Der Schluß: Frau v. Samarkand, nämlich die Botin. Aber davor über das Wort, das ein Klang ist. Der Paris-Erzählung letzten Teiles Ende von gestern und heute: sowohl in Paris wie Berlin. Noch einmal die Sainte Chapelle ODER Der Gesandte. Sowie von Geheimdiensten. Und das, was Jenny s a h. Les secrets de Paris (11).

9.37 Uhr:
Wir haben die Vorstellung eines Wortes, das, wenn wir es aussprechen, das Meer teilt. Es kann töten und Leben zeugen, Feinde vernichten und Nahrung heranziehn, Frieden bringen oder Vernichtung und Chaos. Imgrunde ist dies die tiefste Idee jeder Sprache. Es befähigt uns vor allem, uns zu erkennen, uns selber und die anderen, und die Dinge genau so, und zwar in ihrem Kern zu erkennen, der auch unser Kern ist, der ein vibrierender Körper ist, der pulsiert: ein lebendes Organ, für das wir, obwohl wir gar nicht dran glauben, die Ewigkeit erhoffen. Dieses Wort wird gerne behauptet. Wir behaupten, daß wir es hätten. Andere behaupten, daß sie es hätten. Schließen wir von uns selber auf sie, müssen wir sagen, sie lügen. Aber vielleicht, denken wir dann, lügen sie doch nicht und haben das Wort. Die Wahrheit ist, daß sie von uns das gleiche denken und daß wir alle von dem Wort nichts wissen. Denn das Wort ist viele Wörter, wie Gewänder wechselt es im Moment, da wir es anschaun, die Sprache. Es will fremd bleiben, was klug von ihm ist. Erkennten wir es als Wort, es würde zum Begriff. Deshalb haben so viele, die ihm nahekamen, gesagt und geschrieben, man verstehe, begreife es nicht, sondern sehe es nur. Ich meine, daß man es hört, nicht sieht. Ich meine, daß es auch gar nicht von außen kommt. Sondern wenn zufällig oder weil man sich in es versenkt hat, das innere Organ, der Kern, von dem ich schrieb, angeregt wird, dann beginnt es zu schwingen. Das erzeugt diesen Klang. Was wir aber sehen, ist lediglich der Anlaß, ist nur das, was die Schwingung verursacht hat und uns nun selber zu einem Instrument macht, das wir selber spielen können. Aber wir müssen begreifen, daß dies nicht ewig währt und auch nicht ewig währen kann, noch darf. Musiken, schrieb ich einmal, müssen verklingen, sonst wären sie nicht wahrnehmbar. Wenn wir diesen Klang hören und daß wir selbst ihn haben, dürfen wir uns erfüllen. Das ist so schlicht, wie jemand ißt, wenn er Hunger hat. Aber er darf nicht weiteressen über die Sättigung hinaus, sollte er auch noch so einen Appetit auf den Nachschlag haben. Wer den Klang weiter- und weiterhören will, stirbt, und der Klang stirbt mit ihm.
Es war der Sonnenaufgang von Paris, nicht der Sonnenuntergang, wie Melusine empfohlen hatte, und auch nicht der eigentliche Aufgang, wenn der Feuerball aus dem Horizont steigt. Sondern es war der Moment, indem er die Dächer der Stadt schon erreicht hatte und über sie hinwegstrahlt. In genau diesem Moment war die Wolkendecke aufgebrochen, und weil andere Hausfronten, die der Sonne gegenüberstanden, ihr Licht reflektierten, hatten tatsächlich a l l e Fenster der Sainte Chapelle in die Kirche hineingeleuchtet. Das war kein Wunder, sondern Physik. Sie nahm dem Wunder aber nichts, g e r a d e sie nahm ihm nichts. So viel Farbe war, und Wärme.
Ich schritt durch beide hindurch und setzte mich in eine Bankreihe. Mir fiel ein, daß ich meine Tasche, in der mein Handy, meine Uhr und andere Wertsachen verstaut waren, das Portomonnaeie usw., im Paradis de Pantin vergessen hatte. Es war mir gleichgültig. Le Duchesse, da war ich mir sicher, würde sie herausholen lassen, wenn ich ihn bat. Doch ich wußte nicht, wie spät es war und wann die Kirche geöffnet würde. Es wäre klug, sich anzuziehen, dachte ich, aber wartete, bis sich wieder Wolken vor die Sonne schoben. Im Halblicht stand ich dann auf und ging zu meinen Sachen, zog sie an, die Unterhose an, die Jeans. Die Wunde an meiner Schulter war verschorft und juckte ein wenig. Ich zog das Hemd an, die Socken, die Schuhe an und meine Lederjacke. Dann ging ich zu den Bänken zurück und setzte mich wieder. Legte den Kopf in den Nacken, sah mich um.
Jemand trat aus der Sakristei, ein Geistlicher, der zum Altar schritt, aber auf dem Weg unruhig wurde und stehenblieb. Er hatte mich vielleicht bemerkt. Eine andere Tür, weit hinter mir, öffnete sich, ich hörte Geklapper und Lachen, ein Mann, eine Frau. Doch niemand sprach mich an.
Der Geistliche stand noch auf halbem Weg, drehte sich langsam herum und kam her. Er sah auf mich Sitzenden herunter, ich sah zu dem Stehenden hoch, einem dicklichen, freundlich wirkenden Menschen von allenfalls einssiebzig. Es sah aus, als wäre er sich unsicher. Aber er wollte etwas von mir oder von jemandem, für den er mich hielt. Das war mein Eindruck. Es ging überhaupt nicht darum, daß ich hierwar und wie ich hereingekommen. Um etwas ganz anderes ging es ihm.
„Würden Sie bitte ein bißchen rücken?” fragte er. Ich rückte. Er setzte sich zu mir, zog ein Taschentuch aus der Soutane und tupfte sich die Stirn. „Es wird ein heißer Tag werden”, sagte er, „ich bin da leider empfindlich.” Dann sprach er Spanisch, was ich erst gar nicht bemerkte, sondern erst merkte, als er den nächsten Satz auf Latein sagte: „Sie haben den Sonnenaufgang erlebt.” „Ich weiß nicht, was ich erlebt habe”, antwortete ich auf Französisch. Und er, auf Japanisch: „Doch, das wissen Sie. Lassen Sie uns still sein, zweidrei Sätze lang still.” Ich sah das Wort, das die Blütenblätter auf dem Tischchen geformt hatte. „Ich habe eine Frage”, sagte ich, wobei ich dieses Wort schon gleich mit den Lippen formte, aber noch mit dem Atem im Mund behielt. „Nein”, antwortete er aramäisch, „die haben Sie n i c h t.” Dann sagte er, wobei er immer noch wie ich nur in das Kirchenschiff sah, und sagte es auf Deutsch: „Sie sind später gekommen als sonst. Ich war traurig. Jeden Morgen, seit dreißig Tagen, habe ich nach Ihnen geschaut.” „Ich bin erst seit drei Tagen in Paris.” „Es tut weh, wenn sich einem Menschen die Zunge zerteilt”, sagte er, „jede Stunde und Minute mehr. Ich habe gedacht, jetzt werde ich geprüft, aber ich wußte nicht, weshalb. Ich esse gerne, das stimmt, ich trinke sehr gerne, aber das wissen Sie längst. Ich gebe auch zu, ich bewundere Frauen, besonders, wenn sie schön sind. Aber ist das nicht reinen Herzens auch? Ist das nicht dafür gemacht? Bitte verzeihen Sie, daß ich Zweifel habe.” „Warum erzählen Sie mir das?” „Wem sollte ich es sonst erzählen, wem, der mir antworten kann?” Er seufzte, dann rang er sich durch: „Darf ich meine Gabe behalten? Ich möchte sie so gerne behalten.”
Ich schwieg. Nicht, um ihn zu quälen, wer bin ich denn? Nein, ich war überfordert, war überfordert davon, daß dieser vielsprachige Mann, an dessen Güte ich gar keinen Zweifel hatte, mich zu seinem Beichtiger machte. Denn es war eine Beichte, die er mir, der ich sehr viel mehr, der ich a l l e n Grund hatte, mich schuldig zu fühlen, abzulegen versuchte. Wie durfte ausgerechnet ich mich anmaßen, ihn freizusprechen? Wovon denn? Davon vielleicht, daß er gestern onaniert hatte und hatte sich Pornoheftchen gekauft? Davon, daß er vor einer Woche nicht anders gekonnt, als die zwölfjährige Tochter seiner Bäckerin an der Schulter zu berühren, und daß es ihn da durchzuckt hatte und er hatte im Mittagsschlafen von ihren Brüstchen geträumt? Daß er vorgestern abend cholerisch geworden und in kurzem Aufwallen ungerecht gegen den Küster, weil der wieder schlampig gewesen? Ja, wovon? Von dem Schlimmsten vielleicht, daß er sich Jungen vorstellte manchmal, weil er auf ihre Körper den Blick Michelangelos hatte, ohne daß ihm ein Marmor war, in dem er ihn heiligen konnte? Wo sollten diese Blicke denn hin? Mußte all diese Sehnsucht unerfüllt bleiben, weil er das gelobt hat? Welche Unmenschlichkeit! Und welche Anmaßung, das von Menschen zu fordern. Es ist zwar Hybris von ihnen auch selbst, aber kann man das Schuld nennen?
Es gab nichts zu vergeben.
„Und jeden Morgen habe ich mich geirrt, aus lauter Hoffnung geirrt, habe jeden, der hereinkam, angesehen und gehofft, er i s t es. Dreißig lange Tage lang. Oder s i e ist es. Verstehen Sie das? Woran soll man Sie denn erkennen?”
Er hatte sich in eine kleine Aufregung hineingeredet und atmete flach und schnell. Dann atmete er aus und sagte: „Aber jetzt sind Sie da.”
Ich schwieg. Er schwieg. Die Putzeimer blechten. Jemand, der Blumen auf den Altar stellte, pfiff weltlich ein Chanson vor sich hin. Kurz kam abermals die Sonne durch, kurz schwammen wir hell in den Farben.
„Ich muß mich vorbereiten”, sagte er. „Ich muß die Morgenmesse vorbereiten.” Er stand auf. Dabei seufzte er leise. „Entschuldigen Sie”, sagte er, „ich bin anmaßend.”
Ich blickte hoch, sah ihn an. „Nein”, sagte ich, „das sind Sie nicht.”
Indem ich das aber sagte, spürte ich, wie das, was ich, seit ich die Sainte Chapelle vorhin betreten hatte, gewesen war, geworden war, wie das aus mir heraus- und in ihn hineinströmte. Meine Nacktheit strömte in ihn hinein. Ich verlor sie, und das Wort verlor ich, es ging einfach auf ihn über. „Ich danke Ihnen so sehr”, sagte er. Er wischte sich schnell über die Augen. „Ich danke Ihnen so sehr.” Damit ging er fort und drehte sich nicht mehr herum.
Ich sah ihm nach. Es fiel ihm deutlich schwer, seinen untersetzten Körper zu bewegen, während ich für mich den Eindruck hatte, eine Last losgeworden zu sein. Die nämlich jetzt er trug. Aber anders als ich trug er sie gerne. Dann sah ich, als die großen Pforten geöffnet wurden, mit welcher Liebe er die hereinströmenden Menschen begrüßte, er begrüßte sie alle, so sie ihn sahen, in ihren eigenen Sprachen, Massen von Menschen, lärmende Menschen, ohne daß sie lärmen wollten, sondern sie lärmten nur, weil sie so viele waren, Gruppen, Reisegruppen, auch Kinder, Reiseführerinnen und -führer voran, die Schilder hielten, damit man sich nicht in der Menge verlor, TUI, France Aventure, Carman Global, RCR…, aber auch Einzelne und Paare, sowie kleine Familien, die Kinderwagen schoben, junge Leute, alte, und einfache Hausfrauen, plärrende Babies, elegante Herren sogar, Geschäftsleute, oder in T-Shirts und Sneakers, Gebeugte und Aufrechte jederlei Rasse, die dieser Priester begrüßte, weil er sie alle liebte, die aber ich, der ihren Einbruch lästerlich roh fand, der ihr Gequassel nicht mochte, nicht ihren Fußballquatsch und ihre Vorurteile, ihren Rassismus, ihre Miesheit, nicht ihren Nationalismus, diesen Gestank von Gruppe, von Partei und Gewerkschaft, ihren Pop und das Rumgejohle und Skandieren von Parolen, ihre feige Art, das ihnen Fremde auszugrenzen, ihr Gerotze, ihre Unbildung, ihren Machthunger, der vor keinem Mobbing zurückschreckt – die aber ich wieder floh.

*******

20.05 Uhr:
„Aber weshalb ein Code?” fragte ich den Profi. „Und was bedeutet er?” Es war bereits gegen Mitternacht, wir hatten uns nach meiner Ankunft im Konzerthaus zu Mahlers Neunter getroffen; saßen in der Bar. Ich hatte auch erzählt, daß die Samarkandin noch käme, doch spät erst, sicher nicht vor zwei oder drei Uhr nachts. „Was hast du über mich von dem Gräfin gewollt?”
Er sah schweigend in sein Bier, nahm einen Schluck davon, sah wieder nur das Bierglas an.
„Der Code sei verbrannt: Was hast Du damit gemeint?”
„Du meinst die Pfingstrosen.”
„Ja.”
„Die waren Zufall, ich wußte gar nichts von ihnen. Glaub mir, mit denen hab ich gar nichts zu tun. Wir wollten nur, daß du den Kontakt herstellst.”
„Wir?”
„Ich… Komm hör auf, ich kann dir nicht mehr sagen. Es ist um Ablenkung gegangen, von etwas ganz anderem, das mit dem, was du erlebt hast, gar nichts zu tun hat.”
„Der Gräfin scheint eine bekannte Person zu sein.”
„Das muß man wohl sagen. Ich kenne ihn aus völlig anderen Zusammenhängen, keinen politischen, nein”, er stockte, „ursprünglich”, setzte er hinzu. „Er ist Sammler. Auf einer Auktion habe ich von ihm zum ersten Mal gehört. Aber ich habe ihn nie gesehen, es gab bisher keinerlei Bilder von ihm. Es ist sehr viel leichter, wenn man weiß, wie einer aussieht.”
„Ich weiß, wie er aussieht.”
„Eben.”
Ich winkte Nylon, bat um die Karte, sie eilte wieder davon. Wir saßen auf der kleinen Terrasse zur Straße vor dem Lützowpark. Es war die laueste Nacht.
„Jetzt h a b e n wir ein Bild”, sagte der Profi. „Und ich dachte, ich ziehe dich da besser gleich wieder raus. Deine Kommentatoren haben sich über die Pfingstrose aufgeregt, also das Bild…”
„… das ich ins Weblog gestellt habe.”
„Ja. Es schien mir eine Möglichkeit zu sein, dich zu warnen, ohne daß das auffiel.”
„Ich war ein Lockvogel.”
„Es tut mir leid.”
„Nein, tut es nicht.”
„Doch, tut es. Aber ich hatte ja nicht so arg viele Möglichkeiten. Man kann diesen Mann nur bei einem packen: bei seiner Leidenschaft. Er liebt die Schönheit. Er hat auch schon Kompositionen in Auftrag gegeben, Bilder sowieso, sogar Kirchen. Doch nie ist er persönlich in Erscheinung getreten. Dich aber wollte er treffen. Ich habe keine Ahnung, warum.”
„Und wie erfuhrst du davon?”
„Das war ein Zufall. Er hat dir einen Brief schreiben lassen.”
„Ich weiß von keinem Brief.”
„Nein, weißt du nicht.”
Einen Moment lang war ich konsterniert. „Du läßt mich überwachen, läßt meine Post durchsehen?”
„Ich lasse jeden überwachen, der in meiner Nähe ist. Sei nicht so naiv. Du tätest an meiner Stelle das gleiche.”
„Und wieso habe ich den Brief nie gesehen?”
„Das war eine Schlamperei. Wie das manchmal so kommt. Es darf natürlich nicht so kommen. Kommt dann aber doch so. Jemand ist krank, und es kommt die Vertretung, die nicht weiß, wo der Kranke seine anstehenden Infos verwahrt oder das zwei Stunden später erfährt, als nötig ist – undsoweiter. Reine Marginalien.”
„S o gut seid ihr n i c h t organisiert”, sagte ich.
„Nein, sind wir nicht. Schon weil es Konkurrenzen gibt. Bitte laß mich das nicht näher erklären.”
„Aber was hat das mit dem Wort zu tun?”
„Welchem Wort?”
„Das aus den herabgefallenen Blütenblättern zu lesen war.”
„Gar nichts”, sagte er, „gar nichts hat es damit zu tun. Sowas gehört nicht in unsren Bereich. Da mußt du einen Priester fragen oder einen Heiligen. Ich habe keine Ahnung.”

*******

21 Uhr:
Sie habe ein solches Entsetzen gefühlt, sie habe einen Sturz von Bildern erlitten, als sie die Blütenblätter sah und daß ich sie ihr zeigte: da habe sie mich angesehen, zum ersten Mal wirklich angesehen und es mit einer Panik zu tun bekommen, die sie in ihrem Leben zuvor niemals gehabt. Doch, einmal, einmal, da sei es ähnlich gewesen, damals, sie sei zwanzig gewesen, und dieser Mann habe sie gepackt und niedergerissen. Er habe sie ins Gesicht geschlagen, weil sie sich nicht ergeben wollte, habe sie in den Bauch geschlagen, habe sie wieder ins Gesicht geschlagen, dann ihren Rock hochgezerrt und habe ihr, bevor er in sie hineinstieß, die Faust in das Geschlecht geschlagen, bis sie nur noch wimmern konnte. Und er habe noch einmal zugeschlagen und dann sein Glied in sie hineingestoßen. Sie habe gewußt, daß sie nun ruhig sein müsse, ruhig daliegen, sie habe nicht einmal mehr, glaube sie, gewimmert, sondern einfach gewartet, bis es vorbei war. Bis er in sie hineingespritzt habe. Sein Gift. Hätte sie sich gewehrt, sie wäre gestorben an diesem Morgen vor einundzwanzig Jahren, auch das sei ein Junitag gewesen, und wenn sie überlege, genau derselbe. Man habe den Mann niemals gefaßt. Sie habe Rache gewollt, er könne sich gar nicht vorstellen, wie, und wie das s e i, Rache zu wollen. Sie habe sich, obwohl sie gar nicht schwanger gewesen, die Gebärmutter auskratzen lassen. Sie habe Kampfsport begonnen, Jiu-Jitsu am Anfang, dann Allkampf, Kickboxen schließlich, nein schließlich nicht, sondern schließlich japanischen Stockkampf. Wenn es heute jemand wage, sie wider Willen auch nur zu berühren, nur zu streifen, wenn das ein Kerl sei, er liege binnen Sekunden am Boden. Sie müsse sich dann immer beherrschen. D a n n erst beherrschen. Denn wenn einer Angst hat, kennt er keine Gesetze. Was sie in den Blütenblätter gesehen habe? Diese Angst. Nicht sie als eine schon gespürte, sondern als eine Botschaft. All diese Bilder, die sie seit damals verfolgten, die Bilder gar nicht seien, sondern Erinnerung, Erinnerung als Gefühl, das sei in dem Moment wieder auf sie losgestürzt. Dann habe sie mein Gesicht gesehen, zum ersten Mal mein Gesicht gesehen und gewußt: gegen den hilft kein Kämpfen. Hüte dich, eine Hand zu heben. Hüte dich zu widersprechen. Mach dich klein. Mach dich fließend. Laß ihn über dich gehen und bete, daß es dann gut ist.
Sie hatte Tränen in den Augen, sie drangen nicht, nein, quollen vor. Schossen vor.
„Alban, du mußt los, du mußt wirklich los!”
Ich sah zur Uhr da am Terminal D2 Charles de Gaulle.
„Nein, ich habe noch fünf Minuten. Bitte erzähle mir weiter.”
„Alban, ich habe das Böse gesehen.”
„In mir.”
Sie schüttelte den Kopf.
„Nicht in dir. Das warst nicht du. Das war etwas anderes. Etwas, das durch dich nur hindurchkam, aber von dem du gar nichts gewußt hast. Von dem auch ich nichts gewußt hatte.” Einen Moment stutzte sie. „Das Fürchterlichste aber war, daß ich auch von mir nichts gewußt habe”, sagte sie dann.
„Dir?”
„Mir, ja. Ich habe gesehen, als ich diese Blütenblätter sah, w i e ich Rache genommen habe. Ich habe gesehen, daß ich vor der Vergewaltigung Rache nahm, schon lange, viele Zeit davor, Jahrhunderte davon…”
„Du?”
„Daß ich, Alban, dafür gemacht bin, Rache zu nehmen. Daß das mein Wesen ist. Daß ich gar nichts anderes b i n als Rache.”
„Michael”, sagte ich.
„Michael?”
„Egal, laß sein. Ist egal. Wir haben beide mit gar nichts davon zu tun.”
Ich begriff, daß sie d e s h a l b so geschrien hatte, weil sie gefühlt hatte, daß sie für etwas stand, das ihr eigentlich fremd war und ihr nicht paßte, wie einem ein zu enges Unterhemd nicht paßt, aber man hatte sie da hineingezwängt, weil sie, dachte ich, bereit gewesen war, weil dieses Arschloch, das sie vergewaltigt hatte, sie bereitgemacht hatte, für einige irdische Zeit ein Prinzip zu personifizieren, das f ü r diese Zeit einen Träger brauchte… einen Träger, vielleicht sind es auch zwei, oder es sind Hunderte, wahrscheinlich sind es Hunderte, wo immer jedenfalls so einer gebraucht wird, um Henker zu werden oder Soldat, um Richter zu werden oder Verkünder: Das ist ganz einerlei.
„Du mußt los!”
Ich nahm sie an den Schultern.
„Jenny, hör mir zu, oder Edith, oder was immer du bist: kündige deinen Job. Sag dem Gräfin einen Gruß von mir und sag ihm, ich schriebe ihm sein Buch. Aber ich stelle eine Bedingung: nämlich daß er dich entläßt. Wenn er das n i c h t tut, sag ihm das, er wird das verstehen: wenn er das nicht tut, und sag es ihm genau s o: dann bleibe ich, der ich bin.”
„Ich verstehe das nicht.”
„Das sollst du auch gar nicht verstehen. Aber tu, was ich dir sage. Bitte.”
Ich küßte sie, auf den Mund, ja, und nur kurz. Aber ich küßte sie.
„Doch das ist alles gar nicht wahr”, sagte sie, „ich habe mir das alles hinterher nur so zurechtgelegt… weil ich eine Erklärung brauchte, und weil das paßte. Denn die Wahrheit, Alban, ist einfach, ist ganz furchtbar einfach. Als ich die Blütenblätter sah, als ich das Wort sah und als ich dann dich wieder ansah, da habe ich, Alban, den Teufel gesehen. Vor Schreck schrie ich auf. Und es ging einfach nicht, ich konnte da nicht bleiben.” Sie weinte wieder, stand hilflos vor mir, ich nahm meinen Rucksack, schulterte ihn, nahm den Arbeitsrucksack an der Handschlaufe. Stöße von Heulen gingen durch sie hindurch. „Ich habe den Teufel gesehen”, sagte sie, „ich habe in dir den Teufel gesehen.”
„Ich weiß”, sagte ich. Drehte mich um und ging.

*******

28.6., 14.34 Uhr:
„Ob der Teufel wohl noch heut mit mir schläft?” fragte die Samarkandin.
„Es gibt keinen Teufel”, sagte ich.
Vielleicht war mein Ton eine Spur zu hart, aber es war fast halb drei Uhr nachts, und auch die Barkeeper waren genervt, daß ich noch immer hier herumsaß und sich diese schmale, vor lauter drängender Jugend allzu deutliche Frau zu mir gesetzt hatte. In einem hellen, knielangen engen Kleid war sie erschienen, deutlich erschienen, trotz der Nacht; die spitzen Absätze der Pumps mindestens 12 cm lang, im Decolletée, solarbraune Haut, der elfenbeinfarbene BH deutlich als Lockung arrangiert. Ich bin an sowas verfallen, ich bin an Äußerlichkeiten verfallen, das war immer mein Problem, meines und das meiner Partnerinnen, an die Larve, wie das Menschen nennen, die wesentlicher sind als ich. Es ist mit Verführern wie mit Verkäufern: keinem sonst wie denen dreht man derart leicht etwas an, und zwar je geschickter sie selber verkaufen und raffinierter. Auch das hab ich in meiner Zeit an den Börsen gelernt. Aber so ist das auch mit der Macht: niemand ist so bereit, Befehle zu geben, wie die, die sie gerne befolgen. Deshalb finden sich unter jenen Männern, die, um Wollust empfinden zu können, geschlagen werden wollen, so viele aus allerhöchsten Positionen, Schläger sind sie ja selbst. Und ich kann der Schönheit nicht widerstehen; nur den Mund halten, manche, soll sie. Deshalb war mein Ton zu hart.
Aber die Samarkandin ist geschmeidig.
„Habe ich dich verstimmt?” fragte sie.
Ich gab keine Antwort, aber lächelte, als mir die Zusammenhänge so klar durch den Kopf gingen; Saulus und Paulus, dachte ich, oder wie T.E.Lawrence ausgeflippt war in seinem ferngelenkten Guerillakrieg, geradezu in den Blutrausch geraten, wovon zwar sein Buch nur distanziert, der Film aber heftig erzählt, und von der Schuld, die er fühlte.
Und sie ist anschmiegsam.
„Bitte schlaf mit mir”, sagte sie, aber machte sich nicht etwa kindlich, sondern es war ein kätzischer Satz, der einem zugleich den Rücken zerkratzt; es war sogar ein arroganter Satz, und ein so verfallener Satz, daß ich unmittelbar im Paradis de Pantin zurückwar und mich diese Sucht nach leiblicher, sekretischer Entgrenzung wieder faßte, nach Rausch und Übertretung, nach Rebellion gegens Tabu und nach der Hoffart ihn meinem Blick, als ich hierstand, im Glitzerzeug und das Mikro in der Hand, während vor mir diese Massen nackter Menschen saßen und bebend warteten, daß es losging, im Hintergrund spielte die Flöte… Flöte spielen, Sie wissen schon… und dort das riesige Erz dieses Engels, dessen Stirn so gesenkt war, als hätte er und nicht ich Hörner –

Es war noch nicht Sonnenaufgang…

… aber ich war viel zu müde, war noch nicht einmal geduscht, auch am Vortag nicht, wo noch mit der Löwin… und der Flug, dann die Bahnfahrt von Frankfurt… kaum angekommen das Konzert, schon die Bar und der Profi, der gegen eins davonging, nachdem ich noch zweidreimal versucht hatte, etwas über den Gräfin bei ihm herauszubekommen.
„Es reicht uns völlig, wenn du den Kontakt hältst”, sagte er, schwieg wieder, sagte: „also wenn du dazu bereit wärst? Wir waren ihm noch niemals so nah.”
Ich hatte das deutliche Gefühl, das unter allem, was mir widerfahren war und ja noch weitergeschah, ein zweites Netz, ein dichtes politisches Gewebe ausgespannt war, unter dem aber noch ein drittes, von dem vielleicht wir b e i d e keine Ahnung hatten, weder der Profi noch ich, und daß alle diese Gewebe miteinander verbunden sind, durch Fangspiralen, dachte ich und saß direkt vor einer, sah sie an, sie lockte pheromonal… was ich weiß, gut weiß, aber schließlich zupfe ich d o c h.
Sie aber zupfte die Spitzen des linken Körbchens zurecht, indem sie sie präzise anderthalb Zentimeter wieder über den Ausschnitt der Kleides hinausschauen ließ. Anders als ich lebt sie hauptsächlich nachts, schon ihres Berufes wegen, dem sie, wie sie erzählt hat, mit Überzeugung nachgeht: da ist keinerlei Zwang, nur eine Gier, deren Erfüllung ihr, so oft sie das will, hoch bezahlt wird. Und wenn sie erzählt, bin ich in ihren Händen der Lehm, aus dem wir geformt sind. So daß ich mit einem Mal begriff, und aufsprang, und nervös sagte: „Bitte entschuldigen Sie, ich muß los, ich kann nicht… heute nicht, wirklich nicht, verzeihn Sie…” – unter ihren ganz sicher verwunderten Blicken eilte ich hektisch zur Theke, unterschrieb die Rechnung, legte einen Fünfer Trinkgeld dazu, kam wieder heraus, wiederholte mich, „bitte sein Sie nicht böse, ein andermal, bitte” – und stürzte panisch davon… weil ich, so daß ich begriff, daß diese Frau eine Vorbotin war, die mir der Gräfin nach Deutschland vorausgeschickt hatte. Ich hatte in diesem Moment keinen Zweifel darüber, daß wirklich s i e auf mir gelegen, daß wirklich sie mich gebissen hatte, bevor ich aus dieser Hölle ausgebrochen war, aus dem Loch, bevor ich auf diesem Boot erwachte, alle die Kühe, alle die Schweine – bevor, will ich sagen, mein anderer Teil in die Sainte Chapelle getreten, eingetreten war, während mein sterblicher Körper im Bett der Nonchalante lag, unruhig, halluzinierend, Edith über ihn sorgend gebeugt, und Raffaela gab mir die Spritze.

*******

17.16 Uhr:
Nein. Noch war kein Sonnenaufgang. Ist es immer noch nicht, obwohl – verstehn Sie, was ich meine? – längst hellichter Tag ist. Ich bin ein Mensch des Lichts, die Nacht ist nicht mein Element als Mensch; ich habe einen Sohn, den ich liebe, als Vater muß man hell sein. Düsternis tut Kindern nicht gut. Ich darf an einem Schreibtisch sitzen, den ich mir und wie ich’s mir ausgesucht habe. Mich haben Frauen geliebt, manche lieben mich noch, andere werden mich lieben; ich wurde gesegnet, darüber gar keinen Zweifel zu haben, und selbst damit, die andere Seite, die in mir ist, dank einer Löwin leben zu dürfen, ohne daß wir stürzen. Wir fallen kurz, in von uns selber vorgegebenen Rahmen, die man settings nennt, wir erheben uns, erhöhen uns, erniedrigen uns und fügen dem anderen Schmerzen zu, um die er sogar bittet; dennoch bleiben wir kultiviert. Doch darf uns das, wie ich spüre und es am eigenen Leib jetzt erlebte, nicht täuschen: unter uns liegt etwas anderes in uns, eines, das nicht geheuer ist. Wir können so licht sein wie wir wollen, i c h kann so licht sein wie ich nur will. Sehr plötzlich tritt das aus uns heraus und überstülpt uns. Die Kirche hat unrecht, von Dämonen zu sprechen, die in uns führen, sondern sie sind schon immer darin; sie weiß das, denn sie sind auch in ihr. Es nutzt nichts, die Türen nach außen zu schließen, sondern die inneren Räume bergen Gefahr. Mein Haus hat viele Wohnungen, das ist nicht nur gütig zu lesen.
Ein ganz kleiner Schritt, Leser, zum Mord.
Wieso ich auf Mord komme? Ich denke an die Entenpresse und bin mir nicht sicher, ob des Gräfins Entzücken, als er mir den Finger hinhielt, nicht rein für mich gespielt war, ob er meine eine, von meinem Licht sorgsam verschlossen gehaltene Tür, nicht damit öffnen wollte… ob nicht der Finger, an dem die Saucenspur aus Bratsatz, Mark und Blut kaum wie ein Hauchnetz haftete, aber glänzte, nicht der Schlüssel war, und der dann heraustrat, war von derselben Flüssigkeit und rann mir ins Herz, um sich von dort aus auszubreiten. Ihn, nicht mich, wollte mein Auftraggeber fordern; ich selber bin ohne Interesse für ihn.
Nein, das stimmt nicht. Ich habe eine Fähigkeit, die dem Geforderten und – das zu denken, kann ich nicht mehr umhin – offenbar auch dem Fordernden abgeht. Vielleicht ist er’s müde geworden oder er, er selber, müde. Ich aber liebe das Leben. Ediths Leben zum Beispiel, ihre gebundene Verstörung, die sie mit solcher Energie überspielt, also Jenny… selbstverständlich Jenny, von der ich so sehr hoffe, daß sie nun frei ist. Ich hoffe das derart stark weiter, daß ich meinen Vertrag erfüllen werde, denn erst da, in dem Moment, als ich Edith bat zu kündigen, erst da ist er wirklich zustandegekommen. Alles das vorher war nur ein Versuch, war allezeit Versuchung. Ach Raffaela! Algerisches Mädchen, ich lache, „algerisch”… Ob Deiner gütigen Zartheit, die, wie du sagtest, mich heilen könne, bewußt war, wie wenig von mir für dich da ist, und es kam dir auch gar nicht drauf an? Und selbst die Samarkandin, über die ich mich soeben schon wieder verbiege, weil ich auf sie verzichtet habe, gestern, als ich aufsprang… selbst die, da mir schon wieder der Saft steigt, und BettyB, und La Lune.. selbst alledie… alledie liebe ich. Damit gewappnet fahr ich zurück. Ich habe die Zeit, mein Sohn ist mit seiner Klasse verreist. Nur aber die Löwin, Madame Le Duchesse, steht n i c h t auf der Karte Ihrer Menüs. Damit wir uns richtig verstehen.

*******

18.59 Uhr:
Ich erreichte meinen Flieger gerade noch so, wir hatten zu lange gesprochen vor der Glastür des Terminals, nein, nicht z u lange, aber fast zu lange. Ich mußte mein ganzes Zeug noch aufgeben, dann die Sicherheitskontrolle… jajaja, ich kenn das schon, daß ich verdächtig wirke, da kann ich anziehn, was ich will. Aber diesmal war es anders, diesmal hatte ich wohl etwas im Gesicht, daß die Kontrolleure wütend machte, wie Pferde scheuen vor Schlangen und durchgehn, wie angekettete Hunde sich in Rage kläffen, wenn sie eine Beute sehen, die nicht nur vorbeistreift, nein hockenbleibt und sie angrinst. Nicht einmal am grenzgesicherten Fußpfad Ramallahs, von der besatzten Westbank nach Israel hinein, war ich einer Leibesvisitation unterzogen worden, hier aber, Terminal D2 Charles de Gaulle, hier nahm man mich beiseite und führte mich in eine Kabine. Draußen schraubte man derweil meinen Laptop auf, sogar die Kugelschreiber, jeden. Aber ich war sauber. Ich mußte das Päckchen des Gräfin öffnen, riß es auf. Darinnen lagen ein nagelneues Iphone mitsamt bereits, das bekam ich aber hier erst mit, in Deutschland registrierter Sim-Card, sowie eine längliche Büttenkarte im Couvert, auf dem mein Name in der verzärtelten Handschrift stand, die ich schon kannte. „Das Gerät müssen Sie beim deutschen Zoll deklarieren”, sagte einer der Uniformierten, finster und verärgert, weil mir nichts nachzuweisen war. Ich war mir sicher, er würde den deutschen Kollegen einen Hinweis faxen, kaum daß ich wegwar. Hat er nicht gemacht, ich kam so durch. Jedenfalls ließ man mich ziehen, obwohl jeder Instinkt den Leuten festhalten sagte und für immer hinter Gitter, am besten in Isolation. Ich habe diesen Geruch ausgeströmt, ich roch ihn ja selber. Erst auf dem Rückflug verflog er. So wurde ich ihn Frankfurt von allen lächelnd begrüßt, und selbst der ICE-Zugbegleiter wirkte, als wär ich ihm bekannt und er wäre persönlich beglückt, daß ich endlich zurücksei.
Etwas zog von mir fort. Gestern nacht, als ich mit der Samarkandin sprach, kam es zurück. Daher meine Panik. Er habe versucht, schrieb mir der Gräfin, mit Tinte selbstverständlich, meinen Verlust in gebotener Kürze auszugleichen; die 200 Euro, die er dem Schreiben beigelegt hatte, mögen mich für etwaige Unannehmlichkeiten entschädigen, die ich möglicherweise noch hätte. Im übrigen warte er sehr ungeduldig auf meinen ersten Text.
Zweihundert Euro, dachte ich, viel von Mäzen hat das nicht. Dafür war die PIN der Sim-Card nicht ohne Häme: dreistellig, seltsamerweise.. mehr muß ich, glaub ich, nicht sagen.

Ich bin durcheinander, ich gebe es zu. Bei vielem bin ich mir nicht mehr sicher, ob es geschah, ja selbst der Gräfin, seine oder ihre Existenz, kommt mir manchmal zweifelhaft vor. Da mag der Profi beharrn, wie er will. Aber ich stehe im Wort. Und gestern nacht, als ich begriff, wer Frau v. Samarkand war, und nachdem sich meine Panik wieder gelegt hatte, schon weil ich vom Nollendorfplatz den Nachtbus nehmen und lange auf ihn warten mußte, der mich zur Friedrichstraße brachte, von wo aus ich zu Fuß zum Konzerthaus ging, weil da noch mein Fahrrad stand… – gestern nacht also wurde mir deutlich, daß es nur einen Weg in die Realität gibt: nämlich zurückzufahren nach Paris und abermals alle Orte aufzusuchen, die mir Edith, ich meine Jenny, gezeigt hat. Also rief ich unter der Telefonnummer an, die ich bekommen habe und bat für heute um einen Flug. Nein, heute, das sei wohl nicht mehr möglich. Ich möge mich eine Stunde gedulden. Erschreckend pünktlich kam die Email: Morgen, 18.20 Uhr, Flughafen Schönefeld; die Buchungsbestätigung fügen wir im Attachment bei. Man werde mich erwarten.

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17 thoughts on “Der Schluß: Frau v. Samarkand, nämlich die Botin. Aber davor über das Wort, das ein Klang ist. Der Paris-Erzählung letzten Teiles Ende von gestern und heute: sowohl in Paris wie Berlin. Noch einmal die Sainte Chapelle ODER Der Gesandte. Sowie von Geheimdiensten. Und das, was Jenny s a h. Les secrets de Paris (11).

  1. Diese Szene ist in ihrer Einfachheit magisch, sie ist: gewusst. Ach, dachte ich, da ist er ja. Der Geistliche. Und dann war er doch ganz anders, als ich ihn wiedererkannt zu haben glaubte.

  2. Pfingstwunder Ich bin sehr angerührt darüber, dass ein moderner Schriftsteller ein Pfingstwunder schreibt und es auch schreiben kann, indem er dafür das Fest selber übergeht. Das hat eine frappierende Logik. Über Ihre Auslegung des “Wortes” kann man theologisch ebenso lange diskutieren wie über Ihre Anmaßung, sich selbst zu einem “Gesandten” des Heiligen Geistes zu machen, aber ich glaube gleichzeitig, dass Sie hier intiutiv ein Zentrum des Christentums erfassen. Bei all dem, was man über Sie hört, hat das etwas höchst Irritierendes.

    1. Ich frage mich auch immer wieder, wie kann dieser begabte Schriftsteller den Spagat aushalten. Hier das Pfingstwunder, das ich persönlich aber als Beginn einer Pfingsbewegung ansehe (Lesen Sie mal: der Transformationsprozess von Wort und Geist endet doch in einer Bewegung – wenn auch “nur” der Massen, gleichwohl als Signal des Aufbruchs.), dort das Gequassel (mit dort meine ich das Journal), das streiten sich die sogenannten Epigonen wie die Kesselflicker. Einfach peinlich.

  3. Das ist einfach nur schön, was und wie Sie über das Wesen der Sprache schreiben und wie Sie dann die Verbindung zum Fleisch bzw. zum Mönch herstellen. Das Wort drängt in das Fleisch (für mich die schönste Aussage des Johannesevangeliums), immer, es will Fleisch werden, darin aufgehen und verstummen, und wenn es auch nur für einen kurzen Moment ist, denn in diesem Augenblick erfüllt es sich ganz: es liefert sich aus und entzieht sich dabei jedem Zugriff.
    Der Text hat mich tief berührt.

    1. Erklingen und Verstummen sind wie Licht und Dunkel. Sie leben auf immer in Dämmerung, dem Klang, und nur Absicht extrahiert sie je rein.
      Ja, es ist sehr schön, wenn jemand Sprache nicht auf den Projektionsstrahl einer laterna magica reduziert. Und da Sie, Herr Hediger, schon das Evangelium anführten, zitiere ich aus purer Freude (auch am kommentierten Text, zumindest seinen ersten Paragraphen) gleich meinen Lieblingssatz :

      Am Anfang war das Wort.

      Ich wüßte nicht, wie kürzer und genauer ausgesprochen werden kann, was Sprache schenkt!

    2. Der von Ihnen zitierte Bibeltext, @ sumuze gewinnt noch mehr Kraft, wenn er neben die ersten Verse der Schöpfungsgeschichte von Genesis 1 gelegt wird:

      Genesis 1:
      Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.

      Johannes 1:
      Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

      Dieselbe Leere, dasselbe etwas verloren wirkende um sich selbst Kreisen.

      In Genesis beginnt nach diesen Versen die Schöpfung, die im Johannesevangelium in Vers 14 ihr Pendant findet: Und das Wort ward Fleisch.

    3. Am Anfang war das Wort Was irgendwann einmal als Wort anfing, endet unweigerlich in einem gelben, ärmellosen, leichten Baumwollkleid, das tief über die Knie hinunterweht.

    4. Aber! Aber! Sehr geschmacklos, lieber Herr Herbst. Mir das Kleid anzudienen, das am Körper von Cornelia den Herrn Hediger zu Tränen rührt.

    5. Und Sie, Betty B. lesen nicht genau. Das Kleid rührt mich zu anderem, aber gewiss nicht zu Tränen.

  4. @BettyB zu “hälst”. Ich danke Ihnen sehr für Ihren derart oft, wohl weil so antwortlos geblieben, hintereinander wiederholten Hinweis auf meinen Rechtschreibefehler. Ja, Sie haben ganz recht. Allein, ich schrieb diese Erzählung in knapp anderthalb Wochen auf einen Rutsch nieder, so daß mir für eine Durchsicht bislang einfach keine Zeit war. Selbst Genies widerfährt dann so etwas; aber: wie denn dann mir nicht? Um so dankbarer bin ich für Ihre genaue Lektüre, auch wenn sie weniger die eines Lektors, den die Stilistik fasziniert, noch gar die eines ist, der den Sinn begreift; immerhin ist sie die eines Korrektors, der, das finde auch ich, gar nicht pedantisch genug sein kann; das Wort vom Beckmesser ginge rein fehl, wollt’ es für ihn, oder gar Sie, jemand verwenden.
    Ich bin ohnedies von Ihrer ständigen und wachsamen Gegenwart gerührt. Wer möchte das ein stalking nennen? Ich weiß, liebe Betty, es ist im Gegenteil eine allertiefste Bewunderung, die dennoch nicht ohne Wehmut ist, wird man doch statt für den Physiker für eine Ingenieurin, und besten Falles, gehalten.
    Wenn Sie weitere Rechtschreibfehler fänden und uns das zur Kenntnis brächten -: liebe Betty, ich wüßte nicht, wie Ihnen das entgelten. Denn was zwar dem Benny ansteht, wäre durch mich nicht in einer stehenden Nacht zu erreichen.

    P.S.: Da sich ihr Anlaß aufgehoben, habe ich Ihre Repetitionen gelöscht. Nur deshalb, so wahr ich mir helfe.
    ANH

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