Ein riesiges Areal, durch das sie (federnd) läuft, über einen Damm, oben nicht innehaltend, springt weichen Schrittes in das Graue, das dahinter die Ebene bedeckt. Versinkt sofort,
schlüpft
In den beiden Sekunden, die es (kaum) dauert, bis nur ihr Kopf noch außerhalb
Umschmiegt/Futteral
ist, denkt sie nach. Der Schlamm (oh Maria und Joseph!) ist warm; ihre Fußspitzen berühren den Grund nicht, würden ihn nie berühren: Von dieser Sorte ist er nicht.
Sie hat Zeit, warum auch immer, (vielleicht, dass die letzten Sekunden einer anderen Dimension angehörten, nicht mehr als Zeit gälten, tatsächlich un-mittelbar seien) sich zu überlegen, wie jemand, Jahre später, ihren Körper finden wird; es beruhigt sie, dass dann immer noch ersichtlich wäre, nicht wer sie, aber doch dass sie Frau gewesen: Das scheint wichtig.
Für ein Sekündchen. Wie angenehm es wäre, den Mund zu öffnen und ihn zu ver
schlingen.
Zwischenräume
füllen
Zeit für den Rest.
Denkt sie. Öffnet den Mund und
schreit.
Und natürlich ist da mit einem Mal wer, sieht, hört, auf dem Damm stehend, rennt um Beistand, natürlich umschlingt die Löwin ihren Schlamm, einem (plötzlichen) Entschluss folgend, wie einen Teig mit beiden Armen, verdickt sich der wie unter einer Wohltat, lässt sich verteigen, verändern, schenkt seine Sekunden wieder her, schiebt sie ein Stückchen, Weilchen; sie trägt den Kopf gereckt, walkt, voran, zum Rand, zum Damm, vergisst zu sinken.
Meine Schöne, ächzt der Schlamm.
Was er zu allen sagt.
(Garnelen, hat sie gestern gelernt, Müttergarnelen, bekommen von den Züchtern in Thailand ein Auge abgeschnitten. – Warum keine andere Methode, gibt es keine andere Methode??, fragt die Reisejournalistin, die der Prozedur schaudernd beiwohnt: Die Schere wird über einem Feuer auf Temperatur gebracht, bis sie glüht, schnippschnapp, Augenstiel ab, Wunde ausgebrannt, ein einziger, wenn auch überraschend robuster Handgriff für so einen dünnen Stiel. Der Züchter wirft das Muttertier in eine mit Wasser gefüllte Tonne, es sinkt auf den Boden, auf die Seite, die Beinchen wiegen.
Er blickt auf. – Weil sie dann schneller Babys machen, sagt er, das wissen doch alle Züchter. Nicht mehr Babys, aber schneller. Es ist die Natur. Als wüssten sie, dass ihnen weniger Zeit für Fortpflanzung bleibt, mit der Verwundung.
[1]- Das ist natürlich Unfug. Oder? Das Wissen der Garnelenmütter? – Nein, gültig. Was die Journalistin in Erfahrung brachte, später, über die Hormone hinter dem Augenstiel, wie sie … Continue reading
[2](Ich spreche mit dir, doch im Hintergrund schnippt)
Dem Mann jedenfalls, seitdem sie sein Herz geflickt haben, schwänzt manchmal sein Atem. – Und die Beine, sagt er, – ertragen nicht mehr das bisschen Luft zwischen Haut und Textil, es sind die Nerven, ich kann nur noch eng anliegende Hosen tragen. Tu ich ebenfalls: mit Gürtel und reingesteckter Bluse, schlank wie ein Messer.
Futter-Aal
Er reicht mir Wasser. Zwei Mal. Der Tisch hat eine Glasplatte; ich stelle es so sacht ab, dass kein Geräusch entsteht. Er beugt sich immer wieder nach vorne, trinkt nichts, ich mich ihm entgegen, wie zwei Algenbüsche, wir wiegen uns.
– Du siehst nicht gezeichnet aus, sage ich.
Es kommt tief aus den Augenhöhlen, sein Lächeln, ich überseh’ seinen Mund, wir sprechen über Kunst und Schreiben, über Orgsamen (Orgsamen, perfekt eigentlich) und Frauen, ihre Ansprüche und Bedürfnisse, sexuelle, über Reibung, anspruchsgefüllte Männer, Prostatae, Bolagno, devote Frauen und Herr-ische, geniale, genial furchtsame und Haut, immer wieder Haut, Harold Brodkey, die Löwin meldet sich zu Wort, Bücher als Fort-Pflanzung, Tusche, über mein neues Vor-haben;
es waren schon immer die Augenhöhlen an ihm, die mich fasziniert haben, wie in den Schädel durchgedrückte Pflaumen, darin sein Blick wie ein keckes Würmchen, das mir zublinzelt.
– Ich schreib’ dir ein Vorwort, sagt er, wenn du willst, aber nur, wenn es wirklich krass wird, lass es laufen, schick’ mir, wenn du magst, Teile davon, will lesen, reagieren, aber per Post, bitte.
Couverts, wie hübsch, denke ich.
Einverstanden.
Im Türrahmen umfasst er meine Taille, zieht mich an sich, schiebt mir die Zunge zwischen die Lippen, greift in ein Festmahl, mit beiden Händen.
Die Löwin stolpert die Treppen hinunter, lächelnd. Ihr Ring
klimpert
Später lächelt sie einen Fremden an, schon durch die Fenster der Galerie, während er draußen sein Fahrrad anschließt an eben die Laterne, bei der ihres schon und er kommt herein, geht direkt auf sie zu und wir beginnen zu sprechen, als seien wir nur kurz unterbrochen worden.
Schwänz mich nie mehr.
References
↑1 | - Das ist natürlich Unfug. Oder? Das Wissen der Garnelenmütter? – Nein, gültig. Was die Journalistin in Erfahrung brachte, später, über die Hormone hinter dem Augenstiel, wie sie durcheinanderkommen, wenn keiner mehr da ist, wie sie dann nur noch diesen einen Befehl durch den Körper schicken, mehre dich: nicht wichtig. Nicht für den Züchter, nicht für seine Garnele. – Was gilt, ist sein Glauben, dass sie vom Tod weiß, und seine Schere. – Ja. |
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↑2 | (Ich spreche mit dir, doch im Hintergrund schnippt |
federweiss meinte am 2014/11/27 12:41:
Ein Traum?
die Löwin antwortete am 2014/11/27 12:52:
Manches,
ursprünglich. Aber Texte können keine Träume sein, auch wenn sie sich’s manchmal wünschen.
Iris meinte am 2014/11/27 14:29:
Man (ich) muss nur aufhören,
hier Subtexte vermuten/lesen zu wollen/müssen (unabhängig davon, ob sie existieren oder nicht (natürlich tun sie das, immer)), sich einfach fallen lassen wie man sich auch sonst ohne erst groß um Erlaubnis zu fragen in jeden xbeliebigen Text fallen lässt, sich dabei mitnimmt, auch ohne um Erlaubnis zu fragen oder höchstens sich selbst, dann entdeckt man unter Umständen etwas ganz und gar Wunderbares wie Ihren Text hier, liebe Löwin. (Entschuldigen Sie das Geschwurbsel, das liegt an den Dschungeldschlingen (nee, an meiner Art, nicht damit umgehen zu können)).
Ich mag Ihre Texte.
die Löwin antwortete am 2014/11/27 15:53:
Liebe Iris.
Erst einmal und vorsätzlich: Merci! Und Sie haben natürlich Recht: Ein Text sollte ohne seine Subtexte wirken können und dürfen. Unter meinen, klar, schwingt vieles, doch die Texte sind vor allem Geschichten.
Es gibt so viele Wirklichkeiten. Die Löwin begann zu schreiben, weil ihre eigene auf die Probe gestellt wurde. Sie hat das nicht verstanden. Sie wollte gleichzeitig bleiben, vor allem aber beschützt. Das schien eine zeitlang unmöglich.
Im Schreiben entsteht neuer, unmittelbarer, unverbrauchter Raum. Die Löwinnentexte sind keine Aufforderung zur vermeitlich richtigen Interpretation, deswegen sind die Subtexte auch nicht auschlaggebend, sondern Lust an der Expression. Und aus dieser – doch das ist für einen anderen Text…
iris antwortete am 2014/11/27 17:17:
Liebe Löwin,
das meinte ich auch nicht: dass es um Interpretation und gar richtige oder falsche geht. Sondern: Dass mir manches hier so privat scheint (unten drunter), dass ich davor zurückscheue, mich dazu zu äußern. Auch wenn ich für mein Lesen das vermutete Private außen vor lasse und den Text für mich/für sich zu nehmen versuche.
Der neue, unmittelbare, unverbrauchte Raum, von dem Sie sprechen: Den öffnen Sie ((für mich)) mit Ihren Texten, öffnen und dehnen ihn.
die Löwin antwortete am 2014/11/27 19:12:
Liebe Iris,
a l l e s hier ist hyperprivat. Und auch wieder nicht. „Ich ist ein anderer“ […]
Im Grunde ließe sich die derzeitige Dymanik der Dschungel ganz schnörkellos darstellen: Da schreibt ein über alle Maßen Verliebter öffentlich an seine Angebetete hin und über sie hinaus, während jene, die er zuvor liebte, ebenso öffentlich darüber schreibt, wie sich das anfühlt.
Fertig. Aber eben auch nicht. Denn sie jonglieren, ob nun öffentlich oder unter den Oberflächen, mit den Kräften, die im Spiel sind; sie vergegenwärtigen sich, wie die entfachte Energie beschaffen ist. Man könnte sich auch einfach hinsetzen und bitterlich weinen, wochen – und monatelang. Stattdessen gestalten sie. Mit „sie“ meine ich die Beteiligten, auch die Unsichtbaren.
Da es keine Lösung zu geben scheint, suchen sie nach Form, getrennt, aber auch nicht getrennt, alleine, aber dennoch verbündet in dieser Triebkraft, nichts auf sich beruhen zu lassen.
Im besten Falle wird daraus Gegenwart. Wenn ein Text, wie Sie schreiben, genug Raum lässt.
Berliner meinte am 2014/11/27 18:08:
Mir gefällt der Text,
dass Sterbende Sinneslust verspüren und sich schnell noch mal vermehren wollen wie man bei den Garnelen sieht – und dann der Bogen zu den schönen Augen des Mannes, das hat was Grusliges … aber Löwen sind nun mal auch Kannibalen.
die Löwin antwortete am 2014/11/27 19:16:
Eben wollte
ich Ihnen widersprechen, sah‘ aber zum Glück noch einmal nach: Ja, sind sie… Das muss die Löwin jetzt erst einmal verdauen.
diadorim antwortete am 2014/11/27 21:26:
musil meinte ja mal wo, redenden liebenden sei das handeln noch sehr fern, je näher man richtung schweigen rutscht, wirds jefährlüsch oder man kriegt die haare ab :). ich denk ja immer, wer löwe ist, der kann sich eh die tatzen lecken und einfach warten, was sich so in den reusen verfängt. noch ein schiefes bild gefällig? nein? na jut. bei autorens, haik manchmal dit jefühl, wird eh zu viel verwortet und zu wenig verdingst, aber, was ich annehme, tut eh nix zur sache. ich denke nur, hallohallo, ey, stellt doch erst mal räumliche nähe her, das könnte vieles erleichtern. verliebt euch doch einfach nicht auf so große distanzen, das macht probleme, immer, n paar dinge muss man eben auch einfach erst mal praktisch lösen, nein?
Norbert W. Schlinkert antwortete am 2014/11/27 22:07:
Musil wußte
echt viel und auf Dauer sicher mehr als Thomas Mann und der bessere Schriftsteller war er auch, allerdings sind Prosaautoren beim Nichtverworten gegenüber Lyrikern klar im Nachteil, weswegen sie sich am besten nur im Kiez verlieben, allenfalls noch in den angrenzenden hinein, aber dann ist Schluß.
Textflüsterer antwortete am 2014/11/27 22:19:
Was sagen Sie zum Text der Löwin, Schlinkert?
M i c h interessiert’s, (falls irrigerweise Sie annehmen sollten, dass kein Schwanz Ihre Meinung hören wollte)
Norbert W. Schlinkert antwortete am 2014/11/27 22:26:
Glauben ist
immer irrigerweise, aber nein, das glaube ich nicht, Textflüsterer, es gibt immer welche, die meine Ansicht interessiert. Was ich zum Text der Löwin sage, wissen die, die es angeht – nix für eine öffentliche Diskussion, sorry, das richtet sich nicht gegen Sie.
Textflüsterer antwortete am 2014/11/27 22:36:
Perfekt.
Chapeau.
Die Schlammszene
Trotz der weichen Wärme des Schlamms ist die Szene mit furchtbarer Gewalt beladen. Sie erschreckt. Geradezu beruhigend dann das Wiegen der Algenbüsche, an denen man innehält, einen Atemzug länger, als der Lesefluss fordern würde.
Wie bildliche Vorstellungen aus dem einen Kontext herausgelöst in einen anderen transplantiert werden, um dort eine völlig andere Wirkung zu entfalten, zieht mich in den Bann. Auch die Perspektivsprünge. Sie wirken, am Ende sogar mitten im Satz, ungemein dynamisch. Ich nehme das als hohe Sprachkunst wahr.
Bitte.
Mehr.
Ω
@Löwin und Iris zu „hyperprivat“.
Und auch wieder nicht: nein, g a r nicht. Nicht zu bezweifeln zwar, jedenfalls auf den ersten Blick, ist die autobiografische Grundierung, aber schon, indem eben nicht 1:1 erzählt wird, was „war“, haben die Texte literarische Objektivität. Nicht nur, weil sie hinausgegeben werden, sondern weil die inneren Gesetzmäßigkeiten andere als die in realen Personen sind. „Ceci ne pas une pipe“: Ich habe darauf schon hingewiesen, im gleich >>>> ersten der Briefe; >>>> dieser Umstand spielt für meine Arbeit eine seit dem Wolpertinger ganz entscheidende Rolle. Wenn deshalb Sie, Iris, schreiben, manches in Der Dschungel komme Ihnen zu privat vor, um sich dazu äußern zu können oder zu „dürfen“, so ist dem zu entgegnen, daß den Künsten fast immer – informative Kunst nehme ich aus, aber auch das nur provisorisch – Privates zugrundeliegt, das in ihr verarbeitet wird. Daß man es ihr oft nicht (mehr) anmerkt, ist eine Schutzbewegung: also ein Zusammenhang des V o r s c h e i n s. Künstler, deren Werk abgelehnt wird, ja selbst nur Kritik erfährt, reagieren genau deshalb oft empfindlich. Nichtentfremdete Arbeit bedeutet eben die Nähe zum Selbst, und dieses, letztlich, wird angegriffen. Was ich mit den Triester Briefen, eigentlich aber insgesamt in Der Dschungel tue, nämlich längst vor ihnen tat, ist, diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Aus diesem Grund finden Sie in Der Dschungel so viele Entwürfe, Skizzen usw., oft sogar zu den (vorgängigen) Arbeitsjournalen verlinkt. Hieran arbeitet nunmehr die Löwin m i t – wofür ich ihr über unsere Beziehung hinaus ausgesprochen dankbar bin. Im ästhetischen Sinn „perfekt“ würde die Form, nähme auch die Sìdhe sich das Recht (sie h a t es), ihre eigene künstlerisch Perspektive hinzuzutun. Ich weiß, daß sie das könnte, und öffnete ihr ohne Bedingung den Raum.
Übrigens täte ich das, wie ich’s >>>> bei Read An und Federweiß tat, die >>>> ihn sich nun wieder nahm nach langer Pause, bei jedem, der sich drin probieren möchte. Erinnern Sie sich bitte auch an Bruno Lampes Einträge, die dem Dschungelbau für eine lange Zeit eine wichtige Säule gewesen sind und damit meiner literarischen Ästhetik: einer, die mir seit Jahren vor Augen steht.
Briefe nach Triest (11): Zwischenbemerkung 1.
>>>> Zwischenbemerkung 2
Neunter Brief nach Triest <<<<