Drittes Arbeitsjournal für John Cage. Freitag, der 24. August 2012. Die Trautzschkes darinnen ODER Der Kommissar Garber. Abends indes in der Philharmonie der Berliner Anderswelt.

4.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. John Cahe, Sechs Melodien für Geige (1950).]
Die Stücke sind ein wenig wie bisweilen durchaus lebhafte, ja tänzerische Meditationen über ziganartigen Folk, wie ihn die weißen Siedler abends vor den Planwagen aufgespielt haben könnten. So mein Eindruck heute früh.
Um Punkt halb fünf hoch. Latte macchiato, erste Morgenpfeife, erster bißchen Morgenstress, um zumindest den Anfang dieses Journals noch vor fünf ins Netz zu bekommen.
Geschafft. (4.55 Uhr sagt das Netz-System. Jetzt kann ich ruhiger weiterschreiben. Künstler stecken sich die Ziele selbst.)

Künstler stecken sich die Ziele selbst: Das muß nichts Weltbewegendes sein, kann ein kleiner Trick sein, ein Druck sein, der einen auf das Gleis setzt. Über Rituale >>>> schrieb ich bereits vorgestern. Interessant, daß sich dieser Nexus ausgerechnet bei meiner hörenden Beschäftigung mit Cage geöffnet hat, eben drum, mutmaßte ich schon ebendort. Vielleicht ist auch die schwebende, zugleich suchende Esoterik Cages etwas gewesen, das wir als so nur wahrnehmen, vielleicht stand auch hinter ihm eine Form der Selbstmotivation oder ein Druck, ein Wunsch, der Wille wurde, aber den Willen zum Zentrum macht, indem er ihn – auflöste.

[Cage, Four for Choir, Version 1.]
Aber wie stell ich mich vor, wenn erstmals die Eltern der neu Eingeschulten zusammenkommen im Parkchen, um sich kennenzulernen, und man nicht der leibliche Vater der Zwillingskindlein ist. Wer ist man? „Guten Tag, ich bin Alban. Ich…“ kurzes Zögern, dann: „…gehöre zu…“, weil man doch so lange der Papa der beiden gewesen, aber es halt nicht „wirklich“ war und irgendwie d o c h wirklich, wirklich es ist. Und wieder nicht. Zumal der leibliche Vater unterdessen rührend ist, mehr als nur bemüht an seinen Wochenenden, ebenfalls wirklich liebend, sagen mein Eindruck, mein Gefühl und Instinkt. Und doch wieder die Kleinen so an mir. Nicht „Ich bin der Vater der Zwillinge“ sagen zu dürfen.
Das tat etwas weh da im Birkenwäldchen vor den ausgebreiteten Decken mit all den Essereien drauf.
Dafür, „klassisch“ geradezu: Ich nicke einem Mann zu, den ich kenne, von dem ich glaube, daß ich ihn kenne, sage das später auch. „So?“ fragt er mit leisem Spott. Ich überlege: woher? War er einer der Väter an der jetzt früheren Schule meines Jungen? Irgend sowas. „Ja“, sage ich, „ich bin mir sicher.“ Überlege weiter. Er zieht ab. Ich soll ihn nicht fragen, solche Fragen stehn ihm, verstehe ich nachher, bis zum Hals. Also, den Gang kenne ich, den Gesichtsausdruck kenne ich. Verdammt noch mal! „Manchmal geht einem das mit Schauspielern so“, sagt ein Vater. Und ich begreife. >>>> Na klar! – Allgemeines Gelächter. Noch auf dem Heimweg kommt लक्ष्मी aus dem immer wieder einsetzenden Lachen nicht heraus. Ist aber auch wirklich komisch.
Mir ist sowas schon einmal geschehen, im ICE-Bistrot zur Leipziger Buchmesse. Ich an den kleinen Tresen, neben mir steht jemand, den ich genau so gut kenne. „Hi!“ mache ich. „Hi“, macht auch er und wendet sich seiner Leipziger Zeitung wieder zu. Auch hier kapier ich erst nicht, aber immerhin, nachdem wir ausgestiegen sind. Klar doch: >>>> Trautzschke! Einer meiner Lieblingskommissare,
Welch eine Illusion Filme erzeugen, welch einen nahen, täuschenden Übergriff! Da ist Distanz gefordert. Man muß aber drauf kommen.

Gleich geht‘s erst mal an die weiteren Korrekturübertragungen für Argo; gestern kam ich nicht sehr weit, weil der Nachmittag so zerspellt war, schön aber zerspellt. Danach Vorbereitung des heutigen >>>> Giacomo-Joyce-Abschnitts, eines diesmal wieder nur sehr kurzen. Dann werde ich die Rezension, ihre erste Fassung, zu >>>> A.L.Kennedys Das Blaue Buch schreiben und mir vom ARD Hauptstadtstudio schon mal einen Aufnahmetermin geben lassen. Danach wird mit >>>> Argo weitergemacht und auch die Arbeit an der Neuen Fröhlichen Wissenschaft wieder aufgenommen. Und >>>> Gogolin gelesen, weil der Artikel für >>>> Volltext ansteht. Für abends schließlich, Leser:innen, habe ich etwas Ungewöhnliches vor: Ich will das Konzert der Berliner Philharmoniker besprechen, und zwar auf dem Grund des Live-Streams, der von der >>>> Digital Concert Hall ausgestrahlt wird. Mich interessiert sehr, ob das geht. Die technischen Voraussetzungen habe ich. Es geht ist mir, unter anderem, aber betont, um die >>>> dort formulierte Frage getan. Musikalisch interessiert mich >>>> besonders Lutoslawski. Selbstverständlich werde ich seine Dritte heute „vorhören“, um mich schon einmal in seinen Klangraum zu begeben und ein wenig damit vertraut zu sein, auch wenn ich dafür das Kontinuum John Cage leider unterbrechen muß

Guten Morgen.

8.20 Uhr:
[Cage, Vierzehnte Freeman-Etüde.]
Ein nächster Schritt, vielleicht. Wenn wer mitgeht. Habe ein bißchen Zeit >>>> für diesen Brief und seine Annoncierung verwendet. Das geht bei mir immer parallel: Musikdenken und Literatur, ist auch theoretisch, für mich, voneinander unablösbar. Bereits Evans-v.Krbek, Lektorin meines Essaybandes, monierte das neulich: „Wenn Sie Beispiele bringen, nehmen Sie sie fast immer aus der Musik. Weshalb beziehen Sie sich nicht mehr auf andere Literatur?“
„Kunst kommt von Kunst“, sagte >>>> im Kloster Irsee Christina v. Bitter. Ich halte das für falsch. Das hätte ich ihr, der Lektorin, antworten können. „!Jaaber!“ hätt sie ausgerufen „ist Musik denn k e i n e Kunst?“ Und ich hätt was gelacht.

15.37 Uhr:
[Lutosławski, Erste Sinfonie.]
Der nächste, nämlich fünfte Abschnitt des Giacomo Joyce >>>> steht drin /?p=2925 . Ein bißchen auffällig, wie die Zugriffszahlen da zurückgehen, wenn erst mal das Sensatiönchen angeguckt ist. Kontinuität scheint in der allgemeinen Aus-, eigentlich Zurichtung auf das ‚Product Placement‘ der Markt-Usancen nicht mehr so recht einen Platz zu haben. Oder sie hatte ihn da noch nie. Na, schaun wir mal, wie‘s aussieht, wenn erst einmal mehr als ein Drittel des Textes vorliegt. Vielleicht sollten wir auch, >>>> Parallalie und ich, alle einzwei Wochen ein erstes Zwischenergebnis vorlegen. Gut, daß es Skype gibt.

Wenn auf einer Argo-Seite, wie nun, viele Korrekturen stehen, geht ihre Übertragung ins Typoskript vor allem deshalb schleppend voran, weil meine Handschrift nicht wirklich flüssig zu lesen ist; manchmal rätsele ich selbst: Was hab ich da bloß gemeint? – Dann das Cello, und Freund M. rief wegen Helmut Eisendle an. Er hat ein neues Projekt auf dem Schirm. – Ich bin von Kreativitätsbrummern umgeben, das spornt an.
Jetzt setz ich mich an die Rezension; hätt sie gerne fertig im Entwurf, bevor ich mich um sieben Uhr meinen Sitz >>>> in der digitalen Konzerthalle meinen Sitz einnehme.

17.59 Uhr:
[[Lutosławski, Dritte Sinfonie.]
Fertig geworden mit der Rezension; jetzt sie an MR schicken. Wenn ihr der Text gefällt, kann ich ihn in der nächsten Woche einsprechen.
Mein Junge war fürs Cello da und ist soeben wieder abgerauscht. Ich hab ein Fischfilet in den Backofen geschoben. Bis es gar ist und bis das Konzert anfängt, übertrag ich weitere Argo-Korrekturen. Das Wetter draußen wird mies. Mir fehlt der Sommer, fehlt schon jetzt. So ein Druck liegt mir davon auf der Brust.

19.02 Uhr:
Und jetzt >>>> wird zugehört. (Noch schnell sämtliche Fenster geschlossen, damit von draußen kein Geräusch stört.)

21.10 Uhr:
Bin >>>> jetzt wirklich verärgert… eine Mischung aus verärgert und frustiert. Und kein Wein mehr im Haus, nur Whisky. Davon laß ich besser die Hände jetzt. Also eben aufs Rad und Wein holen. Meine Güte, >>>> wie unsensibel. Hab gar keine Lust mehr, die Kritik zu schreiben. Was ungerecht wäre, ich weiß. Dennoch.

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