Die Probenmontage (Montage I). Die Vorhänge der Wirklichkeit (8). Daniel F. Galouye. Mit einer Verbeugung vor der Stimme Kavita Chohans.

Sehr viel früher, als ich gedacht habe, bin ich mit den Schneidearbeiten gestern fertig geworden; ich schrieb das eben schon >>>> ins Arbeitsjournal. Also legte ich gestern bereits die erste Montage an, entschied mich für elf Spuren: 1) Die >>>> Sprecheraufnahmen aus dem ARD HS, 2) die sogenannten „Zufalls“- also Einzelstimmen, 3) Stimmen-Leitmotive (das sind einzelne Wörter, einzelne Phrase, die durch das Stück gestreut werden), Atmo- und Musikleitmotive, sowie Stimmgeräusche (während der Aufnahme im Prozeß entstandene Seufzer, Lacher, Ächzer, Flüche, Räusperer), 4) Platzhalter (in denen ich selbst, was noch nicht aufgenommen ist, provisorisch einspreche, 5) und 6), alternierend, O-Töne und Atmos, 7) Cello, 8) Akkordeon, 9) Grundatmo (Science Galery des Max Planck Institutes; sie läuft die ganze Stunde durch, wird durch Auf- und Wegdimmen geregelt). Die Spuren 10 und 11 sind Ausweichspuren, falls ich mit kompakteren Überlagerungen arbeiten muß. Auf der 10 laufen derzeit Straßengeräusche von Unter den Linden.

Was ich bereits jetzt erzählen kann, ist, daß die erste Viertelstunde, die bislang „steht“, bereits derart dicht ist, daß ich mir gestern nacht unsicher wurde, ob das Stücke überhaupt noch eine „äußere“ Musik b r a u c h t. Ich habe in den O-Tönen so viele dichte Signale und sie teils auch musikartig bereits einmontiert, daß bisweilen eine enorme Beklemmung entsteht, die Galouyes Texten sehr entspricht – weniger ihren Formen, allerdings, als ihren Inhalten; formal ist er ein naiver Autor, einer halt, der auf Plots schreibt. Diese Naivetät nehme ich heraus, verwandle sie in poetische Mehrdeutigkeit; so tat es auch schon Faßbinder in Welt am Draht, nur er halt mit filmischen Mitteln und viel weitergehend an eine Handlung gebunden als ich, der ich Stimmung, Drohung, Ambivalenzen alleine über die Akustik vermittle.

21.18 Uhr:
Die Probemontage (Rohmontage) steht.

soeben läuft die Sicherung auf der gesonderten Festplatte.
Es ist der ungewöhnliche Fall eingetreten, daß ich zu kurz bin, mit 43‘18‘‘ um knapp zehn Minuten. Ich weiß allerdings, woran es liegt: ich habe nicht mit Musiken gearbeitet, sondern allein mit dem Material bisher. Jetzt gibt mir das die Möglichkeit, viel mehr zu spielen und improvisieren, als ich das bei irgend einem anderen meiner bisherigen Hörstücke konnte; dort war es meistens darum gegangen, irgendwie kürzer zu werden. Zumal bin ich, auch dies ist ungewöhnlich, über einen Monat vor der Sendung mit einer Rohfassung schon fertig. Dennoch will ich nicht lax werden, sindern so tun, als würde bereits in einer Woche gesendet – weil das den nötigen Druck erzeugt, den ich für Arbeiten schätze; es gab auch gegenüber dem schon kürzere, heiklere Termine.
Einmal, zum Abendessen, ganz durchgehört; ein paar wenige Stellen brauchen Modulation, anderen will ich mehr Luft geben; alles ist s e h r dicht im Moment. Das Ende des Stücks – anders, als das Typoskript will, sondern spontan hochgeschossen, die Idee; und so böse logisch ist sie, daß mir selbst beim Abhören etwas schummrig wurde – ist stark hörspielartig, ja plothaft, wird aber über die Absage zurück ins Feature gerafft. Und enorm ist, was meine neuen O-Töne hergeben, wobei ich aber auch auf alte Mitschnitte zurückgegriffen habe: Erstmals machte es sich bezahlt, daß ich in Oper und Konzert Publikum mitschneide, Stimmen der Instrumente, Applaus, und mein Mitschnitt >>>> aus dem Berghain hat mir das Gerede von Menschengruppen gebracht. Eigentlich sollte ich meinen LS11 permanent laufen lassen, wenn ich draußen bin.
Worum es ab morgen geht, ist, den Zerfall, den das Ende des Stückes erzählt, schon vorher immer mal anzudeuten, unmerklich fast, nur spürbar, ungewißhaft, zwittrig, irritierend, ohne daß aber die „Fabel“ leidet. Dazu kam mein Junge mit der Idee, ob ich nicht noch weitere Kinderstimmen nehmen wolle… – Er hat recht. Und ich bräuchte zweidrei Alte. Es schadet gar nichts, manche der „Zufalls“stimmen mehrfach besetzt zu haben und leitmotivisch durch das Stück zu streuen. Aber für heute ist Schluß, morgen geht es weiter.
(Großartig, wirklich großartig Kavita Chohans Stimme: tief, innig, leidenschaftlich, warmherzig, umfassend.. Selbst, wenn sie sich verspricht oder irgend etwas anderes nicht ganz stimmt, weil es „nicht ihr Tag“ gewesen, kann man mit dieser Stimme auf eine Weise technisch umgehen, die nahezu jeden Ausdruck möglich werden läßt. Eigentlich müßte man unentwegt alleine für s i e Hörstücke schreiben. Es ist mir absolut unverständlich, wieso das nicht andere merken und ihre Stimme quasi dauernd buchen. In ihr ist etwas von dem Urtalent der Callas, nein, nicht nur etwas, sondern vieles – aber für die Sprech- und Sprachkultur, nicht für den Gesang.)

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