DAS LETZTE ERWACHEN VERGILS oder INNAMELIAS DRITTER TAG. Das Reisejournal des Sonnabends, dem 13. Juli 2013.

… des Menschen Seele war abgestorben zu tiefster
Erinnerungslosigkeit, aber die Sprache seiner Seele
lebte und hatte Bestand in der singenden Klarheit
ihrer Form.


Broch, Der Tod des Vergil, S. 188.

Der Dichter hat eine schwere Nacht hinter sich, voller Visionen, Angstzustände, Schuldzustände, die ihn anklagen, am Leben nicht teilgenommen, sondern etwas gesucht zu haben, in der poetischen Distanz, von dem es ihm sagt, es sei ein Eidbruch; es klagt die Schönheitssuche an und die Schönheitsverherrlichung, weil sie das Erzeugte zum Erzeugenden mache – früher Vorreflex von Signifikat und Signifikant, dabei bereits der jüdischen Messias in den kommenden Christus gedreht. Immer wieder quasi-kabbalistische Meditationen über den Namen, eben, den Namen; bisweilen, für mich, ein wenig zu viel „Ur“- und „Ur-ur“-Espressionismus, aber ein Pathos doch wohl, das sich einem Sterbenden schlecht verweigern läßt, ebenso wenig wie, und gerade dem Vergil, die Idealisierung des Landlebens, der Bäuerin und des Bauern; ein seltsamer Vorausklang vom Verrat an seiner – im marxschen Sinn – Klasse schwingt hier mit; Horaz, denkt es in ihm – bereits am Morgen, da die Freunde Lucius und Plotius gekommen – – Horaz habe immerhin gekämpft, „der hatte sich selber zum Opfer angeboten für Roms Wirklichkeit“, und „Äschylos kämpfte als Hoplit bei Marathon und Salamis“, hingegen er, er selbst, „Publius Vergilius Maro, hatte für nichts gekämpft“. So will er nun seine noch nicht abgeschlossene Aeneis verbrennen – worauf der bäurische Plotius piffig einwendet, etwas noch nicht Fertiges zu verbrennen, sei eh müßig: er, Vergilius, müsse erst vollenden, was er dann verbrennen könne.
Es ist die letzte Nacht Vergils und sein letztes Erwachen. So naheliegend es Ihnen auch erscheinen mag, so überrascht war ich doch, als mir während der Lektüre mit einem Male, das anfangs ganz latent war, die Gedanken zum „Traumschiff“ stiegen, dem Sterbebuch, das vor mir liegt; Gedanken, die ich absichern muß, zu denen ich mit einem Freund sprechen muß, weil der, setz ich sie um, betroffen wäre – eingebunden, mit eingebunden: auf eine seltsame Weise halte ich mich i m m e r an Vergils, bzw, seines es‘ Todes-Postulat, daß es Erde sein müsse, was der Dichter sich durch die Finger lasse – d u r c h den und vorher i n den Geist -, bevor er mit Recht zu schreiben beginne; alles andere sei Verrat: der genannte Eidbruch eben: „… wer einen Vers als solchen lobt, ohne sich um die vom Vers gemeinte Wirklichkeit zu kümmern, der verwechselt das Erzeugende mit dem Erzeugten, der macht sich, ob bewußt, ob unbewußt, des wirklichkeitsleugnenden, wirklichkeitsvernichtenden Eidbruchs schuldig, wird zum Komplizen aller Eidbrüchigen.“ Fast bin ich darüber erstaunt, wie sehr ich auf einen Moralisten höre.

Dafür ließ ich die Moral meiner Arbeit nicht nur gestern abend sausen, als wir, der Freund und ich, noch nachts einen Gang durch die Stadt machten, die älter sei, viel älter, als Rom. Ich dachte über Lysanias nach, weil ich begriffen hatte, daß er, der Knabe, für Vergil ein ebensolcher >>>> Psychopompos war wie Tacio bei Thomas Mann für Aschenbach; daß es ein Knabe ist in beiden Fällen, mag Manns Begeisterung für Brochs Roman miterklären; Vergil allerdings, wiewohl durch eine pädophile Gesellschaft geprägt, wehrt die Vereinigung ab, die der Knabe ihm ganz offensichtlich und in aller, soweit man das sagen kann, Unschuld anbietet. Was für Thomas Mann längst Gegenstand der Verdrängung sein mußte, wäre für Vergil Gemeinsinn gewesen – eine allgemeine Lust & Nähe. Aber er formuliert bereits, bei Broch, eine Liebe als Demut und Ergebenheit im Erwarten. Schon streicht sich jeder Anspruch durch und will sich vergessen –

14.06 Uhr:
[Amelia, Eßtisch in der Sala cardinale.]
So las ich von sieben Uhr morgens bis gegen zehn. Dann mochte ich mich pflegen, hatte meinem Sohn vorher noch seinen Latte macchiato ans Bett gebracht, den er aber in meinem Beisein, derweil sein Freund noch schlief, auf den drei Stufen zur Wohnung am Cortile trinken wollte. Wir plauderten fast so dabei, wie gestern nacht Freund H. und ich bei Walda, unten im Ort, wo wir zwei Grappe nahmen. „Ich weiß schon, weshalb ich hierbin“, sagte der Freund, als wir wieder über >>>> Wände sprachen, und über Straßenbelag, und über halb zerfallene Türen, mithin über die geheimnisvollen Landschaften, die einem jede Ecke hier ist, jeder Eingang, jedes Fenster, jeder Dachsparren, jede Treppe, ja jeder Stein am Weg. Daß nicht immer gleich gerodet wird, was einfach von sich aus wächst, was keinem Plan, der der Mensch entworfen, folgt, sondern sich selbst setzt und behauptet und gelassen wird. Stärker, o so stark mein Verlangen, ebenfalls in den Süden zu ziehen, „aber es ist, seltsam, in Italien stärker als anderswo, und stärker, je tiefer im Süden; in Spanien habe ich das nicht, nicht derart empfunden, auch nicht in Nordafrika, auch in Indien nicht. Ich weiß, was sich einwenden läßt: daß ich einer Tradition folge, einer sehr deutschen. Aber nun je: gehör ich da nicht auch hin? Und ich folge nicht, sondern fühle es ja; die vermeintlichen Vorbilder las ich erst später.“ Was nicht ganz stimmt. Ich denke an Albano (daß er so hieß!, Jahre später erst realisierte ich das – ein bis dahin Vergessenes)… Albano also, auf den Borromeischen Inseln. Als er dem Vater begegnet, der in Starre verfallen.
Ich las und las. Und um elf ging es ins Kloster hinunter, in dessen Kreuzgang ein kleiner Wochenmarkt für Lebensmittel; dort kauften wir ein; ich vorher noch weißes grobporiges Brot, das ich liebe, in der Panetteria fuorilemure. Ein Buffet ward aufgebaut; die Verkäufer:innen boten frei ihre Erzeugnisse für ihre Kundschaft an: Prosciutto und Pane, Oliven, verschiedene Salate, Couscous aus Hirse und mit Hirtenkäse, eingelegte getrocknete Tomaten, verschiedene Stücke Pizze, geschälte riesige Feigen, Wein und Wasser und ein hinreißender, der beste, den ich je nahm, Limoncello mit Bergamotte. Dazu spielte ein junger Mann, der in seiner Freizeit Geigen baut, Geige.

Einigermaßen schwerfüßig stieg ich dann neben dem Freund wieder auf, hoch zu seiner Kardinalswohnung, wohin sich die beiden Jungs, pappsatt auch sie von der Pizza des Morgens, zurückgezogen hatten und an ihren Füßen den Schmutz kultivierten; dies hier die meines Sohnes:

>>>> Parallalie, der noch arbeiten muß, setzte sofort den Caffè auf, und auch ich entschied mich, etwas zu tun, nämlich dieses hier zu schreiben, damit ein Schriftsteller jemand bleibt, der am Tag mindestens einen Satz, der eigen ist, schreibt. Und dazu, zu den Bildern aus dem amerinischen Kloster, simultan aus Paris ein >>>> Bild bei TT.

Jetzt will ich, in der Sonne, weiterlesen; heute abend aber – es wird Spanferkel geben, dazu Rosmarinkartoffeln – müssen wir endlich an den Giacomo Joyce: Liebe meinen Regenschirm. Und aber

Blut sah er vor sich, Blut schmeckte er in seinem Munde, ein rasselndes Seufzen entrang sich seiner Brust, rasselte durch die Kehle, und er mußte den Kopf in die Kissen zurücksinken lassen.
Broch, Der Tod des Vergil, S. 234.
Und aber: Sonne.

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