4.50 Uhr:
[Arbeitswohnung, Cage, Quartets.]
Noch einmal:
Mein Wille ist eigentlich ein starkes Wünschen, das, mit Kant gesprochen, „praktisch“ geworden. Das Wünschen ließ mich Blochs „Hoffnung“ immer nahe sein,. Adornos „Negativität“ war mir, selbst als ich noch Anhänger war, immer fremd. Daher wohl auch die Abkehr, die nicht eine völlige ist, wohl aber eine Wendung, die sehr viel mehr zuläßt, als das Schuld-Dogma seiner philosophischen Double Binds erlauben wollte; sie läßt sogar mehr zu, als es Bloch rechtgewesen wäre. Dennoch, die beiden bleiben Leitlichter an meinem Weg, Irrlichter, weil sie sich immer, tu ich einen Schritt, um ebenfalls einen Schritt von mir entfernen, so daß sie immer vor mir leuchten: so bleib ich auf dem Pfad.
Welch eine meditative Musik, welch ein Gelöstsein! Welch ein ruhiges: Hier sind wir. Ganz einfach: pur.
Heute vormittag, so ist es vereinbart, wird Helmut Schulze zuerst und werde erst danách ich den dritten Abschnitt >>>> Giacomo Joyce einstellen. Damit wir uns ein wenig abwechseln, Ausgewogenheit werde. Dennoch will ich, selbstverständlich, schon einmal übersetzen, nachzudichten versuchen. Vorher aber schon mal einige Seiten der Argo-Korrekturen in die Dritte Fassung übertragen haben. Dazu liegt gleich der nächste Cage hier, das Klavierwerk, das mir >>>> Leukert einmal geschenkt hat, der den Komponisten sehr gut kannte. Überhaupt werde ich heute Cage hören. Es sei ein Cage-Tag, also. Es liegt nicht weniges seiner Musik in meinen Archiven, ich habe immer einen Bogen um ihn gemacht; unsere Berührungen gab es, ich saß mal neben ihm, saß mal mit ihm an einem Tisch, er, wie nahezu immer, in seinen US-Jeans, auch seiner Jeans-Jacke. Aber es gab zwischen uns nicht eigentlich einen Kontakt. Kann sein, daß das traurig ist. Wen man alles nicht berührt hat.
Die kapitalistisch-demokratische Gesellschaft hat aus dem Ritual das Event gemacht, sie übernahm das Rituelle, versiegelte indes die Türen, die in die Tiefe führen. Rituale aber reichen drein hinab. In >>>> Kloster Irsee spürte ich das wieder einmal ganz auf der Haut, als ich allmorgendlich in die Kirche ging, um an der Andacht teilzunehmen. Eine Viertelstunde Innenkehr. Einkehr, die auch Heimkehr ist. Ins Wünschen. Mit dem ich angefangen habe.
Auch dafür steht die Disziplin: für solch ein Ritual. Eines, das die Wünsche reinwahrt.
So machen wir mal weiter: – jetzt.
6.42 Uhr:
[Cage, Three Dances for prepared pianos (1944/45).]
Das lag hier noch als Datei herum; ich hab‘s eben für Die Dschungel formatiert >>>> und eingestellt: Vor dem Paradies, Argo 277 aus der gerade entstehenden Dritten Fassung. Oft korrigiere ich, wie jetzt auch, noch einmal, wenn der Text eine andere, nämlich veröffentlichte Form hat. Man sieht dann anders. So werden die publizierten Proben aus entstandenen Erzählungen zu wirklichen Arbeitsproben: das Netz gibt mir die nötige Distanz.
Nunmehr eine Stunde lang strikt Korrekturen übertragen.
10.32 Uhr:
[Cage, Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra (1950/1951).]
Den dritten Abschnitt des Giacomo Joyce übertragen und auf >>>> parallalies Übertagung gewartet. Die nun da ist. Sehr schön, wie jetzt die beiden Versionen direkt >>>> d o r t unter dem englischsprachigen Original stehen. Eigentlich sollten wir das fortan immer so halten; dann sind die Vergleiche genauer.
Ich werd mich, vor dem Cello, an die nächste Rundmail setzen. Es ist nicht sinnvoll, so etwas wie dieses Projekt einfach vor sich hinzuwurschteln; man muß es publik machen – was doch der eigentliche Sinn von „publizieren“ ist. Nicht nur, daß so etwas irgendwo herumsteht.
zu john cage: http://www.bamberger-onlinezeitung.de/2012/07/23/john-cage-ein-capriccio-zum-centennial-oder-%E2%80%9Ethe-tourist-attitude/#more-8509 John Cage. Ein Capriccio zum Centennial, oder: „The tourist attitude“.
A Tribute to John Cage
Von Musicouskuß
Der Stille, dem Schweigen, dem „silencio“ hat Eugen Gomringer, der Mitbegründer der konkreten Poesie, ein gleichnamiges Gedicht gewidmet. Die darin in das Zentrum gerückte Leerstelle spricht Bände. Der Stille, der „silence“, hat John Cage einen hierzulande bei Suhrkamp herausgekommenen Band gewidmet, und einen Großteil seiner Musik.
Am 5. September 1912 in Los Angeles als Sohn einer Journalistin und eines Erfinders geboren, sollte Cage selbst zu einem Erfinder auf musikalischem Terrain werden. Zunächst bringen die Innovationen Cage allerdings, vor allem in Europa, den Ruf eines Clowns ein. Heute schaut das doch etwas anders aus. Die Würdigungen zu seinem Hundertsten sind Legion, auch und gerade in Deutschland.
In L.A. macht Cage 1928 mit der höchsten je dort erreichten Punktzahl den High-School-Abschluss. Zwei Jahre später ist er einer von vielen Amerikanern in Paris, studiert Architektur und Klavier, reist durch den Kontinent. Auf Mallorca entstehen erste Kompositionen. 1934 wird er Privatschüler von Arnold Schönberg, der kein Honorar verlangt unter der Bedingung, dass Cage sein Leben ganz der Musik widme. Nach einer Zeit in Seattle und Kalifornien, wo er Sommerkurse hält, geht Cage 1942 nach New York City und trifft im Umfeld von Peggy Guggenheim und Max Ernst erneut den Tänzer und Choreographen Merce Cunningham (1919 bis 2009), seinen späteren Lebenspartner. Gemeinsam mit dem Maler Robert Rauschenberg, dem Pianisten David Tudor, dem Lyriker Charles Olson und Cage selbst ist Cunningham 1952 am Black Mountain College in North Carolina am ersten Happening überhaupt beteiligt.
Als Cage in der gemeinsamen Etagenwohnung (101 West 18th. Street, New York, N.Y. 10011) am Abend des 11. August 1992 Tee zubereitet, erleidet er einen Schlaganfall, dem er am darauffolgenden Morgen im Hospital erliegt, wenige Wochen nur vor seinem Achtzigsten. Das aus diesem Anlass in Frankfurt von Walter Zimmermann organisierte Festival zu Cages Ehren findet dennoch statt.
Stimmen zu John Cage
I.
Er war ein stiller Mensch, sprach leise und bedächtig. Er schien vollkommen im Einklang mit sich selbst zu sein und strahlte eine große Ruhe aus. Jene Ruhe des Geistes, die darin besteht, frei von Neigungen und Abneigungen zu sein. Er ging wie ein Heiliger durch die Welt und ließ sich durch nichts beirren. Er hat ganz anders über Musik nachgedacht, ihr innerstes Wesen neu bestimmt und ein Leben lang danach gehandelt.
– Ingo Metzmacher, Keine Angst vor neuen Tönen. Eine Reise in die Welt der Musik. Berlin: Rowohlt Berlin Verlag, 2005:166.
II.
Wozu überhaupt Form?
Für diese Frage muß ich ein bißchen ausholen, und zwar zu jenem finanziell deprivierten französischen Bauern, der vor vielen Jahren mit folgender Methode im Lotto gewann: Der Bauer streute Salz auf seinen Lottoschein und wählte dann jene Zahlenfelder aus, auf denen die größten Körner gelandet waren. Das hat dem Bauern viel Geld eingebracht. Es handelte sich hier jedoch um eine Zufallsoperation, auch wenn sie glücklich ausging, und obwohl es bald nach Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus en vogue war, auch in der Komposition von Musik nach dem Prinzip des Zufalls zu agieren – der amerikanische Komponist John Cage hat damals aufsehenerregende Ideen vorgestellt und das Lottoschein-Modell etwa durch rauhfaseriges Papier ersetzt, dessen Unebenheiten die Klangereignisse bestimmen –, verlassen sich viele Komponisten von jeher lieber auf feste Formen, anstatt Salz aufs Notenpapier zu streuen und daraufhin ihre Töne auszuwählen.
– Christiane Tewinkel, Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile? Eine musikalische Betriebsanleitung. Köln: DuMont, 2004:88f.
III.
Er will ja ohnehin nicht mehr der alleinige Autor seiner Stücke sein. Er möchte ihren Ablauf nicht kontrollieren, sondern ihn einem gewissen Zufall überlassen. Der Fortgang der Musik darf nicht von den Gefühlen und Gedanken des Komponisten abhängen. Cage will Fragen stellen, keine Antworten geben. Er befragt das I-Ging, das Buch der Weisheit, dessen zentrale Zahl die 64 ist. Aus seinen Zahlendiagrammen erfährt er die Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen. Diese Erkenntnisse weisen ihm den Weg. Manchmal übergibt er sie direkt dem Interpreten, der die Wahl hat, wie es weitergeht.
– Ingo Metzmacher, Keine Angst vor neuen Tönen. Eine Reise in die Welt der Musik. Berlin: Rowohlt Berlin Verlag, 2005:173.
Stimmen von John Cage
I. The tourist attitude
What I’m proposing, to myself and other people, is what I often call the tourist attitude – that you act as though you’ve never been there before. So that you’re not supposed to know anything about it. If you really get down to brass tacks, we have never been anywhere before.
Die Touristenattitüde
Was ich mir selbst und anderen vorschlage, ist das, was ich oft die Einstellung des Touristen nenne – dass man so handelt, als sei man nie noch dort gewesen. So dass man gar nichts darüber wissen darf. Das wirklich Wichtige ist doch, dass wir niemals zuvor schon irgendwo gewesen sind.
II. Poetry, zum Ersten
I have nothing to say
and I am saying it
and that is poetry
as I need it.
– Lecture on Nothing (1949)
III. Poetry, zum Zweiten
People are more interested in getting a TV set than in reading poetry.
– Silence. Lectures and Writings (1961)
IV. Sound
I remember loving sound before I ever took a music lesson. And so we make our lives by what we love.
– Lecture on Nothing (1949)
Stichworte zu John Cage und um Cage herum
Aleatorik
Musik des Zufalls, von dem lateinischen „alea“, also Würfel, abgeleitet. In den Fünfzigern bei Karlheinz Stockhausen (Klavierstück XI, 1956), bei Pierre Boulez (Vortrag „Alea“ auf den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, 1957) und eben John Cage aufkommendes Kompositionsverfahren, beispielsweise im Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra (1951), einem „Drama zwischen dem Klavier, das romantisch und expressiv bleibt, und dem Orchester, das den Prinzipien der östlichen Philosophie folgt“, so der Komponist. Die Struktur aleatorischer Werke wird mittels Zufallsoperationen (wie der Befragung des I-Ging-Orakels im „Buch der Wandlungen“) bestimmt. Den Ausführenden werden Freiheiten zugestanden. Die Reihenfolge der neunzehn Notengruppen in Stockhausens Klavierstück XI ist bei jeder Interpretation zufällig und damit anders.
Prepared piano
Das präparierte Klavier, eine Innovation des Erfindersohnes Cage, von ihm erstmals 1940 in „Bacchanale“ verwendet. Die Saiten und den Resonanzkörper des Klaviers hat er mit Schrauben, Dichtungsringen und einem Bolzen so präpariert, dass sich beim Anschlagen der Tasten unterschiedliche Klangfarben einstellen. Das Ergebnis klingt eher nach Schlagzeugensemble als nach Klavier. Auf diese Verfremdungstechnik greift Cage auch in den Sonatas and Interludes (1946 bis 1948) zurück.
Mykologie
John Cage war ein großer Pilzfreund und -kenner. 1962 gründet er mit vier Freunden die New York Mycological Society, die Gesellschaft für Pilzkunde. Als er 1959 mit Luciano Berio im Mailänder Studio di Fonologia Musicale zusammenarbeitet, nimmt er an einem Fernsehquiz teil und sahnt mit seinem Fachwissen über Pilze 5 Millionen Lire ab. Das Preisgeld wird in einen Tourneebus für die Tanzkompanie von Merce Cunningham investiert.
Stille
silencio silencio silencio
silencio silencio silencio
silencio silencio
silencio silencio silencio
silencio silencio silencio
– Eugen Gomringer (1954)
I.
TACET
II.
TACET
III.
TACET
– John Cage („4‘33“, 1952)
I Ging. Buch der Wandlungen
Es war sein Kompositionsschüler Christian Wolff, Sohn des Kafka-Verlegers Kurt Wolff, der Cage um die Jahreswende 1950/51 herum eine englischsprachige Ausgabe des „I Ging. Buch der Wandlungen“ schenkte. In der traditionellen chinesischen Textsammlung findet sich ein Orakel. Indem man Münzen oder Schafgarbenstängel wirft, wird (zufällig) entschieden, welches von 64 Hexagrammen befragt werden soll. Cage machte sich dieses Zufallsprinzip in vielen seiner Kompositionen zunutze, erstmals 1951 im Concerto for Prepared Piano and Chamber Orchestra.
James Joyce
„Bei wenigen Schriftstellern seiner Generation dürfte Musik eine so entscheidende Rolle gespielt haben wie bei James Joyce.“ So eröffnet Rolf Urs Ringger 1982 in der Neuen Zürcher Zeitung einen Artikel zum Hundertsten des irischen Autors. Bei wenigen Komponisten gleich welcher Generation dürfte, ließe sich der Satz variieren, das literarische Schaffen von James Joyce eine so entscheidende Rolle gespielt haben wie bei John Cage. Vor allem das kryptische Opus Magnum, „Finnegans Wake“ (1939). Drei Jahre nach dessen Erscheinen und im Todesjahr von Joyce lässt sich Cage von der „Isobel“-Passage zu „The Wonderful Widow of Eighteen Springs“ für Stimme und geschlossenes Klavier inspirieren, auf dessen Deckel mit den Fingerknöcheln geklopft wird. Ähnlich verfährt das kurze Lied „Nowth Upon Nacht“ von 1984, das Cathy Berberian, der verstorbenen Frau von Luciano Berio, gewidmet ist. 1982 entstand im Auftrag des Westdeutschen Rundfunks Köln das Hörspiel „Marcel Duchamp, James Joyce, Eric Satie. An Alphabet“. 1979 komponierte Cage das komplexe „Roaratorio: An Irish Circus on Finnegans Wake“ für Stimme, Fiedeln und traditionelle irische Flöten.
Internationale Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt
Auch jetzt gerade finden – zum 46. Mal – die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik statt. In deren Zentrum steht aus offensichtlichen Gründen John Cage. Seit 1946 (seit 1970 in zweijährlichem Rhythmus) treffen sich dort Komponisten, Studenten und ein interessiertes Publikum, um sich in Seminaren, Konzerten und Ausstellungen der der Zeit gemäßen Musik anzunehmen. In den 1950-er Jahren waren unter anderen Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono, Pierre Boulez, Bruno Maderna, 1958 auch John Cage zu Gast. Zufällig, wie es heißt. 2012 lehrt die englische Komponistin Rebecca Saunders im Hessischen.
György Kurtág
In zahlreichen Gedenkstücken verneigt sich der führende ungarische Komponist vor Kollegen wie Johann Sebastian Bach, Robert Schumann und Niccolò Paganini. Die „Stockenden Worte“ der Hommage à John Cage – Faltering Words (1987; revidiert 1991) sind in ihrer Originalfassung dem Violoncello zugedacht, können aber auch solistisch auf der Bratsche gegeben werden. Bereits 1959 war in Düsseldorf der Koreaner Nam June Paik mit seiner Hommage à John Cage hervorgetreten, einer „Musik für Tonbänder und Klavier“. Im Jahr zuvor war Paik Cage bei den Ferienkursen für Neue Musik begegnet.
Nach-, Nacht-, Nacktsätze
john cage: some rules for students and teachers
RULE ONE: Find a place you trust, and then try trusting it for awhile.
RULE TWO: General duties of a student – pull everything out of your teacher; pull everything out of your fellow students.
RULE THREE: General duties of a teacher – pull everything out of your students.
RULE FOUR: Consider everything an experiment.
RULE FIVE: be self-disciplined – this means finding someone wise or smart and choosing to follow them. To be disciplined is to follow in a good way. To be self-disciplined is to follow in a better way.
RULE SIX: Nothing is a mistake. There’s no win and no fail, there’s only make.
RULE SEVEN: The only rule is work. If you work it will lead to something. It’s the people who do all of the work all of the time who eventually catch on to things.
RULE EIGHT: Don’t try to create and analyze at the same time. They’re different processes.
RULE NINE: Be happy whenever you can manage it. Enjoy yourself. It’s lighter than you think.
RULE TEN: “We’re breaking all the rules. Even our own rules. And how do we do that? By leaving plenty of room for X quantities.” (John Cage)
HINTS: Always be around. Come or go to everything. Always go to classes. Read anything you can get your hands on. Look at movies carefully, often. Save everything – it might come in handy later.