Winter ODER Die Enthüllung. Journal der fortgesetzten Melancholie, nunmehr Ortnit Karlssons auch. Dienstag, der 12. März 2013. Zur Leipziger Buchmesse.

10.10 Uhr:
Man kann – und ich tue es – das >>>> Leben als einen Roman betrachten; was ich Ihnen jetzt erzählen werde, gehört mit dazu. Aber Romane haben keinen Anspruch auf ein Happyend, ja, den meisten sogar, wenn sie gut sind, fehlt es. Konsequenterweise muß ich das dann für mein Leben ebenfalls inkauf nehmen, und Sie, als meine Leser, müssen es gleichfalls bei dem, was Sie lesen.

Ich habe meine Teilnahme an der diesjährigen Leipziger Buchmesse >>>> heute morgen abgesagt. Es ist dies das Ergebnis meines während der vergangenen Tage unentwegten Grübelns. Ich bin momentan nicht imstande, weiterhin den lächelnden Kämpfer zu geben, das Stehaufmännchen des deutschen Literaturbetriebs, das jeden Schlag damit beantwortet, nach kurzem Weggekipptsein sich wieder aufrecht einzuschaukeln, wütend zwar bei Unrecht immer, aber doch konziliant in der persönlichen Begegnung und verständnisvoll selbst für die, die ihre Schäflein ins Trockene brachten und den Stall gut gegen alle solche befestigt haben, die nicht so, sagen wir, flexibel gewesen. Selbst über eine Kenntnislosigkeit habe ich hinwegschauen können, für die in anderen Berufe Köpfe rollen würden, und zwar mit Recht. Stellen Sie sich eine Pilotin oder einen Piloten vor, die oder der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, aber ein Passagierflugzeug fliegt. Da gäbe es aber Proteste! Im Kunstbetrieb ist das anders; wer eine Geschichte der deutschsprachigen Literatur schreibt, muß ihre Exponenten gar nicht kennen, sondern es reicht eine persönliche Auswahl an Bekanntschaft, die sich am Kanon orientiert. Und für eine Kritik in großen Feuilletons reicht völlig der „Geschmack“; wichtiger sind Seilschaften und der Hunger nach festzementierter Meinungsbedeutung. Deshalb das Schielen, nein… -: das direkte Starren auf Quote.

Dabei war die Idee so gut. So schön, und auch witzig. Als ich das erste Kinderbuch begann, war mir klar, daß mein Autorenname dafür nicht ins Spiel kommen dürfe. Jemand, der, wie ich, derart in der Diskussion, und spätestens seit >>>> Meere einer auch sexualmoralischen, und damit auch im Streit steht, darf solche Last nicht auch das Kinderbuch beschweren lassen, besonders nicht in Phasen der Correctness-Hysterie. Zum einen führt allein schon die Nennung meines Namens unterdessen zur Abwehr, wofür es viele Gründe gibt, von denen ich ein paar auch selbst verursacht haben mag, zum anderen ist besonders der Sexualaspekt heikel, insbesondere in Verbindung mit BDSM. Nein, ANH war aus der Kinderbuchidee völlig herauszuhalten. Also mußte ein Pseudonym her. Doch nicht nur das, denn ich sollte und wollte ja auch auftreten. Das bedeutete: Ich mußte mich verkleiden, unkenntlich für Betriebler machen.
Ich wählte, um meine poetische Kontinuität zu wahren, das Pseudonym eines Goblins, nämlich den Namen Ortnit Karlssons aus meinem >>>> Wolpertinger-Roman und ließ Karlsson, um nicht nur in meine Bucher Eingeweihten eine Spur zu legen, sogar in Der Dschungel kommentieren. Die erste Überlegung zu Karlsson als meinem Alter ego findet sich ebenfalls in Der Dschungel,. >>>> dort, mit 2004 also bereits sehr früh; mit Karlsson vom Dach hat sie gar nichts zu tun. Tatsächlich ist die Figur nach David Bennents Auftritt als Puck in einer Frankfurtmainer Inszenierung von Brittens A Midsummer Night‘s Dream modelliert, sowie >>>> nach seiner Gestaltung Honeythorn Gumps in Ridley Scotts wunderbarem Film >>>> Legend, nur quasi als ein schon pubertierender, der dennoch nicht wirklich reift. Ich habe – das Leben als einen Roman betrachten -, als ich Ortnit entwarf, nicht wissen können, daß Benennt eines Tages in mein eigenes Schicksal ganz furchtbar eingreifen würde. Aber >>>> das geschah. Dennoch, ich hänge an meiner Figur und beschloß darum all dem zum Trotz, ihr nun auch ein „reales“ fiktionales Leben zu geben. Das sah dann so aus:

Diese Verkleidung probierte ich aus, jahrs zuvor, ebenfalls in Leipzig. Huschte so durch die Gänge, blieb bei Bekannten, ja Vertrauten stehen, fragte sogar dieses und jenes; nur sehr wenige erkannten mich. Verschwindend wenige. Es funktionierte, funktionierte sogar am Stand meines eigenen, des Kinderbuch-Verlages.
Die Feuerprobe kam dann zum Erscheinen des Buches. Die ganze Zugfahrt von Berlin nach Leipzig über stand Ortnit Karlsson im Bordbistro direkt neben Oliver Vogel, Cheflektor von Fischer, und Felicitas Hoppe, die ich seit Klagenfurt 1996 kenne. Irritiert sah sie mir einmal direkt in die Augen, aber verstand nicht. Irgendwie kam ich ihr bekannt vor, aber sie konnte mich nicht zuordnen.
Ich schwitzte unter meiner Perücke, schwitzte nicht nur deretwegen, sondern vor allem aus Nervosität. Wurde aber zunehmend sicher.
Am Stand meines Kinderbuchverlages schickte man mich weg. Man wollte da keinen Obdachlosen haben. Ich mußte richtiggehend insistieren, daß man meinen Lektor anrief. Ich hätte einen Termin. Was man nicht glaubte. Immerhin kam er dann und – lachte.
Was wir gebraucht hätten, dringend gebraucht hätten, wäre Rückhalt des Verlages gewesen. Seine Mitfreude daran, dieses Ding zu drehen. Aber Baumhaus war an Lübbe verkauft worden, aus Gründen, die hier nicht hingehören, auch wenn sie durchaus tragische sind –

ein Anruf.
Verzeihen Sie die Unterbrechung. Aber das Gespräch tat gut; auch die anderen Nachrichten, die mich jetzt über z.B. Facebook erreichen, tun gut. – Doch wie auch immer, 11.55 Uhr:

… -, wir hätten also Rückhalt gebraucht. Ich hätte ihn gebraucht, besser: Ortnit Karlsson hätte ihn gebraucht.
Die Romanserie um Menne, Kaiser, Rulle und Shaleh, sowie um den Wolf Frau Schneider (nur diese Kinder sehen sie aber als Wolf), war auf fünf Bücher angelegt, von denen jedes der Kinder eines schreiben sollte, sowie das fünfte der Djinn selbst. Literarisch reizte mich daran, daß ich trotz fortgesetzter Handlung immer eine andere Sprache gebraucht hätte, sie also entwicken mußte, und zwar eine, die, wiewohl Deutsch, jeweils die kulturellen Hintergründe der Kinder mitempfinden ließe: Kaiser heißt eigentlich Ramaswami Pratap und Rulle Hùng Nguyen; nur Shaleh hat keinen deutschen Spitznamen bekommen, diese junge, von schnellen Autos begeisterte Afghanin, die auch die schnellste Läuferin der Schule ist. Wie es zu den Spitznamen kam, wird im Nebenbei miterzählt, je an verschiedenen Stellen des Buches. Ebenfalls gereizt hat mich, meine Poetologie des Simultanen wie die Verwischung von Realität und Phantastik auf ein Kinderbuch zu übertragen, wobei ich bewußt mit inkorrekter Grammatik, Wiederholungen, Eingriffen der Kinder selbst in die Erzählung spiele. Usw. Ebenso halte ich mich in keiner Weise an Vorgaben der Correctness, aber so, daß dies witzvolle Frechheiten von Kindern sind – etwa, wenn sie die nicht durchweg klaren Verhältnisse ihrer Eltern beschreiben oder meinen, aus den und den Gründen auf sie, ihre Eltern, besonders aufpassen zu müssen.
Insgesamt wären die fünf Bücher wundervoll rund geworden, wäre denn alles wenigstens annähernd so gelaufen, wie mir seinerzeit, als ich mich entschied, die Geschichten anzufangen, versprochen, wenigstens zugesichert worden war. Aber ich habe einmal mehr in die, um es matschig auszudrücken, Scheiße gegriffen. Genau so stinkt es nämlich auch.

Also schrieb ich heute morgen >>>> diesen Brief.

Selbstverständlich ist es nicht dieses allein, was mich zu meiner Entscheidung brachte. Sondern, selbstverständlich, hat mich auch das zähe Ringen um das Gerichtsvollzieher-Hörstück entnervt, meine Venen bloßgelegt; ebenfalls, daß ich im letzten Jahr die FAZ verloren habe, schlichtweg, weil meine Redakteurin zurück nach Frankfurt wechselte und nun die Pauschalisten beschäftigen muß, die logischerweise Vorrang haben; schließlich werden sie bezahlt so oder so. Und mir war schon auf der Frankfurtmainer Messe letzten Jahres schockhaft klargeworden, daß ich nur immer vergeblich gegen den Filz des Literaturbetriebes anlaufen würde, daß es um Qualität gar nicht oder nur in vierter Linie geht; es zählen andere „Werte“: soziale Verträglichkeit, was bedeutet, daß man hin- und herschiebbar sein muß und lieber den Mund hält, als daß man sich gegen Unrecht weht, sowie Mainstream, die „richtige“ politische Meinung und Popnähe. Für nichts davon stehe ich. Widerstand als poetische Kategorie gilt für überkommen, vielleicht sogar für sentimental, bzw. Kitsch. Imgrunde funktioniert das nach Art der Wahlen Berlusconis oder seinerzeit Bushs: wer sich gut durchlaviert, gern auch mit nicht legalen Mitteln, wird für schlau gehalten, und schlau möchte man selber sein. Ob man dafür betrogen wird, spielt nicht mal eine Rolle.

12.25 Uhr:
Unsere Nebenstraßen, hier in Berlin, sind eine durchgezogene Eisfläche – voller gefrorener Spurrinnen aber, was es lustig macht, mit dem Fahrrad zu fahren. In einer dreiviertel Stunde werd ich das tun: zu meiner Fußpflegerin. Gepflegte Füße zu haben, ist für mich wie für die meisten Frauen, die ich kenne, wenn sie ihr Haar gewaschen haben.

15.37 Uhr:
Tatsächlich, ich kenne wenige Körpergefühle, die so angenehm sind, wie gepflegte Füße sie vermitteln. Sie helfen sogar gegen allzu schwarze Galle. Die man sowieso hätte grau nennen müssen. Aber auf sowas kommen, nehm ich an, nur Berliner.

Mein Sohn ist hier und übt Cello, das sich, aus der Kälte hergetragen, in der ofengeheizten Zimmerwärme fast umgehend verstimmte. Weil gleichzeitig die Stimmschnecken immer wieder aus dem sich erweiternden Holz drehten, war das jetzt eine kleine Aktion.
Noch warte ich auf den Dealer, daß er bei mir klingle, um das angekündigte Geld hochzubringen, so daß ich endlich die offenen Rechnungen begleichen kann. Ich fand eben, als ich so weicher Füße heimkehrte, noch immer keine Nachricht von ihm vor; normalerweise, wenn er mich nicht antrifft, hinterläßt er einen gegen unbefugte Augen streng codierten Zettel entweder unter dem öffentlichen Papierkorb, der für unerwünschte Werbenachrichten unterhalb der Briefkästen steht, oder er klippt ihn hinter die Hoftür, weil er keine Lust hat, drei Stockwerke hochzusteigen; außerdem wäre das direkt an meiner Wohnungstür zu gefährlich, weil sie das erste ist, was, nehme ich an, Gerichtsvollzieher auszuspionieren versuchen. Es gibt sogar Schabestellen im Lack, von denen ich aber, meines Seelenfriedens halber, nach wie vor anzunehmen fest gewillt bin, sie für Spuren falscher Schlüssel zu halten, die Einbrecher verwenden, bevor sie dann frustriert, weil einfach nichts zu holen war, alles wieder fast so verlassen, wie sie es vorgefunden. Selbstverständlich gehört dazu auch eine wieder wohlverschlossene Wohnungstür. Daß bei mir fünf Dielen locker sind, unter denen ich die 500 Millionen der Begum verborgen halte, hat sich als das bislang allerpfiffigste Versteck erwiesen; ich nehme mal an: wegen Jules Verne.
Ich habe noch weitere Verstecke für meine Vermögen, querdurch Berlin. Manche sind aber leider unzugänglich geworden, weil die Brachen verkauft und ohne mein rechtzeitiges Bemerken bebaut worden sind. Ich verzeichne die Orte für meine Nachkommen und -folger in meinem Testament, so daß sie alle etwas haben, sich darauf zu freuen. Sie sehen, ich kann es mir leisten, ein solcher Gegner des Urheberrecht genannten Rechtes der Vermittler und Vertriebler zu sein.

18.50 Uhr:
Was mich immer mehr beschäftigt, ist, weshalb ich zunehmend Leser in >>>> Sandåker bekomme. Die haben da eine Holzkirche, aber ich weiß nicht, ob meine Zugriffe mit ihr zusammenhängen. Jedenfalls fing es vor knapp einem Jahr mit einem dortig norwegischen Leser an, und jetzt sind es täglich schon fünf. Gibt es an diesem Fjord vielleicht ein kleines gallisch-literarisches Dorf voll Wi(e)derstand und Zaubertrank? Ist es ein Hinweis, hat man die Arme da schon ausgebreitet, mir – Vorsicht, Reim – ein Lager vorbereitet, für den bald einmal alten Eremiten? Schwebt im Fenster des sicherlich Blockhauses eine Fee für mich, mich zu geleiten – hinauf, wie es die Walküren tun, wenn einer fiel, den sie liebten?
Dennoch, Freunde, dankend, Freundinnen, sage ich ab: Es sind erst noch weitere Bücher zu schreiben. Und Gedichte. Wir, aber, und die Toten reiten schnell, heißt es travestierend im >>>> Wolpertinger.

Ich koch mir jetzt Spaghetti; dazu gibt’s, lieber >>>> Parallalie, eine >>>> Tartufata. (Ortnit Karlssons Verleger hat ihm, Ortnit, geschrieben: Jetzt habe er selbst das Erscheinen des zweiten Jungenbuches, um das der Verleger derart gekämpft, schwer gefährdet durch seine, ja, wörtlich, „Beschimpfung“ des Verlags. Auch Sprachlosigkeiten nehmen kein Ende.)

7 thoughts on “Winter ODER Die Enthüllung. Journal der fortgesetzten Melancholie, nunmehr Ortnit Karlssons auch. Dienstag, der 12. März 2013. Zur Leipziger Buchmesse.

  1. “omnia pati et perferre”, schreibt mir soeben mein >>>> Elfenbein-Verleger, “sollte dein Motto in dieser Frage sein. Es ist bestimmt nicht leicht, aber von den Herren des “Literaturbetriebs” wird schon in wenigen Jahren niemand mehr bekannt oder einflussreich sein – die Literatur und ihre Schriftsteller selbst aber schon!” Womit er die Vergessenen noch einmal vergißt und die, die sehr bewußt weggedrängt wurden. Das nach wie vor “klassische” Beispiel ist dafür Kleist, nicht nur wegen des Stabreims. Wir wissen nicht, bis heute, wie viele Kleists es in Wahrheit schon gibt. Doch wer sensibel ist, hat eine Ahnung.

  2. Lieber ANH! Mit Bestürzung habe ich aufholenderweise alle Ihre Jouranaleinträge der letzten Tage gelesen. Bitte verjagen Sie meine Beunruhigung und sagen mir, dass Sie nicht aufhören zu schreiben, sondern den Betrieb Betrieb sein lassen.

    Die Leipziger Buchmesse hat bei meinem ersten Besuch dort, im vergangenen Jahr, keinen guten Eindruck zurückgelassen. Ich hatte das Gefühl, es gehe dort zu großen Teilen nicht um die Autoren und die Literatur, sondern um eitle Typen und Tussen, die dort ihre Designer-Anzüge (und -Kostüme) vor sich hertragen. Ich fühlte mich dort unwohl. Sicherlich ist dieser Eindruck sehr subjektiv. Aber so ist das mit den Eindrücken.

    Meine Hoffnung, was den Betrieb angeht, ist folgende: Dass sich neben diesem eine Kultur entwickelt, die Literatur lebt, ohne der Eitelkeiten des Feuilletons und der Messen zu bedürfen. Ja, das hoffe ich. Keine Gegenkultur im Sinne eines direkten Kampfes (der wohl häufig produktive Energien aufzehrt), sondern im Sinne einer beständig wachsenden (Neben-)Kultur, die sich einen Dreck um den Betrieb schert, der die Kunst des öfteren wohl eher als Maske begreift, denn als Ziel.

    Mit herzlichen Grüßen —
    moritz gause

    1. Lieber Moritz Gause, ich bin selbst nicht von Eitelkeit frei, was man mir, glaube ich, auch ansieht. Schon deshalb sehe ich in der Eitelkeit kein Hindernis für die Kunst, sofern sie, die Eitelkeit, denn Grund hat. Richtwert war und ist für mich immer ein Satz >>>> Sherlock Holmes‘ gewesen, der sich, sowieso als Brite, klar darüber war, wie hoch Unterstatement eingeschätzt wird, aber damit konterte, daß er die Wahrheit vorziehe. Will sagen, wenn jemand einen solchen Grund zur Eitelkeit hat, dann gönne ich sie ihm wie mir. Das Problem entsteht, wenn Eitelkeit aufgrund von Äußerlichkeiten wie etwa Macht, in die man aus ganz sachfremden Gründen gelangt, zur reinen Pose erstarrt.
      Ich mag auch an Gegenkultur nicht glauben, sondern wir haben – jeweils – eine Kultur, in die neue Bewegungen sich einschreiben müssen, bis sie dann ihrerseits erstarren und ebenfalls von neuen Bewegungen gefolgt werden. Momentan aber, und das hängt tatsächlich mit der Wirkungsweise von Pop als dem Populären zusammen – als eben, wie ich andernorts schrieb, der Ästhetik des Kapitalismus -, überwölbt und frißt a u f das Alte das Neue; das ist ungefähr so furchtbar, wie wenn Kinder vor ihren Eltern sterben. Man bewegt sich auf ein Kontinuum hin, das Entwicklung nicht mehr zuläßt. Im Pop selbst ist das, ahne ich, ähnlich: was von ihm nicht in den Mainstream hineingefüttert werden kann, wird noch vor der Verdauung ausgeschieden. Insgesamt ist die, sagen wir, Unterhaltungsbewegung, die durchaus einmal Träger des Widerstands war, an die Macht gekommen und hält nun an ihr fest wie je eine revolutionäre Kader an ihrer Diktatur. Diese Geschichtslogik obwaltet. Sie hat sich aber globalisiert, man kommt nicht nur innerhalb des eigenen Kulturraums nicht mehr hinaus. Das läßt sich wie im Bilderbuch an Buchmessen zeigen.
      Ich könnte Ihnen jetzt, quasi aus dem Handgelenk, eine Theorie der Revolutionen herleiten, tue das aber – ja, sicherheitshalber – hier besser nicht. Lassen Sie uns das einmal bei einem Bier besprechen. Es ist nicht alles hoffnungslos, aber man reißt nicht das Hemd von der Hoffnung Brust, damit der Gegner präziser auf sie einstechen kann. Allerdings muß jemand da sein, die Flagge zu zeigen, der sich darauf verlassen muß, daß, wenn sein Arm zu schwach wird, sie zu halten, er sie an andre weitergeben kann, die jünger sind als er. Auch dafür gibt es Zeichen.
      Danke für Ihre Sätze.

  3. haltung Ich lese oft in Ihrem Arbeitsjournal . Und bin oft voller Achtung und Bewunderung für Ihre kompromißlise Haltung dem “Betrieb” gegenüber. Und doch spüre ich oft auch Mitleid: Jeder hat in seinem Umfeld Leute und Kräfte, die mißfallen, und die trotzdem toleriert werden müssen, um anderer Werte willen: Lebensunterhalt, Familie, Leben überhaupt. Kompromißlosigkeit hat Folgen, Sie wissen sie selbst.
    Lieber nicht Kleist sein, dafür nach Neapel fliegen mit Sohn und Familie.

    1. @gast. Selbstverständlich hat man in seinem Umfeld Leute, die man nicht mag und trotzdem tolerieren muß. Das hört in dem Moment aber auf, indem diese Leute Sie feindlich behandeln, bzw,. ausgrenzen. Entweder, Sie verlassen dann Ihren Bereich, oder Sie wehren sich.
      Ein nächstes ist, daß ich etwa für die Politik völlig anders argumentiere als für die Kunst. Politik braucht Kompromisse, schon der verschiedenen, teils einander ausschließenden Wertvorstellungen wegen. Für Kunst aber sind Kompromisse tödlich. Ihr Wesen ist radikal. Das heißt nicht, daß sie sich Einflüssen nicht öffnet, im Gegenteil, sie saugt sie auf, aber, eben, radikalisiert sie dann wieder.
      Wenn Sie ausgegrenzt werden (am Arbeitsplatz nennt man das “gemobbt”), können Sie gar nicht mehr nach Neapel fliegen, weil sie dafür schlichtweg kein Geld mehr haben. Sie könnten es freilich, wenn Sie den Beruf wechseln. Um genau zu sein: wenn Sie den Job wechseln. Den kann man auch wechseln, nicht aber einen Beruf.

  4. Grüße vom “Leipziger Bibliomanen”, der die Messe, obzwar so nah, nie besucht, weil er den Trubel nicht verträgt. Zudem benötige ich keinen Leseanreiz, sondern vielmehr ein Mittel, meine Lese/Wunschliste zu jäten. Ihr kürzliches Diktum vom “Auftrag, ein Buch zu lesen”, den sie verspürten, bewegt mich noch immer. Ein für mich neuer Blick und bibliomaner Topos, den ich noch durchdenken muss. Also Dank für die Aufregung!

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