5.24 Uhr:
[Arbeitswohnung. Meyer Kupferman, Konzert für Cello, Tonband und Orchester.]
Auf Vinyl. Ich hab dieses Konzert in meiner Bremer Zeit entdeckt, vor 1981, als ich das Geld, das ich damals erjobbte, für Schallplatten ausgab; CDs waren technologisch noch nicht ausgereift, bzw. noch gar nicht auf dem Markt; die meisten langen ja bis heute nicht an die Klangqualitäten des gepreßten Vinyls heran. Sie müssen sich nur mal Schallplatten der Deutschen Grammophon aus den 60ern/70ern anhören und werden Ohren machen. Dabei fällt mir eine Bemerkung >>>> Andreas Meinetsbergers ein, >>>> meines Toningenieurs für UND ALSO ES GESCHAH: „Was haben wir früher alles getan, um den Klang n o c h eine Spur wärmer, n o c h eine Spur fülliger in unsere Zimmer zu bekommen, n o c h ein paar Tausender Frequenzen nach oben mehr… und was tut man heute? Man packt die Klänge und preßt sie kaputt.“ Das Kopfschütteln ging durch den ganzen Mann.
Also, ich durchforstete seinerzeit das bereits entstehende, kann man sagen, Neue Antiquariat der Schallplatten; heute zahlen Sammler ein Hundertfaches dessen, für was ich die Funde in meinen Bau heimschleppen konnte. Ich nannte das auch so: in den Bau heimschleppen – für den Fall, daß es mir finanziell einmal wieder elend ginge. Was zu erwarten war und immer wieder eingetreten ist. Jedenfalls machte ich fast alle meine großen Musikentdeckungen so; die Fälle, in denen eine Aufführung mir neue Klangwelten, ihnen zu verfallen, öffnete, sind rar. Bis heute favorisiere ich Schallplatten, auch wenn mich eine gewisse Arbeitsbequemlichkeit, die nicht dauernd vom Schreibtisch aufstehen mag, unterdessen öfter CDs oder mp3-Aufnahmen anhören läßt. Für populäre Musik, auch, leider, für den Jazz spielt es keine allzu große Rolle, weil industriell auch bei Schallplatten und CDs quasi der gesamte Obertonbereich abgeschnitten wird, höher hinauf als bis 20000 Htz reichte da auch bei Schallplatten kaum mal eine Frequenz. Die Leute hören’s einfach nicht.
Jedenfalls, weil die Platten so billig waren, unternahm ich immer wieder Zufallskäufe nach Cover und Eingebung. Und so geriet ich an dieses herrliche Stück Cellokonzert. In USA ist Meyer Kupferman kein Unbekannter, hierzulande kennt ihn kein Mensch. Dabei komponiert er durchweg tonal, mit starken Elementen des Black Jazz und überhaupt zitierend, immer wieder klingt Gershwin an, immer wieder dreht das Cello in Richtung Klassik und Barock, dann dehnen sich Passagen wie Filmmusik und finden ganz innig in einer sehr alten Cello-Kantilene wieder zu sich. In meiner New Yorker Zeit, zwei Jahrzehnte später, habe ich von Meyer Kupferman zusammengesucht, was sich nur finden ließ. Es gibt noch eine hinreißende „Jazz Symphony“, alles andere kommt an dieses Cellokonzert, für mein Herz, nicht heran.
Für mein Herz gab es gestern nacht das Lehrstück seines Knackses. Ich traf den Profi einmal wieder im >>>> Strandbad Mitte. Er hatte >>>> ja aber schon gewarnt (5.46 Uhr, zweiter Absatz): „Das ist jetzt Schickimicki.“ Es gab keinen >>>> Sand (im Link ganz unten) mehr, der Charme des Provisorischen, das sich als Lebens-Biotop (ich weiß, eine Verdopplung) im anderen Herzen Berlins, das wohl ebenfalls geknackst oder zu knacksen dabei ist , in Volkesbesitz zurückgeholt hatte … – Moment, ich muß die Platte wechseln… – 5.45 Uhr: …nein, ich hör das Stück noch einmal, seit gestern nun das sechste Mal in Folge… – ist, man kann es nicht anders sagen, niederplaniert; eine Rasenböschung ist aufgeworfen, die nach künstlichem Gras aussieht; dort, wo der tiefe Strandsand war, ist nun Beton… das erste Zeichen, das etwas nicht lebensfähig ist, ist immer, daß die Füße nicht mehr barfuß gehen mögen; Füße sind ja ohnehin der Schlüssel. Das Ganze sieht jetzt aus wie auf einem Architektenentwurf, den man 1:1 in die Realität umgesetzt hat; es ist völlig clean; es gibt sogar eine Vorschrift, derzufolge keine Stühle am sanierten Geländer zur Spree aufgestellt werden dürfen, damit der Fluchtweg zur Treppe frei bleibt. Das ist so absurd, daß sich Göttinseidank niemand daran hält. Die Gäste nehmen die Stühle einfach von den Tischchen weg und stellen sie um. Übers Gelände sind in Töpfen gepflanzte Palmen verteilt, die so künstlich wie die Rasenböschung wirken; ist man die Treppe zur Brücke hinaufgestiegen und schaut vor dem Bodemuseum vorbei, hat der Blick etwas von dem auf einen US-amerikanischen Campus; genau so clean. Und beim Blick hinab sagte ich, sehr entsetzt, zum Profi: „Fläche statt Tiefe.“ Das betrifft nun auch die renovierte nördliche Spreefront des Bodemuseums: Um vielleicht Hängeplatz zu gewinnen, sind die an sich so sehr schönen Fernster mit weißen Platten zugestellt; das gibt ihnen etwas restlos Seelenloses, ebenfalls n u r-Flaches. Dabei hatte gerade diese Front, zusammen mit dem Strandbad Mitte, einmal Geheimnis. Das is nu weg.
Lange mit dem Profi diskutiert, der den Eigentümer kennt, der auch noch hinzukam. Und dann von seinen Kämpfen gegen den Baurat Mitte erzählte, von den Gerichtsprozessen, von den absurden Auflagen. „Hier standen doch überall Bäume, die sind für die Umsetzung des Bauplans gefällt worden. Wir konnten tun, was wir wollten“ „Sie haben auch einen Fehler begangen“, wandte der Profi ein. „Sie haben sich einen Porsche gekauft. Das war für die Grünen so ungeheuerlich, daß Sie lieber die Bäume opferten, als Sie das hier im alten Stil weiterbetreiben zu lassen.“ Auch die SPD war maßgeblich an der Disneyfication des Strandbades Mitte beteiligt. Ich muß „SPD“ nur noch hören, um spontan Übelkeit zu empfinden. Einer der ehemals führenden Vertreter dieser Volkspartei kungelt ja nun eng mit einem Völkermörder; auf die Idee, daß das was mit der SPD-selbst zu tun haben könnte, mit der parteieigenen Züchtung von Machtpragmatismus, kommt offenbar keiner. Was die Jusos da noch wollen, ist mir sowieso schon lange unklar. Vergessen die Notstandsgesetzgebungsallüren, vergessen der Nachrüstungsbeschluß, vergessen die Zerschlagung der sozialen Marktwirtschaft, woran – nach Kohls Zerschlagung der Bundesbank-Hoheit zugunsten direktiver Gefolgschaft à la Fed – die SPD maßgeblich mitgestrickt hat… ach’chen, denk ich mir, wie gut, daß ich meine Bomben nur literarisch werfe…
So weit, so schlecht. Ich hab gestern abend beschlossen, Claudius Seidl anzurufen und ihm für die Sonntagszeitung einen Artikel über die Säuberung Berlins anzubieten. Den würde ich noch heute zu schreiben beginnen. Da ich Namen nennen will, werd ich ihn allerdings von meinem Anwalt gegenlesen lassen, bevor ich ihn hinausgeb; weniger, um selbst Deckung zu nehmen, das ist mir eigentlich wurscht, als mehr, um Strategien nicht zu gefährden, die der Eigentümer des Strandbades zu realisieren begonnen hat, um vielleicht doch wieder ein wenig der Atmosphäre des alten Strandbades zurückzugewinnen. Einiges erfuhr ich gestern nacht, nicht alles werde ich schreiben. Er trägt übrigens auf eigenes Risiko ein Theater, das gleich ans Strandbad angrenzt und Shakespeare aufführt, und Goldoni; mit 40000 zahlenden Besuchern ist es enorm ausgelastet; Volksbühne und Gorkitheater haben je 60000, und das sind hochsubventionierte Betriebe. „Mein Theater kostet die Stadt nichts, sondern sie verdient noch daran.“ Und auch das war und ist Attacken ausgesetzt. Hübsch ist zum Beispiel der maßgeblich von den Grünen betriebene Schuld*bürgerstreich, nach dem nun das zum Theater gehörende Blockhaus abgetragen werden muß, obwohl es bereits fürs Jahresende eine Genehmigung gibt, es dort hinzubauen… und eine Holztreppe hinaus muß abgerissen und neu mit Seitentreppen wieder aufgebaut werden, damit nicht ein ca. 100 gm großes Stück Rasen gefährdet wird, das ungefähr so aussieht wie ein Stück Steppe Palästina, nur daß es weniger bergig ist; das liegt aber einzig daran, daß kaum ein Hügelchen drauf Platz fände. Und wenn, hätte man ihn, der Übersicht halber, stadtseits auch schon abgetragen.
N u n aber: Plattenwechsel.
Ach so, der Architekt, der das „neue“ Spreeufer designt und in den frühen Neunzigern den Zuschlag bei der Öffentlichen Ausschreibung bekommen hatte, saß vor dreivier Jahren mit dem Eigentümer des Strandbades im Sand des Strandbades und habe traurig geseufzt: „Wie hätte ich denn wissen können, was sich hier von alleine entwickelt.“ Aber so sind unsere Planer: Ist etwas beschlossen, wird’s auch durchgezogen, Bäume hin und Lebendigkeit her. Soviel zur Demokratie.