[Arbeitswohnung, 9.17 Uhr
Dieter Ilg, >>>> Otello]
und schon seit gestern mittag, geht mir die, tatsächlich, Lust, einen längeren Text zu Dieter Ilgs wundervoller Improvisationstrilogie Otello-Parsifal-Beethoven zu schreiben; imgrunde bin ich es >>>> ACT auch schuldig.
Aber es ist wie mit beinah allem übrigen: Ich stecke so tief in dem Ghostroman, daß ich jegliche andere Konzentration und den damit verbundenen Zeitaufwand scheue. Und über den Roman schreiben sollte, ja darf ich nicht; ich wäre immer wieder versucht, aus dem bereits entstandenen und weiter entstehenden Text Entwurfsauszüge einzustellen, so, wie ich es seit Pflanzung Der Dschungel in nun immerhin mehr als zwölf Jahren immer wieder getan habe – etwas, das für sie geradezu charakteristisch war. Meine Leser:innen haben die Entstehung nicht nur vieler Hörstücke, sondern auch und gerade >>>> Argos, der >>>> Vergana, der >>>> Bamberger Elegien, zuletzt des >>>> Traumschiffs textnah miterleben können, erleben – nunmehr unterbrochen – die Entstehung der >>>> Béart mit, also aller poetischen Nexus, die mich je beschäftigt haben.
Damit ist es derzeit schlichtweg vorbei. Ebenso, wie ich momentan auch keine >>>> Opern- und >>>> Konzertkritiken mehr schreibe, in Oper und Konzert auch gar nicht mehr gehe. Meinen Musikbedarf und meine Musikliebe befriedigt zutiefst, Hand in Hand mit meiner nun wirklich auch riesigen Sammlung, meine Highend-Anlage. Und: Ich bin so tief in dem neuen Buch drin, daß mir der auch persönliche Mitteilungsdrang beinahe abhanden gekommen ist, der mich seit je begleitet hat. Selbst zu dieser, sagen wir‘s mit Richard Wagner, „Nachricht an die Freunde“ motiviert mich eher mein poetisches, der literarischen Kontinuität verpflichtetes Gewissen als ein tatsächlicher Impuls.
Übertrieben formuliert, liebe Freundin, zwinge ich mich zu diesem Arbeitsjournal, nachdem ich es tagelang vor mir hergeschoben habe – so lange, daß nunmehr selbst nahe Freunde mehr oder minder besorgt bei mir anfragen, ob es mir gutgehe.
Ihnen allen eine generelle Antwort: Ja.
Es geht mir sogar sehr gut. Der ökonomische Druck ist von mir genommen – wie groß er gewesen sein muß, realisiere ich erst jetzt. Ich darf arbeiten, wie ich es möchte – auch wenn dem der Auftragscharakter eines „Ghostwriting“s zu widersprechen scheint. Tatsache ist, daß ich selten so frei gearbeitet habe, was unabhängig meint; daß ich Vorgaben zu erfüllen habe, widerspricht dem nicht. Das ist auch bei jedem Sonett so. Bekanntlich ziehen Sonette gerade aus der Beschränkung durch Regeln, ja Gesetze ihre unfaßbare Kraft – indem man sie erfüllt und zugleich transzendiert. Der Unterhaltungsroman, der – mit dem Wort der Contessa – Poolroman, wird ganz das leisten, was er soll (sich wegschmökern lassen), und dennoch die Kriterien eines wirklich guten Romans erfüllen: Aber man soll das nicht merken. Doch sollte eines Tages jemand den Roman anaylsieren, dann wird es sich erweisen. Mit anderen Worten reizt mich an meiner Aufgabe, und erfüllt mich längst, die poetische Quadratur eines Kreises. Daß ich dem gewachsen zu sein scheine, gibt mir ein enormes Bewußtsein meiner selbst. Zu erleben (erleben zu dürfen), was man ist und wer man ist.
Ich genieße eine zutiefst privilegierte Situation. Allem voran, daß gewollt und gewünscht wird, was ich tue – obwohl sich meine Arbeit von dem, wie ich sie vorher getan, kaum unterscheidet. Sicher, ich könnte diesen Roman auf der rechten Arschbacke runterschludern, und niemand würde es merken. Man könnte sagen: Herbst, du machst dir da viel zu viel Arbeit. Das Ding soll doch eh nur wegkonsumiert und dann weggeschnmissen werden. Ich da sage: Nein. Nichts wird herausgegeben, das nicht wirklich durchdacht und möglichst perfekt geschrieben ist, von den Webfehlern abgesehen, weil Perfektion alleine Gottes ist: aslaam.
Es kommt noch hinzu, daß mein Thema, das des Romans, nicht etwa eines ist, das mich nichts angeht. Ich habe kein sachliches Verhältnis zu ihm. Sondern es gehört interessanterweise mitten in den Nexus hinein, an dem ich ohnedies schon immer gearbeitet, ja der mich beschäftigt hat, seit ich ein etwas größeres Kind war. So fiel und fällt es mir nicht schwer, mir das Thema im Wortsinn einzuver- … nein, nicht -leiben, sondern -seelen. Es ist jetzt meins. Das geht so weit, daß ich mich manchmal wie die männliche Hauptperson fühle: als wäre ich sie, also er. Ich dringe unter seine Haut, er mir unter meine. Nennen wir ihn hier Marcel. Also in manchen Phasen meiner Arbeit sind Marcel und ich identisch. Dann bin ich der Contessa in Liebe verbunden. Und in der Tat: Ließen wir uns gemeinsam öffentlich sehen (was wir bislang, und wohl aus guten Gründen, strikt vermieden haben), würde man denken: oh, das paßt. Es kommt zu meinen Privilegien ja durchaus hinzu, daß sie eine schöne Frau ist, überdies genau der dunkle Typus, den ich seit jeher so begehre wie verehre. Das erleichtert mir die Arbeit ungemein, gibt unserer Kommunikation auch stets etwas Flirtendes, fast gegenseitig Werbendes.
Zu anderen Zeiten bin ich wieder der distanzierte Konstrukteur – wie etwa jetzt, da ich über die handelnden Personen Zeitentabellen anlege, die bis in die fünfte Vorgeneration zurückreichen, und sie, die Contessa, ist die allround-managende – und die Unternehmen finanzierende – Business Lady (der Begriff „Geschäftsfrau“ trifft den Charakter dieses Wesens nicht), die ihren Adjutanten neben der poetischen Arbeit auch für dieses und noch jenes einsetzt und erwartet, daß er spurt. Das sagt sie nicht, nein, aber der leichte Unwille ist spürbar, wenn etwas nicht gleich oder nicht fast-gleich geschieht. Was wiederum mir sehr gefällt, sogar extrem gefällt, weil ich hier sein darf, was ich bin, was aber viele Menschen sonst er- vielleicht sogar abgeschreckt hat: schnell. Neben meiner Bildung, die ja immer noch erschwerend hinzukommt. Nicht selten, wenn ich sie spielen lasse, bekomme ich von ihr die ironische Zurechtweisung, ich solle besser den „Klugscheißermodus“ wieder ausstellen. Von Furcht vor Bildung keine Spur, also auch nicht vor mir.
Erholsam, liebe Freundin, sehr erholsam.
Im Beruf sein dürfen, wie man ist. Ich kann es nur wiederholen.
Daß mein Name später nicht auf dem Buch stehen wird, was ist das dagegen? Einmal abgesehen davon, daß auf dem Buch der Name einer Person stehen wird, die ja ich erfunden habe. Womit ich sowieso zutiefst in meiner Ästhetik bin, ihr einfach weiter folge. Den ganzen Lebenslauf und den ihrer Eltern und Großeltern erfinde ich und setze das dann in die Welt. Schöpferischer kann man gar nicht sein.
Und dann.
Arbeiten im Süden. Auch das eine Befreiung. Arbeiten im hellen Licht, zudem am Meer, wenn ich will und es mich hinsehnt. Ich muß ja nur fragen (ja nicht mal das), ob ich auf die griechische Insel, ob nach Sizilien, ob nach Malta fliegen darf, um dort zwei Wochen zu arbeiten – ich kann es sofort tun, von heute auf jetzt, morgen auf übermorgen, wann halt grad ein Flug geht. Spätestens nach Weihnachten werde ich es wieder tun, für um die zehn Tage. Dann werde ich schon den Endspurt der ersten Fassung kommen sehen können. (Insgesamt – es kamen einige andere Arbeiten dazwischen – rechne ich derzeit mit der Fertigstellung des Romans im März. Erscheinen wird er dann im Frühjahr 2018; besser vielleicht aber im Herbst, weil die Frankfurter Buchmesse fürs Geschäft erheblich bedeutsamer ist. Aber diese Entscheidung wird Agentur- und/oder Verlagssache sein.)
Bevor ich >>>> von κάπου zurückflog, dachte ich: Was will ich im Norden, im Osten? Ich gehöre da nicht hin. Ich schreibe da nicht gut, jedenfalls nicht so gut, und leide schon vorab unter dem Novemberwetter. – Aber heute, Freundin, ist es nicht schlimm. Die Sonne strahlt, der Himmel ist hellblau. Und Dieter Ilg improvisiert so zärtlich über unterdessen >>>> Arietta, daß ich einverstanden bin (nicht nur er, sondern selbstverständlich Rainer Böhm und Patrica Héral genauso):
Nächste Woche fahr ich zu ihr hin, ich meine zur Löwin, nach Wien. Sie kommt da momentan nicht weg. Wie‘s mit der >>>> Serengeti sei, im Januar vielleicht, fragte sie, oder im Februar. Wir waren in der Tat lange nicht mehr da. Aber solange ich mit dem Roman nicht fertig bin, mag ich mich nur in seinem Umkreis aufhalten. Freund >>>> Arco schlug für Silvester Georgien vor. Ist mir aber auch zu weit von meinem Thema weg. So wird es entweder die Insel der Contessa werden oder Sardinien oder Sizilien, bzw. Malta. Da wir überlegt haben, ob wir nicht einen Teil der Geschichte sogar in Tanger spielen lassen, wäre für mich auch das denkbar.
Freundin, es nimmt Sie in den Arm
Ihr nach wie vor
Unhold
Off topic Mich würde einfach mal interessieren, was Sie von Karl Ove Knausgård halten. Ich glaube schon, dass Sie ihn kennen.
@C.Araxe zu Knausgård. Ich habe einiges über ihn und seine Bücher gehört, auch gelesen, seine Bücher selbst aber nicht. Was ich hörte, hat mein Interesse nicht geweckt, obwohl auch mir sehr Vertraute geradezu geschwärmt haben. Der Inhalt des Schwärmens berührte mich nicht.
Meine Lektüren derzeit (soweit ich zum Lesen komme) sind wie fast stetig Montale, Pound und >>> Willem Frederik Hermanns. Dazu Erich Caspars „Roger II. und die Gründung der normannisch-sicilischen Monarchie“ aus dem Jahr 1904. Außerdem schmökre ich immer mal wieder in belletristischen Anthologien zum Mittelmeerraum.
Und Elena Ferrante? Bin bisher nicht zum Lesen gekommen, aber sehr gespannt. (Knausgård würde ich aber dennoch immer wieder sehr empfehlen.)
Danke Danke für den Eintrag, sehr hat es mich gefreut, Sie wieder einmal zu lesen, offline soeben mit der Sizilischen Reise begonnen, so dass der Herbst-Nachschub sichergestellt ist, bin gespannt. Weiterhin gutes Vorankommen Ihnen!
Wer liest das??