Der Zweifel wieder. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 5. November 2012. Darinnen Glöcklers Ives (3). Und später zum Gesellschaftsvertrag.

5.46 Uhr:
Ich melde mich, um eine Stunde verspätet, >>>> vom Operntag an meiner Arbeit zurück. Mein Junge muß gleich geweckt werden; ich werde später detalliert schreiben. Das Liebesduett Poppea/Nero hat einige melodische – akkordische, muß man es nennen – Ähnlichkeit mit einem Thema einer Sibelius-Sinfonie; ich kann dem jetzt nicht nachgehen, weiß auch grad nicht, welcher, will das aber hier vermerken – und später noch mal direkt unter der Kritik -, damit mir der Gedanke nicht verlorengeht, der seit gestern nacht in mir herumschweift und gleich heute morgen abermals aufstieg. Es wäre wohl auch nicht weiter bemerkenswert, hätte es nicht diesen Ohrwurm-Charakter.

7.37 Uhr:
[Beethoven, Fünftes Klavierkonzert.]

Nun ist er los, mein Junge, zur Fuß zur Straßenbahn diesmal, weil er fürs Schulorchester sein Cello dabeihat.Verwaister, gerade nach den intensiven anderthalb Gemeinsamkeitstagen, Frühstückstisch.

Es war ja ein Wagnis, meinen Zwölfjährigen in >>>> die einen ganzen Tag währende Monteverdi-Trilogie mitzunehmen; drei Opern hintereinander, davon zwei durchaus lang, je getrennt durch anderthalbstündige Pausen, in denen wir aßen und tranken oder auch einfach nur lasen.

Erstaunlicherweise wurde der Junge nur im ersten Stück, Orpheus, müde und verschlief quasi die gesamte Unterwelt – erstaunlicherweise, weil in diesem Stück szenisch am meisten los ist; und der Bursche staunte auch mit großen runden „Oh“s des Mundes, als durch den ganzen Saal die Vögel flogen -; dennoch, vortags war es nachts schon spät geworden. Aber bei den folgenden Opern, die tatsächlich, aber musikalisch, interessanter sind und die gebrochenere Charaktere haben –

– da blieb er hellwach, bis fast ganz zum Schluß und dann am Schluß war er‘s sowieso wieder. Und wollte dann unbedingt noch einen „Keuzburger“ essen, auf dem Radwege heim; wir taten‘s, da war es bereits elf. Um Viertel vor zwölf lag der Junge dann eingekuschelt auf seinem Vulkanlager.

Sechs Stunden Schlaf sind zu wenig für ein Kind dieses Alters, ich weiß. Andererseits: was er erlebte, wird ihm bleiben. Zumal der Saal proppevoll war und hinterher richtiggehend getobt wurde beim Applaus. Auch sowas prägt sich ein, ebenso die Freiheit, mit Körpern umzugehen. Auch mit nackten Männerkörpern. Die >>>> von Jens Larsen unendlich beeindruckend ausgeführte Sterbearie Senecas, ebenfalls nackt und fast mitten im Publikum. Nähe, Not, Berührung, Existenz. Was möglich ist.
Nach der ersten Pause rief >>>> Benjamin Stein an, der frisch von einer zweiwöchigen USA-Lesereise zurückgekommen ist. Wir trafen uns in der zweiten großen Pause, mein Junge dabei. Stein erzählte. Er feiert Erfolge derzeit, vor allem mit den Übersetzungen >>>> seiner „Die Leinwand“, USA, Ungarn, Frankreich. Nach so vielen Jahren seines literarischen Exils im Weblog gönne ich ihm das von Herzen, ja auch befriedigt, daß es mal jemanden „trifft“, der nicht aufgab, auch als die Zeiten dämmeriger waren. Ein paar Informationen kamen, deren Inhalt ich mir so schon gedacht hatte; aber es tut bisweilen ganz gut, in den Verschwörungstheorien bestätigt zu werden, ehe man schon selbst anfängt, sie dafür zu halten. „Ein Sumpf“, kommentierte er und konstatierte den Umstand, daß es für >>>> die Elegien nicht eine einzige Rezension im klassischen Feuilleton gegeben hat, nur noch mit Kopfschütteln. Von den Erzählbänden, vor allem aber den >>>> Fenstern von Sainte Chapelle erzählte ich da erst gar nicht mehr.

9.28 Uhr:
[Cowell, Homage to Iran.]
Eine Stunde lang mit der Löwin telefoniert, die gestern nacht schon fragte: „Is‘ was? Sie wirken bedrückt“, aber da konnte ich, weil mein Junge gerade einzuschlafen dabeiwar, nicht wirklich reden. Also eben: daß mir das eben doch auch etwas ausmache, wenn jemand anderes solch einen Erfolg hat, ich selbst aber quasi nicht mehr vorkomme im klassischen Feuilleton, geschweige daß eine Übersetzung überhaupt nur zu denken wäre, und daß auch die Idee, es möglicherweise über das Ausland zu schaffen, wieder oder überhaupt erst in die literarische Diskussion zu schaffen, eine aussichtslose ist, weil die Interdependenzen unterdessen, der deutschen Kritik gerade in die USA, viel zu enggeführt und auch viel zu viele vor allem Machtinteressen damit verbunden sind, völlig jenseits künstlerischer Kriterien, ja daß es um Kunst-„selbst“ geradezu gar nicht mehr geht, sondern um Einbindung in Mainstreams, und daß Eigenstand, Querköpfigkeit, Eigenwilligkeit, Unbestechlichkeit, Haltung ebenso wenig noch Kriterien sind, um in irgend einer Form Erfolg zu haben usw. usw. – Es wurmt mich, nicht einfach frei mich mitfreuen zu können, bedingungslos und freundschaftlich, sondern da ist immer dieses Mit/Gefühl, daß man ausgeschlossen, geradezu ausgesondert wurde und wird und bewußt blockiert wird. Diese Art einer indirekten Mißgunst führt zu Mutlosigkeit, – daß es doch alles gar keinen Sinn habe, was ich täte, sagte ich; stürbe ich jetzt, sagen wir an einem Herzinfarkt, wäre das ganze Werk verloren. Daß ich keine Möglichkeit mehr sähe, gegen diesen Ausschluß noch wirkungsvoll anzukommen. Dazu kam, ich las das gestern in der ersten Opernpause, Dr. Nos >>>> abschließendes Thetis-Gespräch, in dem so viel Skepsis mitschwingt, daß ich selbst gar nicht mehr weiß, weshalb man meine Bücher überhaupt lesen soll. Vielleicht haben die Leute ja recht, und es taugt alles nicht. Vielleicht mache ich mir etwas vor, tat es und tu es weiter, und stehe, sozusagen, auf dem fast-Gipfel einer lebenslangen Selbsttäuschung. Es ist verdammt schwer, ohne Anerkennung weiterzuschreiben – in nichts als die Leere eines wahrscheinlichen Wahnes hinein, in dem sich massive Selbstüberschätzung, mit dem nur der Ausdruckswille gleichzieht, und noch ein letztlich nicht mehr als maues Talent die Hände reichen.

***

Ich muß erstmal, nach so viel seelischer Unterbrechung, wieder in die Argo-Arbeit finden, muß aber vorher noch mal >>>> an den Ives. Die Vorbereitung ist nicht fertiggeworden. Also auch noch einmal den Cowell hören, und Ruggles; Ives hab ich eh intus. Dann einen Spickzettel für morgen abend vorbereiten, weil ich ja alles „frei“ halten will. Danach dann an Thetis für Argo – aber vielleicht sollte ich damit erst am kommenden Montag anfangen, weil ich doch ohnedies wieder, ab Donnerstag, werde unterbrechen müssen, doch die drei Bücher Thetis-BuenosAires-Argo wirklich am Stück lesen will, um dann Argos Lektoratsfassung herzustellen. Und schon wieder denke ich: abermals eines dieser Bücher, das keiner wirklich haben, bzw. lesen will, wieder so eine Anmaßung, in die meine Lebenszeit sinnlos vergossen wurde. Tut mir leid, Leser:innen, meine Stimmung ist wirklich nicht gut. Zusammengehalten werde ich grad nur durch die Musik und von meinem Sohn. Dem ich geben will, so viel ich nur kann. Denn er hat Zukunft.

[Cowell, Hymn & Fuguing Tune.]

Vielleicht bin ich aber auch „einfach“ nicht mit meiner eigenen Ära kompatibel, sondern gehöre einer früheren, allenfalls, an oder einer späteren oder einer, die es noch niemals gegeben hat und niemals geben wird. Jedenfalls gibt es da etwas Kollektives, dem ich zutiefst fremd bin, das mich auch nie haben wollte, schon in den Zeiten des Kindergartens nicht, so daß ich damals immer ausgerückt bin, um ganz für mich allein zu sein. Ich erinnere mich noch des Wehrs, an dem ich dann stundenlang saß, mit fünf, glaube ich, wo ich die Beine übers sprudelnde Wasser baunmeln ließ und nur immer ins Gischten starrte – ohne auch nur, glaube ich, eigentlich Gedanken gehabt zu haben. Nur Fremdheit, immer wieder Fremdheit empfunden. – Später dann, in der Schulzeit, war Außenseitertum wenigstens noch eine Art Wert; ich fand darin die erste Möglichkeit, mich mit etwas zu indentifizieren und daran dann ein Ich auszubilden, das nicht immer nur zerfloß. Mit dem Eigenwille ist es unterdessen, wie ich spüre, auch politisch völlig vorbei, wie mit jeder anderen Besonderheit auch.

12.32 Uhr:
[Cowell, Satz für Streichquartett.]
>>>> Bewegte Diskussion zu meiner Skyfall-Rezension, die soeben von >>>> Faust-Kultur übernommen worden ist. Da ich mitdiskutiere, bin ich zu kaum anderem bisher gekommen. Aber habe versucht, im Netz Informationen zu dem Ives-Dichter, >>>> Ralph Roger Glöckler, zusammenzusuchen. Bezeichnend ist, daß er beim Perlentaucher überhaupt nur als Übersetzer vorkommt. Dabei ist das ein Schriftsteller von sprachlich wirklichem Rang. Man kann wirklich nur noch fuchsig werden, bissig, heißt das, und kann nur hoffen, daß man dabei die Tollwut überträgt. Was ein echter Fuchs ist.

Glöcklers Ives 3.
Glöcklers Ives 2 <<<<
14.42 Uhr:
[Nach dem Mittagsschlaf, geduscht.]
Egal!!! Kopf runter und weitermachen:

>>>>> Thetis, Anfang

Espresso dazu, Mittagspfeife.

17.20 Uhr:
[Thetis, S.44.]
>>>> Dazu noch: Wie fiktiv unsere Wirklichkeit ist, kann man sich schon am Modell des Gesellschaftsvertrages klarmachen, wie ganz genau so, weshalb es immer wieder zu „Kulturbrüchen“ kommt – weil es diesen Vertrag de facto gar nicht gibt; es hat ihn auch nie jemand unterzeichnet, sondern wie Heutigen werden wie in ein Zwangssystem da hineingeboren und haben uns nach Machtverteiliung zu fügen – oder begehren dagegen auf. Dabei ist es unmaßgeblich, ob dieser Gesellschaftsvertrag oder die Übertragung des eigenen Gewaltrechtes auf dafür mehr oder minder demokratisch bestimmte „Exekutiven“ vernünftig ist und bis zu welchem Grad. Tatsächlich werden wir hineingezwungen, ohne daß es für den Vertrag eine wirkliche Grundlage gäbe außer eben den Mächteverhältnissen in unserer, bzw. jeder anderen Gesellschaft, unserem Stamm (tribe) oder unserer Gruppe. Angewendet wird, in jedem Fall, das „Recht“ des Stärkeren, ob bei uns auf den Straßen oder in der internationalen Politik.

17 thoughts on “Der Zweifel wieder. Das Arbeitsjournal des Montags, dem 5. November 2012. Darinnen Glöcklers Ives (3). Und später zum Gesellschaftsvertrag.

  1. also, gabs nicht erst im letzten jahr noch das senatsstipendium? ist das keine anerkennung? dass ihnen mehr gebührt, keine frage, dass der erfolg der anderen nicht immer nur für die reine freude sorgt, nun ja, schon in beziehungen existiert eine unterschwellige konkurrenz von sich nicht vorbehaltlos mitfreuen können, wenns bei dem einen gerade funzt, aber man sich selber gerade in auflösung begriffen sieht. das sind alles bescheuerte mechanismen, und man hält sich immer für so viel klüger als sie, nichtsdestotrotz toben sie sich an einem aus, und man ist oft hilf- und ratlos darüber. mit dem lektor für argo haben sie im übrigen doch eine gewichtige stimme auf ihrer seite, immer auch auf das schauen, was da ist! das ist nicht wenig, es entspricht nicht dem, was da sein sollte, aber, es ist doch viel mehr als nichts. natürlich leiden sie hier öffentlich an massiver selbstüberschätzung, aber, psst, unöffentlich leiden darunter nahezu alle auf ihre weise, sonst kann man auch gar nicht weiter machen, ob und wem gefällt, was sie machen, ist wirklich echt latte, das sind sie, und sie können es nur so tun, wie sie es tun können, das kann man uncool finden oder grandios, aber das ist wirklich vollkommen egal. klar ist, ein gutes netzwerk hilft und ohne bestätigung geht es nicht, auch klar ist, man sollte sich nicht jeder kritik völlig entziehen, das tut man aber, wenn man sich damit vollkommen in frage gestellt sieht und sie werden eben meistens so totalitär kritisiert, dass man erst gar nicht näher hinschaut, stimmt, und das ist wirklich ärgerlich, und natürlich, wenn sie sich hier gemäßigter gäben, sähe das wahrscheinlich anders aus, ich finde es aber durchaus gut, dass sie das nicht tun! und, klar sind sie nicht grundgenial, nur weil sie ohne unterlass arbeiten und geschasst werden, aber, sie sind schriftsteller, und nicht so übel, wie sie andere gerne hätten, sie sind vor allem jemand, der sich zu wuchern traut neben jedem öffentlichen begehr nach coolness und das ist selten genug und verdient anerkennung!

    1. Es ist@diadorim. Grad so viel Leere in mir. Ich will das aber auch zugeben und zeigen und wollte nie so tun, als ob, wollte nie diesem Gebot nach Heimlichkeit nachgeben und will auch austragen und zeigen, was da so rumort. Klar weiß ich (hoffe ich), daß ich morgen schon wieder ganz anders schreibe, wenn ich durchs Tal erstmal durch bin – nur daß das diesmal ein ziemliche ausgedehntes Tal ist, in das ich auch nicht so richtig freiwillig abgestiegen bin; es war halt da vorm nächsten Berg, Gibt es eben auch, so furchtbare Ebenen, in denen einem der Himmel auf den Kopf fällt, anstatt, daß ihn zweidrei Berge da oben halten.
      Aber mich ärgert mein eigener Klein-, nein, -geist ist das nicht, sondern mein eigenes, offenbar, Kleingefühl, kurz: ich lehne es ab. Hab es aber trotzdem. Widerlich ist das.
      Kann übrigens auch sein, daß mir das fast nicht mehr selbstgeglaubte Erreichen des Anderswelt-Endes (was jetzt noch getan werden muß, ist alles scherecklich ungenialisch, reines Formalkorrigieren, Rumformulieren, hier und dort mal was streichen usw., letztlich: literarischer Bürokratismus) – daß mir das zusetzt, weil so eine Art Zukunfts-Haltelinie, weil eben erreicht, verloren- und in pures praktisches Abhaken übergeht; das wiederum verbunden mit der nahezu komplett resonanzlosen Publikation meiner Bücher seit 2003 – das ist jetzt bald ein Jahrzehnt, daß ich das ertrug -, also seit dem Prozeß um >>>> Meere. Ich weiß eben auch, welche Potenz dieses Buch gehabt hätte und im Prinzip immer noch hat, vor allem im Ausland, etwa in Frankreich, aber auch anderen romanischen Ländern, die in erotischer Hinsicht nicht derart unfrei sind wie die deutschsprachigen. Doch ich weiß ja leider sehr genau, wer in den Gremien sitzt, die zum Beispiel Übersetzungsfinanzierungen vergeben, udn weiß eben auch, wer, zum Beispiel in den USA, das Klima der Sicht auf die zu übersetzende deutschsprachige Literatur mitbestimmt. Ich kenne die Strukturen zu gut, um noch Hoffnung haben zu können. – Ach scheiße, ich sollte jetzt einfach den nächsten Roman anfangen, den ich ja schon zu einem Drittel im Kopf habe – aber muß mich jetzt eben um die praktische Fertigstellung von Argo kümmern, meiner neuen Totgeburt.

  2. Skepsis? – Nein! Also jedenfalls nicht aus Gründen der Qualität. Da, lieber Herr Herbst, schätzen Sie den Ton meiner letzten Stellungnahmen (und mein Befinden insgesamt) fasch ein.

    Freilich, Sie haben ernsthafte Literatur geschrieben, ein sehr anspruchsvolles Buch, was Sie selbst in einem Atemzug genannt haben mit „Ulysses“ und „Zettels Traum“. Die Zahl derer, die sich privat mit diesen 3 Büchern auseinanderzusetzen bereit sind, dürfte sehr gering sein. Allein, wenn ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis mich umblicke: Die wenigen, die überhaupt Bücher lesen und dabei nicht zu Sachbuch oder Krimi greifen, ist äußerst klein; und wenn es dann auch noch literarisch anspruchsvoll sein soll (und damit nicht die alten und modernen Klassiker gemeint sind), wird es echt sehr dünn – und viele werden dann auch noch bedient mit Deutschem Buchpreis und Literaturnobelpreis.

    Aber:

    Ihr Buch ist an Phantasie und Fantasy kaum zu überbieten. Es stellt eine aufschlussreiche Mischung aus Zukunftsvision und – schrecken, Kintop und Leben, aus Science Fiction und Historischem, Splatter und Mythologie dar, wie man sie kaum wohl sonst finden wird, und das alles gepaart mit dem Berlin und den Berliner Befindlichkeiten der 90er Jahre sowie verblüffenden Perspektiven und Perspektivwechseln. Es gibt einige wunderschöne Szenen. Es gibt eindringliche Passagen, die einen sehr nachdenklich stimmen. Die Sprache ist sehr eigen und insofern (im eigentlichen Sinne des Wortes) bemerkenswert. Und an manchen Stellen sogar reißt die Sprache den Leser mit; Sprachgewalt würde ich das nennen. Die eigentliche Erzählung (soll ich es „Plot“ nennen?) ist sehr vielgestaltig (sozusagen findet jeder „seinen“ Erzählstrang) und wird gleichwohl am Ende aber im Wesentlichen zusammengeführt, die Komposition mithin trotz aller Schwierigkeiten überzeugend.

    Das alles wären für mich die Kriterien eines „guten Buches“.

    Was (aus meiner bescheidenen Sicht) zu Ihren Ungunsten vorliegt:

    Die Vielfältigkeit der Erzählhandlungen ist ausufernd, der Detailreichtum enorm, ebenso die im Text zum Ausdruck kommende Gelehrsamkeit. Die – uns fremd gewordene – Mythologie, die – uns nicht mehr bekannten – griechischen Sagen, spielen eine übergroße Rolle. In dieser Fülle – gepaart mit vielen Fremden – wird meines Erachtens einiges verdeckt.

    Mir fehlt (deswegen?) ein intuitives Verständnis, ein „gutes Gefühl“ für das Große Thema, die Zielrichtung der Handlungen.

    Ich verstehe – aber nur über unsere Diskussionen – Ihre Intention der Übersetzung des modernen, zukünftigen Lebens (insbesondere: die ausschließlich mediale Vermittlung der Welt und ein (lediglich) darauf beruhendes Verständnis, und: die unendlich fortschreitende Digitalisierung der Welt und die Erscheinungsformen des Lebens zunehmend nur noch in Computern und Programmen) in Sprache, in Romanform, muss aber über Ihre Mittel-Zweck-Relation noch nachdenken.

    Diese (noch nicht abgeschlossenen) Überlegungen machen aber aus einem guten Buch kein schlechtes. Wenn man „Thetis“ lesen will, dann kann man es lesen, und dann ist es ein äußerst lesenswertes Buch.
    Wenn ich „Thetis“ ins Verhältnis setze zu den (soweit mir bekannt) Büchern seiner Zeit (Beyers „Flughunde“, Schulzes „Simple Storys“, Bongartz` „Örtliche Leidenschaften“, Lehrs „Nabokovs Katze“ – die freilich zumeist deutlich kürzer sind – so sind diese für mich unterhalb von Thetis zu veranschlagen, insbesondere Nabokovs Katze fällt deutlich ab, ist eher langweilig – von dem unmeinbaren, unlesbaren „Ein Weites Feld“ mal ganz abgesehen.

    Beste Grüße
    NO

    1. Mythisches, thetisch@Dr.No. Darin auch zum Spielfilm. (Erst einmal: – Puh!!! Das klingt jetzt anders.)

      Dann aber, zu meiner vorgeblichen Bildung (ich kenne ganz andere Leute als mich, die wirklich gebildet sind; ich hingegen suche immer): Bereits während der Arbeit am Wolpertinger war mir aufgefallen, wie viele Spielfime der Zeit, besonders in den Unterhaltungsgenres, nichts anderes taten, als alte Mythen neu aufleben zu lassen – Mythen, die nie verloschen waren und nun so sehr zu wirken schienen, eben, w e i l man sie gar nicht mehr präsent hatte und hat – ganz so, wie uns ein Unbewußtes treibt und bestimmt, um so mehr ohne Widerstand, als die Bestimmung unbewußt wirkt. In der Literatur hat die Wirkung der Mythen ohnedies nie aufgehört, sie war immer zugegen, ob als Gegenentwurf oder Welle, auf die man das erzählerische Surfbrett tat. Denken Sie an Christa Wolf, etwa. Interessanter fand ich aber die Unterhaltungs-Heldensagen, weil sie, gerade im Spielfilm, wahrscheinlich auf genau die einfache Weise wirkten, wie es die Ursprungserzählungen in der Antike getan haben dürften. Dabei geht es nicht einmal nur um die zum humanistischen Bildungsgut gehörenden Legenden Roms und/oder Griechenlands, bzw. um die Jehova-Erzählungen, die immer und überall durchschlagen, sondern auch um sogenannt heidnische. Denken Sie etwa an Alien und setzen den Film zum Drachen des Mittelalters in Beziehung. Gleichzeitig wurden die Mythen in meiner Lebenswelt wiederentdeckt – und gemischt. Der ganze New Age ist voll davon, und es reicht bis heute in die Rollenspiel-Welten, vor allem aber hat es die Computerspiele erobert, die unterdessen schon mindestens zwei ganze Generationen geprägt haben und weitere, dann erst richtig, prägen werden: Prägungen eben mit vergessenen Mythen – ähnlichen, nie identischen. Es kommt auch nicht von ungefähr, daß ein neuer Spielfilm, der etwas anderes als einen Mythos erzählt, sich allein über die Namengebung auf einen antiken Mythos bezieht: >>>> Argo (!!!). Auch das liegt in der Zeit. Ich bin sozusagen gegenwärtiger als die Gegenwart in vielen meiner Entwürfe, und oft treten sie um weniges nachher ein – das Schaurigste ist wahrscheinlich mein Satz, Thetis 188, von der Sprengung des World Trade Centers, geschrieben 1995, als an 9/11 noch nicht zu denken war, nicht einmal an eine „Achse des Bösen“. Was Sie Bildung nennen, ist doch nichts, als daß ich genau hinschaue und nach den Quellen frage – das aber gar nicht direkt-im-Buch tue, sondern die Antworten fabuliere ich ein – solche, die uns allen doch unmittelbar klarwerden, sowie eine solche „Parallele“ auch nur vorsichtig geäußert wird. Einer der Gründe, übrigens, weshalb ich von Allegorien spreche, die sich als je ähnliche Muster immer wieder verwirklichen – gleichsam durch uns hindurch wie die Alpha- und Betateilchen, die >>>> in einer Nebelkammer sichtbar werden, die wieder eines der Erzählmodelle für Argo geworden ist.

      Was aber das „eine Große Thema“ anbelangt, so haben Sie recht: Es gibt keines. Aber de facto nicht. Weil Welt nicht monotheistisch aufgebaut ist, also nicht die Welt unserer wirklichen Erfahrung, wohl allerdings die Welt unserer interpretierenden Vorstellung. Leben hat keinen Sinn; es „ist“ nur und begibt sich und hört plötzlich auf, unplanbar. Einen Sinn hineinzutun, ist unser Gerüst, das wir bauen, um einen Sinn zu unterschieben. Und immer wieder kracht das Gerüst ein. Davon, unter anderem, erzählt Thetis. Es hat nämlich auch keinen Sinn, keinen Sinn unterschieben zu wollen. Wir müssen, glaube ich, beides tun: erkennen, daß es keinen gibt, und gerade deshalb einen konstruieren, und feststellen, daß die Konstruktion nicht genügt; dann aber erst recht konstruieren. Das wäre eine der Bewegungen, die ich in dem Anderswelt-Projekt nach- und auch vorzuzeichnen versucht habe und weiterversuche.

      [Hierzu, direkt oben im Arbeitsjournal, noch eine Ergänzung zur Fiktivität unserer Lebenswelt am Beispiel des Gesellschaftsvertrages, um 17.28 Uhr.)

    2. lieber alban: das nicht-besprochen-werden im: wie du es nennst: klassischen feuilleton: hat doch aber auch immerhin den vorteil: sich als vitale: sture und insistierende einzelexistenz unbeirrbar über wasser halten zu müssen: ich werte seit fast zwanzig jahren die resonanzverweigerung gegenüber einer schonungslosen erstklassigkeit als zeichen für höchste qualität: in dieser anerkennungslosigkeitsliste finden sich doch einige…scheiß drauf und schreib
      weiter: liebe grüße aus sachsen: thomas

    3. Lieber Thomas Kunst, ich danke Dir für den Zuspruch, meine aber, daß es so einfach nicht ist, wie Du schreibst, nämlich daß es sich um “resonanzverweigerung gegenüber einer schonungslosen erstklassigkeit” handele. Denn es gibt auch einige, sogar nicht einmal wenige Bücher, die sehr berechtigten Anspruch auf diese Erstklassigkeit erheben können und dennoch sehr, und zu Recht, gelobt und besprochen und herumgereicht werden. Vielmehr haben Wahrnehmung und ihre Verweigerung mit etwas völlig anderem zu tun als mit Qualitätskriterien. Genau das macht die Situation furchtbar. De facto geht es um vollkommen literaturferne Interessen, die hier zu Markt werden: seien es solche der persönlichen Wohlfahrt einzelner Betriebler, seien es auch politische oder gerade aus sonstwelchen gesellschaftlichen Gründen opportune; dazu addieren sich Interessen ganz anderer Industriezweige. Die Dichtung selbst spielt absolut keine Rolle – vorausgesetzt, es ist wenigstens ein bestimmter Grad von Niveau vorhanden. Aber nicht einmal das muß in jedem Fall sein.

    4. lieber alban:
      ich empfinde es schon als höchstes glück: überhaupt noch bücher veröffentlichen zu können…überhaupt noch verlage zu finden: die gewillt sind:
      “diese” art von texten in eigenverantwortung zu drucken…
      was tatsächlich bleibt: ist resignation gepaart mit sturheit und stolz:
      du hast recht: es sind nicht nur die qualitätskriterien: die der wahrnehmung die luft nehmen: mir hilft musik in solchen zeiten wie dieser: la monte youngs well tuned piano und die arbeiten von alvin lucier zum beispiel: grüße zu dir rüber.

  3. Nachruhm und Nachwuchs sowie von der Permanenzkraft der Phantasie Vielleicht hilft Ihnen ja auch ein bisschen, zu wissen, dass Sie zumindest ein gewissen Einfluß haben auf den einen oder anderen Nachwüchsler, als der ich mich jetzt mal selbst bezeichnen möchte. Wobei auch ich spät auf Sie aufmerksam wurde und vermutlich überhaupt nur wegen meines teils akademischen Hintergrunds und persönlichen Interesses. Allerdings habe ich auch den Verdacht, dass Sie doch sehr auch bereits auf die “Nachwelt” hinschreiben; insofern nimmt es natürlich nicht Wunder, dass die Jetztweltler (die ja sowieso nur noch permanente Gegenwart zu kennen scheinen) Ihnen nicht sehr nahestehen. Natürlich hat es auch damit zu tun, wie Sie ja sagen, dass Ihre inhaltlichen wie formalen Rückgriffe und Bezüge von vielen bereits schon nicht mehr verstanden werden. Gerade in der Vermischung mit avancierter SF. Komplexität hat heute keine Zeit mehr. Dennoch ist es gerade diese unzeitgenössische Verarbeitung von Zeitgenössischem, was Sie in meinen Augen wirklich als Künstler (Dichter, nennen Sie’s) ausweist und von dem ich hoffe, dass Sie es weiterhin durchhalten werden. Ich selbst jedenfalls, auch wenn ich mich in vielem Dr. No’s Urteil anschließen kann, bin unbändig gespannt auf Argo, und: ja – werde es sicher auch kaufen! Ansonsten vielleicht dies noch: sehr viele der bisherigen Spielregeln des “Betriebs” stehen derzeit ja sowieso auf dem Prüfstand, manche Machtverschiebung zum Guten wie Schlechten wird uns in den nächsten Jahren ereilen. Die Rufe erfahrener Sturmsegler wie Ihnen, bleibt zu hoffen, werden dann vielleicht auch wieder mehr gehört. Ob es allerdings ein kluger Gedanke ist, der allgemeinen Contentisierung der Literatur hinzuzuarbeiten, wenn Sie jetzt auch noch anfingen an “interaktiven Hybriden aus Romantext und Bild” zu arbeiten? Das hat das System doch auch längst als “Transmedia Storytelling” und nächste durchs Dorf zu treibende Kuh vereinnahmt. Und ehrlich: Bisher habe ich noch keines dieser Experimente wirklich gelingen sehen; ist es doch gerade die Kunst und Stärke des Romans, Bilder und Töne im Leser selbst zu evozieren, anstatt sie ihm auch noch als schon vorfabrizierte vorzusetzen. So banal es klingt, aber es wird sicher auch in der Zukunft Menschen geben, die die eigene Phantasie dem phantastischen Computerbild vorziehen werden. Im Übrigen habe ich gerade passenderweise Calvinos “Sechs Vorschläge für das nächste Jahrtausend” zu lesen begonnen, worin er zu erläutern versucht, dass es auch in Zukunft Dinge geben werde, die nur und ausschließlich die Literatur mitteilen könne. Allerdings kann ich noch nicht mehr dazu sagen, wie stark seine Argumente sind, weil ich wirklich gerade erst am Anfang bin.

  4. Das Raumschiffkapitel aus „Thetis“ als ein Bändchen in der Bibliothek Suhrkamp – wenig wäre so berechtigt wie das! Diese Schöpfungsgeschichte ist für mich ein ganz herausragendes Stück Literatur. Es fiele mir schwer (obwohl ich es natürlich tun würde), „Nach Centaurus A“ signifikant unterhalb von „Die Verwandlung“ anzusetzen.

    Im Übrigen, lieber ANH, würde ich SIE, soweit ich das kann, gerne ermutigen, „solche interaktiven Hybriden aus konventionellem Roman, experimenteller Erzählung und mit Musiken und bewegten wie unbewegten Bildern als kommende Kunstform mitzuentwickeln.“ Ich könnte mir kaum einen geeigneteren Vermittler vorstellen. Ob dazu wirklich ein Programmierungsstudium erforderlich wäre?

    Zu den interessanten Anmerkungen bzgl. Leseverhalten und Ihren Texten:

    Lesern ist „mein Ansatz erst einmal fremd, wenn nicht sogar unangenehm, in jedem Fall nur unter Willensanstrengung nachzuvollziehen …, und den anderen, die in meinem Ansatz bereits leben, ist, überhaupt zu lesen, anstrengend, weil längst fremd.“, wie Sie schreiben.

    Da bin ich nicht so sicher.

    Zum einen, und das interessiert mich am meisten: Gibt es denn in „Wolpertinger“ einen anderen Ansatz als hier? Einen anderen Stil? Ein anderes Vorgehen? Ich meine nicht. Natürlich sind das zwei höchst unterschiedliche Bücher. Aber beide sind typische ANH-Bücher. Und bei der Lektüre des „Wolpertinger“ hatte ich verschiedene Schwierigkeiten nicht, die ich bei Thetis hatte.

    Zum anderen ziehen Sie ja die Leser von Thetis durchaus in eine fantastische, überbordene und bildreiche Welt, in ein Kopfkino unglaublichen Ausmaßes, dass dann natürlich ständig gebrochen wird durch Deters und Perspektivenwechsel. Ihr Elfenbein-Verleger hat ja völlig recht, das man so etwas bisher noch nicht gelesen hat. Insofern muss ich sagen, dass ich den von der Löwin behaupteten Unterschied zu „normalen“ Büchern nicht recht sehe.

    Dann sagen Sie: „Ich habe deshalb, weil ich das weiß, meine Prosa strikt rhythmisiert und arbeite mit, sagen wir, ‚besonderen‘ Metaphern und sehr eigenem Satzbau; ich nähere die Prosa, nicht überall, aber an vielen Stellen, der lyrischen Ausdruckswelt an“. Aber für meinen Geschmack macht Außerordentlichkeit Ihres Stils einen Teil des Reizes dieses Buches aus (wie bei Niebelschütz). Ich glaube nicht, dass dies Leser abschreckt, dass „aber genau das nicht die Erwartung der meisten Leser erfüllt“.

    Ich bin vielmehr nach wie vor der Meinung, dass es die ungeheure Fülle der Motive und Themen, der Anspielungen und Muster, der historischen und mythischen Figuren – und deren andauernde Vermischung, Variierung, Überschneidung – ist, die zusammen mit dem schieren Umfang des Buches hin und wieder zu einer notwendigen Erschöpfung führt. Niemand kann das auf Dauer und in den Einzelheiten nachvollziehen. Das führt zu zeitweiliger Unlust.

    Soweit es mich persönlich angeht, übrigens, auch beim „Ulysses“ und bei Prousts „Verlorener Zeit“.

    Beste Grüße
    NO

    1. Zur Fülle@Dr.No, und zur Überfülle. Ich wäre geneigt, Ihr Argument zu verstehen, d.h. etwas daran auch richtig zu finden, sähen alle meine Bücher so aus. Dem ist nun aber nicht so, die meisten sind sogar, mit zwischen 120 und 300 Seiten, relativ kurz und leben auch nicht von den permanenten Verschneidungen und Ineinanderfügungen, bzw. Überlappungen – wobei das Verfahren im Wolpertinger dem von Anderswelt tatsächlich ähnlich ist; es ist ja der Ansatz-selbst, der in Anderswelt dann radikalisiert wird; und zu den „heidnischen“ Mythen, die den Wolpertinger bestimmen, addieren sich die antik-„klassischen“; außerdem thematisiert Anderswelt nicht, sondern führt sie durch, die Paradigmenwechsel, die sich für eine wirklich zeitgenössische Literatur aus den Neuen Medien ergibt. Wir sollten uns da nichts vormachen: das meiste dessen, was derzeit als Meisterwerk gehandelt wird, hat seine eigene Zeit nicht begriffen und, schlimmer, will das auch gar nicht tun, sondern möchte am liebsten die Räder wieder zurückdrehen. Deswegen gibt es nur sehr wenige mir bekannte Autoren, die ich tatsächlich als Zeitgenossen betrachten kann; davon unabhängig ist meine Hochachtung vor der zugleich poetischen Valenz mancher Kollegen. Auch Regression kann von enormer Schönheit sein, und sie stört mich da auch gar nicht, wo die Zeit des je gewählten Themas ihr entspricht. Wenn ich aber Aussagen über Gegenwart treffen will, werde ich um bewußte und auch gewollte Zeitgenossenschaft nicht herumkommen; ansonsten geht es – und das hat sein Recht – um Eskapismus, so oder so.
      Aber Ihre Einwände zielen ja nicht auf das, sondern auf bestimmte Leseschwierigkeiten, die Leser:innen von meinen Büchern abhalten. In meinen Erzählungen, auch in den etwas längeren, doch immer noch kleinen Novellen wie den Fenstern von Sainte Chapelle, den Orgelpfeifen von Flandern, dem Sizilien- und dem New-York-Buch, in der Isabella Maria Vergana usw., um einmal nicht von Meere zu sprechen, kommen solche Engführungen mit, sagen wir, Bildungsmaterial aber nicht oder nur sehr wenig vor – das hat diese Texte aber nicht erfolgreicher gemacht, was schlichtweg, wie bei Wolpertinger und Anderswelt, daran liegt, daß ihre Existenz gar nicht bekannt ist, jedenfalls nicht beim Leser überhaupt ankommt. Die Bücher liegen ja auch nicht in den Buchhandlungen, und seit etwa einem Jahrzehnt wurde auch keines mehr überhaupt besprochen, von wenigen Netz-Rezensionen einmal abgesehen. Wie sollen Leser:innen also von ihnen erfahren? (Ich hatte einmal gedacht, daß eine Site wie Die Dschungel dafür hilfreich sein würde; das war ein Irrtum – abgesehen auch hier wiederum von einigen sehr Wenigen, die zugleich Netz- und Buchleser sind; weder MelusineB noch Sie hätten ohne Die Dschungel auch nur eine Chance gehabt, von meiner Arbeit zu erfahren.)

      Generell aber noch dazu:Niemand kann das auf Dauer und in den Einzelheiten nachvollziehen. Das führt zu zeitweiliger Unlust.Nur dann, wenn man den Anspruch hat, das auch zu können. Ich selbst gab den bereits als Jugendlicher auf. >>>> Sie erinnern sich an meine Dämonen-Erzählung? Der hohe Reiz dieses Dostojewski-Romans kam für mich, auch, daher, daß ich eben n i c h t alles verstand, d.h., daß ich nicht über das Buch verfügen konnte. Aus demselben Grund gibt es ja den Bargfelder Boten und gibt es Sites wie zu >>>> Ada und unterdessen auch zu >>>> Gegen den Tag (unabhängig davon bleibt für mich Gravity’s Rainbow nach wie vor Pynchons größtes Buch). Man könnte von Gebrauchstexten, die nach der Lektüre abgelegt werden, und solchen sprechen, die unentwegt weiterschwelen. Der Unterschied entspricht dem zwischen einem sehr gut gemachten und unseichten, spannenden Spielfilm und einem Filmkunstwerk. Zumindest einige Seiten solcher Bücher ziehen uns immer wieder an und zurück in sich. Möglicherweise ist es so, daß sie uns die Zeit nicht verkürzen, sondern ganz im Gegenteil verlängern.

      Aber weil ich grad an der Stelle bin: Noch mal zu Ihrer Frage, >>>> wieso Elena Jaspers Herrn Dehmanns Nichte sei. Nicht nur, wie ich Ihnen schon schrieb, die Thetis-Seite 67 gibt darauf eine Antwort, sondern vor allem 278unten auf 279oben; da wird der Umstand sogar hergeleitet.

      Ihr
      ANH

    2. Graf Melusine Sie irren! Ohne das Internet! Ohne den BLOG „Unendlicher Spaß“ wäre ich nicht auf Sie gekommen – und damit also: Nicht ohne Ihren Freund Guido Graf.

      Melsuine weiß ich nicht.

      Aber von Melusine würde mich natürlich schon sehr interessieren, wie die Lektüre damals war, als sie „Thetis“ las: Glatt oder unglatt, mit oder ohne Disziplin, berauscht oder streckenweise ernüchert?
      Dies aus heutiger Sicht kurzerhand geschildert, dass wär` was …

      Und von Ihnen würde ich gerne wissen, welche deutsche Autoren Sie denn in dem genannten Sinne für zeitgenössisch halten? Wer hat seine Zeit begriffen? Welche Bücher?

      Beste Grüße
      NO

    3. Nicht im Netz lernte ich den Herrn Herbst “kennen”, sondern – O Schreck! – im Doktorandinnen-Kolloquium. Er war…beindruckend, wenn auch – mir, damals – nicht unbedingt auf Anhieb sympathisch. Er sprach über Hans Henny Jahnn. Den er beeindruckend fand, glaube ich, aber nicht unbedingt sympathisch ;-). (Ich vereinfache fürchterlich.) Da wollte ich wissen, wie so einer schreibt. Der so wuchtig auftritt (tat er!), doch von dessen Performance auch eine Irritation zurückblieb, etwas sonderbar Flüchtiges und – klingt das verkehrt? – Zartes, gerade im Widerspruch und als Selbstwiderstand gegen dies Auftrumpfende, das er (so empfand ich damals) “zur Schau” trug. Und dann las ich… Erst Wolpertinger. Blau. Ich fand mich da leicht rein. (Zugfahren). Schwer war nur, dass ich damals als Mutter von zwei Babys (eins und null) nie längere Zeit am Stück lesen konnte. Nicht andeutungsweise so viele Bezüge, Querverweise, Zitate habe ich entdeckt wie Sie bei Ihrer Lektüre, lieber No. Ich lese nicht, wie soll ich sagen, “analytisch”, jedenfalls nie außerhalb der beruflichen Zwänge. Ich lese als Kannibalin. Was heißt? Ich schlucke alles. Ich verdaue es. Ich will nichts “verstehen”. Ich interpretiere nicht. Etwas verträgt sich mit meiner Physiologie, schafft es einzudringen, Membrane zum Schwingen zu bringen. Den Prozess dieser Verständigung mit dem Text “lese” ich erst später. So auch bei “Thetis”. Ich kann nur sagen, was mich damals “Schwingen” machte: die Idee der Programmierung vs. Freiheit, die Durchlässigkeit von virtueller Welt und “Realität”, der Traum von einer Post-Schrift-Zeit (Ich war “verliebt” in Vilém Flusser, irgendwie.) Ich las auch das “weg”. Eine Kannibalin eben. Ich verleibe mir das Fremde ein. Als wär´ es nicht von Herbst (oder wem? Deters?) Ich fand es nicht unverdaulich – oder “schwierig”, jedenfalls (Die Vorstellung, dass sich die Zeiten und Welten überlappen, ist mir immer gegenwärtig. Ich fühle mich nie ganz da. Oder hier.) Aber schauen Sie: Ich stelle auch gar keine Fragen. Ich bin als Leserin so wenig neugierig, wie als Nachbarin. Ich nehme alles als gegeben. (Wenn ich das nicht kann beim Lesen, höre ich auf. Das kann ich mir jetzt herausnehmen, weil ich keinen “Bildungsnachweis” mehr erbringen brauche.) Ich lese wieder “ungebildet”. Ich glaube die Mythen. Wie eine Spielerin auf Level 16. Ich weiß nichts über die Götter. Ich nehme sie hin. Es ist, wie es ist. (Aber nicht fürchterlich!). Warum es mich überzeugt, könnte ich erst sagen, wenn ich darüber schreiben wollte. (Vielleicht mal.)

      Das wird Sie nicht befriedigen. Ich lese “Thetis” wieder. Anders dann. Denn die von damals gibt es nicht mehr. Mal sehen. (Ob ich drüber schreibe.)

      Doch es ist wahr: Mag sein, dass Mammut-Romane wie “Thetis” immer nur die winzige Zahl “Lesehungriger” erreichen werden. “Meere”, “Die Fenster von Sainte Chapelle” und anderes könnten jedoch ein größeres Publikum erreichen. Davon bin ich überzeugt. Und “Thetis” – ich glaube an seine Zukunft als Computerspiel. Schade, dass ANH keine Zeit hat (oder sich nehmen mag), um hieran mitzuarbeiten. Ich denke auch nicht, dass dazu er Programmieren auf höchstem Niveau lernen müsste. Dahinter steckt die Idee, der “Autor” (und seine Autorität) könnte erhalten bleiben. Das wird nicht so sein. Ein solches Projekt wäre Teamwork. Ich fürchte, das schreckt ihn am meisten. 🙂 (Auch das Autoren-Kino ist längst so tot wie Papas. Und ich finde es nicht schade.) Spannend wäre das. Es müsste hinter einer Lappenschleuse freilich doch, fällt mir jetzt ein, in einer anderen Welt, Herbst sitzen: Level 0.0. Unhintergehbar, aber virtuell.

    4. Das ist, Dr. No, eine “gefährliche” Frage. Jeder, den ich nicht erwähne, könnte beleidigt sein. So häufen sich die Gegner.
      Deshalb nur kurz aus der Hüfte geschossen: die des jungen Thomas Hettche, bis zum Arbogast-Buch; Helmut Kraussers “UC”, einiges von Thomas Meinecke und Rainald Goetz, je mit verschiedener Focussierung, unbedingt auch “Nadja” von Marcus Braun und Dorothea Dieckmanns “Guantánamo”-Roman. Überhaupt gehören thematisch sehr viele dazu, namentlich der jüngeren Autoren, nicht aber, eben, formal. Form ist indessen das Kernstück aller Kunst; Zeitgenössischkeit nur zu formulieren, genügt nicht. Sehr wahrscheinlich finden sich die tatsächlich zeitgenössischen Dichtungen mittlerweile sehr viel mehr im Netz als in der “realen” Buchwelt. Pars pro toto möchte ich >>>> Abendscheins Bilbiotheca Caelestis nennen.

    5. @MelusineB. Geben Sie mir Zeit, bis die drei anderen Romane nach Argo geschrieben sind – oder doch wenigstens die zwei nächsten, weil ich für den dritten ganz sicher wieder anderthalb bis zwei Jahrzehnte brauchen werde – aber das ist ja nicht ausschließlich, kann es gar nicht sein.
      Und in Sachen Team haben Sie selbstverständlich recht; ich weiß nicht, ob ich die Fähigkeit überhaupt je entwickeln konnte, in Gruppen tätig zu sein; das hat, wie Sie wissen, biografisch traumatische Gründe, die wiederum auch historische sind, die ich nolens volens “vererbt” bekam. Dies aber, Arbeitsteilung, ist Voraussetzung, auch da haben Sie recht. In der Hinsicht bin i c h nicht zeitgenössisch. Um es mit dem Wolpertinger zu sagen: Das Mittelalter ist ewig, jedenfalls in mir.

    6. Lovely, Gräfin!

      Sie lesen Romane wie ich Gedichte. Wie den unverständlichen Celan: Ich genieße Rhythmus, Struktur, einzelne Worte, Reim (if any), Bilder, Assoziationen, Verstehen kommt hinterher, wenn überhaupt, kann mir oft auf das Gedicht, auf die Worte keinen Reim machen.

      Sie lesen, wie man wohl ein Computerspiel spielt, hinterfragen nicht die Figuren, die Handlung, sondern spielen, was gespeilt werden muss, sie konsumieren, wie Sie die Knöpfe am joy stick drücken.

      Sie erfahren Wirkungen, Schwingungen, Musik, nicht Erkenntnis, Offenbarung, oder Betroffenheit.

      Erstaunlich. Faszinierend.

      Und ja: Etwas Zartes.

      Liebe Grüße
      NO

    7. @ANH @NO @ANH
      Zeit kann ich Ihnen nicht g e b e n, weil ich sie nicht habe. Als realistische Kryptofantastin glaube ich daran, dass eine jede und ein jeder geradezu magisch ihre/seine Zeit in sich hat (die aus der sie oder er kommen und die, die ihnen bleibt.) Davon kann keine abgeben, das ist unübertragbar.

      @NO
      Einem Missverständnis möchte ich entgegentreten (das nicht Sie produzieren, aber vielleicht bei einem Mitleser/einer Mitleserin auftreten mag): Keineswegs setzt mich mein kannibalisches Lesen in Opposition zur Hermeneutik. Ich verdanke dem Gadamer-Schüler Gottfried Boehm viel; mehr und Tieferes jedenfalls als all den Epigonen des französischen Post-Strukturalismus, die in den 80er Jahren die Universitäten bevölkerten. Verstehen wollen ist durchaus ein Anspruch, den ich vertrete. Aber eben nicht beim privaten Lesen. Es besteht eine – durchaus auch schmerzliche – Differenz zwischen dem lustvollen “Verschlingen” und der Anstrengung der Interpretation, die ich mir jedoch immer lieber als ein Gespräch mit dem Text vorstelle, denn als “Zerstücklung” (Analyse).

      Es gibt nicht wenige literarische Texte, deren Originalität und Qualität ich durchaus “verstehe” und auch zeigen kann, die mir aber dennoch gleichgültig bleiben. Ich habe solche Texte später, nach dem Studium, nie wieder gelesen. Dabei ist es nicht “das Fremde”, das mich abstößt. Ich suche nicht nach Identifizierungsmöglichkeiten beim Lesen. Aber es gibt Unverträglichkeiten.

      Was ich auch noch klarstellen wollte: ANH hatte dennoch recht (und Sie auch), dass er ohne das Netz als Autor von meinem Radar verschwunden wäre. Denn von seinen Werken war ja außerhalb des Netzes nach dem “Meere”-Skandal nichts mehr zu hören.

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