Die Heizung habe ich erst vor einer halben Stunde eingeschaltet, nachdem ich vom Dorfrundgang zurück war: Zigaretten, Eier, Schinken, Käse, Wein (so unkonsequent wie jeder Wille (heute überwiegt in meinem Verhältnis zum Alkohol der Auflehnung dagegen, daß einem da so ein Schuldgefühl entsteht bzw. tatsächlich auch eingeimpft wurde – in all den Jahren (also: Nieder mit den Über-Ichs!))). Im Vergleich zu gestern und mehr zu vorgestern ein überraschend mildes Lüftchen draußen. Als ich mich zu diesem Gang fertig machen wollte, rief eine meiner beiden Schwestern an. Sie wollte mal hören, wie es geht. Sicher, sie waren etwas überrascht, als sie von meiner Trennung hörten, denn ich habe nie mit ihr und der anderen Schwester über meine Probleme in der Hinsicht reden können, wie auch lange Zeit mit überhaupt niemandem, weil mir selbst alles zu kompliziert erschien. Vielleicht kommt es ja dann mal zu einem Sprechen, wenn ich von Weihnachten bis kurz nach Neujahr bei ihnen auf dem Dorf bin. Häufiges Thema sind dann auch diese frühen Tode von Leuten, die ich selbst gar nicht mehr Gelegenheit hatte kennenzulernen, weil ich dort schon seit dem 19. Lebensjahr nicht mehr wohne. Heute ein 46jähriger, der an Lungenkrebs gestorben ist, außerdem herzkrank war und auf ein Herz zum Verpflanzen wartete. Der diesen Lungenkrebs auch gar nicht hatte behandeln lassen wollen. Der hatte einfach resigniert. Er sei sowieso nie im Dorf gewesen, dauernd bei Skoda in Tschechien, wo die ihn hingeschickt hätten zum Arbeiten, die Wolfsburger Automobilhersteller. Zweite Ehe, aber die auch nicht so besonders. Dann dachte ich noch an die anderen, und an die zwei, die mit mir zur Schule gegangen sind, von denen der eine bereits einen Schlaganfall hatte, der andere an Parkinson laboriert. Und noch andere Fälle von hinfälliger Gesundheit. Da habe ich dann so gefragt, woher das denn komme, ob die alle zu viel saufen. Nein, sagte sie, und ließ nur den Namen der Fabrik fallen, die einst den Käfer baute, wo einst die Hälfte des Dorfes arbeitete, und wo ich ja selbst mal meine „Berufsausbildung“ gemacht habe. Zu allem Überfluß erfuhr ich noch von dem anderen Neffen, der aufgrund einer gescheiterten Tischlerlehre nun doch auf Zeit bei der Bundeswehr gelandet ist. Nächstes Jahr geht’s mit dem nach Afghanistan. Ich hoff’, er hat dann Urlaub, wenn ich im Dorf bin, ich würde dann gern mit ihm darüber reden.
Ansonsten wollte ich fast nur ein Zitat bringen heute:
Wenn man erzählt, erzählt man nicht von den Dingen und Perioden, in denen alles stillstand, wo alles Stagnation war, Lähmung, Apathie, in der ich mir Aktivität nicht mal vorstellen konnte. Die Erzählung kriegt, fälschlicherweise, auch noch da den Charakter von Aktivität, wo Apathie, Verzweiflung, Lähmung, Angst herrschten. […] Und nur aktiv kannst du von Apathie überhaupt erzählen, denn als Apathischer kannst du nicht von Apathie erzählen, als Apathischer bist du nur apathisch. Jörg SCHRÖDER, Siegfried
… weil es mir heute tatsächlich so ging. Nur so ein kurzes „Muß“ am Vormittag. Sobald das weggefallen war, überkamen mich zwar nicht „Verzweiflung, Lähmung, Angst“, aber es machte sich etwas Lethargisches breit. Was ich oben erzählte, ist nur die Zäsur des Tages.