Emails also erreichten mich nicht, sondern erst wieder, als >>>> der Freund uns vom Fährhafen San Stefano abholte und wir mit vollgestopftestem Wagen diagonal hinauf durchs Land nach Triest fuhren, oberhalb dessen wir im Karst, sehr nahe dem Obelisken, unser Zeltquartier aufschlugen. Ein mächtig weiter Blick über die gesamte Bucht von Triest, über die Stadt selbst bis weit nach Kroatien hinein.
Über Mauern >>>> wollt‘ ich schreiben. Gedichte. Hab ich a u c h nicht gemacht. Hab noch nicht mal die letzte Fassung der Argo-Fahnen durchgesehen, allerdings ein paar Tonaufnahmen mitgebracht, besonders eine vom nächtlichen Meer an den Küsten dieser einen Perle aus der Venus, die dort aus dem Meer stieg, gerissenem Geschmeide. Im übrigen ließ sie, Venus, mich aber… ich bin zu schreiben fast versucht, „in Frieden“: Da war so keinerlei Drang. Dabei g a b es Körper, schöne, schon. Aber ich genoß sie in – und empfand da Kants Formulierung – „interesselosem Wohlgefallen“. Ich hatte auch nicht den Drang, irgend etwas zu notieren. Dennoch schrieb ich. Aber nur für mich. In meinem Kopf. Die Mauergedichte.
Der tägliche Sport. Der >>>> Campari-Soda zum Spätnachmittag nach den Tauchgängen. Abends am Zeltplatz zu kochen, auf drei Kochern; einmal bereitete ich mir Cozze, den Jungs Spaghetti al ragù, einmal Mezzancolle, alles beruhigt in fließenden Bewegungen. Nachts der Grappa, an der Bar eingeschenkt und an der Brüstung getrunken. Dann sann ich über das Sterbebuch nach… und, ja, entsinne mich jetzt eines Gedankens, den ich in der Tat dort vor mich hinrhythmisierte: hier, an dieser Küste mit ihrem Graubraun, Grün, dem Blau und diesen Blicken, falle es einem schwer zu sterben. Niemand nähme gerne Abschied von dort. Nur leise pochte in mir die Mahnung, daß es doch noch die Oper gebe, die Musik allgemein, und die Kunst, ob nun Bild, ob Wort. All dies war entfernt, entfernt wie die Frauen, entfernt wie der Sex; erst jetzt, kaum in Berlin zurück, geht das wieder triebhaft los.
Noch bin ich nicht ganz da. Dabei ist mächtig zu tun. Zwei Aufträgen kamen herein, der eine neu, den anderen hatte ich schlichtweg vergessen. Denn da standen wir, wir selbst, mitten darauf:
Ansonsten ist Triest keine Stadt, zu der es mich zurückzieht. Aber der herbe Karst sagt mir zu, und ich verspürte eine Lockung durch den Balkan, den ich noch überhaupt nicht kenne, von dem ich aber eine Ahnung empfand, erstmals, sinnlich, spürend:
Letztes Treffen mit dem Argo->>>> Verleger am kommenden Montag morgen, bevor der Roman wirklich in den Druck geht. Und zu >>>> „Schöne Literatur muß grausam sein“ ist eine eigentlich feine >>>> Rezension bei Literaturkritik.de erschienen, die aber den etwas peinlichen Nachteil hat, daß ihre Autorin Argos Titel falschschreibt und sie sich zwar auf Die Dschungel bezieht, aber dennoch nicht mitbekommen hat, daß der Roman nun tatsächlich erscheinen wird. Das sind so Nachlässigkeiten, die mir bei aller Freude über die Besprechung lange Zehennägel machen. Und ausgerechnet >>>> die „Junge Freiheit“ schreibt mich an, persönlich, um mir einen Artikel über Joachim von Ribbentrop ans Herz zu legen, „wenngleich es nicht Ihre Familienlinie ist“ – Teufel, was denken sich solche Leute? Es ist nicht nur nicht meine Familienlinie… – Haben die nie eine Zeile von mir gelesen? Und dann beklagt sich der Redakteur noch, daß man ihm „aus politischen Gründen“ in einer Kneipe des Prenzlauer Berges Hausverbot erteilt habe. Es gibt doch gar keine anderen Gründe als eben politische, die so etwas rechtfertigen könnten. Und allen Ernstes klagt er gegenüber m i r über Albträume, die ihn seither verfolgten, anstelle daß er begreift, daß es die rechtslastige Zeitung selbst ist, die ihm seiner Schlafnot Grund sein sollte – und seine, offenbar, Idee, daß sich rechtsnationale Gesinnung über Namen vererbe. Nein und nochmals nein! Ich bin in manchen Positionen konservativ, in künstlerischen Positionen, ja, aber ich bin gegen Nationalismus und für – extrem für – Vermischung der Völker und Kulturen. Geht das in diese Köpfe nicht rein? Und, wahrscheinlich das wichtigste, ich halte Deutschland für einen Kultur- und nicht für einen Nationalraum; als solcher ist „Deutschland“ ein pur administrativer, also allein verwaltungstechnisch sinnvoller Begriff. Manchmal packt mich der Ekel.
Schon bin ich wieder kampfbereit. Aber möchte in Ruhe meine Musik hören jetzt und ein bißchen an den Gedichten basteln. Und um die Steuerschuld muß ich mich kümmern; in einer Woche hat das erledigt zu sein.
Guten Morgen:
[Beethoven, Vierte (Norrington nach morgens Konwitschny).]
>>>> Das da wollte ich Ihnen auf gar keinen Fall vorenthalten und habe das Bild deshalb zurechtprogrammiert, während ich – nach anderthalb Stunden Krafttraining, sowie nach Rasur und Dusche – noch einmal die Beethoven-Aufnahmen von VI, IV, VII und VIII höre; morgens waren es Franz Konwitschnys DDR-Einspielungen mit dem Leipziger Gewandhausorchester, jetzt sind es – auch sie von Vinyl – die extrem ruppigen unter Roger Norrington mit den London Classical Players: da geht einem die Gänsehaut durch die Knochen und man will unmittelbar mitdirigieren – mitsingen, ähm, brummgrölen tu ich sowieso. Nix auf Glätte und Wohlgefallen Gestriegeltes. Allein die Pauken – Göttin! Noch aber bin ich nicht an das Mauergedicht gekommen, sondern habe die Fahnen des Argo-Umschlags redigiert und vor allem biografische Angaben gestrichen. Es kann Lesern doch wirklich wurscht sein, was ich und daß ich überhaupt studiert habe, und die permanente Erwähnung meiner Brokerzeit geht mir erst recht auf die Nerven. Am liebsten hätte ich jetzt sowas erfunden wie damals für eine Anthologie, in der ich angab, ich sei Mädchenhändler gewesen und handelte nach mehreren Gefängnisaufenthalten im Auftrag der Bundesregierung mit Waffen – aber ich bin mir nicht sicher, ob mein Verleger den Witz mögen würde; vor allem hat mir seinerzeit der „Mädchenhändler“ eine Ausladung zu einem berühmten Literaturfestival eingetragen: mit so jemand unmoralischem wolle man sich nicht umgeben; ein Mädchenhändler sei den Hörern nicht zumutbar. War ’ne teure Ausladung, sehr teuer sogar, aber irgendwie war ich auch stolz, daß alle sofort in diese Pütze nicht nur tappten, sondern fielen – mal abgesehen davon, daß es einen gegeben hat, der den Namen Rimbaud trug. O über die Cleanness! Laßt mich Beethoven weiterhören, bitte, und geht mir aus der Sonne! Vielleicht schaff ich das Gedicht dann noch.
Da sind Sie ja endlich wieder, back home sozusagen – die Prenzlauer Berge sind ohne Sie allzu mattfarben. Die Sahara- und nachfolgende Tropenhitze haben Sie allerdings verpaßt, aber es kommt ja noch eine, während Sie in die z. B. dort geführte Diskussion um die Grundrechtsverletzungen durch die NSA und wen sonst noch einsteigen können http://taintedtalents.twoday.net/stories/flapflap/comments/444876412/ , denn daß Sie kampfbereit sind, bedurfte durchaus nicht der Erwähnung!
Sie haben mich übrigens auf den Broch und seinen Vergil gebracht, das Buch ist schon bestellt und wird sofort gelesen, wenn ich Schirmbecks ÄRGERT DICH DEIN RECHTES AUGE, das ich allerdings schon länger auf dem Schirm hatte, beendet habe – ein Drittel habe ich gelesen, was für ein, das kann ich jetzt schon sagen, herausragendes Werk das ist!
http://www.aig-hilbinger.de/22522699190a07002/22522699190a32214/22522699190a45622.html
@Schlinkert zu Schirmbeck. Ich weiß. Schirmbecks Witwe hat mich – über Facebook! – angeschrieben und gefragt, ob ich nicht zu seinem 100. etwas schreiben möge – was ich sehr sehr gerne tun werde. Vor Jahren, bald zweieinhalb Jahrzehnten, habe ich ein Hörstück über ihn schreiben wollen – aber er war damals schon sehr schwierig, verbittert, kann man sagen, so daß ich das Unternehmen aufgab, weil ich bei ihm dauernd in seine inneren Fettnäpfchen trat..
Dann wäre es natürlich schön, über den Beitrag zu Schirmbecks 100sten hinaus die Sache mit dem Hörstück noch einmal aufzunehmen, denn Material gibt es ja sicher reichlich, mal ganz abgesehen von der tatsächlichen Aktualität des Romans.
@Schlinkert zu Schirmbeck (2). Ein Schirmbeck-Hörstück zu seinem 100. habe ich selbstverständlich bereits initiiert; bis zum Februar 1915 ist es aber noch zu weit hin, als daß mir die Redakteurin bereits zusagen konnte. Interesse aber besteht.
Übrigens finde ich Schirmbecks eigentliche poetische Größe in seinen Novellen; es gibt im deutschen Sprachraum nichts mir Bekanntes, das mit ihnen wirklich vergleichbar wäre.
Bis zum Februar 1915 ist es wirklich ein ziemliches Stück, was auch nur mit einer Zeitmaschine zu bewältigen ist! Davon abgesehen: ich bin gespannt und hoffe, es klappt mit dem Hörstück! Die Novellen (wenn Sie damit die sog. „Meistererzählungen“ meinen) habe ich übrigens auch in meinem Bücherregal zu stehen, auch da freue ich mich drauf.