Das vielleicht etwas Arbeits-, in jedem Fall Augen-, ein drittes, also, ab mittags, OP-Journal. Am Dienstag, dem 14. August 2012. Und abermals Passow. Am Abend, schließend, ein kleiner Bericht von der Lasik.

8.10 Uhr:
[Arbeitswohnung. Bach, Zweite Sonate für Violine solo. Shlomo Mintz.]
Seit vorgestern abend frage ich mich, was mich eigentlich nervös macht. Eben erst, vor einer halben Stunde viel zu spät aufgestanden, hab ich‘s begriffen: als ich an der Pavoni stand und für den Latte macchiato den Espresso durchdrückte. Es ist kein Abenteuer mehr. Anders als vor knapp anderthalb Jahren, als ich in Düsseldorf >>>> die neuen Linsen eingesetzt bekam, wohin ich fast etwas erregt gefahren war, neuigkeitsbegierig, weiß ich nun, was auf mich zukommt; das macht es schwieriger, so, wie ich eben auch da schon, >>>> am zweiten Tag, nervöser als am ersten war. Außerdem nervt mich das Ansinnen der Ärztin, daß ich mich „ruhigstellen“ soll danach, am besten liegen. Mich ruhigzustellen, ist ungefähr das schwierigste, das ich kenne. Immerhin, wenn ich liege, schlafe ich immer ein, ich kann ja im Bett auch nicht lesen, was ich vermutlich sowieso nicht gleich tun soll.Vielleicht probiere ich etwas am Cello rum, wahrscheinlich höre ich Musik, Bach, wie jetzt, die Sonaten rauf und runter, und Partiten.
Die OP ist die totale Routine, sag ich mir immer mal wieder, was nun aber den Abenteuer-Aspekt g a n z aus dem Vorhaben nimmt und deswegen meine Nervosität erst recht erhöht. Andererseits ist das Augenlasern etwas durchaus anderes, als eine Linse eingesetzt zu bekommen, nachdem die alte, „natürliche“, im Auge aufgelöst und abgesaugt wurde. Diesmal wird die Hornhaut aufgeschnitten und hochgeklappt. Dann trägt der Laser eine feine Schicht von ihr ab, in eben der Stärke, die die Fehlsicht ausgleicht. Schon wird die Hornhaut wieder heruntergeklappt und, nehme ich an, vernäht. Vernäht mußte bei der anderen OP n i c h t werden, weil da der Schnitt nur so klein war, daß man die andere Linse drunterschieben konnte; er wuchs von allein zu. Der Naht wegen, wahrscheinlich, soll die Folge der neuen OP ein ständige Wässern, also Betropfen, der Augen notwendig machen, in der ersten Woche auch mit der, naheliegenderweise, antibakteriellen Flüssigkeit, danach rund sechs Wochen lang oft und oft mit den künstlichen Tränen. Und drei Tage lang soll ich nachts, um nix kaputtzureiben, mit Augenklappe schlafen – was schon damals absolut nicht funktioniert hat, weil die Klebestreifen nicht hielten. Vielleicht besorg ich mir eine Augenklappe, die von einem Gummi festgehalten wird. Mal sehen. Wenn, dann dürfen Sie mich in den Kommentaren mit Jack Sparrow anreden.
Es ist wirklich nur Routine, sagte auch die Löwin vorhin am Telefon, und zwar in dieser breiten, wegwerfenden Dialektgeste, die alleine Wiener zu intonieren verstehen, und Wienerinnen. Das wird am Tag tausendmal so operiert. Jaja, aber das Ruhigstellen..! Sie sei der Meinung, daran hielte ich mich sowieso nicht, und wenn ich mich dran hielte, dann, weil ich tatsächlich erschöpft sei, und dann, das wisse ich doch, schliefe ich immer gleich ein. Ich darf ja nicht mal, entgegnete ich, mit dem Fahrrad zurückfahren; am liebsten hätt ich das geschimpft. Um diese Zumutung zu halbieren, nehm ich auf jeden Fall das Rad da h i n, laß es den Tag über und über Nacht dort stehen und fahre morgen mittag, nach der dann anstehenden Nachuntersuchung, mit dem Rad wieder heim. Der Gedanke gibt mir ein bißchen Selbstgewißheit, weil es eine schöne Formklammer ist. Ich schätze ästhetische Handlungen: es sind Literarisierungen von Wirklichkeit und als solche Selbstermächtigungen: sie weisen die Hilflosigkeit in die Schranken. Ein netter Prozeß des Agierens, also der Abwehr, weil er letztlich mit dem auktorialen Erzähler spielt. Möglicherweise ist dieses ganze Arbeitsjournal – die Rubrik als solche, meine ich – ein Ausdruck davon. Interessanter Gedanke, der, sollte er stimmen, einiges über die künstlerische Produktivität sagt, also mitten in die Produktivitätstheorie gehört, an der ich seit dreißig Jahren herumdenke. Nun ist es ausgerechnet eine Augen-OP (zu sehen!), die mich das begreifen läßt (etwas ertasten).

Hier ist, nachreislich, noch immer nicht alles geordnet. Ich möchte aber an den Text, Argo; nicht, daß ich da noch auf den letzten vierzig Seiten steckenbleibe. Vor allem aber beschäftigt mich >>>> Passows Triptychon weiter. Tatsächlich gehe ich der Idee immer näher, ein Gedicht dazu zu schreiben, scheue aber, wiederum, weil es die Todesfuge gibt und insgesamt Celans Gedichte. Schreibe ich das Gedicht hingegen, sozusagen, konkret, direkt am sichtbaren Material, an diesem mißhandelten Kind, breche ich vielleicht in die Falle der bloßen Verdopplung ein, was nicht nur das Gedicht, sondern auch das Opfer, und dieses noch einmal, mißbrauchte. Wobei ich in diesem Fall bereits vor dem künstlerischen Materialbegriff erschrecke und deshalb zurückschrecke, der dennoch angelegt werden müßte. Auch er bescheibt eine Ermächtigung, eine, die ich hier als unstatthaft empfinde; kurz: ich habe Skrupel. Widersprüche, innere. Man müßte versuchen, jede urteilende Aussage aus dem Gedicht zu lassen: nur von den Händen, der Todesschwersten, erzählen, die das Kind festhalten, und von ihren Füßen, die neben dem Hocker zu sehen sind. Ohne daß man die Gemütlosigkeit nennt, die so furchtbar Ungeheures bewirkt, bzw. mitmacht, und besonders nicht den Sadismus, der vielleicht auch mit angetrieben hat. Bei dem ich mir aber schon gar nicht sicher bin; ich vermute tatsächlich eine Stumpfheit aus quasi Profession: eine selbe Haltung, wie Tierversucher sie haben müssen, die keinerlei Leidensausdruck des Geschöpfes mehr erreicht, andernfalls sie nicht tun könnten, was sie tun. Die, immerhin, können noch sagen (vorschützen, sich selbst schützen, oder vorschürzen), ist ja nur ein Tier. Auch den Todesschwestern aber und den Mordbeihelferinnen und -helfern waren die Opfer nicht Mensch, die sahen nur so aus für sie, womöglich. Auch das wäre irgendwie zu erfassen.

Ich mach mir mal eben den zweiten Latte macchiato, stopfe die zweite Pfeife.

8.45 Uhr:
Jetzt spielt er, Shlomo Mintz, diese unfaßbare Chaconne. Ich geh grad wieder auf den Trip.

9.29 Uhr:
[Bach, Erste Sonate für Violine solo. Joseph Szigeti.]
So, sämtliche Irseer Arbeitsjournal untereinander, ab der >>>> Nummer 1, vor- und rückwärts verlinkt. Jetzt müssen sie noch in den Dschungelordner auf meine FP gespeichert werden. Ist alles pure Überbrückungs-, eine gleichsam Verlegenheitsarbeit, die mir Raum für die Musik läßt.
*******

19.40 Uhr:
[Wieder in der Arbeitswohnung. Schon länger.
Nach zweieinhalb Stunden Herumgeliege.]

Nun hat mich die vitalistische Bettflucht wieder an meinen Schreibtisch getrieben: zu einem Abend-Espresso, dazu „mein“ Talisker, aber ein kleiner, fürs Sundowner-Ritual, das freilich nur um den Äquator herum so eines wäre. Doch seit ich da erstmals war, in Afrika vor Jahren, trag ich ihn in mir selbst herum. Und rauche wieder. Was ich nicht soll, aber lediglich, weil es brennen könnte im Auge, also etwaiger Schmerzen wegen. Ich habe nur gelinde. Man kann nicht sagen, jetzt, da die Betäubung nachläßt, daß es wirklich angenehm sei, das nun nicht, aber es läßt sich wirklich bequem aushalten.
Tatsächlich wird viel zu viel Gewese um die OP herum gemacht; die Sache ist für Patienten ein Klacks. Das Ding >>>> vor anderthalb Jahren war jedenfalls viel intensiver. Diesmal wurde ich begrüßt, bekam meinen Espresso auch dort, was ich überaus schätze, trank noch etwas Wasser, wurde beiseitegenommen und, verbunden mit der Frage um die paar Euronen erleichtert, ob ich ein Beruhigungsmittel wolle. Nun, etwas nervös sei ich schon. Also bekam ich‘s, ein Pillchen, zusammen mit einer deftigen Schmerztablette, die mir im Anschluß an die OP ein paar juckende Pustelchen machte, ganz wie ich das, doch hier nur ein bißchen, von jedem Aspirin kenne. Dann war ich auch schon dran und wurde betröpfchent:

Und ab geht‘s in den ersten OP-Raum. Meine Ärztin laserschneidet selbst.
Man nimmt auf einer Luxuspritsche Platz, von reichts einsteigend, und legt sich hin. Das tut man am besten lässig, schon weil man ja kein Häs‘ken. Vom geschluckten Beruhigungsmittel merkte ich nichts. Bißchen hin- und herrutschen noch, damit der Kopf in die Mulde paßt, die Hände überm Bauch gefaltet, bzw. übereinandergelegt. Sie sollen ja nicht stören. Gut. Nun wird das Auge vorbereitet, aufgespannt, irgendwas über den Augapfel gelegt und runtergedrückt. War eine interessante Erfahrung, daß man bei solchem Druck aufhört zu sehen; es wird schlichtweg dunkel. In diesem Dunklen erscheinen dann ein paar dicht rotgepunktete bewegliche Lichtspiele, auf die man das Auge ausrichtet. Vom Laserschnitt, gar davon, daß hernach die Hornhaut hochgeklappt wird, merkt man nichts. „Das war‘s schon. Wenn Sie jetzt bitte aufstehen und mit nach nebenan kommen würden?“
Ich folgte geradezu beschwingt.
„- : Fischer“, so reicht mir der freundliche Arzt seine Hand. Ich schlage ein, er zeigt auf den zweiten OP-Tisch. Abermals Einstieg von rechts, weil links die Apparatur das Hinlegen versperrt. Abermals Rumgerutsche, damit der Kopf in die Muld paßt. Die Fotos hab ich selbst gemacht.

Der eine Apparatarm fährt über mich drüber. „Bitte in das Licht sehen.“ Neuerlich wird der Augapfel freigelegt und mit einer Klammer offengehalten, nachdem mein ganzes Gesicht außer diesem einen Auge abgedeckt worden ist. „Na, da ist ja der Jahrgang 55 gesammelt vertreten“, sagt Dr. Fischer, denn meint auch sich selbst. „Was machen Sie beruflich?“ „Ich schreibe Bücher.“ „Oh, interessant.“ Er ist selbstverständlich schon bei der Arbeit, von der ich nun erst recht nichts merke. Über Literatur will ich aber nicht reden, schon weil ich fürchte, daß er >>>> Infinite Jest gut finden könnte. – Wieder die roten gepunkteten Farbspiele, mit einer grünen Wolke dazu, „die Lasik braucht zwölf Sekunden“. Ich zähle mit, nehme die Taktchen zu schnell. Den scharfen drückenden weißen Lichtstrahl, der sich damals in sämtliche Farben des Spktrums zerlegte, gibt es hier nicht, rein nichts, was einen stören könnte; eher möchte ich weiter und noch weiter in diese Lichtspiele blicken: da ist etwas stark Utopisches dran, etwas von Weltraumträumen, Visionen >>>> Philip K. Dicks. Damit könnte es meinetwegen gerne noch etwas weitergehen. Doch ist nun alles schon vorbei. Aufstehen, lachend noch einmal dem Arzt die Hand, so verlaß ich den OP-Raum und schäl mich aus dem Hellblauzeug. Die Kapuze, bei meinem vollen Haar, war sowieso albern: wie wenn ich im Schwimmbad Badekappe tragen soll. Wozu mir eine Anekdote einfällt, Bad Salzhausen in den späten Achtzigern, aber davon später mal. Erst setz ich mich noch ein paar Minuten ins Wartezimmer und seh dort s o aus, ein bißchen angestrengt, find ich, nun schon::

Gut, die wunderschöne लक्ष्मी und unsre Zwillingskindlein holen mich ab. Jetzt erst, als wir unters weite Spanndach des SONY-Centers treten, fängt die Beruhigungstablette zu wirken an. Das ist das einzig Unangenehme, das man so langsam wird. Ich setze Fuß vor Fuß, wie ein alter Mann irgendwie, dessen Gelenke nicht recht folgen. „Laßt uns doch ein Eis essen gehen.“Aber लक्ष्मी besorgt frisch gepreßten Orangensaft unter der Sonne, führt mich schließlich am Arm zur UBahn. Ich lasse beide Augen möglichst zu. Dennoch bestehe ich, am Helmholtzplatz schließlich, auf dem Eis für die Kleinen und nehm mir selber eins. Die Tropferei geht aber weiter: stündlich ein Tropfen Antibakterium, drei Minuten warten, dann die Tränenflüssigkeit. So soll ich drei Tage weitermachen, nur nachts, fürs Schlafen, darf ich aussetzen. Weil ich bei sowas wenig verläßlich bin, hab ich mein Ifönchen programmiert, mich stündlich zu erinnern. लक्ष्मी bringt mich zur Haustür, „laß mal, den Rest schaff ich wirklich allein“. Ich mag das nicht, betüdelt zu werden, wenn ich behindert bin. Sowas trage ich lieber für mich aus. So daß die ersten drei Ruhestunden beginnen, auf dem Bett unter der Löwinnendecke. Ich schlummre immer wieder weg, das Ifönchen weckt mich pünktlich, ich tröpfelchenne, tröpfelchenne nochmal, schlummre wieder. Schließlich, für diesen Bericht, wird es mir zuviel an Muße. Ein Espresso wär jetzt bestens. Und war es.
Worauf ich achten soll: Immer mit beiden Augen schauen, nicht etwa das operierte zukneifen oder zuhalten, sondern ich soll beide simultan benutzen. Was ich tue. Was auch gar nicht schwerfällt, auch wenn ich rechts nur verschwommen, ein wenig, sehe, was an der Kontaktlinse liegt, die man mir über die Hornhaut gelegt hat, damit die Wundränder nicht verrutschen, sondern gut aneinander liegen bleiben. Morgen bereits kommt sie raus: Nachuntersuchung um elf. Danach kann ich auch hieran, als wär‘s im >>>> DTs, ein kleines grünes Häkchen setzen: für erledigt. Das Leben >>>> als einen Roman begreifen. Ich fühle mich, Leserin, durchaus wohl. Dennoch verzeihen Sie mir bitte etwaige Tippfehler. Mit einer derart dunklen Brille schreibt es sich, besonders nachts, nur schlecht.

6 thoughts on “Das vielleicht etwas Arbeits-, in jedem Fall Augen-, ein drittes, also, ab mittags, OP-Journal. Am Dienstag, dem 14. August 2012. Und abermals Passow. Am Abend, schließend, ein kleiner Bericht von der Lasik.

  1. Lasik Beim Lasik-Verfahren (Augen-Lasern) wird nach dem Schnitt und dem Abtragen der Hornhautschicht nicht genäht. Die Schnittflächen haften per Adhäsion aneinander. Gefahr besteht hier nur bei Überkorrektur. Diese ist nicht mehr reversibel und äußert sich durch unfeine Halo-Effekte. Kommt aber eher selten vor.
    Viel Glück!
    Bodo
    Blaumann

  2. Sie sind ja eh’ mein Lieblings-Cyborg, seitdem Sie implantierte Zeiss-Icon-Linsen tragen, aber mit der Sonnenbrille im Hausmantel setzen Sie noch einen drauf.
    *Lacht*
    Schön, dass das jetzt auch geschafft ist.

  3. Viel Diesel Gratulation!
    Ich glaube, ich laß mir auch eine Glatze wachsen! Mit der Sonnenbrille sehen Sie aus wie Vin Diesel. Auch wenn der nicht schreiben kann. Im Gegensatz zu Ihnen.
    Gute Besserung wünscht
    Bodo
    Blaumann

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