Thomas Hampson in Hamburg – Schleswig-Holstein Musik Festival, 14. Juli 2010, Hamburg, Laeisz-Halle: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll, Rückert-Lieder, Orchesterakademie, Leitung: Christoph Eschenbach

Durchgeistigte Interpretation eines Mahler-Liedes wie “Um Mitternacht” oder “Ich bin der Welt abhanden gekommen” ist seine Sache eher nicht. Da fühlt sich Thomas Hampson schon wohler mit “Ich atmet’ einen linden Duft”, konkreter, sinnlich, – jetzt am Schluss seines halbstündigen Auftritts in der Hamburger Laeisz-Halle nach tosendem, nicht enden wollendem Beifall als Zugabe präsentiert, – oder mit der einfach ergreifenden Innigkeit bei “Liebst du um Schönheit”. Gerade an diesem Abend zeigte sich, dass der amerikanische Bariton, der sich mit Mahlers Liedschaffen so eingehend wie wenige beschäftigt hat, nicht zuletzt aktuell geschuldet seines Auftrags als Artist in Residence in Hamburg, noch nicht am Ziel ist. Natürlich gibt es nicht “die” endgültige, abschließende, ewig gültige Interpretation eines Kunstwerkes. Doch bei Hampson ist noch (zu) deutlich das Ringen erkennbar, Bandbreite im Gefühlsausdruck zu vermitteln. Das betrifft keineswegs sein stimmliches Potential, das ein weites Spektrum an Dynamik und Wohlklang umfasst, das aber vielleicht letztlich als Bestimmung in der Oper zu Hause ist. Wie auch immer – im Mittelpunkt des Abends stand ohnehin die 5. Sinfonie von Mahler, die in Christoph Eschenbachs kantiger Präsentation beeindruckte. Er lotete das Opus in seinen Tiefen aus, verzichtete auf zu sattes, schwelgerisches Nachzeichnen der sich dafür anbietenden Takte, – brachte die extra für das holsteinische Musikfestival eingerichtete Orchesterakademie, 1987 von Leonard Bernstein gegründet – für das in jedem Jahr junge Musiker im Höchstalter von 25 Jahren aus der ganzen Welt ausgesucht werden, zu Bestleistung. Das ist Nachwuchsförderung auf höchstem Niveau. Eschenbach nahm den minutenlangen Applaus gerührt entgegen.
Dieses Konzert steht am Amfang einer langen Reihe von Musikereignissen, die in Hamburg zu Ehren Gustav Mahlers gegeben werden, der vor 150 Jahren geboren wurde und dessen Todestag sich 2011 zum 100. Mal jährt.

5 thoughts on “Thomas Hampson in Hamburg – Schleswig-Holstein Musik Festival, 14. Juli 2010, Hamburg, Laeisz-Halle: Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll, Rückert-Lieder, Orchesterakademie, Leitung: Christoph Eschenbach

  1. Mahlerinterpret sehr geehrter Autor – diese Kritik ist für mich nicht nachvollziehbar, gibt es doch niemand der heute ein Mahlerlied eindringlicher und vollkommener als Thomas Hampson zu Gehör bringen kann und gerade “Um Mitternacht” erklang in Hamburg wieder einmal so innig und kraftvoll – es war wie ein Gebet … und “Ich bin der Welt abhanden gekommen” – niemand kann sich so sehr in die Seele Mahlers versetzen und dieses ganz besondere Lied besser singen.
    Vielleicht sollten Sie den Liedsänger Hampson doch ein wenig öfter hören, um seine ganz besondere Sensibilität besser zu verstehen.
    Mit Ihrer Aussage liegen Sie für mich und auch für den Großteil des begeisterten Hambureger Publikums voll daneben.

    1. @Gisela. Ich bin im Prizip, vor allem für die Wunderhornlieder, Ihrer Meinung, habe Hampson auch tatsächlich sehr oft gehört. Helbigs Kritik teilte ich allerdings bei seiner Schubert-Interpretation.
      Der Kritiker ist in Beitrag hierüber allerdings eine Frau. Ich selbst war auf dem Konzert nicht, und ich lasse selbstverständlich meinen Mitschreibern Ihre Sicht auf die Dinge. Es würde mich allerdings auch interessieren, wie Frau Helbig antwortet.
      Besten Gruß
      ANH

    2. Thomas Hampson – Weiteres (Konzert Juli 2010, Hamburg, Laeisz-Halle) Thomas Hampson sagt mir nichts mit seinem Gesang. Er vermittelt nicht den Inhalt der Mahler-Lieder. Im besten Fall singt er sie schön, aber leer. Wenn man ihn mit Matthias Goerne vergleicht – und das muss erlaubt sein -, schlägt der ihn hinsichtlich Details und Feinheiten um Längen. Goernes Stimme ist voller, seine Tiefe satter. In der Höhe steigt die Stimme in zarteste, innigste Sphären, ohne dass der Hörer den leisesten Gedanken an Anstrengung oder technische Hürden verschwenden würde.
      Und wenn man schon über Feinheiten spricht: Die Version Fischer-Dieskau/Barenboim “Ich bin der Welt abhanden gekommen” lässt Hampson in der Darbietung des o.g. Konzerts fast plump aussehen. Spätestens bei der Zeile “Ich bin gestorben dem Weltgetümmel” ist man in emotionale Ebenen gehoben, von denen Hampson weit entfernt ist. Vielleicht sollten Hampson-Fans mal ein Goerne-Konzert besuchen – das würde verdeutlichen, was ich meine.
      Ehrliche Meinung ist notwendig. Vielleicht würde sich Hampson sogar freuen, wenn er meine Meinung lesen würde. Manchmal wagt niemand mehr den Ausdruck ehrlichen Empfindens, um keine Ikone vom Sockel zu stürzen. Doch das will ja auch niemand.
      Ich zitiere Waltraud Meier (die ich gerade in Bad Kissingen in Mahlers “Lied von der Erde” genießen durfte):
      Interview T. S. Raphael:
      “Wie kann man in der Opernwelt überhaupt zu einer realistischen Selbsteinschätzung kommen? Man wird mit Rollen identifiziert, ist umgeben von Ja-Sagern, die einen tätscheln, weil sie ja von einem leben. Man bekommt oberflächliche Komplimente. Und auch auf die Musikkritik ist ja nicht unbedingt Verlass.”
      Meier: “Nur durch viele, viele Erfahrungen. Aber man kann auch alt werden, ohne sich jemals des eigenen Tuns bewusst zu werden. Man muss sehr viel an sich arbeiten, nicht nur stimmlich, nicht nur, was die Partien anbelangt, sondern auch als Person. Man muss eine Balance finden, auf sich selber hören, kritisch sein, und auf andere hören, die ein gutes und aufrichtiges Urteilsvermögen haben. Ich habe schon Leute genervt mit Anrufen, weil ich gespürt habe, der weiß etwas und will es mir nicht sagen. Das ist ja auch eine Wertschätzung meiner Person, wenn man zu mir ehrlich ist.”
      Betr. Erwartungshaltung des Publikums:
      Meier: “Am Anfang kann man nur gewinnen. Ich halte es für sehr viel einfacher, eine Karriere zu machen als sie zu halten. Ich hatte mal eine Angstperiode, der ich mich gestellt habe und die ich dann überwunden habe. Die Gefahr ist, dass man sich in einen Habitus flüchtet und sich anschwindelt. Das wollte ich nicht. Ich habe dann auch sehr an mir gearbeitet.”
      Betr.: Gesang ist Höchstleistung.
      Meier: “Für mich ist der Gesang ein vollendeter Ausdruck einer Persönlichkeit. Ein Spiegel von einem selbst.”
      Hampson kam erst spät auf die Idee, Sänger zu werden. Könnte und dürfte er sagen, dass er jetzt vielleicht lieber etwas ganz anderes machen würde, wenn er könnte, – also nicht Mahler singen, vielleicht gar nicht mehr singen? Golf spielen? Aber in langem Vorlauf stehen die Verträge. Bis weit hinein ins Jahr 2011 ist er fest mit Mahler beschäftigt.
      Es gäbe noch viel zu sagen. Es bleibt meine geschriebene Meinung zum o.g. Konzert bestehen. Im März 2011 werde ich weitere Liederabende (Mahler) mit Hampson in Hamburg besuchen. Ich bin trotz allem gespannt – oder gerade deswegen. Leben ist Bewegung, bestenfalls Entwicklung. Mal sehen, was kommt.
      “Gisela”, vielleicht sehen wir uns sogar im Hamburger Konzert und können “Auge in Auge” sprechen …

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