Heute nach Kiel. Das Arbeitsjournal des Dienstags, dem 31. Mai 2011. Berlin und Kiel in Lissabon: das Innere.

6.03 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Welch >>>> irrsinniger, phantastischer Angsttraum! Ich habe nach dem Erwachen Minuten gebraucht, um zu begreifen, daß er nicht Realität war und daß ich die Lesungen nicht verpaßt hatte. Wenn ich am Ende des Traumprotokolls nämlich schreibe klingelte der Wecker, so stimmt das nicht; vielmehr wachte ich seltsam gerutscht von alleine auf, bzw. von diesem Rutschen, das eines zurück in die Realität war, die neben mir lag keine Kissenlänge weiter. Was ich aber erst nicht begriff.
Da war es drei Uhr nachts.
Die Lesungen scheinen mich unbewußt sehr zu beschäftigen.
Ich ging zur Toilette, um klarzuwerden, dann legte ich mich wieder hin, schlief neu ein, seltsam unberuhigt, denn es lockte mich, in diesen Traum zurückzufinden, aber mit dem Wissen nun, daß es einer war. Ob mir das gelang, weiß ich nicht. Um Viertel vor fünf klingelte ein Wecker, den ich vergessen hatte und immer wieder vergesse; mein Ifönchen, dem nach dem drei-Uhr-Erwachen mein erster klarer Gedanke gegolten hatte, hatte ich auf zehn nach fünf gestellt. Stand aber nun schon früher auf, obwohl ich, gegen eins zu Bett gegangen, noch keine vier Stunden geschlafen hatte.
Latte macchiato. Morgenpfeife.

Unter die Dusche gleich, nach dem Rasieren. Mich kleiden. Zweiter Latte macchiato. Und danach dann ab. Um 12.36 Uhr wird mich >>>> Professor Meier am Kieler Bahnhof empfangen. Ich bin sehr zuversichtlich, nachdem gestern >>>> Elfenbein in Aussicht nahm, den dritten Anderswelt-Band zu verlegen. Dennoch hängt immer noch dieser Traum in mir nach: meine Ergebenheit an seinem Ende. Ich ahne, daß sie etwas mit meiner >>>> Empfängnis Lissabons zu tun hat; ich schreibe bewußt von „Empfängnis”, weil das „Mauretanische”, von dem >>>> Stang meinte, es liege mir offenbar nicht, derart in mich hineinkroch. Darüber hatte ich auch gestern nachmittag mit dem Verleger gesprochen. Offenbar wirkt die portugiesische Melancholie in mir nach – was die Lachanfälle der Abwehr erklären würde, mit denen ich abends, wieder an Bord, geradezu unmäßig reagiert hatte.
Die Frage ist, wie man eine solche Stimmung durch einen Text strömen läßt, so daß er ihrethalben glüht.

[Alfred 23 Harth, >>>> POPendingEYE.]

18.23 Uhr:
[Kiel, Maritim Bellevue.]

Hier stimmt der Hotelname völlig, nein: vollkommen. Die gesamte Förde kann ich überschauen. Zweidrei Segler sind draußen, und für Norddeutschland ist das Wetter, und für Mai, durchaus akzeptabel. Hab mich eben hier eingerichtet; sogar Kaffee kann ich mir auf dem Zimmer bereiten – ein Luxus des Quartiers, den ich vor allem morgens schätze: weil ich doch früher aufbin, in aller Regel, als gewöhnlich die Frühstücksräume öffnen.
Nach der akademischen Veranstaltung zum Kybernetischen Realismus, die in der Universität bis fast soeben andauerte, sehe ich nun der Elegien-Lesung entgegen; nach den Stücken 1 – 6 – 9 in Bamberg und 2 – 3 – 9 in Berlin will ich diesmal die Stücke 4 – 5 – 12 lesen, auch, um meine Mitschnitte allmählich zu komplettieren, aus denen sich vielleicht ein Hörbuch der Elegien herstellen läßt, obwohl ich bezweifle, daß sie sich für Autofahrten eignen. Aber wer weiß? Außerdem ist es eine völlig neue Rezitation für mich, zumal in dieser Zusammenstellung. Auf‚lockern’ werde ich die Lesung wieder durch drei bis fünf Gedichte aus DER ENGEL ORDNUNGEN; das hat sich sowohl in Bamberg als auch in Berlin sehr bewährt.

Aber erstmal zur akademischen Veranstaltung. Ich nahm zum Anlaß das Vorspiel von THETIS, das nach wie vor, fand ich erneut, seine Aktualität bewahrt. Hörer und Diskutanten bestanden aus Doktoranden, ein paar vormagistrigen Studenten und Professorenkollegen Albert Meiers und waren ziemlich wohlinformiert; es machte Freude, die ästhetischen Positionen abzuklopfen, und ich war ganz froh, mit einem erzählten Text anstelle eines Essays eingestiegen zu sein, weil so das für mich wichtige Primat der Praxis deutlich werden konnte (erst die Erzählung/der Roman und dann das Nachdenken darüber; nicht etwa ästhetisch konzipieren und das dann irgendwie mit Fleisch befüllen). Zur Sprache kam weiterhin, aber nach einer Pause und in anderem Raum, MEERE: auch hier abermals das Verhältnis von Fiktion und Realtität, bzw. was diese überhaupt sei. Dazu: das Spiel mit Genres (Science Fiction/Phantastik), die, jedenfalls im deutschsprachigen Kanon, nicht zu Hochliteratur zählen, aber hochliterarisch werden, wenn man sie entsprechend behandelt. Meier interessierte dann zudem – aber um das wirklich zu diskutieren, war letztlich keine Zeit – das sogenannte Pornografische als Hochliteratur: daß das überhaupt geht. Ich stieg auf das Thema aber selbst nicht richtig ein, einfach, weil es den Diskussionsgang sonst zerzwirbelt hätte –

aber, oh, ich seh grad, >>>> ich sollte losziehn
Nachts, Leser, mehr. Vielleicht. (Dann lege ich auch noch die Links.)

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