„Damit hätte ich ja nun n i c h t gerechnet”, sagte, als ich die Treppe zum Foyer hochgestürmt kam, die Literaturkritikerin C.S., mit der ich aus einem mir schleierhaften Grund per Du bin, „daß du in >>>> diese Inszenierung gehst. Die hat doch sooo schlechte Kritiken bekommen.” „Hab nichts gelesen”, sagte ich, „tu ich nie, bevor ich schreibe: andere lesen. Außerdem, du bist doch selbst Kritikerin und weißt, was man von Kritikern zu halten hat” – schnell noch einmal, ich beharre da, auf des mies geschassten >>>> von Pfeils schöne Arabella von vor vier Jahren verwiesen, dann meinen Platz eingenommen und mich bestätigen lassen: Welch schöne, kluge, ironisch-sinnliche, allegorisch gepfefferte, kurz: freche Inszenierung! Das ist ein ganzer Händel: weltlicher Händel, der bei Mørk-Eidem seine Aussagekraft behält, gerade indem er gegen den Strich gebürstet wird. Und de Marchi wäre nicht der elegante Dirigent, der er ist, machte er das nicht nach allen manieristischen Kräften mit. Ich kenn ihn noch aus Semele-Zeiten bei René Jacobs; damals trug er ein Schwänzlein im Nacken, auf dem d a schon ein lächelndes Teufelchen ritt; nun hatte das in den fünfzehn folgenden Jahren Konsequenzen für den Haarwuchs; für Feuer müssen wir Abbitte leisten, was die Guten unter uns mit weitrem Feuer tun, auch wenn das bedeutet: Strenge. So sie musikalische Amouretten versprüht, und alledie hüpfen alleden Musikern dererseits in den Nacken, lassen wir unser Haar auch gern und bleiben mit uns einverstanden. Darum geht diese Oper a u c h; ich hab eine Tendenz, sie, wie schon einmal zwei andere Stücke, eine Öper zu nennen, jaja, mit Umlauts-”o”, weil hier die leichte Muse ihr Zünglein in die Tragik steckt – weshalb ich Ihnen auf gar keinen Fall alles verraten darf. Denn es gibt eine gewaltige Kippe, einen Sturz in dieser Inszenierung, da ist man baff, knapp vorm Geschocktsein. Ein erschrockenes „Oh!” ging durch die Reihen. Denn hatten wir uns nicht darauf geeinigt, der Abend solle beschwingt sein?
Am Anfang mag eine pure Idee gestanden haben, vielleicht waren auch einfach keine Kastraten zur Hand. So sagte sich, stell ich mir vor, der Regisseur: Na gut, drehn wir die Hosenrollen um. Worauf nun die großen Helden&Kämpfer – Frauen sind. Aber sehr weibliche, ja sie werden mit Verlauf der Inszenierung immer weiblicher, auch schöner, was zu höchst komischen Situationen führt. Dafür, konsequenterweise, wird Isabella von einem Mann dargestellt. Das hat einiges tuntig-Schwule, so wird das auch gespielt, aber, ein wirkliches Kunststück Bernd Stempels, nie wirkt es überzogen, sondern hält die genaue Balance zwischen (Selbst)spott und Wahrheit. Klamaukt wird erst zum Schluß, aber da war das Publikum längst schon erwischt und gab ihm den Atem, der kurz stockte, zurück. Schweigend erhoben sich die Musiker von ihren Orchesterplätzen. Trauermusik am Bühnenrand, Trio. Und schon ging es weiter: Ein Sinnspiel ist’s, ihr Lieben, nur, ein Maskenspiel, das uns erlaubt, über uns selbst zu lachen, auch wenn das den Grund dieses Lachens nicht aufhebt… nein nein, s o einfach ist es wieder n i c h t.
Nahezu alles dreht Mørk-Eidem einem um. Die höfische Gesellschaft hält die Cour an einem Campingbulli im Wald, geliebt wird abwechselnd im Zweizelt und auf der Pritsche von VW, drinnen selbstverständlich und irgendwie auch bubenhaft; bubenhaft die King-Kong-Gebärden Orlandos, was für einen Tupamaro schon deshalb so irrsinnig ist, weil er deutliche Sekundärreize hat: man darf sie lollobrigida’sch nennen. Im Rahmen eines sittlich noch einwandfreien Decolletées werden sie auch vorgezeigt. Das m u ß so sein, damit das Spiel hier funktioniert. Ähnlich der Zarathustra Wolf Matthias Friedrichs, ein Endsechziger Hippie, der seine Arien wie ein früher Popstar vorträgt, sich so auch bewegt, schon mal zum Joint greift und in seiner großen Arie Akt III nicht nur das Fach, sondern auch das Stück wechselt, um Händel eben das Hair persiflieren zu lassen, das er wuschig auf dem Kopf trägt. Er wischt die unrasierte Achselhöhle aus und wirft das Kleenax in die Fans. Nun ist Händels Musik hier ganz selber Pop, gar keine Frage, aber so gegen das Leder gewichst, daß er die höfische Gesellschaft ziemlich indigniert haben dürfte. Woraus, und abermals umgedreht, Mørk-Eidems Löckungen wider die Stachel sozial korrekter Friedensliebe ihr Gewicht grad erst hervorziehn. Fingerlinks und -rechts das V an ausgestreckten Armen, predigt Zarathustra Krieg, was dem make love not war gewaltig vor das Schienbein tritt, als nämlich die Stanze, die es war und ist… überhaupt: was so alles mit den Tissues veranstaltet wird, ist sehenswert. Zum Beispiel machen sie Stürme echt glaubhaft.Wie genau Mørk-Eidem seine Regie durchdacht hat, dafür ein im Wortsinn schlagendes Beispiel: Geradezu motivlos gibt Zarathustra Dorinda eins auf die Nuß. Das knallt. Man ist schockiert und um ihr Nasenbein besorgt. Nu’ fängt sie richtig zu heulen an. Das soll sie nämlich auch, damit die mit ihr verabredete Finte dann hinhaut. Oder das Trauerterzett in Akt II verflüssigt sich zum Besäufnis… nein: zu einer Beschwipsung, zu deren Abschluß Dorinda unter Tränen kichert. Nur selten überspannt der Regisseur mal den Bogen: etwa muß er den im übrigen tollen Wald auf der Bühne nicht durch umgekehrt vom Schnürboden runterkommende Bäume umverfremden, wenn er Unterwelt meint, und eigentlich muß er Medoro auch nicht am Rand des Campingplatzes sich hinhocken lassen, damit sie eben mal was pinkelt – woran nur die Sekundenschnelle noch frappiert, in der sie es nicht tut; aber das sind Kleinigkeiten, die zu erwähnen Kleinlichkeiten sind, weil alles so aus der F ü l l e erfunden ist, aus der Massierung ziemlich guter Einfälle, die dabei deutlichst von einer mehr als nur tragfähigen, eben nicht nur komödiantischen Idee gebunden werden. Sondern allesie laufen irre konsequent auf diese Klimax zu, die ich nicht verpetzen will.
Was nun die Musik anbelangt… tja, >>>> wirklich große, denke ich, Musik ist das nicht: man merkt den Routinier Händel, der dann auch mal von hier was hernimmt, mal von da, stets auf dem eigenen Standard kompositorischer Höhe, doch nicht wirklich transzendierend wie etwa im Cesare, in Rinaldo und Xerxes oder >>>> Baumgartens „Orest”-Version von 2005. Ohnedies ist die Partitur nur fragmentarisch erhalten. Gebrauchskunst jedenfalls, aber Wolfgang Weyhrauchs poetischem Diktum folgend: Unterhaltung müsse (formal) die beste sein, sonst sei sie die schlechteste. Wobei de Marchi die Koloraturen derart auf den Gipfel treiben läßt, daß einem, wann immer man fortan das Wort Ehre hören wird („Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh-Eh–-re”; auch „Wa-Wa-Wa-Wa-Wa-Wa-Wa-Wa-Wa-Wa–-ffen”), die Tränen aus den Augen johlen.
Makellos sang Brigitte Geller, und der jungen Julia Giebel gelang eine zunehmend, schließlich eine so umwerfend empathische Dorinda, daß jeder, der dabeiwar, sich in sie verliebt haben dürfte. Wolf Friedrich und Mariselle Martinez waren das eigentliche Paar in ihrer burschikosen Lust, die Sau rauszulassen, und weiblich-schöner könnte ein Held gar nicht sein, fast ephebisch, als es Elisabeth Starzinger ist. Wer in Berlin wohnt und nicht in diese Inszenierung geht, der ist schlichtweg ein Knallkopf. – Ach so, ein Wort noch zum Libretto: Was Werner Hintze da wieder einmal zuwegegebracht hat mit seiner klugen Eindeutschung aus dem Italienischen, ist gerade in dem sprachlich modernisierenden Zugriff („Der is’ ja irre!”) nicht nur der händelschen Komik völlig angemessen, sondern sorgt für bleibende Zeitgenossenschaft. Danke dafür. Einfach mal danke dafür. Und jetzt will ich lesen, was die lieben Kollegen schrieben.Weitere Aufführungen:
18. | 27. März
03. | 18. April
16. Juli
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