Arbeitsjournal. Donnerstag, der 6. März 2008. Mit Carl Johannes Verbeen.

5.10 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Als ich eben meine Post aus der Nacht durchschaue, finde ich die Nachricht, daß >>>> Carl Johannes Verbeen >>>> gelöscht worden ist. Das ist schade, aber gegen den kleinen Geist von Platzwarts helfen auch Streckmaschinen nicht, um von Bildungsangeboten einmal zu schweigen. Der gelöscht habe, nenne sich denn auch trefflich „Ureinwohner“, und der treibe sich, wie man >>>> hier lesen kann, vorwiegend in den Gefilden des Fußballs herum, wo man ja mancherlei anderes Zeugs mit Flaschen werfen sieht. Also will ich nicht klagen, sondern denke mir, Verbeen hat ins Fahnenschwenken ohnedies nie gepaßt. Ich werde allerdings, sowie ich mit der Überarbeitung der HEIDELBERGER VORLESUNGEN für die Druckfassung fertig sein werde, hier in Der Dschungel Verbeens Lebenslauf neu einstellen und dann auch, wie angekündigt, >>>> die Löschdiskussionen aus der wikipedia hier hinüber dokumentieren. Sie sind ja nicht ohne Komik. Ich bin nur gespannt, wie man jetzt mit dem eigentlichen Eintrag über mich weiterverfahren wird; >>>> Lieberknecht hatte ja schon angekündigt, er müsse im Sinne einer vorgeblichen Neutralität umgeschrieben werden.
Dann war ich nach 22 Uhr mit dem Profi im >>>> Prater und habe meinen FREITAG-Text durchdiskutiert, also meine These, daß es unter anderem deshalb nicht zu einer neuen Formierung der deutschen Linken kommen könne, weil sie gar keine kulturelle, also für den deutschen Sprachraum deutsche Identität habe, was mir, >>>> wie ich schon schrieb, den Vorwurf eingetragen hat, „von neurechten Positionen kaum mehr unterschieden“ zu sein; und daß dies zum anderen mit einer Heroisierung des Pops zu tun habe, sprich mit affirmiertem Kulturverrat. Da war dann wieder einmal Pop gegen Pop abzugrenzen; also: was ist eigentlich gemeint, wenn ich von Pop schreibe. Gemeint sind natürlich die Charts, gemeint ist „Deutschland sucht den Superstar“ usw., gemeint ist die Internalisierung der auf reinen Warenumschlag, nämlich Umsatz ausgerichteten Äquivalenzform. – Wir sind da auf eine ziemlich spannende Idee gekommen, ja sie ist so sehr utopisch, daß sie vielleicht sogar realisiert werden kann. Das wird mein heutiges Telefonat mit dem FREITAG-Redakteur zeigen, ob man weit genug ist im Kopf, solch einen Strauß zu wagen. Sagt er ja, werde ich mit der FAZ, bzw. der Sonntagszeitung telefonieren und den nächsten Schritt einzuleiten versuchen. Das Ganze, realisiert, wäre – wie sagt man so schön? – der Hammer.
Zu wikipedia noch findet man >>>> hier einiges Erhellende. Elegant gelöst haben die Wikipedianer allerdings >>>> ihr Problem mit dem Kybernetischen Realismus. Gibt man nämlich jetzt bei wikipedia “Kybernetischer Realismus” ein, wird man automatisch auf die Site über mich weitergeleitet. Mit solch einer Lösung kann man vorerst gut leben.

13.36 Uhr:
Mein Junge ist zum Üben hier; wir arbeiten jetzt alles Verschlampte auf, üben hier auch Cello, und vor allem kann ich ihn im Hintergrund mit Musik in Kontakt bringen, die zu Hause eher nicht gehört wird.
Das Gespräch mich dem FREITAG-Redakteur: Ich verwendete eine Terminologie, die namentlich von den französischen Vertretern einer neuen Rechten angewandt werde, um bestimmte Ideologien wieder marktfähig zu machen. Mal abgesehen davon, daß mich das gar nicht interessiert, wenn ein Gedanke an sich stimmt oder doch schlüssig ist, fände ich, argumentierte ich, es g e r a d e für eine Zeitschrift wie den FREITAG mit seiner ganz bestimmten, ideologisch ja nicht selten ebenfalls festgefahrenen Meinungsstruktur sehr spannend, Positionen wie die meinen zu Gehör zu bringen; nur da können sie tatsächlich auch erkenntnisbildende Wirkung entfalten – ohne daß sie unbewußt affirmiert würden. Die Idee, die der Profi und ich gestern nacht ausfuchsten, hab ich ihm auch unterbreitet – wir wollen jetzt auf der Leipziger Messe am Ende der nächsten Woche persönlich sprechen. Bis dahin müssen Sie sich bezgl. meiner konkreten Formulierungen leider noch gedulden.
Interessant war, und punktete meiner These völlig zu, daß der Redakteur überhaupt gar keinen Kontakt mehr zu deutscher Musik hat und gar nicht wußte, daß Schubert, Brahms usw. überhaupt noch eine tragende Rolle spielen, geschweige, daß es unterdessen eine junge, hochgebildete moderne Sängergeneration gibt, die diesen Liedern einen völlig neuen Rang verleihen, bzw. ihn bestätigen. „Wenn ich in den USA bin, bin ich mehr zuhause als hier“, sagt er, „da kann ich mich gut verständigen und fühle mich wohl.“ „Aber doch nicht in gleicher Weise wie in deiner Mutersprache“, entgegnete ich. Was jedem Übersetzer vollkommen klar und fast schon banal ist, war ihm gar nicht mehr bewußt. Es ist genau das, was ich mit Kulturverlust meine.

Die Printversion der HEIDELBERGER VORLESUNGEN ist nunmehr als TS an den Verlag hinausgegangen.

12 thoughts on “Arbeitsjournal. Donnerstag, der 6. März 2008. Mit Carl Johannes Verbeen.

  1. @ also meine These, daß es unter anderem deshalb nicht zu einer neuen Formierung der deutschen Linken kommen könne, weil sie gar keine kulturelle, also für den deutschen Sprachraum deutsche Identität habe, […]

    Was diese These besagen soll erschließt sich mir nicht. Die Linke in Deutschland versteht sich – soweit ich das beurteilen kann – als Teil der internationalen Linken. Sollte sich die Fragestellung des Freitag auf “deutsch” beziehen, wäre sie unsinnig. Ich habe die Frage auf eine Linke in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bezogen. Deutsch somit als Bestimmung des Ortes und nicht der Inhalte.

    Da ich den Artikel nicht im Original kenne – kein weiterer Kommentar.

    1. Rechts und links Hier, JakovK, nämlich in der mit dem Wort “deutsch” angezeigten räumlichen Beschränkung, steckt aber doch genau die Anschlußfähigkeit der Herbstschen Überlegungen zu Positionen, die man mit Fug und Recht “rechts” nennen kann. Denn die differentia spezifica zwischen linken und rechten Positionen besteht a) im Menschenbild, b) im Verhältnis zur Nation. “Rechter” Politik liegt ein grundsätzlich pessimistisches Menschenbild zugrunde, und sie ist immer nationalstaatlich ausgerichtet; für die “Linke” gilt das glatte Gegenteil. Antikapitalismus findet man hingegen auf beiden Seiten; man lese etwa “Das Ende des Kapitalismus” von Ferdinand Fried, einem “Rechten”. Folgt man der von Armin Mohler (“Die konservative Revolution in Deutschland”) eingeführten Ausdifferenzierung innerhalb des rechten Spektrums, dann ist Herbsts Position entweder nationalrevolutionär oder jungkonservativ. Sie ist jedoch auf keinen Fall “links”. Und so ergibt sich die spannende Frage, warum Herbst offenkundig so sehr darum bemüht ist, nicht als “rechts” zu gelten, obwohl er eindeutig “rechte” Positionen artikuliert. Damit man mich nicht mißversteht: Soweit sie sich bislang ausmachen lassen, teile ich Herbsts Ansichten.

    2. @Hans Zehrer Ich kenne den Artikel von Herbst auch nicht un dmöchte die These demzufolge nicht voreilig kommentieren.

      Ihre Rubrizierung “rechts” / “links”, pessimistisches vs. optimistisches Menschenbild, usw. erscheint mir arg holzschnittartig und blendet alle historischen Erfahrungen vollkommen aus.

      (Lustigerweise wäre demzufolge jemand wie Kohl schon fast ein “Linker”.)

    3. @Gregor Keuschnig
      Nennen wir es doch statt “holzschnittartig” einfach “idealtypisch”.
      Welche historischen Erfahrungen meinen Sie?
      Kohl war ein Liberaler. Nichts hassen – das haben sie gemeinsam – Linke und Rechte mehr als Liberale.

    4. @JakovK, Zehrer und Keuschnig. Meine in dem Artikel, den von Ihnen selbstverständlich noch niemand kennen kann, vertretene These besagt, daß gerade die Löslösung der Subjekte von ihrer Herkunft, d.h. von ihrer kulturellen Prägung, zu psychischen Entfremdungserscheinungen einerseits und einer ungeerdeten Flexibilität andererseits führen, wie sie die kapitalistische Marktwirtschaft gerade braucht und dann nur noch ausformen mußte und muß. Die These stellt n i c h t irgend eine kulturelle Herkunft über eine andere, sondern sagt, und das gilt auch für die Deutschen: wenn ihr eure kulturellen Wurzeln verloren habt, werdet ihr letzten Endes zu Replikanten. Das ist im Falle Deutschlands bei mir n i c h t national gemeint, weil deutsche Kultur und deutsche Nation weder dasselbe sind, noch auch je ein Gleiches waren. Insoweit sich die Anhänger einer Internationalen Arbeiterschaft allein über ihre Klassengehörigkeit identifizieren sollten, hat “der” Kommunismus einen gehörigen Teil zum schließlichen Sieg des Kapitalismus’ mit beigetragen. Ich halte es für einen grundsätzlichen Fehler, kulturelle Identität durch “Klassenbewußtsein” ersetzen können zu glauben. Die Folge ist ein eklatanter Werteverlust, der sich über die Ratio nicht ausgleichen läßt, weil Werte geglaubt, das heißt nämlich: g e f ü h l t werden müssen.
      Noch kann ich den Artikel nicht in Der Dschungel einstellen, weil zum jetzigen Zeitpunkt nicht heraus ist, ob er nicht schließlich doch noch erscheinen wird, und ich möchte mir diese Möglichkeit nicht verbauen.

    5. @albannikolaiherbst Sehr interessante These. Ich möchte einer Diskussion nicht vorgreifen, halte mich daher noch zurück. (Die ketzerische Frage, ob man in einer Zeitschrift wie dem “Freitag” so etwas publizieren kann, vergeben Sie mir hoffentlich.)

    6. @Keuschnig ff. Genau das hat dem Redakteur ein ganz besonderes Unbehagen bereitet. Meine Argumentation dagegen: Wo sonst soll man einen solchen Artikel publizieren? Publiziert man, um dem Leser nach dem Maul zu reden? (In der von mir formulierten Form würde ich meinen Artikel z.B. nie und nimmer in einer rechtslastigen Zeitung veröffentlichen.)

    7. @albannikolaiherbst Der “Freitag” ist – das ist zumindest meine Erfahrung – relativ einseitig und für die Redaktion ist das schlichtweg schon “too much”. Das passt einfach zu wenig in das starre Weltbild. Als Günter Gaus noch Mitherausgeber war, wäre das eher möglich gewesen.

      Vielleicht am ehesten noch etwas für die “Zeit”, die sich solche Ausflüge gelegentlich noch gestattet.

    8. Theorie und Praxis Herbst in der “Jungen Freiheit” – das hätte doch was! Von Lorenz Jäger von der FAZ bis dorthin ist der Weg ohnehin nicht sehr weit. Aber von den publikationsstrategischen Überlegungen mal abgesehen: Welche praktischen Konsequenzen wären aus dem skizzierten Befund zu ziehen? Das sieht doch ganz nach einer nationalpädagogischen Aufgabe aus, die gesellschaftlich wirksam nicht allein durch die zunehmend erodierten Familien als Sozialisationsagenturen zu bewerkstelligen wäre. Daher kann man theoretisch zwar deutsche Kultur und deutsche Nation feinsäuberlich voneinander getrennt halten, praktisch bedarf es dann am Ende doch des Staates, der sich hier einer Aufgabe annehmen müßte, die auf sowas wie eine nationale kulturelle Identitätsbildung hinausläuft. Im Zeitalter von “Free-TV” und Internet dürfte sich das im übrigen nicht ohne rigorose Restriktionen bewerkstelligen lassen.

    9. @ h. zehner / restrictions Kultur musste ihre verbindlichkeit verlieren, um in die welt gelangen zu können.
      Sie verlor dadurch ihre exklusivität an die abstraktion.

      Im postfordismus ist die maschine so gut wie an die stelle des fliessband-arbeiters getreten.
      Der begriff „klassenbewusstsein“ ist längst nicht mehr nachvollziehbar :
      er findet nur noch als „bewusstsein der verlierer“ gehör, die keine homogene
      klasse repräsentieren.
      Diese werden in paradoxale interpretationsrahmen eingebunden, in denen
      protestkulturelle entäusserungen oftmals völlig antagonistisch in konträre
      gesellschaftliche milieus in sog. “paradigmenwechsel”-patterns verschoben werden können.
      ( vor allem aus einer bürgerlich-konsaervativen an- & übereignugspraxis heraus,
      welche aber heutzutage wieder verstärkt in restriktive lethargie zurückfallen will )

    10. @Hans Zehrer zur “nationalpolitischen Aufgabe”. Um Göttinswillen! Wenn sowas zu einer staatlichen Aufgabe würde, hätten wir die (aus u.a. ökonomischen Gründen) ohnedies schon wirkenden Anti-“Fremden”-Strukturen erst so richtig zementiert. Nein, wenn es um, sagen wir, “Rückbesinnung” auf deutsche Kultur geht, können das allein die Künstler selbst tun – wie Syberberg es immer wieder getan hat, wie auch Anselm Kiefer es immer wieder tut. Wollte ein Staat hier eingreifen, wär ich selbst der erste, scharf zu opponieren. In die Lehrpläne für Deutschlehrer müßte allerdings unerbittlich hinein, daß sie die deutschsprachige Literatur einigermaßen überblicken und vermitteln können, daß sie sie kennen. Und erwartet werden muß von ihnen, daß sie sie auch l i e b e n. Sonst funktioniert nämlich Lehre nicht.
      Im übrigen mißverstehen sie mein Anliegen ein wenig: Ich will V e r m i s c h u n g. Es muß aber ein Eigenes da sein, wenn sich etwas furchtbar vermischen können soll. Politisch bin ich für sofortige Einbürgerung eines jeden Flüchtlings, und zwar radikal und ohne jede peinliche Nachfrage, egal, ob es sich um politische oder sog. Wirtschafts-Flüchtlinge handelt. Wenn einer aus wirtschaftlichen Gründen emigriert, ist seine Not groß. Umgekehrt würde ich von so Aufgenommenen aber auch radikal fordern, daß sie sich 1) zu libertären Umgangsformen bekennen, wie unser Grundgesetz sie vorschreibt; das bezieht sich jetzt vor allem auch auf Familienmitglieder (ich habe da besonders Frauen im Blick); das bedeutet im besonderen: Staatsrecht bricht Kirchen-, bzw. Glaubensrecht; und daß sie sich 2) Sprachkursen unterziehen, die mit Prüfung abzuschließen sind, und zwar ebenfalls von der ganzen Familie (bis zu einem gewissen Alter, selbstverständlich; von alten Leuten kann manches nicht mehr erwartet werden). Eine einstweilige Einbürgerung würde erst durch Bestehen eines solchen Sprachkurses endgültig gemacht.

      Es ist aber bei der inrede stehenden Fragestellung selbst nachzufragen, ob es denn überhaupt heilsam wäre, wüßte sich “die Linke” politisch wieder zu formieren. Ich hätte da viel Angst vor der Kader, ja ich bin überzeugt, daß das, was >>>> dort als Hacks Rückgratsbruch diskutiert ist, abermals um sich griffe. Einige Erlebnisse dieserart habe ich in meinem Künstlerleben mit der “Linken” durchaus schon gemacht – unter anderem mußte ich meinen Künstlernamen annehmen, weil ich mit meinem Geburtsnamen seinerzeit (Endsiebziger) kein Buch hätte publizieren können, und zwar egal, was in den Büchern drinstand. Eine >>>> Neigung zur Sippenhaft ist einer gewissen Couleur der Linken geradezu eingeschrieben; da ist sie der “Rechten” wie von der Schippe gesprungen, und zwar immer dann, wenn “Praktiker” zu sagen bekommen. Leute wie Bloch waren anders, einer s o l c h e n Linken würde ich mich assoziieren wollen.

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