Kündigung eines Kritikers. An einen Kritiker. Panoramen der Anderswelt: die horen 231. Zwischenlese.

Dr. Grammaticus Praecox
Unterrühle 42b
69827 Kleindorf http://i.Fr.

Kleindorf http://i.Fr., 5.10.08

Abbestellung

Die „Horen“ haben sich bisher mit der Literatur von Ländern oder der zu bestimmten Themen befaßt. Ein Heft zu einem einzigen Schriftsteller von untergeordneter Bedeutung wie Herbst interessiert mich nicht. Ich bestelle die Zeitschrift deshalb vom 1.1.09 an ab.

Mit freundlichen Grüßen
gez. G. Praecox

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Herrn
Dr. Grammaticus Praecox
Unterrühle 42b

69827 Kleindorf http://i.Fr.

Berlin, den 16. November 2008.

Sehr geehrter Herr Dr. Praecox,

mir liegt in Kopie Ihr Fax an Johann P. Tammen wegen der Abbestellung Ihres >>>> Horen-Abonnements vor. Es macht mich ein wenig ratlos. Ich werde deshalb und weil ich mit ähnlichen Vorgängen schon mehrfach konfrontiert worden bin, den Wortlaut Ihres Faxes sowie diese meine Reaktion in die öffentliche Diskussion geben, aber dabei Ihren Namen verborgen halten. Es versteht sich von selbst, so etwas diskret zu behandeln, allein schon, weil das Fax nicht an mich, sondern an jemanden anderes gerichtet worden ist.

Wir sind uns nie persönlich begegnet; vor mehr als zwei Jahrzehnten verrissen Sie für die FIIIIIIIIIIEEP meinen FIIIIIIIIIIEEP Roman FIIIIIIIIIIEEP, und zwar – ich habe die Rezension aufgehoben – vor allem wegen der falschen Handhabung des deutschen Konjunktivs. Ihre Kritik ist für mich von großer Bedeutung gewesen, weil ich mich nach der Lektüre und, zugegeben, einer Verletzung auf meine vier Buchstaben gesetzt und die grammatisch korrekte Verwendung des Konjunktivs derart gebüffelt habe, daß ich heute selbst an Lektoren gemessen zu den nicht sehr vielen Menschen gehöre, die ihn noch beherrschen. Das habe ich indirekt Ihrer Kritik zu verdanken, für die ich deshalb dankbar bin. Mein Beharren auf seiner korrekten Verwendung hat sich auf der letzten Leipziger Buchmesse sogar >>>> dem Vorwurf aussetzen müssen, ich sei ein „Sprachfaschist“ – so eine blutjunge Fischer-Lektorin. In meinen Seminaren an der Heidelberger Universität streite ich immer wieder für diese Aussageform.

Dies zur Vorgeschichte. Nun zu Ihrem Fax. Sie schreiben, die Horen hätten sich bisher mit der „Literatur von Ländern“, was eine eigenartig verkürzte Aussage ist, sowie mit derjenigen „zu bestimmten Themen“ befaßt. Das ist richtig, aber es hat auch immer wieder Autorenbände gegeben, etwa den zu Christian Geissler im Jahr 1998, ferner Albert Vigoleis Thelen, Wolfgang Hildesheimer, Gregor v. Rezzori, Max Aub und Edith Södergran, sowie erst kürzlich zu Günter Grass und Walter E. Richartz. Insofern kann Sie ein spezieller Autorenfocus eigentlich nicht überrascht haben. Sondern Ihr Ärger scheint deshalb speziell mit mir, bzw. mit meiner Arbeit zu tun zu haben, die Sie als „von untergeordneter Bedeutung“ bezeichnen.
Das ist Ihr Recht. Zwar haben sich in dem Band namhafte Wissenschaftler zusammengetan, um Bewertungen wie der Ihren, die mir aus dem Betrieb nur zu gut bekannt sind, argumentativ etwas entgegenzusetzen, aber selbstverständlich kann nicht von Lesern verlangt werden, sie sich auch nur anzuhören. Ich weiß aus meiner Erfahrung, wie unangenehm es oft ist, eigene Urteile, an die man sich gewöhnt hat, revidieren zu müssen. Allerdings meine ich schon, daß jemand, der als Kritiker urteilt, eine Art Sorgfaltspflicht hat. Die sehe ich verletzt, und zwar um so mehr deshalb, als Sie anderen verübeln, Sie in sie zu nehmen.

Sie waren bislang mit den Horen offenbar zufrieden; daß Sie Ihr Abonnement jetzt kündigen, bedeutet, daß Sie auf die Herausgeber der Zeitschrift einen Druck ausüben wollen, sich gefälligst nicht mit Autoren zu beschäftigen, die Ihnen persönlich, aus welchen Gründen auch immer, mißbehagen; diese Gründe wiederum wollen Sie nicht zur Diskussion stellen, sondern an ihnen ideologisch festhalten. Ob man so etwas tut oder nicht, ist ebenfalls jedem selbst überlassen; man muß sich ethischen Fingerproben nicht aussetzen. Doch reagieren Sie mit Ihrer Kündigung ausgesprochen irrational, ja eine seltsame Wut schwingt in Ihren Zeilen mit. Hätte es nicht genügt, einfach den Band beiseitezulegen, schon weil in keiner Weise zu befürchten steht, es werde ein weiterer Herbst-Band folgen?

Ich möchte Ihnen die Wut gerne nehmen. Der Band ist da und wird seine Wirkung entfalten, das ist Fakt. Aber so etwas muß nicht in Ihrem Arbeitszimmer geschehen. Deshalb biete ich Ihnen an, daß Sie mir den Band schicken und ich Ihnen dafür den Kaufpreis nebst Portokosten erstatte. Dafür behalten Sie Ihr Abonnement und verzichten darauf, die Herausgeber der Horen negativ zu sanktionieren.

Mehr kann ich kollegialerweise für Sie nicht tun. Es ist mir höchst unangenehm, wenn andere Personen, die sich für mich verwenden, bestraft werden wie ein Bote, der schlechte Nachricht bringt.

Hochachtungsvoll

ANH

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22 thoughts on “Kündigung eines Kritikers. An einen Kritiker. Panoramen der Anderswelt: die horen 231. Zwischenlese.

    1. @Luther. Is’ echt.

      (Karl Kraus: “Wie Klein Fritzchen sich vorstellt, daß Politik gemacht werde, so wird sie gemacht.” Im Literaturbetrieb ist das nicht anders. Übrigens ist der Mann wirklich kein allzu Unbekannter. Einen sehr ähnlichen, fast noch prominenteren Fall gab es nach Erscheinen >>>> dieses Schreibhefts. Da gab es sogar berühmte Kollegen, die >>>> Norbert Wehr moralische Vorhaltungen machten, daß er “solch einen Text” zu veröffentlichen gewagt habe. Nur deshalb fand ich den Vorgang diesmal publizierenswert.)

  1. Es ist nicht zu fassen!
    Wie ist es möglich, dass ein renomierter Fachmann derart unreflektiert reagiert?
    Die Erwiderung von Herrn Herbst dagegen erscheint mir besonnen.
    Darüber hinaus macht mich der Vorgang richtig neugierig – ich werde diesen Band der “Horen” morgen erwerben.

    1. @Kienborges. Nö. Sinn der Aktion war (und bleibt) zu zeigen, wie hinter den Kulissen geschoben, gedrängt und verdrängt wird.

      (“Kienborges”; ich möchte Sie mir eigentlich schon wegen des durchaus einzigartigen Phänomens erhalten, daß ein Troll, der vielleicht sogar ein exklusiver Herbst-Troll ist – also, daß ein solcher fur nahezu j e d e neue Trollerei einen anderen Verfassernamen erfindet. Diese Veränderbar- ja Flüssigkeit, so finde ich, hat in Der Dschungel tatsächlich ihren Ort. Nur haben Sie bislang den allerwichtigsten Nick noch n i c h t verwendet: >>>> Odo, der eine – wie offenbar Sie – Sehnsucht nach der Großen Vereinigung spürt, von der er doch immer ausgeschlossen bleiben wird. Nur wer ist in Der Dschungel Ihre >>>> Kira?)

    2. Troll? Das war mein erster Kommentar hier. Und sowieso mein vorletzter. Selbstverständlich lese ich auch Die Horen und selbstverständlich auch das Oktober Heft. Ich glaube übrigens, Sie Herr Herbst sind der einzige Troll hier. Aber es ist ja auch ihr Weblog, da können Sie sich nach herzenslust austoben. Aber wenn man von Anfang an hier gelesen hat, dann erkennt man auch den Charakter des Schriftstellers, da können Sie sich noch so verstellen und immer neue Nicks erfinden.

    3. Interessant@Kienborges. Sie kennen meinen Charakter? Reizend. Zumal es um Charaktere doch gar nicht geht, sondern um Qualitäten von Literatur. Ihr Charakter immerhin gefällt sich in anonymer Nachsagerei. Sonst könnten Sie ohne weiteres mit Klarnamen operieren. Aber nein, das scheuen Sie selbstverständlich. So reicht das für einen Troll allemal hin. Aber, wie gesagt, ich schätze Ihre ausgreifenden Maskeradenvariationen, auch wenn Sie manchmal an Leute erinnern, die sich Damenstrümpfe mit Löchern über den Kopf ziehen, bevor sie alte Damen berauben. (Leute mit Haltung öffnen das Visier – man könnte in der Tat “Charakter” dazu sagen -, bevor sie es, um zu kämpfen, wieder schließen.)

      Lacht.

  2. Ungeheuerlich, dass man jetzt schon nicht mal sein Abo kündigen darf, ohne dass man hier öffentlich in den Schmutz gezerrt wird! Dass der selbstgenannte ‘Her.bst.dich.ter’ diesen ‘Krit.ik.er’ selbst erfunden hat ist sowieso klar. Dass er ihn ‘schützt’, wenn er seinen Namen nicht nennt, ist aber nur noch miese PR. Merkt das denn keiner? Selbstverständlich gehören Abos von Zeitungen SOFORT abbestellt, die sich ernsthaft mit dem aufgeblähten Schrott dieses Ekelschreibers beschäftigen. Eine grössere Blamage gibt es ja gar nicht für die Literatur. Gegen die Rilkisierung der Gegenwartsliteratur muss man ausrufen! Gegen das elitäre Geschreibsel reaktionärer Arschlöcher! Gegen antidemokratische Schriftsteller und Antisemiten wie Botho Strauss und Martin Walser, gegen Ethnofaschisten wie Peter Handke und Grö.f.a.z.e wie Alb.traum Ni.kotz.ei Herp.es! Hinter dem versteckt sich nichts als widerlicher Sexismus! Leute, wacht auf, hier geht Leiche der Bougeoisie um! Wenn man nichts gegen sie tut, wird sie noch lebendig erklärt.

    1. Aber sicher ! Allein in meiner kleinen Stadt, südlich von Frankfurt/Main, kenne ich drei Leser. Das ist für ein so verschlafenes Nest allerhand.

    2. Ich wusste schon immer, dass ich mit Handke ein Interview führen muss *schmunzelt*.

      Um es ganz unlyrisch zu sagen, ist es mir völlig wumpe, ob es ein PR-Gag ist oder nicht. Tatsächlich befürchte ich nunmehr, es ist keiner – und das ist schon nahezu schade, muss ich doch hier einräumen, dass Herbst mir die richtige Handhabung des Deutschen Konjunktivs ebenfalls einbläute; via Messenger damals frei Haus. Zu was Phantome so alles taugen… formidable.

    1. herbst-ausgabe ich meine, kann denn jemand etwas in der ausgabe finden, über das der herr kritiker sich so auslassen müsste?

    2. Nö Die Seitengestaltung hat so einen 60er-Jahre-Chic, aber die Inhalte lassen doch zu wünschen übrig. Sonderlich viele Abonnenten scheint die Postille nicht zu haben, zu Recht.

  3. Informatikerperspektive Im Gegensatz zu dem hierüber abgebildeten Brief mal mein Kommentar:
    Seit 19.11.2005, genauer gesagt seit dem Telepolis-Artikel mit Ihrer Erwähnung (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/21/21350/1.html), bin ich begeisterter permanenter Leser Ihres Blogs. Ihr Hörspiel “Das Wunder von San Michele” war wohl das bezauberndste, was ich während der letzten Jahre bis dahin hörte, es war beim Urlaub April2006 mit der damaligen Partnerin ein Kleinod (besonders schön der Satz: “Das Eselchen, welches mich den Berg hochtrug, hies ‘Rosella'”). Ausschließlich aufgrund dieser Exploration ihrer Werke, Herr Herbst, bestellte ich mir dieses Exemplar der “Die Horen”, um einen besseren und allumfassenden Einstieg zu finden.
    Ihren Blog empfahl ich schon mehreren Personen, die eine Auffrischung aus dem Büroalltag suchten .
    Persönliche Animositäten – gibt es immer, so be it.
    Meines Erachtens wurde dieser böse Brief nur vorgeschoben, um diese Person sich toll erscheinen zu lassen. So be it.
    Mit freundlichen Grüßen, ein getreuer Leser, TorstenK

    1. @Informatikerperspektive. Daß mir Ihre Perspektive gut tut, muß ich sicher nicht sagen. Haben Sie Dank.
      Vielleicht interessiert es Sie, daß der WDR >>>> mein Hörstück übernommen hat und am Nachmittag des ersten Weihnachtstages noch einmal ausstrahlen wird; >>>> hier der Link auf die Programmankündigung.
      Nur kurz zu dem von Ihnen zitierten Satz: er stammt nicht von mir, sondern steht so in Axel Munthes Erinnerungsroman. Es ist eine Eigentümlichkeit fast aller meiner Hörstücke, daß sich Zitate und eigene Texte bis zur Unkenntlichkeit einander nähern… weil es mir d a r u m geht: Nähe herzustellen. Das würde über eine distanzierte Autorenhaltung nicht funktionieren.
      Herzlich,
      Ihr ANH
      http://www.albannikolaiherbst.de

  4. Die Antwort des Kritikers. Von Grammaticus P. (3).

    G. P.
    Unterrühle 42b
    69827 Kleindorf i.Fr.

    Kleindorf, 18.11.08

    Sehr geehrter Herr Herbst,
    ich danke Ihnen für Ihren ausführlichen und, angesichts des für Sie nicht erfreulichen Anlasses, erstaunlich freundlichen Brief.
    Es lag mir freilich fern, die Herausgeber der Hören “negativ zu sanktionieren”. Eine Abbestellung ist, meine ich, ein völlig normaler Vorgang. Sie haben recht: Es gab auch bisher schon mehrfach Autorenhefte. Allerdings habe ich sie stets mit Interesse gelesen; das war >>>> bei dem Ihnen gewidmeten Heft nicht nur nicht der Fall, vielmehr konnte ich mit Ihren Tex­ten nichts anfangen, und ebenso wenig mit den meisten der für mein Empfinden in einer verquälten, oft absolut unverständli­chen Sprache geschriebenen Aufsätze über Sie und Ihr Werk. Ich empfinde Begriffe wie Inkompossibilitatsstrukturen (nur ein Beispiel) als Zumutung; ich habe keine Lust, mühsam herauszubringen, was damit gemeint sein könnte. Vieles von dem, was Sie schreiben und die, die über Sie schreiben, könnte wahrscheinlich wesentlich einfacher und leserfreundlicher gesagt werden. Ein Text gewinnt doch nicht dadurch, daß er kompliziert oder gar verschlüsselt ist. Sie mögen, das zeigen Ihre Texte, anderer Ansicht sein. Die will ich Ihnen nicht zu nehmen versuchen, aber ich muß und will mich nicht damit befassen. Und da >>>> die Redaktion der Horen sich offenbar Leser wünscht, die das tun, und da sie, so steht zu vermuten, das auch künftig so halten wird, möchte ich zu diesen Lesern nicht mehr gehören.
    Noch einmal: Es steht mir fern, auf die Redaktion einen Druck ausüben zu wollen – das könnte eine einzelne Abbestellung wohl auch gar nicht. Ich habe mir nur das Recht genommen, eine Zeitschrift, die offenbar in Richtungen abdriftet, wohin ich ihr nicht folgen will, abzubestellen. Das geschah ganz ohne Wut – worauf sollte ich wütend sein? Dazu war kein Anlaß.
    Gefreut hat mich, daß ich Sie zum richtigen Gebrauch des Konjunktivs veranlaßt habe. Ich habe acht Jahre Rezensionen für die FIEP geschrieben, dann hat mich FIEP ausge­bootet, weil ich für seinen Geschmack zu oft auf falsche Kon­junktive hingewiesen habe. Er empfand das als lehrerhaft. Daß man damit leicht aneckt, hat auch mein Freund >>>> Gerhard Köpf erfahren müssen, und Sie (>>>> siehe “Sprachfaschist“) offen­bar auch.
    Ich verdanke den richtigen Konjunktiv der in Goethe-Institu­ten oft benützten >>>> Grammatik der Deutschen Sprache von Schulz-Griesbach; nach ihr habe ich als DAAD-Lektor Studenten diese nicht ganz einfache Materie beizubringen versucht;- sie ist dort so gut dargestellt wie nirgends sonst.
    Mit freundlichen Grüßen
    Gramm. P.

    1. Aufforderung zum Tanz. An Grammatricus P. (4).

      Berlin, den 8. Dezember 2008.

      Sehr geehrter Herr Dr. P.,

      es geht Ihnen offenbar anders als mir, der ich i m m e r wissen will, auch und gerade dann, wenn mir etwas kompliziert und vielleicht auch z u kompliziert vorkommt. Ich mißtraue meinen ersten Impulsen und schlage ggbf. auch „Unwörter“ nach.

      Daß Sie mit meinen Texten nichts anfangen können, dagegen kann und will ich we­nig tun, aber doch auf Einwände reagieren, von denen ich meine, daß sie unbegrün­det sind. Dabei habe ich den Eindruck, es wäre ganz schön und für mich lehrreich, könnte ich mit Ihnen eine Korrespondenz beginnen, da Sie mir auf jeden Fall in Sa­chen Sprache eine kompetenter Gesprächspartner zu sein scheinen. Vielleicht, daß auch für Sie dabei etwas herausspringt und Sie womöglich sogar einen neuen Blick auf meine Arbeit bekommen; vieles ist ja zuallererst einmal eine Sache der Perspekti­ve, auch der Gewöhnung. Sie wissen wie ich, daß es objektiv nicht leicht ist, unvor­behalten zu lesen, wenn man Vorbehalte schon mitbringt. Ich erinnere mich gut mei­ner Anfangsschwierigkeiten bezüglich Neuer Musik, bis ich mich so weit eingehört hatte – es gehörte Verständniswille dazu -, daß ich schließlich sogar mit Komponisten zusammenarbeiten und eine Zeit lang keine tonale Musik mehr hören konnte, weil sie mir wie Buttercreme vorkam.

      Mein erster Einwand gegen Ihren Brief betrifft die scheinbare Kompliziertheit, für die ich einerseits gerne Komplexität sagte – weil die ungenannte Bewertung dann schon mal eine andere, weniger vorbelastete ist -, von der ich andererseits, auf meine Texte bezogen, nicht recht weiß, woher Sie Ihr Urteil beziehen. Es mag sein, daß Sie meine theoretischen Arbeiten als kompliziert empfinden; dem könnte ich folgen. Bei den poetischen allerdings nicht. Etwa >>>> meine Sizilienerzählung und die beiden bislang erschienenen >>>> Anderswelt>>>> Romane arbeiten vorwiegend mit kurzen, manchmal sehr kurzen Sätzen; da ist mir überhaupt nicht klar, was Sie – sprachlich gesehen – als kompliziert empfinden. Einige meiner Erzählungen wiederum sind von Kleist ge­schult, da gibt es tatsächlich Langsyntaxen, denen ich früher allerdings mehr zuge­neigt gewesen bin als heute. In den Gedichten tendiere ich sogar zum Klassizismus. Daß ich wiederum für das germanistisch-philosophische Fachdeutsch nicht verant­wortlich bin, das einige Beiträger des >>>> horen-Bandes pflegen, aber durchaus nicht alle, scheint mir auf der Hand zu liegen. Wenn Sie sich freilich >>>> Brittnachers Aufsatz angesehen haben, werden Sie gemerkt haben, mit welcher Eleganz dieser Mann sein Wissen auszuformulieren versteht; er ist dafür nicht zu Unrecht berühmt.
      Nun nennen Sie aber einige Aufsätze „in einer verquälten, oft absolut unverständli­chen Sprache geschrieben“ und sagen wenige Zeilen später, ein Text gewinne nicht dadurch, daß er kompliziert oder gar verschlüsselt sei und daß ich, das zeigten meine Texte, anderer Ansicht sei. Mir ist der damit übermittelte logische Schluß nicht klar, ich halte ihn sogar für falsch.

      Allerdings interessiert mich die Frage komplex/kompliziert generell. Sie klagen eine Ihnen fehlende Leserfreundlichkeit ein und vertreten letztlich die aus den USA stam­mende Auffassung, alles lasse sich auch einfach sagen. Dahinter steht die Ansicht, daß alles – letztlich – einfach s e i. Das genau glaube ich nicht. Welt ist komplex, wir haben ja schon Schwierigkeiten, ein Wetter verläßlich vorherzusagen, geschweige denn die enorm komplizierten Motivationsstrukturen von Menschen; hinter der Ideo­logie des Einfachen hebt etwas überaus Monotheistisches, das sich mit Platon ge­paart hat, beide Teufelshörner. In dem Sinne hat Donald Rumsfeld bemerkt, er ver­stehe überhaupt nicht, weshalb auf der Welt noch etwas anderes gesprochen werde als das US-amerikanische Englisch. Als Gegenmodell möchte ich gerne sowohl Ador­no als auch den sprachbezüglich sehr – und in der ihm unterstellten Absicht zu Unrecht, glaube ich – geschmähten Heidegger anführen. Gerade in meiner Auseinandersetzung mit diesem ist mir klargeworden, welchen Grund seine oft fremdartig, manchmal auch gestelzt wirkenden Neologismen haben – bei Adorno ist es mehr die Syntax als das Wort selbst; was ein bißchen verwundern kann, aber das zu diskutieren, gehört in ein anderes Feld.
      Etwas eben n i c h t geläufig auszudrücken, schärft, lernte ich, das eigene Denken; man nimmt einen Text dann nämlich nicht mehr vermittels dessen auf, was die Grundschulpädagogik „Erwartungslesen“ nennt. Das heißt, es strahlen bei solchen Begriffen – und in solcher Syntax – keine Bedeutungshöfe mehr mit hinein, die man ganz unbewußt mittransportiert, die aber vor allem der Leser unbewußt mitschluckt, so daß die Wahrnehmung des Gelesenen schließlich von etwas anderem entscheidend mitgesteuert wird als dem, was ein Autor ausdrücken will. In meiner eigenen Arbeit hat das zu einer bestimmten Rhythmisierung der Sätze geführt, die oft nur eine einzi­ge Betonungsart zuläßt, wenn der Satz nicht manieriert klingen soll. Das hat nichts mit Verschlüsselung zu tun; Manfred Hausmann hat mich zu früh gelehrt (ich war da­mals siebzehn), daß Geheimnisse nicht konstruiert werden, sondern d a seien – oder eben nicht; konstruierte Geheimnisse seien hohl wie Wortgeklingel. Sondern es hat etwas mit Leserführung zu tun, die Beanspruchung ist und in der Tat das Gegenteil von Leserfreundlichkeit, wenn man unter ihr versteht, Erwartungshaltungen zu erfül­len. Mir ist das zu autoritär, ich bin kein Pädagoge. Es mag sein, daß es Autoren gibt, deren Missionsbedürfnis so groß ist, daß sie Lesererwartungen benutzen; für mich fiele das unter Manipulation. Ich bin kein Aufklärer, schon gar kein politischer; mich interessiert etwas ganz anderes – etwas, das mit möglicherweise innersten Bewe­gungsgesetzen sowohl des Poetischen als auch des Menschen-selbst zusammenhängt. „Es interessiert mich“: das heißt nicht, ich wüßte eine Antwort. Sondern ich suche sie, suche sie auf meine Weise, die die Dichtung ist. Und meine Leser, wenn sie denn wollen, suchen dann mit.

      Vielleicht nehmen Sie den Fehdehandschuh auf, den ich Ihnen hiermit auch öffent­lich zuwerfe, wenngleich weiterhin anonymisiert: es kommt mir nicht darauf an, je­manden bloßzustellen; das ist mir wichtig, daß Sie das wissen. Sondern mich interes­siert ein Sachverhalt und wie er denn beschaffen sei. Daß meine eigene Meinung ir­rig sein könnte, steht dabei auch mir selbst zur Prüfung.

      Ich grüße Sie sehr freundlich,
      Ihr

      ANH
      http://www.albannikolaiherbst.de

      P.S.: In >>>> meiner Veröffentlichung unserer ersten beiden Briefe habe ich Sie ein bißchen zu ironisch in „Dr. Grammaticus Praecox“ umbenannt; das bedauere ich jetzt, will es aber wiederum nicht zurücknehmen, weil Die Dschungel auch Dokumentation sind und nicht ein später nach jeweiligem Gutdünken revidierbarer Fünfjahresplan. Nun werde ich statt „Praecox“ ein neutrales „P.“ hinsetzen, es beim „Grammaticus“ aber belassen, weil das sinnfällig für die nun vielleicht beginnende Auseinandersetzung ist.

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