[Arbeitswohnung, 10.50 Uhr
Dieter Ilg, Parsifal]
Jedenfalls, nach Mitternacht starte ich vom Spandauer Fest zurück zur Arbeitswohnung, die Hinfahrt war noch wunderbar gelaufen und hatte mich, nachdem einmal des Weddings wüster Müller passiert war, über die Transvaalstraße viertels durch den Schwarzen Kontinent geleitet, dann mitten hinein in Forstgebiete und, draus auftauchend, auf seltsam benannte Wald- und Wiesenwege – etwa Dohnagestell –, die in der Realität aber nirgends angezeigt werden und sich bisweilen kartenungemäß verzweigen. Dann den Plötzensee entlang auf eine Singletrack-Road mit dem imperial-boulevarden Namen Allée du Stade, die ebenfalls eine Vorliebe für heftige Wendungen hat, alles für ein Auto unpassierbar, fürs Fahrrad aber nicht, bis zur rechten Seite des Saatwinkler Damms unterhalb des Flughafens Tegel den Schiffahrtkanal entlang, den einsame Angler betupften, indem sie nur, die Fangrute so regungslos wie sie, dasaßen, auf einen Alten Wiesenweg; erst über die Mackeritzbrücke geht‘s dann auf die Autostraße nach Spandau: Also das war alles sehr schön. Mit zweimaligem Verfahren, weil das GPS im Waldgebiet verwirrt war, brauchte ich nicht mal eine Stunde, um auf der Insel anzukommen.
Und ich dachte, gut, ein Abenteuer, wenn ich zurückfahr. ‘s ist ja nix beleuchtet, oder kaum was. Und das Ifönchen hatte klasse mitgespielt, die junge Dame im Ohr, die mich leitete, überdies eine angenehme Stimme. Sie werde schon wissen, wie sie mir auf der Rückfahrt helfe. Denn ja, ich wollte wieder durch den Wald.
Der sie aber wieder verwirrte – nun aber so, daß sie einfach aufgab.
Es war knalleduster.
Das letzte von mir passierte Siedlungsähnliche lag fünfzehn Minuten hinter mir.
Wenn man nachts mit dem Fahrrad stehenbleibt, gibt es kein Licht. Das kompliziert die Angelegenheit und trägt einiges zur eigenen Verwirrtheit bei. Man muß also fahren.
Nun tragen Fahrradleuchte aber nicht weit, man sieht die nächsten Waldwegabzweigungen allenfalls zwei Meter vorher und rät mehr, als zu wissen.
Gut, daß ich, klar: notgedrungen, langsam fuhr und also noch bremsen konnte, wo es plötzlich geschätzte fünf Meter steil abfiel. Da hörte das Weglein nämlich auf.
Irgend eine Engelin hatte mir eingeflüstert, als ich mich für die Hinfahrt rüstete: „Nimm besser auch das iPad mit.“ Das war hinten im Rucksack verstaut. Es ist sowieso schon schwierig, dieses Gerät in der Hand zu halten, während man mit dem Rad fährt; hier im Wald wäre es unmöglich gewesen, weil dauernd dicken Wurzelsträngen auszuweichen war oder denen man ausweichen gar nicht kann, und das Rad springt, man selbst springt mit, dann entgleitet einem das iPad, knallt auf den Boden und ist ebenfalls kaputt. Das wollte ich ganz unbedingt vermeiden.
Nee, besser wieder zurück zur letzten Besiedlung fahren und mich ab dort vom iPad führen lassen. Bloß: Wo geht es lang, wenn man nichts sieht?
So kämpfte ich mich durch den Forst zurück. Dauernd aber auch steile Treppenfluchten, dann ein Gewirr aus Gängen, die wie ein Netz über der schlafenden Kleingartensiedlung lagen.
Gut, wirklich was passieren hätte nichts könnnen: Das alles ist immer noch bewohntes Berlin. Und dennoch. Kein Prinz hätte das Dornröschen hier gefunden.
Dann endlich doch die Lichter wieder, eine Straße, eine lange lange Mauer: Militärisches Schutzgebiet. Ach du meine Güte! Wa es ein Glück, daß ich nicht bewaffnet war, oder hätte ich mich rüsten sollen?
Aber zweihundert Meter vor mir ein umschlungen wandelndes Paar.
Fragen mochte ich nicht. Es wäre mir echt peinlich gewesen. Doch dauernd wollte das iPad, daß ich nach links abbiege, wo gar keine Einmündung war.
Zweimal fuhr ich Kreise. Dann begriff ich, ich sollte wieder in den Wald.
Na gut, probiern wir‘s.
So kam ich zurück nach Transvaal. Nur daß Google jetzt wollte, daß ich eine andere Strecke nähme als die, die ich gekommen. Irgendwie wollte ich meinen eigenen Kopf diesmal besser nicht durchsetzen.
Was ziemlich schlechter war.
Denn nu‘ wurde ich ganz runter nach Süden geführt, die Müllerstraße sah ich nie. Zickzack unter Afrika durch, Botswana wahrscheinlich, nur daß es so nicht hieß. Sondern Google führte mich nach Sylt. Von da das Nordufer hinab, wo die Straße aber gesperrt war; nicht mal für Fußgänger gab es ein Durchkommen. Also die nächste Schleife fahren. Daß ich nun auf die andere Seite des Kanals sollte, über die Brücke, sah ich indessen wirklich nicht ein. Denn paar hundert Meter weiter sollte ich dann wieder auf diese Seite wechseln.
Mittlerweile war es schon zwei.
„Du spinnst ja“, sprach ich also zum Gerät und blieb auf meiner Seite. Gut, daß ich vor der Abfahrt den schwarzen Anzug wieder ausgezogen und nur das von der Hinfahrt noch feuchtklamme TShirt wieder angezogen hatte; jetzt war‘s klitschnaß.
Nein, Freundin, es hat nicht geregnet. Aber ich merkte meine Beine; hatte ja tags zuvor auch noch trainiert.
Und abermals nein: Meine Laune blieb bestens, auch wenn ich mich von iPad und Google nun verabschiedete und beide zurück in den Rucksack packte. Freilich, dankbar blieb ich ihnen. Ab dem Nodhafen kannte ich mich aus. Fennstraße, Schönwalder, Kreuzung Gerichtsstraße, Hochstraße. Der Humboldhain gehört dann beinah schon zum Kiez.
Dennoch gab es ein letztes Hindernis, direkt am Übergang zum Prenzlauer Berg.
Lange nicht mehr hiergewesen, früher oft hindurchgefahren: der Gleimtunnel.
Gesperrt.
Einsturzgefahr.
Also darauf kam es nun wirklich nicht mehr an. Ich hatte Kasachstan überlebt, dann käme ich auch hier mit heiler Haut hindurch.
Absteigen, die Sperre zur Seite kippen.
Lauter Autos, alle demoliert. Etwas kritischer Blick zur Tunneldecke.
Aber sie hielt, sonst könnte ich Ihnen dieses hier nicht schreiben.
Abermals absteigen, abermals eine Sperre zur Seite kippen.
Ich bin ein sorgsamer Mensch und schloß den Durchweg wieder.
Paar Dealer am Zugang zum Birkenwäldchen vor dem Mauerpark. Die Zivilisation hatte mich wieder.
Der Rest war Heimspiel. Etwas mehr als 50 Minuten hatte ich für den Hinweg gebraucht, für den Rückweg knapp zweieinhalb Stunden, hin waren es siebzehn Kilometer gewesen, zurück nun schätzungsweise dreißig.
Zuhause das Ifönchen gleich an den Strom.
Aber nun wollte es nicht mehr laden.
Gut, über Nacht.
Als ich nach zweieinhalb Stunden um fünf Uhr aufstand in der Früh, weil ich nervös war, und nach meinem lieben 4S wie ein Vater sah, der wissen möchte, ob das Fieber seines Söhnchens zurückgegangen sei, stand die Ladeanzeige noch immer auf 1%. Ach du Scheiße. Einen Tag vor Paris, wo ich das Cellulare brauche, schon der Contessa wegen.
Das Gerät ganz ausschalten und es nochmals zu laden versuchen. Während man zwei Stunden weiterschläft.
D a s funktionierte. Nun geht es wieder. Aber es bleibt ein Mißtrauen, das ich gegen Geräte, die in nötiger Dauerbenutzung, nur höchst ungern hege.
Soviel zur Nachtfahrt und den Folgen.
Der Mops ist hier, bis morgen nachmittag; vor einer Stunde hat Amélie ihn gebracht.
Morgen früh radle ich das Paket der Steuererklärung zum Finanzamt.
Morgen ist Waschsalontag (dringend).
Morgen ist eine Kontoangelegenheit zu erledigen.
Morgen noch einmal zum Krafttraining; in Paris werde ich nur laufen, im >>>> Jardin des Plantes.
Morgen muß klug gepackt werden.
Übermorgen verlasse ich um 4.45 Uhr das Haus; in Paris werde ich bereits um 8.40 landen.
Ich sei „markant“ geworden, sagte gestern eine.
„Sag mal, du bist so schmal!“ – Was meine Jacketts überhaupt nicht finden. Im Gegenteil eher, die Schulterstücke spannen.
Dieter Ilg improvisiert, in seiner Wagner-Arbeit!, auf „Freude schöne Götterfunken“.
Ich habe ein ungewisses Tageszeitgefühl, muß aufpassen, daß mir dieses Heute nicht zerläuft.
Nein, getrunken hatte ich nur sehr vorsichtig, stets in folgender Reihe: ein Glas Wein – ein alkohlfreies Bier – ein Glas Weinschorle – ein Glas Wasser – ein alkoholfreies Bier – ein Glas Wein. So war ich, als ich zu der Nachttour aufbrach, nicht einmal beschwipst. Das hätte auch die grauenvolle Musi verhindert, die uns um die Ohren dröhnte. Wie sowas Menschen ertragen können und auch noch dazu tanzen mögen, wird mir bis zu meinem letzten Atemzug ein Rätsel bleiben. Auch das Freundespaar, das mich eingeladen hatte, war von dem Krach nicht beglückt. Dafür war das Essen superb:
[18 Uhr]
Nach >>>> dem Spaziergang mit dem Mops, in den, also jenen*, hinein mein Sohn SMSte: Pa, wann kommst du heim?
So also unseren Espresso hier und eine kleine Übergabe Geldes.
Hör mal, sag ich, und spiele ihm >>>> Leszek Możdżers Praying vor.
Das ist echt schön, sagt er.
Noch was?
Gerne, aber dann muß ich los.
Also My Song, Jarrett, Garbarek, (Palle) Danielsson, Christensen, Oslo 1977.
W i r k l i c h schön! ruft er aus.
Es war dies Dos und mein Liebeslied, erzähle ich. Er versteht jetzt: Es ist die Zeit.
worauf mit Recht der Herr Beckmesser >>>>> hingewiesen hat.
Aber ohne ihn, also jenen, zitterte mehr Witz darin.]
Nun ist der junge Herr wieder fort, aber wir werden uns gleich noch mal bei der Familie sehen; ich habe ihr heute mittag ein Brot gebacken und mag’s hinüberbringen, allen noch Ciao sagen, bevor ich in den Flieger steige. Und gegen 22 Uhr wird Freund Broßmann zum Essen herkommen: Hähnchenschenkel nach Tandori-Art, auf einem Bett aus Zwiebeln, Kartoffeln und Chicoree im Römertopf zubereitet. Den Wein wird er mitbringen.
Ich singe mit M o ż d ż e r weiter und mit dem wunderbaren (Lars) Danielsson, den von dem andren, früheren, Palle, auch das Cello unterscheidet.
(Zum Training bin ich nicht gekommen; es ist vor der Abreise noch zu vieles zu erledigen.) – Ob ich wohl auch mal wieder dichte? – Ah, P a r i s!
Thälmanns Parkidyll
Schon kühn,… … dass der Herr Sohn seine Funknachricht in einen Hund hineinfabriziert. Aber ob das eine mögliche Lösung des Handy-Problems werden kann…?
@Beckmesser, laut auflachend: Sie haben völlig recht. Aber jetzt wär’s fast schad, es zu korrigieren. Tu ich dennoch, aber schreibe eine kleine Bemerkung hinzu. Einverstanden? Na gut, GoA (selbstverständlich nicht mit dem indischen Ländle zu verwechseln…).
Es gibt doch noch den klassischen, faltbaren Stadtplan, lieber Herr Herbst, ein wunderbares Tool zur Orientierung im (auch kasachisch-städtischen) Gelände, auskragend sogar bis Spandau. (Freilich hätte d e r uns um den kurzweiligen Reisebricht gebracht). Mit besten Grüßen vom Dilettanten
@Dilletant: Nur wäre der in Berlin-Kasachstans Krachdustrem n o c h schlechter lesbar gewesen, also: außerdem.
(„Reisebericht“ allerdings finde ich eine höchst treffende Beschreibung, wenn auch im Sinn der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mithin hat es sich, modern gesprochen, so also wie überdies um eine Zeitreise gehandelt – vor allem, wenn ich >>>> jetzt, unterdessen freilich von >>>> Rive Gauche aus, darauf zurückblicke.)