Sich berappeln: wieder ein Arbeitsjournal. Sonnabend, der 16. März 2013. Mit Bemerkungen zum Tal der Wölfe.

10.21 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Zweiter Latte macchiato.

Darüber, daß es >>>> solche Arschlöcher g i b t, muß ich an sich kein weiteres Wort verlieren, vielleicht abgesehen von dem Umstand, daß es diesmal ziemlich lange gedauert hat, bis sich so eines wieder mal meldete; wahrscheinlich ist es sowieso immer dasselbe. Normalerweise habe ich es mir angewöhnt, auf solche Kommentare nicht mehr zu reagieren, sondern sie getreu eines Satzes meiner Mutter einfach wegzulöschen, demzufolge die Eiche nicht interessieren muß, wenn ein Schwein sich an ihm reibt. Aber die Eiche hat grad einen ziemlich dünnen Seelenbast, will sagen: so ganz bin ich aus der Melancholie noch nicht raus. Zäh ist sie diesmal; das schnelle Abschütteln funktioniert heuer nicht – immerhin, die Austriazismus zeigt an, daß in mir etwas erwacht ist, das schon wieder spotten mag. Außerdem ist das schlimmste, was einem passieren, kann, daß man seine Wut verliert und sich – abfindet. Der nächste „Schritt“ wäre, die Löwin drückte das am Telefon höchst treffend aus, die sexuelle Lust zu verlieren.
Meine Entscheidung, nicht auf die Leipziger Messe zu fahren, ist richtig, das fühle ich; dennoch hat sie ein bißchen was von Kapitulation. Andererseits habe ich vier Tage gewonnen, in denen ich sonst nur unverbindlich gequasselt hätte. So bleibt Zeit für viele Filme & Gedanken –

– etwa sah ich gestern endlich >>>> Das Tal der Wölfe, diesen umstrittenen, ganz sicher nationalistisch fundierten Film, der dennoch ein Lehrstück ist: nicht anders, absolut nicht anders, werden im Hollywoodkino die Feinde der USA gezeigt; besonders eindrücklich ist die Szene, in der der kapitalistisch-brutale Verbrecherboß, verbandelt mit dem Militär, zu Jesus Christus betet, einem Kruzifix an seiner Wand, nämlich um die Kraft, sein, des Unholds, „Werk“ zum Lobe des Christentums fertigzustellen – ein Werk aus Folter, Plünderung, Mord und persönlicher Macht- und Gewinnsucht. Exakt so, nur mit umgekehrten Vorzeichen, wurden und werden in nicht wenigen US-amerikanischen Kriegsfilmen Moslems dargestellt: betend zu dem Allmächtigen, ihnen die Kraft für ihr Werk zu verleihen. Und ich mußte mich an meinen Stiefvater erinnern, den alten konservativen Anwalt, der einige Zeit lang nur linke und ultralinke Zeitungen las, weil er da, so formulierte er es, erkennen könne, wo man ihn betrüge; in den Zeitungen seiner Meinungsfreunde könne er das nicht. Daß betrogen werde, auf allen Seiten,.stand für ihn, einen bekannten Völkerrechtler, völlig außer Frage.
Ich las dann die aufgeregten Kritiken zu dem Film, der schlichtweg nach Hollywood-Manier gebaut ist und in dem – darauf ging keine der von mir gelesenen Besprechungen ein – es einen strenggläubigen, an die Derwischs angelehnten Sheik gibt, der sehr deutlich eine Friedensbotschaft ausspricht und unter eigener Bedrohung jede Form des Selbstmordattentats ablehnt. Statt dessen schreibt Spiegel online von >>>> Haßgrüßen aus Ankara. Genau dafür aber, für seinen Friedenswillen, ist der Sheik den US-Militärs ein Dorn im Auge; also will der outgesourct mit den Besatzungstruppen verbandelte Unhold den Mann umbringen lassen.
Selbstverständlich laufen in diesem Film antisemitische Positionen mit, aber ebenso selbstverständlich sind es imgrunde antiisraelische, die sich aus den politischen Positionen erklären, vor allem dann, wenn es um einen angestrebten Schulterschluß zwischen Türken und Arabern geht. All das ist sehr leicht entschlüsselbar. Außerdem beruhen die inszenierten Greuel, vom westlichen Militär mit durchaus sadistischem Genuß angezettelt, auf Fakten. Das macht den Film zwar nicht besser, er ist ganz sicher so wenig ein Kunstwerk wie die Rambo-Serie; es macht ihn aber gut im Verhältnis zur Ideologie der Westmilitärs, denn der skandalierende Aufschrei in den Westmedien zeigt sich schlagend als das, was er ist: bigott. Die eine Ideologie erkennt sich im Spiegel der andren; eben das erzeugt die Entrüstung. Man darf nicht vergessen, daß beide Seiten meinen, auf der gerechten Seite zu stehen. Und unterm Strich ist diese Produktion mit ihrem 10-Millionen-Budget immer noch nichts als ein Bremsenbiß gegenüber den Hunderten von Millionen, die in moralisch und ästhetisch vergleichbare Produktionen der USA gesteckt werden.*******

Ich schlief aus, also stellte den Wecker nicht. Mein Kopf war und ist immer noch etwas dumpf: grippaler Infekt, den ich >>>> dort schon durchschaute. Man muß aufpassen, daß sich sowas nicht chronifiziert, vor allem, weil er mir ja einen Grund gibt, mein Lauftraining nicht wieder aufzunehmen. Das wäre de facto ungesund. Aber auch den Zusammenhang, eben, durchschaue ich, nehme deshalb keine Mittelchen mehr, um die, sagen wir, Erkältung zu unterdrücken. Sie muß raus und durchstanden werden, dann kann sich der Körper erholen und mit ihm, wie immer dann, die Seele. Ich bekam heute früh nämlich einen kleinen Schrecken: daß man mir, ließe ich mich weiter hängen, das ansehen würde, daß es mich verändern würde, sich einprägen in mein Gesicht, meine Haltung. Daß das auf meine Lebenslust zurückschlagen könne. Usw.
Ich habe nicht vor, das zuzulassen.
Also die Arbeit wieder aufnehmen. >>>> Das Gedicht gestern war schon der Anfang. Heute morgen, gleich nach dem Aufstehen etwa eine Stunde lang, revidierte ich es weiter. Dann schuf ich Ordnung in meinen Dschungeldateien: ganze Tage waren mit Nummern zu versehen und abzuspeichern, DTs‘e nachzutragen, Übersicht war zu gewinnen.
Wobei, daß ich den Dthyrambus nun „Dithyrambus I“ genannt habe, ganz sicher ein Einfluß >>>> Alcyones ist; wenigstens zwei weitere sollen folgen – wobei die Löwin nicht zu unrecht den „negativen“ Ton dieses Gedichtes moniert, daß es eben k e i n e Lebensfeier sei; nur ist mir zum Feiern grad wirklich nicht zumute, und was ich ausdrücken wollte, hab ich hineinbekommen. Noch, freilich, ist die Form nicht gebunden genug. Daran werde ich noch etwas sitzen.
Im übrigen: Argo. Auch hier wieder Versarbeit. Und Neapel muß gebucht werden, für das nächste Hörstück. Am liebsten wäre mir der Hochsommer mit seiner dort bulligen Hitze; aber dann bekäme ich das Stück nicht rechtzeitig fertig. Um von der Hitze zu erzählen, wird es meine Erinnerungen brauchen, davon ich freilich viele habe. Ich denk mal, ich flieg Ende Mai/Anfang Juni.

Guten Tag, meine Damen und Herren.

17.41 Uhr:
Neapel gebucht. Doch nicht erst im Juni – einfach, weil der Juni zu nah an den Sommerferien meines Jungen liegt und nicht noch gar nicht weiß, wie wir das in diesem Jahr mit dem Verreisen halten. Außerdem muß ich Geld verdienen, kann mir kein Zweimonatsloch leisten. Also werde ich vom 10. bis zum 17. April fliegen und nachts und frühmorgens vor Ort bereits schreiben; die Tage sind für die Tonaufnahmen, die ich auch immer gleich auf den Laptop überspielen und wahrscheinlich ebenfalls gleich protokollieren kann. Nur für die Montagen selbst, und für die Sprecher, brauche hier mein Studio. Jedenfalls kann das Stück dann Ende April fertigsein und abgegeben werden, so daß der gesamte Mai für das Argo-Lektorat frei ist. Ich habe im Mai noch nicht einen Termin.

Ich lese Gogolins >>>> Kinder der Bosheit. Eindrücklich. Und wunderschön D‘Annunzios Lied auf einen Bauern. In Dreyers Nachdichtung:

Es glänzt in Bart und Haaren ihm
ein wenig Stroh – die Halme
bewegen sich beim Reden.
Kein Gold im Strahl der Sonne leuchtet so.

Gli luce nella barba e ne‘ capelli
aleun filo di paglio
che il suo parlar commuove.
Al sole oro non è tanto luca.
L‘aedo senza lira.

Auch am eigenen Gedicht >>>> wird weitergearbeitet. – In einer Stunde wird mein Sohn hiersein. Männerabend.

5 thoughts on “Sich berappeln: wieder ein Arbeitsjournal. Sonnabend, der 16. März 2013. Mit Bemerkungen zum Tal der Wölfe.

  1. Lassen sie sich von solchen Wichsern nicht berühren. Liefern sie ihnen erst gar keine Fläche, worauf solches Gelaber sich projizieren könnte. Sie bewegen doch ganz woanders. Und weil diese Bewegung meistens von ihnen wegführt (aus ihrem Kontext fort), sehen sie oft nicht, wo sie wunderbares leisten und berührt haben und beschenkt.

    Ich wäre ohne diesen Blog ärmer. Ich wäre ohne ihre Literatur ärmer. Ich wäre theoretisch nicht da, wo ich bin. Poetologisch nicht. Ästhetisch nicht. Menschlich nicht.

    Es scheint für manche Wichser unmöglich zu begreifen, wie schwer es ist zu schreiben.

    1. @Benjamin. Erst einmal, danke.
      Dann aber:

      Lassen Sie sich nicht berühren.
      Berührt werden zu können, ist eine der Grundlagen meiner Arbeit, und empathisch Gefühltes in Text zu überführen; man kann sich dann nicht aussuchen, dummerweise, von was man berührt wird. Man kann Farben sehen, oder man ist farbenblind, man kann bestimmte Frequenzen hören oder nicht. Dabei ist kein freier Wille im Spiel.
      Liefern Sie Ihnen erst gar keine Fläche.
      Imgrunde gilt hier dasselbe, aber als Folge, eben weil meine Arbeit, zumal so radikal, eine öffentliche ist.

      Die Alternative wäre, sich zurückzuziehen. Diese Wahl, wahrscheinlich, haben wir. Ich habe mich aber gegen sie entschieden. (Künstler, die sich zurückziehen, müssen, wenn ihre Arbeit leben soll, entweder schon berühmt sein oder andere Menschen haben, die sich um die Bekanntheit kümmern; die müssen das aber auch können, d.h. ihrerseits anerkannte Bedeutung haben. In meinem Fall wie in den Fällen vieler anderer Künstler ist diese Voraussetung nicht gegeben. Also steht die Option des Zurückzugs nicht offen.)

      Ich glaube nicht, daß es schwieriger ist zu schreiben, also gut, gar vortrefflich zu schreiben, als ein sehr guter Arzt zu sein oder Physiker oder Landwirt. Es kommt nur in anderen Berufen vor allem auf Leistung an und Können, in der Wahrnehmung der Künste aber auf Beziehungen, Anpassung bis Servilität, auch in den Mainstream und seine on ne fait pas‘, bisweilen auf das “richtige” Parteibuch, auf die bereite Anerkenntnis der vorgegebenen Betriebsstrukturen und ihrer Autoritäten usw.; kurz, die Durchsetzung eines Kunstwerks hat mit dem Kunstwerk selbst meist ziemlich wenig zu tun; daß es wirklich gut ist, ist allenfalls kein Hindernis.

      Ihr Zuspruch, eben darum, tut mir gut; auch, daß ich merke, es werden langsam immer mehr, gerade auch unter den “Jungen”, die verstehen und verstehen wollen, für und um was ich kämpfe. Daß mir dabei auch manches danebengeht, ist eigentlich fast notwendig. Dennoch macht es mir knirschende Zähne.

    2. Ohne die Art von Offenheit, … … die wir für unsere Arbeit brauchen, wären wir zwar nicht verletzlich. Aber wer wären wir dann, wenn wir nicht in dieser Weise verletzlich wären? Und selbst, wenn da ein Notausgang offenstände, lieber ANH, das wollten wir doch gar nicht sein.

      Also, alles okay, machmal wird man halt so niedergeschlagen, dass man etwas länger braucht, um wieder aufzustehen. Aber wir stehen wieder auf! Wir fangen nochmals an. Ich umarme Sie! PHG

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