Von Aufbruch & Gefährdung, sowie ‘s ist alle Zeit vergangen. Untriest 74. Montag, der 27. April 2014.


Arbeitswohnung, 6.04 Uhr
Rauschen im rechten Ohr
Die Amsel sang schon um fünf,
ist nun aber still

Die Sonne, Liebste,

fällt bereits auf die Giebel; so sehe ich, wenn ich am Fenster stehe, nach Westen. Zum ersten Mal seit, kommt es mir vor, Wochen bin ich wieder um halb sechs aufgestanden. Gestern und vorgestern gingen dahin; ich schrieb nichts, las kaum, verplemperte, hätte meine Omi gesagt, die Zeit, fast ohne Willen, wenn Du davon absiehst, daß ich immerhin den Sport wieder aufnahm. Das scheint jetzt zu wirken. Aber ich weiß nicht, weshalb ich gestern nacht eine Seite aus meine Erstausgabe der Gesammelten Gedichte >>>> Manfred Hausmanns herausriß. Doch ich tat‘s und legte sie zu einer bereits vorgestern nacht entstandenen Notiz: „Auch der heutige Tag, 25. April 2015, wird in der Vergangenheit versinken. So ist auch Morgen schon vorbei.“ Mich hatte ein Gefühl der Endlichkeit überkommen, nicht meiner so sehr, sondern der von allem. Ich dachte an eine neue Erzählung, in der jeder Tag schon vorüber ist, wenn er anhebt, und an einen, sagen wir, Helden, der dies erlebt, keine Gegenwart mehr hat, sondern immer nur diese Vergangenheit, für den die Strahlkraft, die für uns die unmittelbare Vergangenheit hat, die der soeben vergangenen Stunde, des soeben vergangenen Tagesteils, ja noch des Gestern nicht mehr zugegen ist; und so kann er Sätze nicht mehr richtig beenden, weil sich das Vergehen auch in der Sprache beschleunigt, und zwar dermaßen, daß ein begonnener Satz bereits, wenn er die Mitte erreicht, zerfallen ist und deshalb nicht mehr beendet werden kann. Es hat schlichtweg keinen Sinn mehr, ihn zu beenden.
Dafür nun scheint die herausgerissene Gedichtseite wirklich zu passen:

Doch weshalb ich das Buch gleich beschädigen mußte, weiß ich nicht mehr; immerhin steht im Impressum „Copyright 1946 by Suhrkamp Verlag ehem. S. Fischer Verlag“. Denkst Du an meine Ausgabe der Josephsromane aus dem Jahr 1948 und liest die dortige Angabe, Bermann-Fischer Stockholm, wird Geschichte reaktiviert und aber auch ebenfalls Vergessenheit.
Was vorbei ist.
Schon die Zukunft, dachte ich wohl gestern nacht, ist vorbei. Nur einen Tag des Jahres 1972 erinnern; ich war zu meinem Vater nach Bramstedt zwischen Syke und Bassum gezogen, aufs Land in ein zu einer Hälfte noch verfallenes, zur anderen von ihm selbst wieder hochgezogenes Gesindehaus mit Rietdach. Damals schrieb ich sowohl die Kurzgeschichten „Ein Ton“ wie „Besuch auf dem Lande“; außerdem die erste Fassung von „Azreds Buch“; in Büchern sind diese drei erst nach der Jahrtausendwende erschienen. „Ein Ton“ soll jetzt an der FU Berlin Bestandteil eines Seminars werden. Seltsam. 1974, bereits in Bremen, schrieb ich nach „meinem ersten Paris“ die Urfassung der >>>> „Orgelpfeifen von Flandern“, die damals noch „Stiefelrot“ hießen. (Hinterm Link gibt‘s übrigens über diese Novelle die Leserrezension eines Herrn Mortelmans, dessen eigentlichen Mißmutsgrund Du begreifen kannst, wenn Du schaust, was – und wie – er sonst noch rezensiert hat: ein ähnlicher Fall wie die Rezension zu den >>>> „Fenstern von Saint Chapelle“, immerhin ebenfalls eine Novelle, von der die Leserin einen Reiseführer erwartet hatte, der ihre Kenntnis des Bauwerks erweitern würde. – Mit dergleichen bekam ich es über die Jahrzehnte immer wieder mal zu tun.)
Auch seltsam.
Noch ein neuer Zettel liegt auf meinem Schreibtisch, ebenfalls für möglicherweise eine neue Erzählung:Freie Wohnungswahl:
auch in verschiedenen Zeiten leben können.

So wie wir heute in Europa unseren Wohnsitz frei wählen können, könne man es, ist meine Idee, auch in verschiedenen Zeiten, so daß nicht nur die Räume zusammenwachsen, sondern jene auch. „Auswanderer“ können sich in klassisch-griechischen Zeiten ansiedeln, in biblischen, im Wilden Westen, im Hochmittelalter, ganz wie sie wollen, bzw. nach ihren Vermögen.
Jedenfalls beschäftigt mich die Zeit, Zeit als Ontisches, aber gar wirklich bewußt, geschweige fokussiert, sondern, Liebste, quasi subkutan. Immer wieder mal fällt ein Gedanke aus mir heraus.

Heute wird es, wegen des >>>> Traumschiffs, noch einmal um das Zitat auf der U4 gehen. Noch gibt es für mich keine befriedigende Lösung. Und ich möchte gern abspecken, was in der hinteren Umschlagklappe über den Autor dieses Romanes gesagt wird. Außerdem sitze ich an einem Mailing, das ich dennoch sehr persönlich formuliere, indem ich auch ein bißchen was über die Geschichte des Buches erzähle. Wer, übrigens, für Rezensionen oder für eine mögliche Veranstaltung ein Leseexemplar haben möchte, wende sich >>>> direkt an mare.

Gut, Herz, es wird Zeit für den zweiten Latte macchiato. Ich habe leichten Muskelkater, aber das tut gut. Mittags geh ich schwimmen. Es ist Zeit für neuen inneren Aufbruch. Der braucht um so mehr die äußere Manifestation, als er sich auch den Triestbriefen wieder zuwenden muß. Denn für so einen sind sie gefährlich.

Fühl Dich in den Arm genommen.
A.

7.48 Uhr
Es beginnt zu regnen. Die Tropfen klingen weich, ja geschmeidig. Es ist das flüssige Rascheln einer fallenden Seide, die sich über Vogelstimmen, vereinzelte, deckt.

2 thoughts on “Von Aufbruch & Gefährdung, sowie ‘s ist alle Zeit vergangen. Untriest 74. Montag, der 27. April 2014.

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