5.16 Uhr:
[Arbeitswohnung. Monteverdi, Combattimento/Marienvesper.]
Wessen Jungenherz schlüge als bei der Nachricht höher, der Profi werde in drei Wochen das Kap der Guten Hoffnung umsegeln? Dessen, der mitsegeln dürfte…
Guten Morgen. Bis Viertel vor zwölf in >>>> der Bar gesessen und geplaudert und, würde der Profi sagen, den Frauen auf den Po geschaut, wovon es mindest einer wert gewesen, daß mann’s auch tat. Dann durch die eisige Nacht mit festgefrorener Rückbremse zurück heimgeradelt, die Babies übernommen, die beide höchst unruhig sind… und plötzlich steht die Liebste im Raum, schließt die Tür zum kleinen Balkon und übernimmt die Wache wieder, weil’s halb fünf… s e i. Sie hat sich vertan, der Wecker ging eine Stunde vor. Als ich’s registrierte, schlief schon wieder alles. So bin ich denn um Viertel vor vier hierher in die Arbeitswohnung und hab mich für eine weitere Stunde auf meine Couch gehaun… um tief, sehr tief weiterzuschlafen. Aber ich hatte das Mobilchen sicherheitshalber auf dem Schreibtisch plaziert, so daß ich aufstehen m u ß t e, als es weckte… allzu munter und heiter ist der Weckton, der sich dann, viel weniger heiter, permanent wiederholt… Gut, so sitz ich hier, höre meine Marienvesper-Aufnahme unter Jacobs und beginne die Arbeit. (Bis neun will ich was tun, dann mich tatsächlich an den Arbeitswohnungsputz machen, damit LH, wenn er heute abend für zweimaliges Übernachten eintrifft, es auch angenehm hat. Den Kachelofen hab ich für ihn gestern schon zur Pflicht gerufen.)
Meine Mutter kam gestern dann wirklich ins Krankenhaus, und die Diagnose ist niederschmetternd: Der eine Beckenflügel ist bereits nekrotisch. Sie hat einfach zu lange gewartet; es ist nicht auszudenken, wie das weitergegangen wäre, hätte ich nicht gedrängt und dann die Ärzte aufgescheucht. Und man muß sich vorstellen, daß sie keines der Schmerzmittel vertragen und jedes abgesetzt hat, außer ganz zum Schluß das Ibuprofen. Welch eine harte Frau im Nehmen! Nun müssen wir weitersehen, aber es ist absehbar, daß sie fortan Pflege brauchen wird; ich werde mich darum kümmern, daß sie nach Berlin kommt; von hier aus zum Schwarzwald läßt sich ja kaum etwas wirklich menschlich organisieren. Weitere Diagnosen sind abzuwarten; es ist nicht heraus, ob dem doppelten Beckenbruch überhaupt eine Osteoropose zugrundeliegt oder ob die Nekrose bakteriell ausgelöst und das Becken überhaupt deshalb gebrochen wurde. Das werden die nächsten Tage ergeben, deren Ergebnis die weitere Behandlung und alle anderen Folgen bestimmen wird. Jedenfalls ist sie erst einmal, bis Dienstag, unter ärztlicher und pflegerischer Aufsicht. Meine Güte, der Arzt sagt ihr Ende September: „Wir sehen uns am 17 Januar wieder“ und trotz aller Schmerzen und obwohl sie sich schließlich so gut wie gar nicht mehr bewegen kann, hält sie sich daran. „Ich bin halt diszipliniert“, sagt sie. Und der wegen der allergischen Reaktionen auf die Schmerzmittel herbeigerufene Hausarzt weiß sich nicht anders zu helfen, als die Schmerzmittel abzusetzen und auf weitere Medikation insgesamt zu verzichten. Bei einem doppelten Beckenbruch. Es ist wirklich nicht zu fassen.
Der Profi hat nach >>>> L. gefragt. „Was ist da passiert, daß sie plötzlich schweigt?“ „Ich weiß es nicht, aber ich hatte schon den Gedanken, daß vielleicht i c h nun ihre Geschichte weiterschreibe – als einen Roman. Es würde mich interessieren, was und ob dann etwas geschieht. Aber mir fehlt momentan einfach die Zeit.“ – Auch die Liebste hat sich gestern leise beschwert, daß ich eigentlich immer nur den Eindruck machte, an den Schreibtisch der Arbeitswohnung zu wollen. „Als könntest du es gar nicht aushalten, nur mit der Familie beisammenzusein.“
<17.27 Uhr:
[Sokrates, Der geduldige Telemann… nein, umgekehrt.]
So, die Wohnung ist in Schuß, und es riecht richtig nach Klinik im Toiletten- und im Duschräumchen. Nu‘ muß man sich nicht schämen. Kohlenachschub ist hochgeholt, so muß LH nicht frieren. Und ich bin rasiert und geduscht und dufte. Nur noch das Klamottenregal wäre noch zu richten, aber dazu hab ich jetzt keine Lust mehr. Lieber schau ich noch ein halbes Stündchen in die Dritte Vorlesung, zu der mir immer wieder kleine Ergänzungen einfallen. Zwischendurch kam >>>> das an; ich mußte sogar 1,36 Euro Nachporto zahlen. Heiter. Und >>>> parallalie kam auf einen Espresso schon mal vorbei; wir werden uns alle dann um 22 Uhr im >>>> Prater treffen. Wer also Autogramme möchte: ich denk mal, im Tausch gegen Bier ’n Koan ließen wir uns nicht lumpen.
Was ich noch nicht gemacht hab: Post geöffnet. Das ist morgen fällig. Um ein bisserl was wegzuschaffen. Mehr, um Sie zu erheitern, fällt mir momentan nicht ein.
Früh-Aufstehen… Ich muss früh aufstehen. Meine Feinde stehen noch früher auf. Man darf sich von den Geschäftemachern nicht in den A-B-C-Tugenden schon übertreffen lassen.
(Doderer)