Entr‘actes: S a l z. Der elfte auf den zwölften Tag der Großen Fahrt, darinnen nachgeholt Der Maskarenen Zweiter Teil: La Réunion. PP147, 12. April 2014.

242ºS/SW.


(Wogen-Rhaposodie)
Es sprüht Salz von den Wogen, das ist überall: körnig auf den Relings, auf der Haut, beißt sich in die Sonnengläser – es s c h n e i t das Salz hinauf! verweht es wie sehr langes Haar, das keine Konsistenz mehr hat. So rollen wir durch das Meer, teilen die wütigen Wellen, schneiden sie durch, die uns heben, klatschen hart wieder herunter, zu den Seiten nächstes, endlos vieles Salzhaar und Seehaar und Kessel und Höhen, und ein Wind, der jedes lose Teil in seine Arme nimmt und an der Brust zerdrückt. In den Himmel geht es hinauf, in die Täler wieder hinunter:


Wir kommen auf wie in Kissen, dann wieder schlagen wir auf Beton. Das Innere der Seele ist unser Körper, so spüren wir‘s nun, kraft der Schöpfung gegen den Wind und sein Heulen und das Sprühen angeschrieben.


Nachts schwangen die Sterne: Amplituden von bis zu vier oder fünf Metern. Ich schrieb: Das Universum schaukelt. Wer den Kopf hob, konnte es sehen. Die meisten hatten sich unter Deck geflüchtet. Johan, lachend, auf mich zu: „Du hast es gewollt, nun hast du es.“ Wer immer ging, schlingerte. Die Hartgesottenen saßen in der Raucherecke und vor der Hansebar im überplanten Bereich, streckten die Beine von sich. Ich dachte: „Anschubsen, Papa! Noch mehr anschubsen! N o c h mehr!“ Höher, höher. Und wieder tief.
Abermals hinauf.
Ansage (mitgeschnitten) über Bordlautsprecher: Bitte lose zerbrechliche Gegenstände aus den Regalen nehmen, bitte jede Tür sorgsam schließen. Die seitlichen Außendecks seien aus Sicherheitsgründen gesperrt. Auf keinen Fall mehr den Swimmingpool benutzen; aber man ließ dort ohnedies das Wasser wieder aus. Hie und da gingen, stoisch mit Eimer und Feudel, Stewards, mancherorts knieten zwei am Boden, um zu wischen, auch zu rubbeln, bei den Treppen, Teppichboden. Eine Dame suchte ihren Gemahl. „Wo ist er nur? Er fühlte sich krank.“ Ich hatte ziemlich einen im Tee, als ich schlafen ging nach der kleinen Nachtserenade.
***



Heute früh ist die See wieder still, wir schaukeln leicht dahin nach unsrem Indischen Ozeantraum, in den die Nereïden bliesen, weibliche herrliche Sturmdschinns. (Prima Idee für das Hörstück: Das mitgeschnittene Heulen des Windes und ein zwei Stücke aus der Nachtserenade zu einem eigenen Klangraum montieren und unter die Fahrt legen.)

(Sonnabend,
9.36 Uhr).

***

*******


La Réunion, 11. April,
Freitag.)


Es war vielleicht einfach der „falsche“ Hafen, denn meinen Unterlagen nach und nach meinen Vorbereitungen hat die Insel mehr, viel mehr zu geben als die paar Dürftigkeiten, die ich sah. Wobei, mir gefällt nur allzu oft, was andre Menschen furchtbar finden, und was denen gefällt, ist wiederum fruchtbar für mich. Dazu gehört etwa eine gewissen „Aufgeräumtheit“ der Straßen, ihre Beruhigung, Begradigung, Normierung.
Ich war den anderen, die auf den Shuttle-Bus warten wollten, zu Fuß vorausgegangen, fast zwei Stunden früher, die ganze lange Straße entlang, über die die Trucks donnerten, einer nach dem andern. Einige Kreisverkehre waren zu durchmessen, unübersichtlich für mich, wohin ich gehen müsse: Die Stadt sah ich als weit verstreute flache Würfel liegen durch die Ebene bis in die Hänge hinein, ohne daß sich ein Zentrum ausmachen ließ. Immerhin kam ich wieder zur Küste, die entlang bis zu eienm abermaligen Industriegebiet ein ausgebauter Trimmdich- und Joggingpfad führt; dahinter schwere Steine, schließlich grober Kies bis an die Wellen. Dort standen ein paar Angler und prüften ihre Geduld. Fahrradfahrer tauchten auf, im Dress, Mountainbiker. Und sowieso: das erste Mal wieder, seit ich Europa verließ, Rechtsverkehr. Ich brachte, geb ich zu, ein bißchen Heimatgefühl mit an die Pointe des Galets: La Réunion ist der von Europa entfernteste Ort der Welt, an dem mit Euros bezahlt wird; als französisches Departement, eigentlich muß man sagen: als eine letzte Kolonie, gehört die Insel zur EU. Das machte mich ein bißchen Hüpfen: in der eigenen Währung zu bezahlen, und zwar gerade dann, wenn alle anderen Reisenden das nicht tun können, sondern mit, für sie, Fremdwährung hantieren, läßt einen fast schon zuhause sein.
Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß, denn logischerweise traf ich an, was ich doch immer fliehe: eben die Normierung, das Gleichmaß und auf ein Mittel Heruntertemperierte; nichts hier, gar nichts, war ekstatisch.
Nachdem ich das „Zentrum“ des Ortes erreicht hatte, etwa fünfzig Minuten strammen Wegs waren das gewesen, das sich aber vom übrigen Ort kaum unterschied, nahm ich immerhin einmal Platz. Denn dieses nun war angenehm: das vor den Cafés Stühle stehen. Also einen Cafè bestellt und ein Baguette, das auch dann nicht wie eines schmeckte, wenn „La Porte“ den Spitznamen „Petit Paris“ erhalten hat.

Sondern es schmeckte nach einem Baguette von McDonald‘s. Insofern allenfalls ein Petit Paris/Texas, öde Einstöckigkeit, puritanisch gecleant, selbst die Mini-Moschee sah in ihrer Ecke wie ein Fallerhäuschen aus. Obendrein war Feiertag, geöffnet hatten ein paar Textilbillighändler. Markt gab es es nicht, und zwei Stunden später liefen quasi alle Passagiere meines Schiffs auf der einen einzigen Straße herum, die man mit sehr gutem Willen „belebt“ nennen könnte.
In der Ferne lockten die Berge.
Ich hatte einen Fehler gemacht. Hier, auf La Réunion, hätte ich mich einer der Landschaftsexkursionen anschließen sollen, auch wenn wir nur im Bus gesessen hätten. Es wäre zumindest etwas zu sehen gewesen. Für Weiteres gab es ohnedies nicht die Zeit; wir hatten gerade vierfünf Stunden, ansonsten ich umgehend einen der Tauchgründe aufgesucht hätte, für die die Insel berühmt ist. Und für die Haie. Im Alten Hafen etwa, völlig vernachlässigt, selbst die Sportyachten liegen dort am Kai, als würden sie vor Langeweile zerschmilzen, sah ich dieses Schild:

So viel, immerhin, Abenteuer ist hier d o c h, daß die Haie bis in den Yachthafen schwimmen – wahrscheinlich, weil zu häufig von den Booten Essensabfälle ins Wasser geworfen worden sind; auch andere Tiere, nicht nur wir Menschen, tendieren zur Bequemlichkeit. Na gut, zugegeben, ich tu es nicht so sehr, aber da sind wir wieder beim Thema von oben. „T h i s is nice here!“ hörte ich sagen, mehrfach… „and so clean!!“ And comfortable, dachte ich, und rauschlos. Halt auf ein Mittel temperiert. Dahin ging auch ein kleines Gspräch, das ich nach der Serenade nachts mit einem der Barkeepers hatte. Ich hatte gesagt, die Leute hörten einfach nicht zu, hatte die Musik gemeint, und er erwidert, Menschen könnten das nicht, sich dauernd konzentrieren, einzweimal im Monat, dann sein es genug. Er wisse das, seine Frau sei ebenfalls Geigerin an Bord eines Kreuzfahrers; er zog sein Smartphone vor, zeigte mir ein Filmchen. „Auf der Marco Polo“, erklärte er. Man müsse die Menschen unterhalten, dürfe sie nicht fordern.
Es ist mir von Herzen unverständlich, wie jemand nicht immer im Herzen der Dinge sein möchte, wie man neben den Dingen her– und nicht in ihrem Sog leben möchte, wieso man lau sein will, anstatt in Flammen zu leuchten – . Wie? Sie sagen Müdigkeit? Ja-Göttin denn!!: von w a s? Davon, gut zu Mittag gegessen zu haben? und muß sich erholen? Und wenn von einer Arbeit, die man nicht will, weshalb sie dann nicht wechseln und tun, wonach einen verlangt, was uns erfüllt? Geld zu verdienen, allein, ist kein Lebenssinn, sondern es ist – – – sein völliger Verlust. Nur deren Gemüse wird schmecken, die den Acker auch lieben, den sie bestellen, und die Pflanze und das Tier. Wenn es wehtut, daß wir töten, und nicht gemütlos ist, Routine.
Selbst die kleine Moschee war in ihrer zugewiesenen Ecke gemütlos, selbst der kleine indische Laden, alles geordnet ins Kleinstadtbild. Ich seh da sofort David Lynchs abgeschnittenes Ohr auf dem nach Katalog glattgetrimmten Rasen; das Objektiv der Kamera, das auch unser Auge ist, muß nur nah genug heranfahrn, anstelle sich mit dem Schein der Oberfläche zu begnügen.



Und noch mal der Alte Hafen, La Porte Ouest: Abgeschnitten von der Kleinstadt durch zwei schwer befahrene Lastwagentrassen, verrottet hinter Zäunen. Jetzt aber wollen sie ihn wieder herrichten, mit europäischen Mitteln, und dort eine repräsentative Hafenfront bauen, man kann sich schon vorstellen, wie das mal aussehen wird mit all den Einkaufs-Malls und „Club“ genannten Diskotheken:



Und doch tu ich La Rénunion-ingesamt ganz sicher unrecht. Es gibt hier atemberaubende, las ich, Bergstürze, Wasserfälle, Wälder, auch Orte mit wirklichen Märkten, sowie die Tauchgründe, von denen ich bereits erzählte, und es gibt den Vulkan:


Er zählt zu den aktivsten, gefährlichsten der Welt. Daß ich da hin will, steht außer Frage, aber es ließ sich auf dieser Reise nicht machen. So war ich denn von Herzen froh, als ich auf der schönen Astor zurück war und daß uns dann wirklich das W e t t e r empfing. Das Wetter und sein Salz:



*******

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .