Mantler und der Frühstücksvogel. Das Arbeitsjournal am Mittwoch, dem 2. September 2010. Bedeckt, doch heiß.

9.23 Uhr:
[Serengeti, Lager Oberburg. >>>> Michael Mantler, The Harpless Child.]
Hübsch das, aus der rechten Herzkammer Afrikas sich mit der Schweiz zu mailen; hübsch das, in Norditalien mit Niebelschütz spazierenzulesen, derweil der Frühstücksvogel, der uns >>>> seit Nairobi gefolgt zu sein scheint, schreit… ja: „schreit” ist das zu nennen, was dieser Bursche unendwegt tut seit geschlagenen drei Stunden. Er scheint alleine zu sein, denn niemand hört ihn: was ich daraus schließe, daß er keine andere Antwort erhält als mein permanentes Tippen. Die Löwin schläft noch. Die Schweiz hat mir von einem Aufsatz >>>> Harald Frickes geschrieben, worin der Autor die gleiche These vertritt, die ich selbst, aber etwas später, >>>> in meinem Kölner Vortrag vertrat; desgleichen von einem Buch Frickes über Ästhetik der Kunst, worin er seine These eingearbeitet habe. Also schrieb ich wiederum ihm und fragte wegen einer pdf nach, etwaig und schnell vielleicht für mich zu erhalten; sich Post nach Afrika schicken zu lassen, wäre unklug, denn sie kommt an, wahrscheinlich, da bin ich selbst schon gar nicht mehr da. Nein, nichts gegen poetische Missionen, allein, da muß denn auch der Priester bleiben. Außerdem hat man in den hiesigen Ländern durchaus eine eigene, worauf immer wieder Ilija Trojanow hingewiesen hat, Literatur.

Bin hin- und hergerissen mit >>>> diesem Arkadien; vieles ist mir zu divertimentig-zopfig, anderes dann wieder sehr schön, schlichtweg gelungen in der gebildeten Wärme dieses Konservatismus; überhaupt ist mir, was Niebelschütz zur Bildung meint, sehr nahe. Darüber dann wieder mit der Löwin gesprochen. „Wir verlieren etwas, ja”, sagt sie, „aber gewinnen wir nicht auch etwas? Und wer kann das noch erfüllen, was Niebelschütz so herzlich erwartet?” Das sind Fragen, in der Tat.
Dann meldete sich meine Redakteurin vom WDR: ob ich, zum Dezember, ein poetisches Feature zur Romantik schreiben wolle… „Romantik nicht im kunsthistorisch strengen Sinn, eher tanzend umschreiben und mit Ihrer Fantasie gestaltet”, was ja nun, wenngleich die Redakteurin Niebelschützens wegen draufkam, ganz weit von Niebelschütz entfernt ist – der ein Gegner besonders des Spätromantischen war, dem die Nebel ungut sind, der eine Idee von Klarheit und Durchschaubarkeit favorisiert, was ich gut verstehe, wovon ich aber selbst nur ein Anhänger voller Zweifel bin: das Licht ist ja auch meines, und auch ich schreibe nur ungern nachts, dennoch ist da Nacht, viel Nacht, in mir – meine Wege ins Klassisch/Klassizistische ist der Kopf gegangen, aus der Herkunft heraus; ich bin mir dessen sehr bewußt (weshalb wohl auch Thiele seinerzeit den jetzt unterbrochenen >>>> Briefwechsel Peter Hacks ./. ANH angeregt und angefangen hat). Das spielt auch in meinen Niebelschütz-Betrachtungen immer eine Rolle; Sie dürfen nie vergessen, daß ich parteiisch bin und durchaus nicht literarwissenschaftlich saubergesonnen, sondern voll der Absichten mit einem eigenen Werk: das hält von Wertfreiheit wenig. Denn sein Autor ist schwer von eigenen Interessen geleitet.

[Jarrett, Sapporo-Konzert.]

(Man möchte, ach, eine Hymne auf die Technik schreiben! daß sie’s uns erlaubt, den Frühstücksvogel per Laptop-Sprecherchen mit Jarrett zu beruhigen. Denn siehe, kaum, daß dieser Pianist seine Tasten anschlug, in Japan, heute und vor 34 Jahren, beruhigt sich das ornithe Geschöpf, und ich kann der Löwin ihren Morgenkaffee auf eine Perlenschnur aus Tönen stellen).

11.13 Uhr:
[>>>> Pergolesi, Stabat Mater.]
Die Löwin ist zur Jagd losgezogen. Ich aber führe einen spannenden Briefwechsel zu Niebelschütz mit >>>> Dominik Riedo aus der Schweiz weiter. Ich werde ihn mal fragen, ob ich davon etwas einstellen darf, also s e i n e Positionierungen zu meinen Antworten, und dann wieder seine. Europa in Afrika: Pergolesi. Gut, daß M. mir eine wenn auch ziemlich schwere Reisebatterie gebaut hat, aus der sich mein Laptop auch in der Savanne einige Tage lang versorgen kann: die Boxen ziehen doch ziemlich Strom. Aber stellen Sie sich das vor, wie dieses Europa übers Gras und zu den Tieren weht. So sehe ich, umgekehrt, auch gern Moscheen in Berlin und lausche berührt den Muezzin von etwas andrem rufen, als ich selber glaube, und danke ihm dafür: er versteht sich auf Bauten des Glaubens, Europa sich auf seine Musik. Bedeckt, doch heiß: Konservatismus.12.32 Uhr:
Sò, den >>>> Briefwechsel nach dem Okay aufbereitet; mal sehen wie das weitergeht. Aber ich sollte unter die Dusche (einen unten löcherigen Wassersack: was denken S i e denn?), bevor die Löwin zurückkehrt, um mir ihr Wild fordernd vor die Füße zu legen. Ich kenne unterdessen ihren Blick. Morgen dann Ardistan.

18.19 Uhr:

In jedem Morsezeichen eine Welt,
Ein jeder Schritt auf zwei beschuhten Füßen
Die Universität persona una,
Auch wenn kein Dekanat den Hut des Doktors
Dafür verleiht: sie will es prüfen können.
Approbation – es kommt darauf nicht an,
Was eine Bildung wert sei vor Instanzen,
Nur darauf, ob der Einzelne im Innern
Sich auflädt mit Impulsen, Energien,
Die wieder seine Strahlungskraft auf Andre
Verstärken. / – / – / – /

Niebelschütz: >>>> Arkadisch Pergolesi.

Gegen acht hat sich ein Freund, den ich seit Jahren nicht sah, angemeldet. Der Springbock ist schon aus der Decke gebrochen. Wir werden am Feuer sitzen, während er sich dreht. Aus Deutschland rief Bernd Leukert an. Ich habe hier tatsächlich ifonen Empfang. „Kannst du am Sonntag in Frankfurt sein? >>>> Medea, von Reimann. War Medea nicht einmal dein Thema?” >>>> War es. Also werde ich am Sonntag, nach der Rückkehr am Sonnabend abend, bis zum Montag in Frankfurt Zwischenstation machen.
Jetzt noch den kleinen Jogginglauf mit der Löwin.

7 thoughts on “Mantler und der Frühstücksvogel. Das Arbeitsjournal am Mittwoch, dem 2. September 2010. Bedeckt, doch heiß.

  1. Peinlich! Statt Afrika als Kulisse für Ihre schwülen Phantasieschübe
    zu mißbrauchen, sollten Sie das Operndorf-Afrika-Projekt
    unterstützen.

    1. @BettyB. 1.) Wieso “statt”? 2.) ist es rührend, wie aufmerksam Sie meinen Peinlichkeiten getreuest die Leserin bleiben; man möchte von “besessen”, ja leidenschaftlich sprechen, ahnten wir nicht, wie es wohl 3.) Ihrem Leben an >>>> Schwüle eben ermangelt, da doch ein 4.) zu Blasses an Ihnen versagte, oder Sie an ihm, oder – bös genug, dies nur zu denken! – beidseits das Es aneinander.

  2. Allgemein in die Runde Wir ringen das Gold den Böden ab…

    Medea, deine Kinder…

    Das goldene Vlies ist ein haarfaseriges Stück Stoff, das in der Goldwaschrinne befestigt wird, an dem winzige kleine Goldpartikel haften bleiben.
    Was für eine Kraftanstrengung…, Emigranten, von der Industrialisierung Getriebene.

    2 fast 2 furious / von hinten aufgezäumte Pferde.

    Medea, deine Kinder…

    Die Philosophie ist ein Dildo (man möge mir diesen Ausspruch verzeihen!), den man sich mit einer Taschenlampe um die Stirn schnallen kann, um das Bergwerk von hinten auszuleuchten. Dennoch: ich sitze gerne an Tischen mit Philosophen…

    Medea, deine Kinder…

    „Woher stammt nur der Aberglaube, daß die Wahrheit sich selber Bahn breche?“
    Ernst Bloch

    Es gibt Wasser, die sind so schwarz, in denen kann nichts überleben.
    Das schwarze Gold. Gehört BP eigentlich zu Shell?
    Venus, wie siehst du nur aus?
    Was für ein “Ölgemälde unserer Zeit”.

    Medea, deine Kinder…

    Die Poesie aus dem Boden herauswachsen?

    Dann intervenier mal Zeus!!!

    Und ich werde mich nicht der Willkür eines Daniello aussetzen! Ich hatte mit dir gesprochen! Ich weiß wie heikel du auf das Thema anspringst, ich habe dich selbst schon dabei erlebt. Aus guten Gründen, und ich bin nicht so vermessen, dir das näher bringen zu wollen, wie denn auch, ich bin kein Kontrollfreak, Alban. Das Soldatentum macht mir auch Angst. Wer will das bestreiten? Deshalb sitze ich ja wie eingeklemmt in der Gegend herum, wie andere auch. Aber wer gänzlich ohne Schuh ist, der werfe mit was weiß ich…

    Ich wär auch gern ohne…

    Du solltest nur auch wissen das es o.k. sich von der Menge ein Stück weit mitziehen zu lassen, zu feiern, solange es keinem wehtut.

    Verstehen musst du es nicht.

    Medea, ich frage deine Kinder…

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