Das Arbeitsjournal des Mittwochs, dem 24. Juni 2015. Schirmbeck ff: Nächstes zur Poetologie.


[Arbeitswohnung, 7.55 Uhr]

Freilich wäre es schon ein bißchen bizarr, wenn ich ausgerechnet nach der >>>> von Bobzin so genannten Pentalogie plötzlich allgemeinen Erfolg haben sollte, da ich mich mit dem >>>> Traumschiff von den, sagen wir, avantgardistischen Konstruktionstechniken, die ihrer, also unserer Gegenwart ästhetisch zumindest auf der Spur waren, ins wenn auch erfunden-subjektive Erzählen zurückbegeben habe. Gegen die Pentalogie ist der erzählerische Aufbau des Traumschiffs ja geradezu simpel, und zwar bis in die einzelnen Sätze hinein. Auch wenn vom Sterben erzählt wird, hat der gesamte Duktus etwas durchaus heimatlich-Heimisches, anders als besonders in den Andersweltromanen, die sich zunehmender Fremdheit ausgesetzt sehen (und deren Protagonisten dagegen freilich ankämpfen oder anzukämpfen versuchen; das Traumschiff hingegen durchzieht die Er-, freilich auch Vergebung: das Traumschiff versöhnt und ver-, was seine weiblichen Personen anbelangt, töchtert). Nun verbot sich, wie ich schon zu Beginn meiner letzten Romanarbeit notiert habe, gegenüber dem Sterben jede, wie notwendigerweise auch immer, sprachliche Voltigiererei; dennoch bleibt schon jetzt, nach ersten Reaktionen auf Lektüren der vom Verlag verschickten Leseexemplare, eine Art Aufatmen zu konstatieren: endlich erzählt er mal so, daß wir‘s verstehen, was bedeutet: wie wir‘s gewöhnt sind und erwarten.
An der starken Emotionalität liegt es nicht; die ging auch durch die vorigen Bücher, um nur, in >>>> Argo, die beiden großen Sterbeszenen um Vater Kumani sowie Frau Frielings zu nennen oder Michaela Ungefuggers und Jason Hertzfelds Liebesgeständnis hoch oben in den Gestängen des Tokyo-Towers. Dies alles ist aber eingebettet, wird quasi überwuchert von den Geschehen einer sich permanent wandelnden Welt, genauer: sich permanent wandelnder Welten – ganz so, wie es unserer Realität entspricht. Das Traumschiff, wiewohl es anders wirkt, entspricht der n i c h t; das ist allerdings ganz in der Ordnung, denn, wie ich schon mehrfach vemerkt habe, ist dieser Roman, seit ich den ersten Einfall zu ihm hatte, das hat sich nie geändert, als eine positive Utopie angelegt, als eine Sterbeutopie eben. Das Moment der Hoffnung, in Traumschiff eben nicht nur Moment, bestimmt dieses Buch, indessen die hoffnungsvollen Erzählungen, die auch die Pentalogie durchziehen, immer von teils heftigen, teils auch schmerzhaften und bisweilen grausamen Ambivalenzen gezeichnet sind.
Dieses Ambivalente durchzieht, fast magisch, übrigens, auch Schirmbecks Novellen – die es waren, was mich von ihm geprägt hat. Er hebt es aber anders auf als ich, der ich‘s eigentlich gar nicht aufhebe, sondern im Gegenteil akzentuiere. Schirmbeck tut‘s fast durchweg vermittels seiner (neo)klassizistischen, ihrer Intention nach humanistischen Sprache, die wahrscheinlich das auffälligste an diesem Dichter ist, nämlich wenn man sie auf seine im weiten Sinn physikalisch/subatomarphysikalischen Themen blendet, ja die Novellen machen stilistisch einen geradezu „heilen“ Eindruck; die Risse entstehen allein auf der semantischen Ebene, klaffen nur im Erzählten (signifié). Genau hieraus entsteht allerdings die hohe Spannung. Wiewohl als Wirkaura völlig anders, verbindet ihn, Heinrich Schirmbeck, diese Klassizität mit Borges.
À propos „Realität“ und Bobzins – berechtigter – Kritik an meiner Begriffsverwendung wurde mir heute morgen klar, als ich nach einem Zitat für den Eingang >>>> meines Vortrags blätterte, daß sich ausgerechnet auch Schirmbeck gegenüber „Wirklichkeit“ methodisch neblig verhält, etwa in „Der Bankrott der absoluten Dichtung“: „Die Dichter wissen (…), daß die Wirklichkeit alle Poesie überholt hat. Die Realität ist ihrer geistigen Erfassung und poetischen Symbolisierung weit voraus.“ (Ein hiermit zusammenhängendes Zitat habe ich vorhin >>>> separiert eingestellt.)
N i c h t neblig allerdings ist seine im Vorwort des Essaybandes formulierte Forderung, in einer – der technischen Entwicklung – „adäquaten“ Kunst habe es um „die Erfindung einer neuen Symbolik“ zu gehen. Wenn er recht gehabt hat, kann sich die aber nicht nur auf die Thematik beziehen, sondern muß selbst – und auch – sprachlicher Struktur sein, nicht allerdings einer, so meine gegen etwa Bense und Nachfolger nun ich, die sich den Wissenschaften gegenüber mimetisch verhält, sich dann notwendigerweise entsinnlicht und ins unverständlich Abstrakte davondörrt. Daher, übrigens, bei mir die unablässige Betonung des Körpers, vor allem auch der Sexualität. Es ist k e i n Machismo (oder nur manchmal ein spielerischer kleiner, den ich liebevoll-selbstironisch meine), wenn ich auf ihr, dieser Betonung, so beharre, vielmehr erkenntnistheoretisches und zugleich das moralphilosophische Fundament fast all meiner Bücher.

[Poetologie.]



Gut, ich fange jetzt mit der Niederschrift des Vortrags an. Mit etwas, nun ja, „Inspiration“ sollte ich ihn bis zum Abend zumindest strukturiert haben. Mich reizen mehrere mit Schirmbeck verbundene Themenfelder, zum einen die objektiv tatsächlich mit keiner anderen Wirkkraft vergleichbare Veränderung unserer Lebenswelt(en) durch die empirischen Wissenschaften und der von ihnen ausgeworfenen Technik, zum anderen das Stilverhältnis von Klassizität und Avantgarde, und zwar in seiner vor allem auch politischen Dialektik. Wie sehr dieser Strang meiner eigenen Arbeit auf Schirmbeck zurückgeht, ist mir überhaupt erst während meiner jetzt wieder neuen Lektüren seiner Schriften bewußt geworden -. zumindest hatte ich es vergessen.
(Ich habe schon einmal, in einer Zeit vor dem Computer, über Schirmbeck geschrieben, aber ich weiß nicht mehr wo und müßte Papierberge durchwühlen, zum Beispiel die da:

)


Das aber brächte mich aus dem nun nötigen Fluß. Also setze ich, mit einer fünfundzwanzig Jahre späteren Autorenerfahrung, neu an.

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