PP176, 17. Juni 2014: Dienstag. Aus Braunschweig nach dem Bloomsday.

(8.35 Uhr.
>>>> Deutsches Haus.)

Als Junge wollte ich hier immer mal hin, hier von dem Ritter geschützt übernachten, dessen Rüstung auf der ersten Treppenempore steht. Nun tat ich es. Das Zimmer ist riesig, mit, in dieser Nacht vergebens, Doppelbett. Auch das Bad ist riesig. Ich sehe durch ein vergleichsweise kleines Fenster auf den Burgplatz hinaus. Heinrichs Löwe weit herum, aber, eingerüstet. Braunschweig eignet sich für den Ulysses fast wie Dublin-selbst; in anderen Städten wäre die Irrfahrt weniger übersichtlich und deshalb nicht wirklich phantastisch. Braunschweig mit seinen geheimnisvollen Mittelalterresten, den Bausünden und -vergehen und -verbrechen, etwa dem neu aufgebauten Schloß, aber auch mit den mythischen Orten, zu denen nicht nur der schäbig umbaute Eulenspiegelbrunnen, sondern manch schweres dunkles Kirchenschiff gehört, ist hingegen ideal.
Auf der Oker lasen wir aus dem siebten Kapitel, vorher hatte ich >>>> Schulzes und meine Übertragungen des >>>> Giacomo Joyce vorgetragen, im Raabehaus, vor zwischen fünfzehn und zwanzig Gästen, was für eines Arbeitstages 15 Uhr ganz ordentlich ist, zumal die Bändchen weggingen wie Ulen un’ Apen. Ich war ziemlich froh, welche mitgeschleppt zu haben, denn der Buchhändler hatte nur drei. Und abends in der >>>> Galerie auf Zeit Lesung, u.a., aus der >>>> Kammermusik, mit wechselhafter Aufnahme durchs Publikum, was einerseits an den Gedichten selbst lag, ihrem Unzeitgemäßen, andererseits aber auch dem, was ein Kritiker manieriert an den Übertragungen nannte; es seien doch Gedichte aus der irischen Liedtradition usw. Ich diskutierte ein bißchen darüber, es ging um Ironie und meine Gegenhaltung, ging auch um Haltungslinien, dann gab der Kritiker kund, er sei mir gegenüber ohnedies voreingenommen und sage auch gerne, weshalb, wolle aber nicht an diesem Abend belegen und diskutieren, kurz: Es habe ihn >>>> Meere zu sehr gelangweilt. Und für solch ein vernachlässigungswertes Buch auch noch solch ein Prozeß! Mich nun hätten seine Argumente schon interessiert, gerade, weil es sich über Langeweile schlecht diskutieren läßt, das ist ja gerade der Reiz; und dieses Argument, daß der Roman langweilig sei, ist mir zum allerersten Mal untergekommen. Nichts ist er, meine ich, weniger, und selbst meine verbohrtesten Gegner haben genau solch ein Argument völlig vermieden; ich weiß von Verlagen, in denen das Buch gegen die eigene innere Weißglut bis zuende gelesen werden mußte, als wirkte ein psychischer Zwang, und ich kenne die Reaktionen vieler vieler Leser:innen; vor a l l e m, übrigens, -innen. Meere ist denn auch, bevor der Verbotsprozeß losgetreten wurde, besonders von Frauenzeitschriften gefeatured worden. Also hätte ich jetzt schon gerne gewußt…. Nun ja. Später stellte sich heraus, mitternachts, beim kleinen letzten Beisammensitzen, daß er, mein Kritiker, und ich beide Taucher sind; sowas legt Differenzen immer schnell bei. Er sollte überhaupt den >>>> Wolpertinger lesen, der liegt auf seiner, glaube ich, Linie; aber ich war zu stolz, wohl auch zu trotzig, um ihm das zu sagen. Soll er von selbst drauf kommen.

In einer halben Stunde breche ich auf, zurück nach Berlin, wo ich mittags ankommen werde. Dies hier werde ich erst dort in Die Dschungel einstellen können, weil mein Stick hier, an der Burg hinter den dicken Mauern, keinen Empfang hat. Die Telekom hat ihn, Vodafone nicht. Ob wohl unterdessen auch der imaginäre Raum, der physisch-elektronische, wie Claims abgesteckt wird? In den Zügen der Deutschen Bahn ist das sehr deutlich.

Ich saß auch schon, und sitze, über dem Kreuzfahrt-Hörstück. Habe meine Berichte hineinkopiert und kürze sie nun von ungefähr dreihundert Buchseiten auf ungefähr fünfundzwanzig herunter, lasse nur stehen, was ich für das Hörstück brauchen kann. Ein poetisch seltsames Verfahren: erst das Fleisch, dann das Skelett, das ich in die Aufzeichnungen sozusagen hineinschreiben will. Es ist vor allem ja wichtig, die sinnlichen Erzählungen einzusprechen, Bilder, Blicke. Wahrscheinlich, dachte ich gerade, wirklich, in diesem Moment (8.59 Uhr), werde ich nicht einmal eine exakte Chronologie brauchen – womit dann das Hörstück sogar dem Roman näherkäme, was ich doch gar nicht beabsichtige.

Gut. Zusammenpacken.

***

Ah! Hier vorm Bahnhof geht’s.

2 thoughts on “PP176, 17. Juni 2014: Dienstag. Aus Braunschweig nach dem Bloomsday.

  1. Zurück. (12.35 Uhr).
    Zurück. Nun erst einmal Buchhaltung, dann weiter mit dem Hörstück: Lief gut während der Fahrt, die im Nu vorbei war. Zu gestern nacht noch nachzutragen ist eine wunderbare Abschlußlesung aus dem Molly-Monolog, der leider gekürzt war; nicht nur meinetwegen hätte Pia * (ich weiß ihren Nachnamen nicht) noch lange weiterlesen können.

    Espresso.

    *****

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