit aller ist mir ebenso fremd.

    1. Broch, der passt ! „Der echte Demokrat behandelt die verschiedenen irdischen
      Ideologien und Gesinnungen, insbesondere wenn sie – wie die „politischen Religionen“ – als ethische Überzeugungen und Forderungen auftreten, samt und sonders mit etwas verächtlicher Toleranz, setzt ihnen aber ein anderes und spezifisch demokratisches Konzept entgegen, das der „Anständigkeit“. Im Begriff der „Anständigkeit“ zeigen sich die beiden Hauptkomponenten der demokratischen Geisteshaltung, nämlich
      1) die einer unschwärmerischen, nüchternen Rationalität, und
      2) der Glaube an die innerste Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt.“
      Hermann Broch “Massenwahntheorie”

    2. Und von der “Anständigkeit” ist’s nur ein Schritt ins Unsägliche der political correctness. Die die Tiefe von der Welt subtrahieren will und Schicksalhaftes als handbar jederzeit selbst zu Wendendes vortäuscht, mitsamt den Konsequenzen, demokratische Entscheidungen als Volksentscheidungen auszugeben und Macht wie Lobbyismus zu verdecken. Zusammen mit der “unschwärmerischen Rationalität” gehen dazu die Träume verloren, bzw. sie werden zu verdinglichten (vermarktbaren) Substituten, und ein Ausruf wie der des Empedokles wird allenfalls noch, wenn überhaupt als etwas, als fremd empfunden:

      (…) da bat
      Ich herzlich oft um eines nur die Götter:
      Sobald ich einst mein heilig Glück nicht mehr
      In Jugendstärke taumellos ertrüg’,
      Und wie des Himmels alten Lieblingen
      Zur Torheit mir des Geistes Fülle würde,
      Dann mich zu n e h m e n – (…)
      Hölderlin, Empedokles.

      Wie Sie lesen, arbeite ich g e g e n s Demokratische am “Pathos-Projekt” weiter.

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