„Deshalb hören die Menschen kitschige Musik:
Sie kommen in ihr bei sich selbst an.“
Sie kommen in ihr bei sich selbst an.“
Deshalb soll auch die Kunst nicht komplex sein, denn Komplexion ruft Vorbehalte auf. Statt dessen soll auch sie den Vorschein genau des Unmittelbaren vermitteln, als das man sich wünscht, es selbst zu sein. Wie ein Kind, das seinem Nachtlied zuhört und einschläft, weil es vertraut. Dem Komplizierten vertrauen wir nicht. Deshalb lieben wir den Kitsch. Tatsächlich erscheint er so fraglos, daß wir den Gedanken nicht mehr haben, es stehe etwas hinter ihm: daß wir Gedanken nicht mehr haben. Gedanken trennen uns. Hingegen Kitsch schafft Einheit, auch einer/eines jeden mit sich selbst. Er spricht das kleine Kind an, das wir einmal waren und in uns lebenslang erhalten: wie wenn wir zu Bett gehen. Die Decke ist uns Uterus, jedes Einschlafen ein Akt des fötalen Vertrauens. Darum ist niemals Kitsch erwachsen.
Dies ließ sich und läßt sich mit Recht kritisieren, nicht aber das Recht des Kitschs. Denn ohne das Vertrauen ist nichts als ständig scharfe Wachsamkeit und daraus, schließlich, weil sie an allem nagt, wird Psychose. Die Moderne in der Kunst vergaß, daß Krankheit nicht befreit, sondern uns zerstört, ja einige Kunst leugnete das, ideologisierte die Krankheit. Sie maß ihren Wert nicht an der Menschenhoffnung, sondern an einer Realität, die in beiderlei Wortsinn versagte. Um ihr sich zu versagen, wurde sie abstrakt: ein Akt des Widerstands, der sich ins Erdlose verlor und darum elitär ward: Kunst für solche, denen die Distanz für alles gilt, deren eine Ausprägung die Ironie, deren andere das allein intellektuelle Erfassen ist und damit, gelingt es, ein Bewußtsein von Macht, wo man ohnmächtig, im Realen, aber bleibt. Insofern ist das abstrakte Elitäre dem unabstrakten Kitsch sehr ähnlich, ja ihm geradezu gleich; es hat nur sehr viel weniger Vertraute. Daraus rechnete man sich seinen besonderen Wert hoch, wie in Mysterien Eingeweihte und gleichsam, sie vor zu weltlichen Blicken zu schützen, priesterlich Befohlene. Also verlor diese Kunst den Kontakt zur Allgemeinheit – einer Menschheit, zu deren Befreiung sie doch angetreten war. Gerade das schob dem Kitsch die Massen immer weiter zu; die Kunst gab rein selbst den Einfluß auf sie auf: indem man den Uterus aufgab, dem wir entstammen und in den wir allnächtlich alle zurückkehren und zurückkehren müssen, wenn wir nicht krankwerden wollen. Genau deshalb hat, zum Beispiel, >>>> Allan Pettersson die Neue Musik unmenschlich genannt, und deshalb sind Künstler von Bedeutung zum Kitsch zurückgekehrt oder haben ihn nie ganz verlassen. Er muß in ihrem Werk enthalten sein – nicht ausschließlich, denn das wäre ein nächster Verrat, einer, der nun wieder den Regreß über unsre Reife setzt, doch als ein Nukleus zumindest, aus dem Ergreifung steigen kann. Das ist kein intellektueller, nämlich trennender, sondern ein empathischer Akt: Begeisterung und Mitgefühl. Die künstlerische Anstrengung muß deren Möglichkeit nicht nur bewahren, darf sie nicht nur, schützend, im >>>> Negativen bergen, sondern muß sie auch freiwerden lassen bisweilen: Nur dann wahrt Kunst ihr altes Recht.
Nur dann die Komplexion aber auch. Der ist zugleich die Treue zu halten. Kunstanstrengung heute bedeutet, Kitsch und Komplexion auszubalancieren: sowohl den Weg in die Herzen zu nehmen als auch das Herz in den Kopf zu heben. Das eben kann und will der Kisch nicht leisten und darf es, soll er „funktionieren“, nicht; wohl aber die Kunst. Nur dann, wenn sie das annimmt, ist sie nicht länger unverbindliches, „unterhaltendes“ Spiel, sondern an der Existenz. Sie hat den Widerstand mit der Erfüllung zu vermitteln, beides ineinanderzuflechten. Das gilt für die Musiken wie für die Literatur, der, ganz besonders, nichts so schadhaft war wie das Pathosverbot, deren böseste Doktrin die der Ironie ist: Uneigentlichkeit, wo wir doch lieben wollen, eigentlich. Ohne Liebe werden wir zu Replikanten der zweckorientierten Ökonomie, die wiederum den Kitsch, den sie ja deshalb produzieren läßt und global mit ungeheurem Umsatz verrtreibt, gegen die Kunst in Bewegung gesetzt hat: das Entertainment anstelle des kathartischen Erlebens. Nur mit Ergreifung ist dem beizukommen, mit >>>> Ergriffenheit und -sein. Das darf dem Kitsch nicht überlassen bleiben, oder die Kunst streicht sich selbst durch. Geht es ihr aber alleine um das, streicht sie sich auch durch.
Wir lieben so den Kitsch, weil er uns bei uns ankommen läßt: uns wiederfinden, das Heil wieder finden, in dem wir, erinnern wir uns, einst geschwommen sind: Fruchtwasser. Rührung als inniger Ausdruck des Herzens ist niemals lächerlich, auch dann nicht, wenn sie durchschaubar erzeugt wird, und jedes Happyend das Licht einer Hoffnung, die alle Menschen teilen, solang sie gesund sind, einer zudem, die uns, quer durch sämtliche Kulturen, eint. Dies ist mit der Komplexion zu verschmelzen: den ständigen Trennungen, die uns geschehen, dem ständig neuen Unvertrauten, den einfachen Trieben und den ihnen und einander widersprechenden Moralen, und mit den Lebensentwürfen der eigenen Willen, seien sie nun frei oder nicht. Kunst sucht dafür die Form, oder sie ist es, Kunst, nicht mehr.
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Dies ließ sich und läßt sich mit Recht kritisieren, nicht aber das Recht des Kitschs. Denn ohne das Vertrauen ist nichts als ständig scharfe Wachsamkeit und daraus, schließlich, weil sie an allem nagt, wird Psychose. Die Moderne in der Kunst vergaß, daß Krankheit nicht befreit, sondern uns zerstört, ja einige Kunst leugnete das, ideologisierte die Krankheit. Sie maß ihren Wert nicht an der Menschenhoffnung, sondern an einer Realität, die in beiderlei Wortsinn versagte. Um ihr sich zu versagen, wurde sie abstrakt: ein Akt des Widerstands, der sich ins Erdlose verlor und darum elitär ward: Kunst für solche, denen die Distanz für alles gilt, deren eine Ausprägung die Ironie, deren andere das allein intellektuelle Erfassen ist und damit, gelingt es, ein Bewußtsein von Macht, wo man ohnmächtig, im Realen, aber bleibt. Insofern ist das abstrakte Elitäre dem unabstrakten Kitsch sehr ähnlich, ja ihm geradezu gleich; es hat nur sehr viel weniger Vertraute. Daraus rechnete man sich seinen besonderen Wert hoch, wie in Mysterien Eingeweihte und gleichsam, sie vor zu weltlichen Blicken zu schützen, priesterlich Befohlene. Also verlor diese Kunst den Kontakt zur Allgemeinheit – einer Menschheit, zu deren Befreiung sie doch angetreten war. Gerade das schob dem Kitsch die Massen immer weiter zu; die Kunst gab rein selbst den Einfluß auf sie auf: indem man den Uterus aufgab, dem wir entstammen und in den wir allnächtlich alle zurückkehren und zurückkehren müssen, wenn wir nicht krankwerden wollen. Genau deshalb hat, zum Beispiel, >>>> Allan Pettersson die Neue Musik unmenschlich genannt, und deshalb sind Künstler von Bedeutung zum Kitsch zurückgekehrt oder haben ihn nie ganz verlassen. Er muß in ihrem Werk enthalten sein – nicht ausschließlich, denn das wäre ein nächster Verrat, einer, der nun wieder den Regreß über unsre Reife setzt, doch als ein Nukleus zumindest, aus dem Ergreifung steigen kann. Das ist kein intellektueller, nämlich trennender, sondern ein empathischer Akt: Begeisterung und Mitgefühl. Die künstlerische Anstrengung muß deren Möglichkeit nicht nur bewahren, darf sie nicht nur, schützend, im >>>> Negativen bergen, sondern muß sie auch freiwerden lassen bisweilen: Nur dann wahrt Kunst ihr altes Recht.
Nur dann die Komplexion aber auch. Der ist zugleich die Treue zu halten. Kunstanstrengung heute bedeutet, Kitsch und Komplexion auszubalancieren: sowohl den Weg in die Herzen zu nehmen als auch das Herz in den Kopf zu heben. Das eben kann und will der Kisch nicht leisten und darf es, soll er „funktionieren“, nicht; wohl aber die Kunst. Nur dann, wenn sie das annimmt, ist sie nicht länger unverbindliches, „unterhaltendes“ Spiel, sondern an der Existenz. Sie hat den Widerstand mit der Erfüllung zu vermitteln, beides ineinanderzuflechten. Das gilt für die Musiken wie für die Literatur, der, ganz besonders, nichts so schadhaft war wie das Pathosverbot, deren böseste Doktrin die der Ironie ist: Uneigentlichkeit, wo wir doch lieben wollen, eigentlich. Ohne Liebe werden wir zu Replikanten der zweckorientierten Ökonomie, die wiederum den Kitsch, den sie ja deshalb produzieren läßt und global mit ungeheurem Umsatz verrtreibt, gegen die Kunst in Bewegung gesetzt hat: das Entertainment anstelle des kathartischen Erlebens. Nur mit Ergreifung ist dem beizukommen, mit >>>> Ergriffenheit und -sein. Das darf dem Kitsch nicht überlassen bleiben, oder die Kunst streicht sich selbst durch. Geht es ihr aber alleine um das, streicht sie sich auch durch.
Wir lieben so den Kitsch, weil er uns bei uns ankommen läßt: uns wiederfinden, das Heil wieder finden, in dem wir, erinnern wir uns, einst geschwommen sind: Fruchtwasser. Rührung als inniger Ausdruck des Herzens ist niemals lächerlich, auch dann nicht, wenn sie durchschaubar erzeugt wird, und jedes Happyend das Licht einer Hoffnung, die alle Menschen teilen, solang sie gesund sind, einer zudem, die uns, quer durch sämtliche Kulturen, eint. Dies ist mit der Komplexion zu verschmelzen: den ständigen Trennungen, die uns geschehen, dem ständig neuen Unvertrauten, den einfachen Trieben und den ihnen und einander widersprechenden Moralen, und mit den Lebensentwürfen der eigenen Willen, seien sie nun frei oder nicht. Kunst sucht dafür die Form, oder sie ist es, Kunst, nicht mehr.
[Poetologie.]
. (Diesen Text lese ich auch noch einmal als einen Kommentar zur Debatte um „Melancholia“ in diesem Blog. Er nennt exakt die Gründe, derentwegen ich diesen Film für so missglückt hielt.)
@MelsuineB. (Eigentlich schade, daß der Punkt jetzt nicht mehr alleinsteht.
Aber Ihre Erinnerung ist richtig; hier, für neue Leser:innen oder solche, die sich nicht mehr erinnern, >>>> der Link auf meine seinerzeitige Besprechung und die danach schäumende Diskussion. Selbstverständlich hängt meine Überlegung u.a. auch mit meinem gestrigen >>>> Notat zu Sibelius‘ Siebter zusammen – einer Musik, die mir schon früh eingelöst zu haben scheint, was ich mittlerweise fühle und denke, nach besonders auch meinen eigenen Irrungen und Wirrungen.)
…und es zeigt mir einmal mehr, wie windschief die Kitsch-Argumentation steht, mit wie viel Mutwillen in ein fragwürdiges Schema gepresst werden soll und wie unfruchtbar es dabei größtenteils bleibt.
– Nicht dass ich nicht mit der Emphase der Empathie zu der Sie sich aufschwingen sympathisieren wollte, mit der Größe der Kunst, die Sie heraufschimmern lassen, aber vielleicht lassen Sie sich ja von Max Goldt eher überzeugen:
„Während wir nun unser erdbebenopfergemäßes Gepäck auf dem Weg zum Fahrstuhl durch den künstlichen Urwald trugen, der damit er weniger künstlich wirkt, mit künstlichen Gewächshausdüften aromatisiert wird, begann ich zu bezweifeln, ob ich es durchstehen würde, diesem überkandidelten Ort wie geplant ‚europäisch‘, d.h. belustigt, aber mit dem Bewußtsein kultureller Superiotät zu begegnen. Und richtig: Ich fand alles äußert angenehm. Froh war ich auch, daß es meiner klugen, einst Angetrauten in keinem Moment einfiel, das Wort Kitsch zu verwenden. Ich schätze diese Allerwelts-Totschlagvokabel nicht, auch dann nicht, wenn modisch geredet wird, etwas sei ‚herrlich kitschig‘. In keinem Lexikon fand ich je eine mir einleuchtende Definition von Kitsch. Ganz gleich, ob man entbehrlich scheinenden Gefühlsausdünstugen, Darstellungen von Volksfrömmigkeit, verheulten Schilderungen gesellschaflticher Ungerechtikkeit, ungezähmter Freude am Ornament, naivem Weltverschönererdrang, Verwendung von Mustern aus der Pflanzenwelt in der bildenden Kunst, eklektizistischem Eifer, einem Mißverhältnis zwischen Form und Inhalt oder zwischen Ambition und Resultat begegnet – stets wird hastig Kitsch gebellt, statt die aufgezählten, doch sehr unterschiedlichen Erscheinungen präzise zu nennen.“
Sicherlich kann man solche Achsen wie Komplexität-Einfachhat zur Beurteilung von Werken heranziehen, aber ich habe meine Zweifel, ob Sie damit den von Ihnen zu bekämpfenden Übeln gerecht werden können. Nehmen wir z.B. mal so einen Allerwelts-Action-Streifen wie „Die Insel“ von Michael Bay. (Der Mann dürfte hier sehr geeignet sein, dürfte sein eher wenig subtiles, emotional, effektlastiges Kino Paradebeispiel für „Kitsch“ und „Pop“[cornkino] sein.) Nun, einfach oder unterkomplex ist da aber sicherlich falsch, was bei diesem Film sogar das Problem sein mag – der Stoff ist nicht genug zu einer Form gereift, was eine Reduktion ermöglicht hätte, stattdessen gibt es eine Fülle von visuellen Anklängen und inhaltlichen Bezügen, die von 1984, Brave New World, Alien und Matrix hin zu Platos Höhlengleichnis und zur Arche Noah reichen. Ähnliches dürfte für die meisten solcher Produktionen gelten und man sollte es sich nicht zu einfach machen, sein „Kitsch“ in den Bart brummend die ästhetische Minderwertigkeit schon bewiesen zu haben.
PS. Entschuldigen Sie dass ich das Thema mal wieder querschießend nur anschneide. Das Kind schreit.
PPS. Dass Sie Ihr Arbeitsjournal so beschneiden müssen und die Dschungel damit so gut wie kastrieren, las ich mit Bedauern.
@Phorkyas zur Kastration. Ich kastriere Die Dschungel nicht. Sie ist nur wieder einmal, und wieder haben Frauen es ausgelöst, in eine neue Phase eingetreten. Was bedeutet, daß sie lebt.
Zum Kitsch vielleicht später einmal mehr, oder: sicher noch mehr. Daß sich etwas nicht eineindeutig definieren läßt, bzw. daß die Definitionen scheiten, heißt nicht, daß es das Phänomen nicht gibt, Es wäre schon qua Evidenz absurd, es zu leugnen. Im übrigen habe ich ja für den Kitsch gesprochen, zugleich aber seine Dynamiken bezeichnet und genau das gegen die Kunst abgesetzt. (Wobei es einige Zwischenwelten gibt, etwa die Musik Puccinis, die gleichsam zwischen den aber eben nur ungefähren Sphären steht; beide sind Teilmengen von ihr.)
Der positive Drall, den Sie dem Kitsch verpassten, passt durchaus zu anderem (den festlich, pantheistischen Anklängen etwa, die durch Die Dschungel hallten). Ich bezog mich noch auf den alten Kampfbegriff.
Über fötale Geborgenheit denke ich derzeit auch öfter nach, weil ich häufig so ein kleines Bündel herumtrage, dem sehr wohl zumute wird, wenn ich es eng und warm am Körper trage. Aber ich befürchte, es verfängt nicht viel, wenn man es auf Kunst oder Kitsch zu übertragen sucht, bei welchem der Mensch zu sich gelange. Zu was soll er gelangen als Fötus (oder Gänseei)?
Es gemahnt mich ein wenig an die fortgeschrittene Kaffeesatzleserei der Psychoanalyse, die mal als profunder Tiefsinn, mal als abstruse Albernheit erscheinen kann (bestes Beispiel Freuds Unbehagen in der Kultur, welcher zu tiefem Kopfnicken verführt, aber dann kommt da wieder so ein Irrsinn über die Zähmung des Feuers). Wie gesagt, ich kann mich auch gerne mal dafür erwärmen, aber der Cocktail: Kitsch=(Erde, Mutterleib, Einfachheit) vs. Komplexität – Pop=(Cleanness, politische Korrektheit, Massenkompatibilitöt, Sterilität)?? ist mir noch was zu wild.
Harvey@Phorkyas zum Pantheismus. Eine Neigung zum Pantheismus ist bei mir tatsächlich keine neue Erscheinung; sie durchzieht spätestens seit dem >>> Wolpertinger alle meine Bücher, tritt nur – scheinbar – in der Anderswelt-Trilogie „natur“gemäß in den Hintergrund, bzw. wirkt nicht utopisch, sondern fratzisch: als, je nach eingenommener Figurenperspektive, Bedrohung. Ich denke: ja, tatsächlich, der Pantheismus ist mir eigen – vor allem, weil er nicht „den Einzigen“ braucht, sondern plural ist. Neu aber ist für mich die Verbindung mit dem Pop, neu als Gedankenfigur. Wirklich g a n z neu. Wobei mein Text, der Anlaß unserer Diskussion ist, durchaus nicht damit hinterm Berg hält, daß es sich bei der Unmittelbarkeit des Pops um ein Gemachtes handelt, das auch und in der Verwertung ganz besonders ökonomische Zwecke verfolgt. Da eben setze ich den Einspruch der Kunst. (Man kann das, deshalb der Titel dieses Kommentars, ziemlich gut >>>> an den beiden PJ-Harvey-Fassungen hören, also direkt wahrnehmen: wie das nachgeklebte Studio die Innigkeit der quasi Privataufnahme industriell zurichtet und ihr damit die Wahrheit eigentlich nimmt, wenngleich das Studio die Betonung des sentimentalen Gefühls perfektioniert oder zu perfektionieren trachtet, so nämlich, daß eine möglichst große Menge von Konsumenten erreicht wird.)
Es ist durchaus nicht so, daß ich eine „Gleichung“ Kitsch=(Erde, Mutterleib, Einfachheit) vs. Komplexität – Pop=(Cleanness, politische Korrektheit, Massenkompatibilitöt, Sterilität) aufmachte; die Verhältnisse sind sehr viel komplexer, schon weil auch Komplexität ein großer Teil von Erde und Mutterleib ist, viel mehr, als daß diese ein Teil des Kitsches wären. Es geht lediglich um die Wahrnehmung von etwas. Das Heranwachsen eines Fötus‘ ist eine extrem komplizierte Angelegenheit, er selbst nimmt das aber ganz gewiß anders wahr. Allein darauf bezog sich meine Analogie.
Auch für mich waren Zeugung, Schwangerschaft, Geburten und Vaterschaft prägende Ereignisse und Zeiten; sei lassen sich von daher aus meiner Potik überhaupt nicht wegdenken, geschweige denn „wegfühlen“.Und sie punkten entschieden gegen ein abstraktes Kulturverständnis.
Was die „Kaffeesatzleserei“ der Psychoanalyse anbelangt, so finde ich, daß Sie da arg versimpeln. Ich kenne mich mit dieser Disziplin ein wenig aus; ständig auf Freud zu rekurrieren (der allerdings ein hervorragender Schriftsteller war), ist so, als würden Sie in der Astronomie aufs neue mit Ptolemäus argumentieren. Pardon, aber die Literatur ist von Winnicott über Melanie Klein zu Laing und dem großen Bion bis hin zu Christopher Bollas, wo sie durchaus nicht aufhört, riesig. Bevor man von Kaffeesatzleserei spricht, sollte man sich der Mühe unterziehen, erstens, das zu wissen, und zweitens auch Argumente zu finden, für was man allerdings die Thesen kennen muß.
Hätt‘ ich nur geschwiegen… Sie haben Recht mit Psychoanalyse kenne ich mich sehr wenig aus, bezog mich aber konkret auf eine Fußnote, die ich eigentlich verlinken wollte („Als wäre der Urmensch gewohnt gewesen, wenn er dem Feuer begegnete, eine infantile Lust an ihm zu befriedigen, indem er es durch seinen Harnstrahl auslöschte. An der ursprünglichen phallischen Auffassung des züngelnden, sich in die Höhe reckenden Flamme kann nach vorhandenen Sage kein Zweifel sein. Das Feuerlöschen durch Urinieren – auf das noch die späten Risenkinder Gulliver in Liliput und Rablais‘ Gargantua zurückgreifen – war also wie ein sexueller Akt mit einem Mann, ein Genuß der männlichen Potenz im homosexuellen Wettkampf. Wer zuerst auf diese Lust verzichtete, das Feuer verschonte, konnte es mit sich forttragen und in seinen Dienst zwingen. Dadurch daß er das Feuer seine eigenen sexuellen Erregung dämpfte, hatte er die Naturkraft des Feuers gezähmt. Diese große kulturelle Eroberung wäre also der Lohn für einen Triebverzicht. [..] Es ist auch bemerkenswert, wie regelmäßig die analytischen Erfahrungen den Zusammenhang von Ehrgeiz, Feuer und Harnerotik bezeugen.“ Luzide oder gaga?)
@Phorkyas: hochluzide spekulativ. Vor allem, wenn Sie sich die Zeit anschauen, in der >>>> diese Prosa entstand – „Prosa“ deshalb, weil es ganz deutlich eine Erzählung ist, wie es alle kulturspekulativen Texte Freuds und spekulative Texte überhaupt sind. Es sind Erzeugnisse dessen, was Adorno „exakte Fantasie“ genannt hat. Wenn sich das zudem so elegant liest, wie bei Freud immer, sind sie auf jeden Fall ein Gewinn – da muß man seine vielen Vorannahmen gar nicht mitmachen, z.B. daß das Feuer männlich sei. Es ließe sich auch – immer symbolisch gsprochen, bitte – weiblich verstehen, dann hätte er, der Mann, etwas ganz anderes „gezähmt“. Geschickt zum Beispiel dieser Satz: „An der ursprünglichen phallischen Auffassung des züngelnden, sich in die Höhe reckenden Flamme kann nach vorhandenen Sagen kein Zweifel sein.“ Wieso nicht? Züngeln tut ein Phallus sicher nicht; er zuckt vielleicht; ein Speer ist tatsächlich der „bessere“ Vergleich, und auch der züngelt nicht, sonst verlöre er seine notwendige Funktionsweise. Und welche Sagen meint Freud? Island, das Land des Feuers, ist eher weiblich, „vorhandenen Sagen“ nach. Wie bei manchen Kunstwerken müssen wir hier die Vorgaben akzeptieren, um in den Genuß auch der Erkenntnis zu kommen (also niemand kann Cherubino sehen hinterm Sessel, der ihm Paravent und Versteck ist).
Ich stimme Ihnen absolut zu, insbesondere auch in bezug auf die Notwendigkeit, daß Kunst sich nicht quasi in sich selbst verlieren darf, weil sie sonst den Kontakt verliert und nur noch für einen inneren Kreis ist, der keinen äußeren mehr berührt. Ein Beispiel aus der Musik wäre auch noch der Jazz – seitdem es wieder grandios guten und zugleich tanzbaren Jazz gibt, ist diese Musik wieder ein Akt und nicht mehr allein Masturbation.
Ergänzend noch: wer dem Kitsch das Kommerzielle und Funktionelle zu nehmen versteht, hat meiner Ansicht nach zunächst einmal Unmittelbarkeit geerntet, mit der sich arbeiten läßt! Unmittelbares auf hohem Niveau zu vermitteln – das ist dann d i e Kunst!
Fragwürdig Die Heiligsprechung des Kitsches im Rückgriff auf Uterus und Fruchtwasser scheint mir ganz verfehlt. Und dass Sie hier gewissermaßen die Gleichung aufmachen, Kunst sei Kitsch plus Komplexität, wenn beide nur miteinander ausbalanciert daher kämen, ebenso.
Beides sind zudem gänzlich äußere Bestimmungen, die mit einem wie auch immer gearteten Werk nichts zu tun haben; das kann nämlich nur inhaltlich betrachtet werden. Betrachten wir einen Stoff aber inhaltlich, so wird er, wenn ich ihn in seinen Notwendigkeiten tatsächlich erfasse, von sich aus alles fordern; zum Beispiel auch den Grad der Komplexität seiner Darstellung.
Aber das ist naturgemäß eine idealisierte Betrachtungsweise, denn es sind immer die produzierenden Künstler, die das Werk letztlich nach ihrem Bilde schaffen. Der Autor gibt dem Werk die Farbe seines Ichs. Beim einen kommt dabei mehr Kitsch heraus als beim anderen. Ebenso verhält es sich mit der Komplexität. Und mitunter wird jemandem vielleicht sogar das Komplexe zum Kitsch. Aber niemand wird von sich behaupten wollen und können, er habe bewusst Komplexität und Kitsch auszubalancieren versucht.
Andy Warhol sagte mal, ‚Kunst sei halt das, womit man durchkommt.‘ Und, möchte ich hinzufügen, wenn ein Kamel halt zu komplex für ein Nadelöhr ist, dann kommt man damit halt nicht durch. Es bleibt dem Künstler nur eines, wenn er begreift, dass seine Werke zu komplex für das Nadelöhr des Massengeschmacks sind. Er muss für sich entscheiden, ob er sie trotzdem realisieren will, für sich allein, wenn es sein muss. Und das kann er – hier schließt sich der Kreis – nur nach inhaltlichen Maßgaben tun. Er muss also entscheiden, ob die Sache für ihn ausreichend wichtig ist, sie trotz alldem zu realisieren.
Hubert Fichte bestimmte seine eigene Entscheidung mal in der Weise, dass er sagte, er würde auch für eine Welt schreiben, die gar nicht mehr lesen könne, ja, für Menschen, die gar keine Augen mehr hätten. Ich selbst halte das zwar für eine bewundernswürdige Haltung, würde aber keinesfalls so weit gehen.
Bleiben Sie glücklich.
@Gogolin zur Balance. Ich sagte nur: Das, was Kitsch genannt wird (und von seinen Geliebten durchaus nicht so genannt, noch so empfunden wird, sondern empfunden wird – sic! – Unmittelbarkeit), muß ein Teil des Kunstwerkes sein, wenn es denn nicht versäumen will, auch zu wirken, also zu den Menschen zu sprechen und wiederum von denen zu sich sprechen zu lassen. Hubert Fichtes Äußerung halte ich für eine Absurdität und kann sie nicht ernst nehmen; bewundernswert finde ich daran schin gar nichts. Und Andy Warhol war ein schlechter Künstler – also keiner. Er rappte auf der Industrie der Label, was aber, jedenfalls bisweilen, ganz hübsch anzusehen ist. Der mit ihm immer wieder zusammengezeigte Robert Rauschenberg war da von anderem Kaliber.
Übrigens spreche ich den Kitsch nicht heilig, aber das Fruchtwasser als unsere wahrscheinlich allererste Erfahrung ist seine Begründung – und auch die seiner industriell verwerteten Macht und eben unserer Anfälligkeit für ihn. Es ist eine natürliche Anfälligkeit, geradezu notwendig. Wegen dieser Notwendigkeit muß er auch zur Kunst gehören, sonst entfernt sie sich von der Welt. Daran mag Herrn Fichte gelegen gewesen sein, mir ist es das nicht.
Nun, vielleicht … … schätze ich die Wertigkeit von Uterus und Fruchtwasser falsch ein – obwohl ich das Wunder meiner Geburt naturgemäß nicht in Abrede stellen will -, aber ich halte die beiden für ungeeignet zur Verfertigung ästhetischer Theorien. Sorry.
@PHG, Theorie und Körper. Es ist gar nichts anderes so geeignet für die ästhetische Theorie. Schon, weil es für uns keinen anderen Grund als den des Körpers gibt. Ich bin darauf heute morgen >>>> im PP noch einmal eigens eingegangen. Wir sind Körper ganz und gar, sind Erde. Es ist ein Irrtum, daß wir in sie zurückkehren werden, wenn wir gestorben sind; sondern wir sind immer in ihr geblieben, sie geblieben und bleiben es weiter, nehmen nur verschiedene Formen von ihr an. Eine Ästhetik, die das nicht sehr genau sieht und beachtet, ist vielleicht „hehr“, aber falsch.
(..und ich dachte man ist ein Leib, während man einen Körper hat – und dass der Mensch als Kulturwesen zu utopischem Standort, zur natürlichen Künstlichkeit verdammt sei – so ähnlich steht es doch auch schon im Buch der Bücher über die Arbeit und den Schweiß.
Aus Erde können Sie vielleicht ein paar Tonmännchen backen, aber den Atman kriegen Sie nie hineingeblasen und unsere ganze Künstlichkeit der Kultur.)
@Phorky zu Körper und Leib. Einen Körper zu haben, hieße, über ihn verfügen zu können; doch er verfügt über uns, wenn man denn schon trennen will Körper & ich. Jeder Kranke weiß das genau, nur Gesunde fühlen sich über ihn, die meisten, erhoben. Die Differenz ist eine pure Gedankenkonstruktion, deren Witz freilich darin besteht, selbst nur zu funktionieren, wenn dem Geist nicht grad das Eiweiß fehlt. Was indes den Leib anbelangt, habe ich das Wort bewußt gemieden, weil zu schnell ein christliches Brot daraus wird, und aus dem Blut der Wein. Wiederum zu den Tonmännchen, nun ja, ein Atem wurde niemals in sie geblasen; das Wunder ist ja gerade, daß sich der „Ton“ belebte, o h n e daß ein Gott sein mußte. Genau hier liegt das Heilige; ein Gott würde es profanieren und hat es, als seine Vostellung, auch immer getan: daher seine Sexualfeindlichkeit.
@ANH Körper Natürlich sind wir Körper. Und ich teile auch Ihre Ansicht zum Verhältnis Körper/Geist. Ich bin kein Homo cerebralis, der den ganzen Tag ‚Ecce cortex!‘ ruft. Mal ganz davon abgesehen, dass diese Position beim gegenwärtigen Stand der Hirnforschung ja längst eine Banalität geworden ist.
Was ich jedoch stark anzweifele, das ist die Nachweisbarkeit der notwendigen Übergänge von der Erde, die wir sind, zur poetologischen Praxis des Romanschreibers oder des Dichters überhaupt. Ich bin sicher, dass man zwischen diesen beiden Punkten nur auf der Via Kurzschluss reisen kann.
Vielleicht geben Ihre gegenwärtigen körperlichen Trainingsziele, die ich übrigens auch absolut teile und anstrebe, da das verbindende Glied ab. 😉
@PHG, Via Kurzschluß. Es ist eine Frage der Fokussierung, bzw. überhaupt erst einmal der Bewußtwerdung und dann des liebenden Annehmens. Insofern wird aus der Via Kurzschluß ein >>>> Dendrit. (Mir kommt es auf eine, um es paradox auszudrücken, heiligende Verweltlichung an, die das Gegenteil von Profanierung ist.)
@ANH: Heiligende Verweltlichung Vielleicht steckt auch oder gerade hier die Volte, die ich nicht mitmache. Wir treiben Gott aus der Welt (als was auch immer), um dann gleich darauf wieder den Sprung in die Transzendenz zu machen, indem wir nun die Welt heiligen.
Ist denn die Welt selbst so wenig, dass wir noch eine Transzendenz brauchen?! Wenn wir uns den Kosmos des Körpers ansehen, wenn wir uns den Planeten, auf dem wir leben, ansehen, wenn wir den Blick – so weit er reicht – in das Universum richten, dann ist das eine wie das andere so ungeheuer großartig, dass es darauf pfeifen kann, von uns als heilig bezeichnet zu werden.
Diese heiligende Verweltlichung ist nur ein Versuch, der sich unserer Kleinheit und Hilflosigkeit verdankt, unserer überwältigenden Unfähigkeit eine auch nur ganz minimal angemessene Art der Beschreibung dafür zu finden.
„Heilig“ zu rufen, das ist nur ein Trick, unsere Sprachlosigkeit zu verbergen. Ähnlich wie übrigens Kant, der dafür die Kategorie des Erhabenen bemühte. Interessanterweise funktioniert dieses Gefühl des Erhabenen z.B. angesichts der Natur aber nur so lange, wie uns diese Natur nicht in den Arsch tritt. Sobald ein Erdbeben mir Haus und Landschaft vernichtet, sobald ein Krebs meinen wundervollen Körper frisst etc. finden wir das dann nicht mehr erhaben. Wie wäre es mal mit einer Debatte über die Heiligkeit von Nierenkarzinomen? Nein, all dies lässt uns wieder auf unser erbärmliches Maß schrumpfen. Vielleicht ist es das wahre Maß, über das wir uns qua Anschluss an den heiligen Körper der Erde zu transzendieren trachten.
Werde mich noch etwas auf den Balkon setzen und die Sonne genießen. Übrigens geht mir seit dem Beginn dieser Debatte der Gedanke an einen deutschen Dichter aus den 20ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr aus dem Kopf, dessen Name mir leider nicht einfällt. Ich glaube, er begann mit einem G. Er hat ein riesiges Versepos über die Erde und die Sonne geschrieben. Klingelt da bei Ihnen etwas?
@PHG: Transzendenz. „Wir treiben Gott aus der Welt“: Die Frage ist, aus welcher Richtung, vor allem auch das Monotheistische an der Aussage. Worum es mir geht, und was ich so auch empfinde, ist, dieser westlichen Tendenz zur Profanierung etwas entgegensetzen zu müssen, einen Glauben, weil uns nur das davor einigermaßen in Schutz nimmt, daß alles zur Ware reduziert und jeder, wirklich jeder Wert disponibel wird, je nachdem, wo der meiste Umsatz (engl.: production für „Geld machen“) lockt. Es ist sehr viel schwerer, einen Baum zu fällen, wenn man ihn für beseelt hält.
Selbstverständlich ist mir G. ein Begriff. Aber genau mit solchen „kritischen“ Verweisen werden und wurden Tabus gesetzt. Dazu gehört, Sie werden sich erinnern, der Unfug, aus Dichtern „Schreibarbeiter“ zu machen, bei Dichtung von „Texten“ zu sprechen, man selbst, usw. All das spielte, wie auch immer befreiend gemeint, der Profanierung zu, nach der die Ökonomie verlangt, gegen die man mit solchem Zeug doch anzutreten vermeinte. Wir brauchen Rituale, aber eben nicht die eines abstrakten, nämlich körperlosen Gottes mitsamt seiner Misogynie, sondern wir brauchen Sekrete, Ausflüsse, Spritzungen. Und wir brauchen Besessenheiten.
Der Verweis auf George kommt mir wie die Sanktionen vor, die einen erwarten, wenn man Land zu einer wichtige Kategorie macht, Scholle usw.: weil es eben den Hitler und sein „Blut und Boden“ gab. Es sind Einschüchterungsstrategien. Sie verfangen nicht mehr bei mir.
Wir kommen der Sache ja scheints näher Dass wir Rituale brauchen, das ist unbenommen. Wir brauchen sie vor allem, weil sie dem Leben Form und Struktur geben. Wenn man sie aber als Anknüpfungspunkte an die Transzendenz benutzt, dann wird es für mich schwieriger. Da verweigere ich schnell mal die Unterschrift.
Für mich ist es auch gar nicht naheliegend, dass man, nach der Austreibung Gottes im Singular, z.B. flugs auf das griechische Götterfolksfest zurückgreift. Obwohl ich Götter durchaus ehre, wo ich sie treffe.
Außerdem ist da vieles wohl der Krankheit Christentum geschuldet, denn auch ein abstrakter und gänzlich körperloser Gott ist durchaus nicht das Problem. Nehmen Sie JHWH, den jüdischen Gott. Der ist ja nun wahrhaftig abstrakt bis zur gänzlichen Unerkennbarkeit, selbst sein Name kann nicht ausgesprochen werden. Aber trotzdem spricht der Gläubige ständig mit ihm, streitet sich gar, macht ihm Vorwürfe usw. Dieser Gott, so abstrakt er ist, ist zugleich der wichtigste Ansprechpartner auf allen Ebenen. Daran liegt es also nicht.
George … … hatte ich nicht gemeint. Und einschüchtern wollte ich schon gar nicht. Ich hatte, obwohl der von mir Gemeinte etwa in die Zeit fällt durchaus ein positives Beispiel geben können. Er wäre auch eine gute Lehrstunde zum Thema Pathos. Ich hoffe, der Name fällt mir noch ein.
Eben hat mein Gehirn geliefert ! Ich meinte Theodor Däublers Versepos „Nordlicht“. Las es mit Begeisterung, während ich 1976 an meinem ersten Roman arbeitete.
Falls Sie ihn nicht kennen, er könnte – vor allem auch wegen seiner Italien-Bezüge- interessant sein. Der Wikipedia Artikel ist niht so schlecht:
https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_D%C3%A4ubler
@PHGs Gehirn („G“!). Auf Däubler konnte ich nicht kommen, weil es in seinem Namen, anders als in Ihrem Gehirn, nicht mal irgendwo ein G gibt. Daß ich statt dessen auf George tippte, hat eine innere Logik.
Ich habe mir vor einer Stunde „Nordlicht“ auf den Kindle hinuntergeladen. (Gedichte lesen sich auf diesem Gerät ganz ausgezeichnet, ohne jeden Schnickschnack drumrum. Wenn’s nicht so viel Arbeit wäre, würde ich heute noch auch >>>> Der Engel Ordnungen als ein eBuch zugänglich machen.)
Tja mcm, was die Dendriten nicht alles so miteinander verknüpfen. Mir war wohl Gutzkow dazwischen geraten, über den ich etwa zu der Zeit schrieb. Werde auch mal schauen, ob das Nordlich auf meinen Kindle passt.
Iris Radisch@PHG. Ich lese soeben, daß meine Lieblingsfeindin über ihn geschrieben hat, aber der Aufsatz steht nicht im Netz. Das ist schade, weil Radisch, wenn sie jemanden mag, ganz großartige Essays schreibt. (Mag sie hingegen jemanden nicht, kann das Nachsehen ziemlich gefährlich werden.)
Gütig, aber nicht begütigend Der „Pop“ und der „Pop“ sind nicht (immer und für jede) dasselbe. Und was ist „Masse“? Hinter noch einer jeden Schunkelei oder Plastikblume im Fenster verbirgt sich doch auch die Sehnsucht einer Einzelnen, eines Einzelnen, die Sehnsucht nach Schönheit, nach Trost, nach Geborgenheit und Zugehörigkeit. Eine Kunst, wenn sie dieser Sehnsucht mit Hohn und Verachtung begegnet, wenn sie darauf nur ironisch oder gar sarkastisch reagiert, das Pathos verachtet und stattdessen Krankheit und Lebensverneinung als (Pseudo-) Erkenntnis mit desto kitschigeren Bildern verherrlicht, überlässt ja gerade die Menschen in ihrer durchaus realen (nicht realistischen!) Angst, ihrem Schmerz, ihrer Trauer und ihrer Leidenschaft dem Kommerz und der Ausbeutung.
Ich war eine sehr unglückliche Jugendliche (nach einer sehr glücklichen Kindheit). Alle waren in allem weiter als ich, schien es mir (körperliche Entwicklung, Sexualität, Selbstbewusstsein). Sie hörten Abba und Genesis und was weiß ich… Ich fand alles blöd, kannte aber gar nix anderes (auch keine Klassik). Dann traf ich einen, der nahm für mich Lou Reed auf. Spielte mir Velvet Underground und Nico vor. Später schenkte mir ein anderer die Songs der GoBetweens (und viele mehr). Seitdem hatte ich einen Ort, an dem mein Unglück (und meine Erinnerung an das Glück) daheim war. Diese Musik, immer noch, gibt der eine Heimat, die sie verloren hat. Das ist kitschig, vielleicht, und für manche, nämlich die, die sich verloren fühlen (im Wortsinne, als seien sie abhanden gekommen) notwendig. Weil sie sich, grad wie Sie geschrieben haben, dort wiederfinden. (So stark, übrigens, wie bei Musik kann ich dieses Gefühl des Heimkommens niemals beim Lesen empfinden.) Was ich sagen will: Es spielt auch der Zufall und das Glück mit hinein, worin sich eine wiederfindet. Kunst, wenn sie welche ist, gelingt es, dieses Wiederfinden in einem Anderen als dem Eigenen nachvollziehbar zu machen und Rührung zu erzeugen auch für das, was einem fremd bleibt.
Sie schrieben einen Essayband mit dem Titel „Schöne Literatur muss grausam sein“. Vielleicht wäre dies (wenn ich persönlich auch jedem „Muss“ ablehnend gegenüberstehe) zu ergänzen: Schöne Literatur muss auch g ü t i g sein.
(Ich erinnere mich bei diesem Wort, übrigens, wie dieses Thema zwischen uns beiden schon einmal verhandelt wurde. Und Bewegung in die Verhandlungen kam, als wir beide – Sie als „Verächter“ des „Pop“ und ich als dessen Verteidigerin – das Denken im „Entweder-Oder“ aufgaben und begannen uns auf als ein „Sowohl-als-auch“ einzulassen, das eben gar nicht Kompromiss bedeuten muss, sondern ein sehr bewusstes Wahrnehmen der Ambivalenzen, auch in uns. Das lässt aber keine Synthese, gar auf „höherer“ Ebene zu, sondern muss ausgehalten, ja bejaht werden.
Sonderbar auch, dass diese Überlegungen damals wie heute, denke ich, sich aus der – ebenso kontroversen – Verhandlung über Privatheit und Öffentlichkeit im künstlerischen Schaffen ergaben. Ich ahne da einen Zusammenhang, kann ihn aber noch nicht formulieren.)
Die Worte „Trost“ und „Güte“ habe ich mir notiert, gestern Nacht, um ihnen nachzuspüren.
(Ich setze das hierunter, weil es oben in der Diskussion nirgends anzuknüpfen scheint, sondern sich – noch einmal – direkt auf Ihren Text bezieht. Es sind, das wissen Sie, vorläufige Überlegungen, mit einem Fragezeichen versehen, die ich, weil Sie mich baten, hier einstelle, darauf vertrauend, dass Sie sie auch als solche lesen werden.)
„… sondern muss ausgehalten, ja bejaht werden“. Ein sehr sehr schöner Text ist das, für den ich sehr sehr danke.
„Trost“ und „Güte“ sind auch bei mir schon seit einiger Zeit notiert. Die Löwin sagte einmal, nicht die Gerechtigkeit sei wichtig.
DER jazz und DIE neue musik.
@ANH und @PHG @ANH: Ich finde die Richtung, in die der Text weist, nachvollziehbar. Natürlich kann man eine Auflösung von Dissonanzen nicht erzwingen, aber eine Bewegung dorthin habe ich in großen Werken meist feststellen können: Hölderlins „Gebet“ in Menons Klagen um Diotima, Rilkes „Fruchtbarmachung der ältesten Schmerzen“, Benns Versuche Dualismus und positivistischen Monismus in einem „mythischen/ rauschhaften Akt“ zu vereinigen, Biberkopfs „Tod“ in Döblins Berlin Alexanderplatz, die Vision Raskol’nikows in Verbrechen und Strafe und sonstige Lichtblicke, Andeutungen auf Licht oder zumindest das Wissen um die Abwesenheit von möglichem Licht. Auch bei Bernhard sehe ich das übrigens nicht anders.
Dass man im Kitsch zu sich findet, würde ich bestätigen, als Kitsch aber etwas Anderes bezeichnen und diesen damit wieder in die Grube des Missfallens befördern. Ich sehe Kitsch nämlich als eine Äußerung des Stehenbleibens an, bei sich selbst, d.h. bei einem Selbst, das man keine Lust hat weiterzuentwickeln und dann ist Kitsch einfach nur eine von außen kommende Bestätigung und Beruhigung, ein „es ist schon in Ordnung“. Kitsch ist also Spiel mit Versatzstücken, die aus keinem neuen Erleben herkommen, deswegen wirkt er meist auch so unecht, weil eine Differenzierung mangels fortschreitender Differenzierung seiner Selbst gar nicht mehr stattfindet. Und da stellt sich natürlich die Frage, woher das „Echte“ noch nachströmen soll. Darüber hinaus, vertrete ich die Ansicht, dass Menschen, die sich nur in Kitsch bewegen kaum eigene Erfahrungen machen, weil diese Bestätigung sie eben aufhält – und solche, die den Kitsch verteidigen, aber dennoch an sich arbeiten, über eine Dimension des Erlebens verfügen, die jenen „Selbstlosen“ fehlt. Sehr spekulativ, aber meine derzeitige Haltung: Also Kitsch ist für mich die Gegenbewegung zum Progress.
Ich würde wohl den vielleicht „kitschigen“ Begriff Harmonie hier bei weitem vorziehen. Aber – das sieht man aus der Diskussion oben – alles hängt letztlich von der Definition von Kitsch ab.
@PHG: Das mit dem Erhabenen haben Sie, so weit mein Kantwissen reicht, so vereinfacht dargestellt, dass es falsch ist. Ihren Überlegungen hatte zum Einen Kant in seinen Kritik der Urteilskraft durchaus Rechnung getragen. Das Erhabene ist nicht irgendeine göttliche oder sonstwelche Entität, sondern es ist zunächst einfach nur ein Objekt, dass unsere Einbildungskraft übersteigt – sei es, weil wir es nicht mit einem Blick erfassen können (quantitativ Erhabenes), sei es, weil wir uns seine Wirkungen als über die am Körper erfahrenen (und erfahrbaren) Wirkungen denken müssen (dynamisch Erhabenes). Das Wesentliche hier ist aber eine Achtung vor sich selbst, die durch das Erhabene hervorgerufen wird, denn in dieser Erkenntnis, dass wir nicht imstande sind, das Erhabene sinnlich zu erfassen, die Schrecken auslöst, wird auch die Erkenntnis mitgeliefert, dass unser durch die Forderung der Vernunft nach Totalität der Erkenntnis beliebig fortschreitender Verstand, durchaus für solche Gegenstände taugte, wenn unsere Einbildungskraft eben nicht eine gewisse Kapazität hätte, bei der sie Schluss macht. Also: unsere beschränkte Wahrnehmung wird hier deutlich erfahren, sowie die Schrankenlosigkeit des Intellekts, der es auch mit Größerem aufnehmen könnte, wenn wir die nötigen Sinnesdaten in der Wahrnehmung zusammenhalten könnten. Das bedeutet, dass wir eine Achtung vor uns selbst aus dieser Erfahrung schöpfen, die nicht auf irgendeinen Gott verweist, auch zu keiner Transzendenz neigt, sondern uns als vernunftbegabtes Wesen in unseren eigenen Augen erhebt.